Momentaufnahme

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Momentaufnahme

In allen Notfällen Ruhe bewahren. Das Schild hängt an der Tür zur Notaufnahme.

Ich will doch nur Hilfe, denkt die junge Frau vor der Tür. Ich bin ganz ruhig. Doch wie lange noch, bis ich anfangen werde zu rufen und zu schreien und panisch um mich zu schlagen? Ich werde all dies nicht tun. Und zum Dank dafür könnten sie sich nun endlich um mich kümmern.

Ich bin zu müde um noch zu helfen, denkt der alte Mann jenseits der Tür. Mein Tag war 40 Stunden lang, und ich bin ganz ruhig. Ich kann nicht mehr kämpfen und mich wehren für die anderen. Ich werde einfach nur hier sitzen und hoffen, dass heute Nacht keiner mehr kommt und nach mir fragt.

Ich leuchte Tag und Nacht, summt die Lampe über der Tür zur Notaufnahme. Sie wärmt grüne Farbe und einen weiß leuchtenden Läufer. Besser Notaufnahme als Todaufnahme, sinniert die Lampe. Ich sorge 24 Stunden am Tag dafür, dass sie den Weg durch die Tür finden. Damit Helfer und Notfälle zusammen kommen.

Ich decke alle zu, flüstert die Decke. Meine raue Oberfläche gibt denen Halt, die Schmerzen und Angst erleiden. Mit meinem Schweigen bringe ich Ruhe für die Erschöpften. Ich dämpfe das Licht, das die Müden blendet. Ich bedecke die Augen der Toten.

Momente in der Notaufnahme: vor der Tür oder hinter der Tür, licht oder dunkel. Begegnungen, die keine sind. Weil keiner sie sieht. Notmomente. Aufnahme aus Not. Momente der Not. Ein Moment in der Notaufnahme.

Und die junge Frau schreit vor Schmerzen.

Und der alte Arzt steht bei ihr mit rot geränderten Augen.

Er deckt sie zu, bis über das Gesicht.

Es ist beinahe still im Raum.

Nur die Lampe über der Tür zur Notaufnahme summt weiter.
 
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xzar

Gast
hallo,

eine sehr schöne und interessante idee.

Mein Tag war 40 Stunden lang, und ich bin ganz ruhig.
falls die subjektive übertreibung intention war, will ich nichts sagen. allerdings hab ich den verdacht du meinst mit 40 stunden die woche und nicht den tag, zumal den anderen protagonisten (der lampe zb) solcherlei übertreibung nicht zugestanden wird.

Momente in der Notaufnahme: vor der Tür oder hinter der Tür, licht oder dunkel. Begegnungen, die keine sind. Weil keiner sie sieht. Notmomente. Aufnahme aus Not. Momente der Not. Ein Moment in der Notaufnahme.
dieser absatz gibt mir keine neuen informationen. es scheint fast wie eine zusammenfassung des gesagten, die unnötig ist.

ein lob der idee, gegenstände zu protagonisten zu machen.

lg
co
 
Hallo xzar,

vielen Dank für Deine Zeit und Gedanken zur "Momentaufnahme".

Die Übertreibung beim Arzt habe ich tatsächlich so gemeint - und das ist ja auch relativ realitätsnah. Die junge Frau würde nie übertreiben, sie hat genug damit zu tun, nicht die Kontrolle zu verlieren. Und eine Lampe überhaupt zu Wort kommen zu lassen ist ja auch schon Übertreibung genug, oder? ;-)

Den von Dir angemerkten Abschnitt habe ich als eine Art Übergang verstanden, ein Innehalten zwischen den beiden sehr extremen Tempi innerhalb der Geschichte. Du hast Recht, es ist mehr ein Kommentar, ohne Information; bringt aber meiner Meinung nach eine neue Perspektive.


Ich wünsche Dir frohes Schreiben!

LG,
Perdita Alexan
 

Asgar

Mitglied
Grüße,

ich finde die Idee ebenfalls gut, die Geschichte kurz, aber schön.

Notmomente. Aufnahme aus Not. Momente der Not. Ein Moment in der Notaufnahme.
Gerade dieses kleine Wortspiel hat mir gut gefallen
(die Geschmäcker sind halt verschieden ^^)

Ich wünsche weiterhin viel Spass am Schreiben, Wörterschmied
(ich LIEBE diese Wort XD)

mfg Asgar
 



 
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