Moralapostel

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Walther

Mitglied
Moralapostel


Jetzt, da ich alt bin, kommt am Schluss die Zeit,
Dass ich’s Gewissen freisprech und erlös.
Ich mach das laut und völlig seriös,
Damit die Leserschaft sich auch entzweit.

Und wenn derartig ich mich ganz entblöß,
Die Käufer gern zu kaufen sind bereit,
Was ich in meinen Büchern stolz verbreit:
Mein letzter Absatz stimmte mich nervös.

Zugleich beende ich mir diese Qual,
Die meine Jugendzeit sehr hat belastet.
Als Träger deutschen Geists und der Moral

Bin ich zeitlebens durch das Land gehastet.
Wie auch der Rest so scheitre ich banal,
Als im Olymp den Platz ich schon ertastet.


Dem noblen GG zum Preis!
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

Günther Grass jüngster Eskapade ein Sonett gewidmet, bravo!

Er selbst kann zwar großartige Prosa verfassen, einzigartig gut zeichnen, aber Lyrik schreiben kann er nicht. Seinen vor zwei Jahren erschienenen Lyrikband habe ich schon einen Tag nach dem Kauf (leider nur zum halben Preis) weiter verkauft, und da stand schließlich sein lyrisches Lebenswerk drin. Niemand kann alles können!
Aber was er sich jetzt geleistet hat, muss man das verstehen? Hat er seine Millionen schon aufgebraucht und benötigte eine zugkräftige Werbung für seine Biografie, war seine handschriftliche Signatur inzwischen unzureichend?

Armer GG!!!

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Walther

Mitglied
Hallo Vera-Lena,

vielen Dank für Deine lobenden Worte. Ich dachte eigentlich, daß dieser eher schwere Tobak in der LL weniger Aufmerksamkeit (und Zustimmung) erhielte.

Ich habe dieses Sonett bereits am 12.08.2006 begonnen und am 13.08.2006 beendet. In die LL kam es wegen der "Mengenbeschränkung" erst gestern abend.

Henryk M. Broder hat ein lesenswertes Essay zu diesem Thema verfaßt. Hier ist es zu finden: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,431695,00.html

In der Tat ist GG ein guter Grafiker und - am Anfang seiner Karriere auch ein sehr - guter Schriftsteller. Seit Oskar Maserath ist sein Werk aber eher durchschnittlich und ziemlich überschätzt. Wie er zum Nobelpreis kam, ist mir nachwievor ein Rätsel, aber gut, ich bin ja kein wirklicher Experte in diesen Dingen.

Wenn einer sich zum Richter macht über die Moral anderer und mit seiner öffentlichen Person derart rigoros und teilweise ehrverletztend austeilt, darf sich nachher nicht darüber wundern, wenn es nach einem solch späten Geständnis heißt: Das haben wir immer gewußt und geahnt. Und er darf sich nicht wirklich wundern, wenn er genauso hart angefaßt wird, wie er andere angefaßt hat. Die aktuelle Klage von GG ist daher etwas übertrieben wehleidig.

So ist das Leben, hart und ungerecht. :)

Schließlich er kann sich drittens nicht ernstlich wundern, daß viele diese Entäußerungen, die öffentliche Katharsis, für fadenscheinig und ein durchsichtiges Manöver halten, die Auflage einer Biographie zu steigern, für die sich offensichtlich ein renommierterer Verlag als der Steidl-Verlag nicht hat finden lassen. Und die nun völlig zurecht befürchten, daß die aktuelle Debatte um GG und seine Jugendsünden das Thema SS und Waffen-SS gegen die Geschichte eher verharmlosen dürfte, ganz unabhängig davon, daß man als 17-jähriger wohl kaum ernsthaft satisfaktionsfähig ist, was Entscheidungen dieser Art angeht. Da gilt sicherlich das Privileg der jugendlichen Dummheit.

Das eigentlich Gravierende ist in diesem Falle die wahrscheinlich absichtsvolle, wenigstens aber hinhaltend zulassende, Retusche an der öffentlichen Biographie, egal, welche Dokumente nun noch nachgeliefert werden. Jemandem, der sich so aufdringlich forsch und fast ekelhaft aufdringlich als die Moral in personam geriert (hat), dem darf so etwas eben einfach nicht passieren.

Es verbleibt also ein mächtig schaler Beigeschmack. Und die Aufforderung dieses Sonetts, GG durch den organisierten Nichtkauf der Biographie zu strafen. Denn genau das hat GG jetzt wirklich verdient.

Grüße

W.
 
B

bonanza

Gast
inhaltlich ist mir das zu klischeehaft.
zu flach. mann muß günther nicht mögen.
ich mag vor allem seinen schnäuzer nicht
und seinen erhabenen, intelligenten blick
über die brillengläser weg.
ein ätzender typ.

stil und form deines gedichtes
reißen es auch nicht raus.

bon.
 

Walther

Mitglied
Hi Bonanza,

es ist wohltuend, wieder einen Deiner schnoddrigen Kommentare zu lesen. Ich hatte Dich schon vermißt. :)

Ich habe nicht gesagt, daß ich Grass nicht mag. Er hat ein wunderbares Buch (Die Blechtrommel) und davor einige Kurzgeschichten geschrieben, die seine Jugend und die Zeit vor, während und unmittelbar nach dem Krieg betreffen. Danach ließ er allerdings doch ziemlich stark nach, literarisch jedenfalls.

Man kann über den Inhalt jedes Gedichts natürlich streiten. Wörter wie "Klisché" und "flach" allerdings sollte man sachlich begründen. Ansonsten sind sie einzig und alleine Mißvergnüngen schaffende emotionale Pauschalurteile, die den, der sie schreibt, erleichtern und den, den sie betreffen, beschweren, aber nicht weiterhelfen.

Wenigstens hat die Form Deinem kritischen Auge widerstanden. Das ist schon einmal ein Fortschritt.

Liebe Grüße W.
 
P

Prosaiker

Gast
ich glaube, das flache und banale ergeben sich aus dem irrglauben, man könne sich per lyrisches Ich in jemanden wie grass transferieren - indem du ihn sprechen lässt, es natürlich aber deine stimme, walthers stimme, ist, erzeugst du einen gewissen kaltschnäuzigen hochmut. unterstützt wird das vom kursiv gesetzten kommentar am ende, welcher auf mich beinahe aggressiv wirkt; destruktiv, immer rauf da! so scheints mir, besonders aufgrund des "nobel" und des ausrufungszeichens.
ich denke, man könnte am titel ansetzen. der wahre erzähler hinter der maske "grass", der autor also, ist nichts weiter als eben auch ein moralapostel, unisono mit diversen feuilletons lamentierend auf diese unangenehm bissig-flache weise. ich glaube, hier könnte man ansetzen und durch subtilere ironie, als sie hier vorhanden ist, den text gewinnen lassen. man würde gleichzeitig auch den hetzenden medien einen mitgeben.
ich mag deine sonette im grunde; - sind sonette nicht immer auch etwas wie lehrgedichte? wenn ja, dann ist mir in diesem fall zu deutlich der lehrer mit lederflicken an den ellbogen seines karierten, durchaus nicht jungen jacketts vor augen.
die 2 letzten verse gefallen mir übrigens, sie scheinen mir sympathischer. grass ist ein mensch, kein heiliger; schriftsteller, sicherlich, ein streitbarer dazu (ich persönlich kann ihn mir kaum antun), aber eben nicht unfehlbar, wie sich die so erstaunte öffenlichkeit, die bürgerlichen biedermeier das wohl immer dachten, beziehungsweise nun vorgeben, dass sie solches immer dachten. es wurde im sommerloch jemand gefunden, auf den man seine triebüberschüsse laden konnte. ich glaub, ich frag demnächst mal leute auf der straße.
"grass? wer soll das sein? war da nicht irgendwas? mit nazi und so?"

viele grüße,
Prosa.
 

Walther

Mitglied
Hallo Prosaiker,

selbst ein Moralapostel? Sind wir das nicht alle? Ich stehe dazu. Jeder, der kritisiert, erhebt sich über andere, weiß es (alles?) besser. Wem sage ich das, bin ja kein Stück anders. Und stehe auch noch dazu. :D

Ich habe dieses Gedicht geschrieben, bevor die Feuilletons losgelegt haben, um im Wortsturm "das Denkmal zu stürzen". Das lyrische Ich ist hier ein satirisches. Das Leben ist oft die wahre Satire, wie wir wissen.

Günther Grass hat sich diese "Ohrfeigen", auch die meine, redlich verdient. Er hat so oft seinen Mund zu allem und jedem, häufig wenig qualifiziert, aber mit der Autorität des ganz großen Menschen, aufgerissen, daß nicht nur fast schon stürmischer Durchzug vorlag, sondern ein solcher in Form eines mittleren Hurrican.

Ganz wie der "durch den Kakao gezogene" geht das Gedicht mit seinem Protagonisten nicht nett um. Wozu auch. Maulhelden bekommen was auf dasselbe, wenn man sie erwischt. So auch hier. Da darf es ruhig auch deftig daherkommen. Grass war immer deftig. Er war das auch in seinen zwei, drei wirklich bemerkenswerten Büchern aus dem Anfang seiner Karriere. Danach war viel heiße Luft. Allerdings manche richtig unverschämte und ungeheuerliche. Die Zahl der Verletzten am Rande Grass'scher Entgleisungen ist Legion. Da fällt mein Gedicht noch sehr liebenswürdig aus, fast feinsinnig.

Nun, wenigstens das zweite Strophenpaar scheint gerade noch davonzukommen. Ich sage ja, wenigstens etwas. Aber ein engagiertes kritisches Gedicht muß und soll ja Kontroversen auslösen, auch über seinen Inhalt. Dazu wurde es geschrieben.

Daher nehme ich Deine Anmerkungen insgesamt als Kompliment, besonders
ich mag deine sonette im grunde
In der Tat sind Sonette Lehrgedichte, ein wenig jedenfalls. Und der, der solche schreibt, ist ein "Belehrender". Und immer auch ein kleiner Moralapostel.

Zu dem, was offensichtlich ist, steht man am besten. Da hilft ablenken und ausbüchsen nicht viel.

Kurz: Beruferaten beendet. Moralapostel. Wie war das mit der Handbewegung. Ach ja, der erhobene Zeigefinger.;)

Liebe Grüße W.
 
P

Prosaiker

Gast
nagut, Walther, du liegst wohl sehr richtig: das ist ganz, ganz kontroverser kram -
bin gespannt, ob und wer sich wie noch eventuell dazu äußert,
vg,
Prosa.
 
S

Saurau

Gast
den kursiven nachsatz würd ich streichen, der wirkt unnötig zynisch, fast schon peinlich.

das sonett selbst finde ich durchaus gelungen. es präsentiert eine meinung, insofern ist der lehrhafte anspruch schon legitim. dass man grass reden lässt, kann ein schwachpunkt sein. besser gefiele mir - jetzt im nachhinein - eine direkte anrede richtung g.g.

inhaltlich lässt sich streiten, ob g.g. bewusst die leserschaft polarisieren wollte oder ob es sich bloß um altersblödheit handelt, gekoppelt mit jahrzehntelanger selbstlüge. das können wir kaum beantworten. wenigstens ist er wieder im gespräch.

lg daniel
 

Walther

Mitglied
Hallo Saurau,
... den kursiven nachsatz würd ich streichen, der wirkt unnötig zynisch, fast schon peinlich. ...
dieser Nachsatz war durchaus zynisch gemeint. Ich habe mich schon mordsmäßig geärgert, was GG hier abzieht. Aber die Fans scheinen tatsächlich auf seinen Leim zu gehen.

Ich überleg's mir mit dem Streichen ernsthaft, denn auf die Dauer bringt dieser Nachsatz nur zwei Dinge:

(a) er erleichtert den Autor um seinen Ärger
(b) er bestimmt den Protagonisten, in dessen Rolle der Autor geschlüpft ist

Leider fällt mit dem Nachsatz der wichtige Bezug (b) weg. Dann muß das Gedicht in dieser Hinsicht "umgeschrieben" werden. Du hast intuitiv auf diese Problematik hingewiesen.

Danke für Dein sonstiges Lob, was man sich bei Dir ja verdienen muß. :) Bleib aber um Himmels Willen so, wie Du bist. Ohne Kritik wird der übende Dilettant nicht besser. Daher ist ein "saurauer" Spruch manchmal durchaus angebracht und nötig. ;)

Liebe Grüße

W.
 



 
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