Monolog eines Vaters

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kauz

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Monolog eines Vaters

Man könnte sagen, ich bin am Boden. Morgen wird das Urteil gesprochen und meine Freunde, Eva und die Kinder freuen sich darauf, denn sie wissen, dass mir, wie auch immer der Richter entscheiden wird, eine schwere Last aus meinem Leben genommen werden wird. Ich glaube, sie - zumindest die Kinder - verstehen nicht, warum ich mich nicht freue. Nicht freuen kann.

Nach so langer Zeit ... wie habe ich die alten Wunden überhaupt aufreißen können? Das Schweigen nach so vielen Jahren zu brechen war vielleicht ein Fehler. Ich wollte eigentlich gar nicht, dass sie Vater vor ein Gericht stellen. Ich wollte einfach nur mit jemandem darüber reden, was geschehen ist. Dass Karl, der mein unbedingtes Vertrauen genoß, die Polizei informiert und dass diese wiederum Eva benachrichtigen... wie kann ich denn mit so etwas rechnen? Ich willigte ein, zum Psychiater zu gehen, Eva versuchte, Kevin und Maria auf irgendeine Art beizubringen, warum Papi jetzt immer erst Abends nach Hause kommt, dass er jetzt in einem tollen Club sei, wo man sich jeden Tag trifft und sich die allergeheimsten Geheimnisse erzählt. Aber all die Verschleierungsversuche nützen offensichtlich nicht viel. Das wurde Eva und mir klar, als Kevin irgendwann vor ein paar Wochen am Frühstückstisch fragte, ob sie denn jetzt nicht mehr zu Opa mittagessen gehen dürften. Ob er denn ins Gefängnis käme. Es ist wohl wenig erfolgreich, so ein aufgewecktes Kind davon abzuhalten, sich sein eigenes Bild zu machen; die Tränen, die die Wochen vorher oft über Evas Wangen rannen, die leisen Vorwürfe Evas und Karls, der nun öfter vorbeikam, dass ich doch schon viel früher etwas hätte sagen sollen und dass sie nicht verstehen können, wie ich es jetzt, da es raus ist, überhaupt in Erwägung ziehen kann, nicht "Gerechtigkeit" zu verlangen. Nun, wenn es alle sagen, muss es richtig sein, oder nicht?

Nach der 2 Wochen dauernden Verhandlung wird morgen nun das Urteil gefällt. Ich war während der Verhandlung nicht anwesend, lies eine Aussage bei Gericht vorlesen aber morgen werde ich hingehen; ich weiß nicht, warum.
Eva war fast jeden Tag anwesend, Karl saß auch im Publikum. Ich will nicht, dass sie mir etwas über meinen Vater erzählen, wie er reagiert, was er tut. Sie sagen, er hat es zugegeben. Ich denke nicht viel darüber nach, das einzige, was mich beschäftigt, ist, wie er wohl auf die Fragen des Anwalts geantwortet hat. Ob er mit gesenktem Kopf ein "Ja." hervorgebracht hat oder ob er es mit ausdruckslosem Gesicht, ohne Zögern gesagt hat.

Müßige Gedanken. Wie die, die mir - ich weiß nicht, warum, vielleicht, weil alles wieder aufgewühlt wurde durch die zwangsläufige Konfrontation - seit einigen Tagen kommen, vor allem Nachts in Form von verschwommenen Träumen. Erinnerungen, längst vergessen geglaubte Eindrücke aus meiner Kindheit. Eine bewegt mich besonders: Eine Erkenntnis, nur ein Detail aber es schlägt mich zu Boden. Wenn er es tat, Nachts oder wenn wir beide allein zu Hause waren, kündigte er es vorher an. "Liebhaben" nannte er es. Einmal überwand ich mich, es war der - ich glaube 55. - Geburtstag meiner Großmutter. Einer meiner Cousins hatte bemerkt, dass ich mich seit dem letzten Treffen der Familie sehr verändert hatte, ruhiger geworden war, fast schon melancholisch. Nach langem Ringen mit mir selbst überwand ich all die Scham und offenbarte mich meinem Cousin: Ich sagte etwas wie "Manchmal, wenn Mami nicht da ist, kommt Papa zu mir ins Zimmer und hat mich lieb." Mein Cousin lächelte wohl leicht irritiert und ging mit mir zusammen wieder ins Wohnzimmer zu der feiernden Familie. Dann ist es wohl in Ordnung. Gehört wohl dazu.

Der Psychiater sagt, dass aus diesem Erlebnis meine heutige Haltung zu der Sache resultiert. Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass das, was da morgen kommen wird, ebenso die Macht hat, mir meinem Frieden zu geben wie mich zurück in meine Tiefe zu stürzen.

***

Man lasse mir bitte ehrliche, konstruktive Kritik zuteil werden, die ich für mein Geschriebenes sonst nirgends erhalte.

Danke.

Post Scriptum:
Das Thema hat keinen Bezug zu meinem Leben, ich bin 18.
 

Rainer

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@doro

beschreibt nicht der ganze text die heutige haltung des prot?
so habe ich ihn zumindest verstanden.

grüße

rainer
 

strumpfkuh

Mitglied
@Rainer und natürlich auch Kauz,
das ist natürlich ein Argument! Du hast absolut recht. Beim Lesen bin ich eben ein wenig über diesen Satz gestolpert und hatte das Gefühl, dass mir da persönlich etwas fehlte. Jetzt weiß ich eigentlich selbst nicht mehr genau, was. Also sag ich einfach nochmal: Ein super Text, eine super Leistung!
Grüße
Doro
 

kauz

Mitglied
Hallo strumpfkuh, hallo Rainer,

danke erstmal für die Antworten.
In der Tat bin ich beim Schreiben selbst ein wenig über diesen Satz gestolpert, da er sich nicht so recht in den Rest einfügt, obwohl er es, wie Rainer richtig erkannte, doch tut.
Etwas wie eine Apposition á " ... heutige Haltung zu der Sache, wie ich sie oben beschrieb, resultiert.", würde dem Text das Monologhafte nehmen. Den Satz wegzulassen wäre andererseits aber ein Bruch in der Kette dessen, was das Problem des Mannes ausmacht.
Man sieht, das ist - zumindest für mich - eine recht verzwickte Stelle.
Wenn jemand einen Vorschlag hat, wie man sich in diesem Fall besser aus der Affäre ziehen kann, teile er / sie ihn mir bitte mit.

Einen schönen Abend noch

kauz
 



 
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