Morgen danach

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Zederngefüllter Märchenschlaf, bis sich um kurz vor sechs Uhr morgens die Augen gänzlich unerwartet von selbst aufreißen. Und von da an spricht die Realität plötzlich von ganz anderem, spricht keine Bände, aber in rätselhaften Flecken und Falten, die sich auf dem Laken unter mir finden.
Erst halb im Erwachen begriffen, fahre ich mit den Fingern darüber. Ist trocken, aber nicht ausgetrocknet. Nur weiß ich aus meinen geistigen Frühnebeln heraus nicht zu entscheiden, welches von beidem was bedeuten könnte. Meine blanke Brust steht mir vor Atem. Von irgendwo dringt Kälte her. Und ich stelle nun fest, dass die Farbe des nachtbefleckten Lakens in etwa dem Geschmack in meinem Mund entspricht. Die kleinen Falten sind ganz jung, ganz frisch. - Oft sind die kleinsten Falten doch die tiefsten.
Mit der Hand fahre ich mir übers Gesicht, als wische ich einen unwirklichen Traum von dort hinweg. Dann lass ich mich noch einmal in die Kissen fallen, schließe und öffne die Augen wie eine Fotolinse bei extra langer Belichtungszeit. Und endlich sind die Grenzen vom Bette zu seiner restlichen Umwelt gefallen. Endlich bin ich mit allen Sinnen meines Verstandes erwacht und kann mich umsehen.

Dort ist von hier aus links das Fenster, halb milchig vom nicht weggeputzten Schlier der vergangenen Wochen, halb gleißend blind vom frühen Sonnenlicht. Nur sein Rahmen bleibt hölzern und stumpf, so dass der Blick an ihm nicht abrutscht, sich an ihn halten kann wie ans Gehäuse eines ausgeschalteten Fernsehers.
Vom offenem Balkondach aber fallen Luft und Frühjahrssonnenlicht hier so herein wie sie auch sind. Kühl, weißgrau, glatt perlend wie ein Apfelkern.
Und jetzt erst fällt auch eine leise Melodie auf, wie Himmel, wie Himmelsklang, doch weit entfernt. Sicher jedenfalls bin ich ihr schon nicht mehr, als mein Blick, über Sofa, Tisch und Schreibtisch hinweg, voran durch den Raum gleitet. Über die Rückenlehne des Schreibtischstuhls sind salopp ein paar Kleidungsstücke geworfen, so als hätte sie irgendwer vom Boden aus dorthin verlegt. Leichten, schwarzen Stoff sehe ich, und drüber irgendetwas rotes. Die dünne Trägerspitze eines BHs hängt auch von dort heraus, und langsam aber sicher setzt der Moment der Erinnerung ein
Wo ich bin wird mir klar, wie mir ebenso kalt wird. Nur was in aller Welt ich ausgerechnet hier verloren habe, kann ich vor keinem einzigen meiner sieben Gewissen begründen. Nichts spräche mir im Grunde dagegen, den Inhalt meines Kopfes von hier aus auf der Stelle an die Wand hinter meinem Rücken zu verteilen. Stattdessen aber schießt mir ganz was anderes durch den Schädel, als die Erinnerung an die vergangene Nacht beim Anblick zweier leerer Rotweinflaschen auf dem Boden rasant zunimmt, an Farbe gewinnt wie ein in Verlegenheit gebrachtes Schulmädchen.

„Sie ist noch immer da“, lautet in Worte gefasst was ich denke. Wenn ich jetzt aufstehe und im Flur – da muss es sein – das Badezimmer finde, ohne viel Federlesens barfuss die kalten Fliesen betrete, wird sie mir dort gewiss entgegen blicken. Mit halb offenem Mund und großen Augen wird sie mich anstarren, das dunkelbraune Haar zerzaust auf den Schultern liegend, darunter auf der nackten linken Brust noch immer den roten Fleck einer Brandwunde, als hätte ihr Herz sich selbst nach außen hin ein Zeichen gesetzt.
Und so geschockt wie ich von dieser Erkenntnis bin, kann ich nicht anders als mir auf der Stelle ihre Bestätigung zu verschaffen, werfe die Decke beiseite, stehe auf wie ich bin, mit schwach taumelnden Schritten. Schnell bin ich vor dem Bad, stoße ohne ein Zögern dessen Tür auf, trete hinein und sehe sie auch schon, erkenne sofort genau den verschrockenen Blick den ich erwartet hab und greife mit Abscheu, mit allergrößter Abscheu und allem Ekel der Verzweiflung den ein Mensch nur haben kann, nach einem Handtuch, um damit so rasch wie möglich den Spiegel zu verdecken, vor dem ich jetzt stehe.
 

Zarathustra

Mitglied
Hallo David,
dieses Mal glaube ich, hast du es "getroffen"!

Etwas bleibt offen, muss es meiner Meinung nach auch, sonst verliert die Geschichte:

Was war das für ein Pärchen? In welchem Verhältnis standen sie zueinander...

Die letzte Scene vor dem Spiegel lässt eine Vermutung zu,
die Antwort aber offen...

Also Glückwunsch!
 

Zefira

Mitglied
Ich bin beeindruckt. Starke Bilder!

Ein paarmal ist es ein wenig schief. "Zederngefüllter Märchenschlaf" - na gut, darunter kann ich mir halbwegs was vorstellen (unsere Administratorin Zeder kann sicher genaue Auskünfte geben ;) ), aber "meine blanke Brust steht mir vor Atem" kann ich nicht deuten, egal in welcher Stellung.

"Und endlich sind die Grenzen vom Bette zu seiner restlichen Umwelt gefallen."
"Seiner" bezieht sich wohl auf das Bett, aber ich stolperte mächtig, weil ich es automatisch auf den Ich-Erzähler beziehen wollte. Nicht unkorrekt, aber mißverständlich; würde ich umformulieren.

Die Frage "Wo bin ich hier", die Wiedererkennung des Zimmers spricht dafür, daß es die Wohnung der Frau ist; der Gedanke "Sie ist immer noch hier" deutet darauf hin, daß es die Wohnung des Erzählers ist, denn warum sollte sie sonst weggehen und ihn dalassen? In diesem Punkt würde ich Klarheit schaffen. Ansonsten machen gerade die offenen Fragen die Geschichte besonders interessant. Gefällt mir sehr.

Lieben Gruß,
Zefira
 

Rainer

Mitglied
als altem nacktschläfer (gott, was bin ich erotisch, nee, nich? ;)), steht mir die brust früh sogar manchmal als mann, jedenfalls habe ich das daraus gelesen.
ansonsten ist er mir einen tick zu diffus (aber alles geschmackssache), auf jeden fall läßt sich der text sehr gut lesen... bitte weitermachen.

grüße

rainer
 
Ursprünglich - also so wie ich die Geschichte verstanden und gemeint habe - ist all das aus der Sicher einer Frau geschrieben, die am Ende eben in den Spiegel sieht.
Die Person die sie über nacht gehofft hatte loszuwerden, war sie selbst.
Hat das niemand so verstanden?
 

Zefira

Mitglied
Nein, ich ehrlich gesagt nicht! Natürlich wird der ganze Text dadurch wesentlich einleuchtender.

Das ist ein häufiges Problem: obwohl ich als Leserin natürlich weiß, daß der Erzähler nicht identisch sein muß mit dem Prot (und es meistens auch nicht ist), nehme ich unbewußt doch irgendwie an, daß in Ich-Erzählungen der Erzähler das gleiche Geschlecht hat wie der Autor ... komisch! :rolleyes:

Vielleicht am Anfang einen klitzekleinen Hinweis einfügen, z.B. "Brüste" statt "Brust" (da bietet es sich ja an ...)

Lieben Gruß,
zef
 



 
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