Moby Dick (gelöscht)

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blaustrumpf

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Huhu, lapismont

Das kleine freche Mädchen tritt mich manchmal auch in die Wade.

In Sachen "Moby Dick" bin ich mit dem Rotzlöffelchen, dem reizenden, allerdings nicht ganz einer Meinung. Ich glaube nicht, dass es das langweiligste Buch im Universum ist. Aber ich hab ja auch schon ein bis drei mehr Bücher gelesen, so in der Zwischenzeit...

Vielleicht lag meine Enttäuschung in Sachen "Wal, da bläst er!" auch ein bisschen daran, dass die Übersetzung von "sperm whale" (Physeter macrocephalus) in der deutschen Fassung so prosaisch ausfällt. Viel Spaß also beim Lesen. Und wenn es sauer wird: es gibt Langweiligeres.

Als wenn das ein Trost wäre...

Schöne Grüße von blaustrumpf
 

lapismont

Foren-Redakteur
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Dritter Tag

Liebes Tagebuch,

kleine Unverlässlichkeiten säumen den langweiligen Weg des Alltags, und daher sei mir gestattet, gerade während der Abarbeitung wöchenendlicher Pflichten, meine Lektüre zu versäumen.
Jedoch gelang es mir am Freitag noch, gegen den Trend, in den öffentlichen Verkehrsmitteln wach zu bleiben und Moby Dick weiterzuverfolgen.
Wahrscheinlich lag meine gesteigerte Aufmerksamkeit aber auch nur dem besonderen Thema.
Liebes Tagebuch, es ging um Kindererziehung.
Gemeinhin stellt man sich die klassische Erziehungsmethode in uralten Seemannsfamilien doch recht neunschwänzig vor.
Nicht so die die Erfahrungen Ismaels. So wurde er recht wirksam und prügelfrei mit der Verbringung seiner Freizeit im Bett bestraft. Am längsten Tag des Jahres schmorte der kleine Übeltäter im Bett und war sich bewusst, erst in unsäglich langen 16 Stunden ans Aufstehen denken zu können.
Eine erstaunliche Idee. Das hebt die regelmäßigen Elternbriefe des Jugendamtes in den Status von Weltliteratur, eine kleine Klassikwelle der Erziehung im Schatten der antiautoritären Experimente. Nicht, liebes Tagebuch, das ich diese ablehne, sie passt nur irgendwie nicht so richtig zu meinen Kindern.
Das war natürlich nicht der ganze Tagesablauf unseres Helden. Nach der letztendlich doch recht erholsamen und zärtlichen Nacht mit Quiqueg, verlies ich ihn in einer Kirche sitzend.
Zu recht fand er eine besondere Art der Totenehrung recht ungewöhnlich. So werden den im rauen Leben um genau dieses gebrachte Angehörige auf steinernen Plaketten in goldenem Andenken bewahrt, jedem Kirchenbesucher ein stilles und zeitvertreibendes Gedenken. Aber den genau so Unerreichbaren, nur Fortgereisten, gedenkt man nicht.
Vielleicht ist dieses Problem ja durch die deutlich effektivere und zeitnahere Kommunikation zu jedem noch so kleinen Archipel endlich gelöst, aber es ist etwas Wahres daran, das wir den Lebenden zu selten gedenken, liebes Tagebuch, es ist ein Zeichen, mehr mails zu versenden, alte Freunde und lang vergessene Bekannte miteinander bekannt zu machen, ein weltweites Netz an Sichverstehern zu gründen.
Globalisierung ist kein ferner Ort, es ist ein Platz tief in uns allen.
In dieser heiligen Stimmung verlies ich Ismael, an der Seite des wackeren Quiqueg und stürzte mich in das Wildlife der Stadt. Aber ich werde ihm weiter zuhören und Dir davon berichten.
 

blaustrumpf

Mitglied
Hallo, lapismont

Vielleicht sollte ich doch öfters Werke aus dem Katalog der Weltliteratur begiften, auf dass sie dann auch mal wieder neu gelesen werden...

Schöne Grüße von blaustrumpf
 

lapismont

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Vierter Tag

Liebes Tagebuch,

es geht voran.
Nach einigen Tagen der Abstinenz durfte ich heute wieder zur Arbeit fahren und somit auch unserem Freund Ismeal eine neuerliche Gelegenheit bieten, seine Geschichte fortzusetzen.

Und es bleibt spannend.

Ismael konnte in der Kirche einer Predigt über Jona verfolgen. Hier taucht dann auch zum ersten Mal der Wal als Teil der göttlichen Gewalt auf. Nun wissen wir, wohin Melville mit seinem Wal wird hin wollen.

Sehr amüsant und in seiner kindlichen Unschuld durchaus anrührend ist die wunderbare Beschreibung, mit der Melville die Freundschaft zwischen Ismael und Quiqueg einführt.
Liebes Tagebuch, es zeigt auch sehr deutlich, wie geprägt und verfangen in der eigenen Moral man ist.
Denn wer würde das zärtliche Übereinanderlegen von Männerbeinen unterschiedlicher Besitzer heute als Zeichen von inniger Freundschaft werten, ohne zumindest Hintergedanken zu haben?
Allein mein Gedanke, das Melville vielleicht doch etwas mehr als Freundschaft beschreibt, zeigt mir doch sehr deutlich, wie wenig oder wie viel heute erlaubt ist. Denn das Akzeptieren von Homosexualität als eine Normalität bringt auch eine Sensibilisierung mit sich.
War es früher eher unwahrscheinlich bei einer männlichen Bettkameradschaft an Sex zu denken, kann ich mich gegen diesen Gedanken gar nicht wehren. Und liebes Tagebuch, ich weiß nicht, ob meine Art der Prüderie nicht sogar restriktiver ist, als die Melvilles.

Interessant auch Melvilles beginnende Abrechnung mit den Quäkern, vielleicht sogar mit jeder scheinheiligen Doppelzüngigkeit, von denen der christliche Glaube so viele geboren hat.
Gewalt gegen Menschen abzulehnen, aber den Massenmord an Walen als kapitalistische Lebensgrundlage zu wählen, das ist schon schizophren oder typisch. Hey Mensch – das bist Du!
Kein Wunder, das Melville an ein Gottesgericht denkt.

Liebes Tagebuch, ich bin überwältigt, von den grazilen Beschreibungen, mit denen Melville sowohl Schiffe, als auch Menschen beschreibt.
Ich glaube, das kleine doppelzöpfige Mädchen hat entweder zu viele dieser Ergüsse genossen, oder fand einfach überhaupt keinen Gefallen daran; es deucht mir ein wichtiger Bestandteil dieses Werkes zu sein.

Ich werde nun also mit Ismael zusammen die Lay (Anteil am Nettogewinn = Verdienst) für seine Heuer aushandeln und Dir davon berichten, liebes Tagebuch.
 

Zefira

Mitglied
Hier bist Du in der Tat an einer der schönsten Stellen dieses Romans angelangt, bester lapismont, was bei mir viel besagt, da jeglicher Walfänger meinem Feindbild in meiner Eigenschaft als Delfinkuschlerin übelstens entspricht.

Trotzdem entbehrt es keineswegs der Komik, wie im Lauf der Vertragsverhandlungen Queequeg (so firmelt er nämlich bei mir, nicht etwa Quiqueg) zum Hedgehog verkommt. Sollte der sanfte Wilde doch noch seine Stacheln aufstellen wollen?

Und, liebster lap, remember: "Wollt ihr wohl pullen!!"

Zefira (back from snorkeling in lovely Estartit)
 

lapismont

Foren-Redakteur
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Fünfter Tag

Liebes Tagebuch,

wir sind in See gestochen!
Ein wunderbar ausgerüstetes Schiff verlässt den Hafen von Nantucket und zieht zum Morden aus.
Natürlich ist eine derartige Simplifizierung von Melville nicht zu erwarten. Ziemlich ausführlich diskutiert er in einem eigenen Kapitel das Für und Wider des Wahlkampfes und dabei präsentiert sich eine erstaunliche Aktualität.
Nicht nur, das die wackeren amerikanischen Walfänger, und andere scheint es gar nicht zu geben, mit den Segnungen ihrer Arbeit die ganze Welt beglücken, nein, liebes Tagebuch, ein amerikanisches Stigma legt Melville bloß: Öl.
Es geht wie immer um Öl. Der Krieg gegen die unchristlichen Wale ist ein Krieg um den einzigen Rohstoff, den der Amerikaner über alles zu begehren scheinen. Melville zieht hier am Anfang des Buches am Strang der Ölindustrie, deren unheimlicher Nutzen, den Weg zu ihm heiligt. So wird der Gesang auf den Walfang eine Wahlkampfrede. Amerika, dort ist das Öl, wir müssen nur unsere mächtige Flotte rüsten und es uns holen!
Da Melville etwas früher schon darauf hin wies, das der Wal aber auch ein Werkzeug Gottes ist, beschleicht mich ein herrliches Gefühl der Spannung.
Ja, liebes Tagebuch, ich bin begeistert von der großartigen Stichelei in diesem Buch.
Unser guter Kapitän ist zwar noch nicht persönlich an Deck erschienen, aber die steife Brise seiner Persönlichkeit weht mir schon um die Ohren. Die kurze Beschreibung, das er gottlos wie ein Gott ist, gefällt mir ungemein. Wie sollte ein Gott sonst sein, als gottlos?
Liebes Tagebuch, eine kleine süße Saphirkette fand ich während meiner Lektüre, ihr lustiges Funkeln erinnerte mich zu Recht an den wackeren Quiqueg. Seine überzeugende Art, sich als Harpunier zu empfehlen und dennoch als Friedensheld zu erscheinen, ist fürwahr eine schöne Stelle Text.
Liebes Tagebuch, gespannt erwarte ich nun die erste Begegnung mit Captain Ahab, ich hoffe Dir auch darüber baldigst Nachricht geben zu können.
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Sechster Tag

Liebes Tagebuch,

mit Freude kam ich beim Lesen zu einem Teil des Textes, den ich mit besonderer Spannung erwartete:
Eine Einführung in die Cetologie.
Natürlich hätte mir die Fischdefinition meinen blauen Strumpf ausziehen, und mich als Zehfrierer stehen lassen können , jedoch schreibt Melville seine quasiwissenschaftliche Begründung mit soviel Herzschmerz, das es eine angeregte Lektüre wurde.
Zu Melvilles Zeiten galt der Blauwal noch als Legende, sieh an. Und so zimmert sich Melville eine Kommode in Buchform um die großen und die kleinen Fische einzulegen. Erstaunlich, wie viel Zeit er sich nimmt, dem unbedarften Leser all die klitzekleinen Dinge zu erklären, die an Bord der Pequod Dienst tun oder für deren Erklärung notwendig sind.
Geradezu unspektakulär hingegen kommt die Szene daher, in der Ahab die Mannschaft auf das große Hetzen einschwört. Ich sehe immer fest vor Augen, ich glaube Gregory Peck war’s, das finstere Gesicht und die blitzende Münze. Manches wirkt visuell wohl stärker.
Das Nachspiel an Bord war für mich jedoch weit beeindruckender. Mit vorzüglicher Leichtigkeit wandert Melville zwischen Ahab und den Steuerleuten dahin und bringt einem jeden ein Sekündchen der Ruhe. Der Erzähler wird zum Übererzähler, er verlässt den dürren Körper Ismaels und seziert das Boot in kühnen Einzelschnitten. Sehr modern wirkt dies auf mich, wobei die wenigsten Autoren heute überhaupt modern sind.
Liebes Tagebuch, ich eile fort, weiterzulesen und verspreche Dir bald mehr zu schreiben.
 

Zefira

Mitglied
Ja ja, der Melville macht sich's einfach; er stellt fest, der Wal sei ein Fisch, der warmblütig ist und lebende Junge zur Welt bringt.

Aber ich will ihm ja nicht widersprechen. Ich bin auch ein Fisch, nicht besonders kaltblütig und meine Töchter leben auch.
 

blaustrumpf

Mitglied
waaaaaaaaal, da bläääääääääääst eeeeeeeeeeeeeeer!

Hallo, lapismont

Du musst ein heiteres Leben führen, wenn du die Wal-Analysen des Herrn Melville so frischen Mutes goûtieren kannst...

Oder liegt es einfach daran, dass der Pottwal im Englischen einfach - nun, sagen wir mal - anregender heißt, und die zunehmend ungeneigte Leserin sintemalen einfach eine Pointe bei der ganzen Sache erwartete?

Jaja, ich weiß, der Weg ist das Ziel. Aber wegen so etwas sind schon ganz andere Bücher geschrieben worden.

Viel Spaß noch mit dem Wal... äh, Wälzer, wünscht dir blaustrumpf
 
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