Murks

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Circulo

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Murks

Citta stand vor dem Spiegel und blickte sich an. „Mann, bin ich schön. Mmh. Muah. Schön bin ich. Jaja, so schön.“ Und Citta röchelte in seiner Melancholie wie ein Blöder.

Er war nackt, ganz nackt und versenkte sich in sein Bild. „Bin ich schön“, dachte Citta ad se ipsum. „Boaah, bin ich schön! Mein Kopf voll rasanter Gedanken, die Beine muskulös, bereit für Botengänge, Marathonläufe, dünn bin ich, oh wie dünn, die Fettpölsterchen hier und da, die übersehe ich mal gnädig. Meine Zunge kennt so leckere Geschmäcke, yamm, yamm, und dann fällt alles in meinen Hals hinab, der so zärtlich ist. Auweia. Ich bin so schön, trallallara!“

Je länger er hinsah, je tiefer er bildlich in sich hinein reflektierte, der kleine Narziss, desto blödsinniger begann er sich zu äußern. Er langte nach sich selbst, berührte das Glas des Spiegels, fuhr zurück. Irgendwann hasch ich Dich.

Unser Citta hatte viel Geld. Er wollte was schaffen, Nachhaltiges. Geldscheine quollen aus der Tasche seiner Hose auf dem Bett. Niemand hatte so viel Geld. Alle handelten draußen. Alle kauften und verkauften wie die Blöden und Citta wurde immer reicher.

*

Was also mit dem vielen Geld anfangen, dachte Citta, während er vor dem Spiegel stand und versuchte nicht umzufallen. Ihm ging eine Menge durch den Kopf. Sachen, die ich hier zu müde bin, zu wiederholen, weswegen ich mir die Aufzählungen der Gedanken unseres Helden spare und per in den Text integrierter Fußnote auf die Zeitschrift Der Humanist verweise. Was da drin so gedruckt wurde, ging dem reichen Citta durch den Kopf.

*

Ich erzähle Euch jetzt lieber, warum Citta so verdammt viel Geld hatte. Wenn man nämlich, und ich sage das nur Euch, Citta von außen betrachtete, sah man keinen schönen Mann sondern einen von allerlei verschiedenen chirurgischen Griffen Entstellten. Citta war jung gewesen, war verliebt gewesen, in sich in das Leben, in weiß Gott was, und als der erste Eingriff misslang, dachte Citta sich, dass er das korrigieren lassen könne. Der zweite Eingriff machte es noch schlimmer. Kein Problem, dachte er, während er im Spiegel seinem entstellten Gesicht zuzwinkerte. Es wäre doch ein großer Zufall, wenn es auch beim dritten Mal zu ungewollten Komplikationen kommen sollte. Und es stellte sich tatsächlich dieser Zufall ein. Auch der dritte Eingriff ging in die Hose, und zwar schlimmer wie all die anderen und Citta überlegte wie er nun weiter vorgehen solle. Er konnte nicht einmal mehr den Dorian Gray lesen, weil das Skalpell des Arztes diesem während der Operation aus der Hand entglitten war, als er über das Kabel eines Oszillatoren stolperte, und beschwingt durch das Zimmer flog und dem Citta im Auge stecken blieb. Durch den anschließenden Fall des Arztes, schlug er dem Patienten zudem die Faust ins Gesicht, sodass das andere Auge anschwoll. Das alles war ziemlich unwahrscheinlich gewesen, unwahrscheinlich wie alles im Lotto zu gewinnen, aber es war tatsächlich geschehen.

Nach der OP saß Citta nachts in seinem Haus und lachte. Citta lachte so laut, dass es der Nachbar aus der anderen Doppelhaushälfte mitbekam, während dessen Frau sich gerade die Beine epilierte, und sich fragte, was mit dem guten alten Citta los sei. Die Frau stellte ihre Maschine ab und sagte, er solle doch mal drüben nachsehen und fragen ob alles in Ordnung sei. Also klingelte der Nachbar beim Nachbarn, sah den Nachbarn, und ward danach nicht mehr gesehen.

Für unseren einsamen Helden war nun zu überlegen, wie er weiter vorgehen solle. Er hörte also auf zu lachen, setzte sich in Montur, wozu nun immer eine Art Sturmhaube gehörte, und ging zum Arzt. B. G. Behrens, Leiter der chirurgischen Abteilung des Universitätsklinikums, immer auf dem neuesten Stand der Forschung, befürchtete schon Citta wolle ihm seine Existenz durch eine mehrfache Anklage wegen Fahrlässigkeit mit Folgeschäden am Arbeitsplatz vernichten. Aber es stellte sich alles ganz anders heraus. B.G.B., dessen Vater auch B. G. Behrens hieß und ihn im biblischen Alter von ungefähr 102 Jahren gezeugt hatte, atmete tief durch, kroch aus seinem Ledersessel hervor, und stellte sich auf den Tisch, die Hände in die Seiten fassend. Der Chirurg war zwölf und sagte:
„Das kann ich nicht machen.“
„Doch. Sie werden operieren. Ich habe Ihnen das mal aufgezeichnet.“
Bäh. So einen richtigen Murks hatte der gute alte Citta da aufs Blatt geworfen. Im Grunde seinen ganzen Körper, aber total entstellt. Da waren der Elefantenmensch oder technische Störungen beim Fräulein vom Amt geradezu possierlich dagegen, meine Freunde, das sage ich Euch.
„Nein, mein Lieber Citta. So lieb ich Dich auch habe, das geht nicht.“
„Doch. Ich rechne damit, dass Sie es diesmal alles sehr gut machen werden, weil ich Ihnen ja vorher den Auftrag gegeben habe, alles gut zu machen und da haben Sie es schlecht gemacht. Und jetzt denke… Also ich denke… Warten Sie mal. – So. Ich denke, wenn Sie es jetzt schlecht machen, wird es gut. Oder?“
B. G. B., der einen messerscharfen Verstand hatte, erfasste den Gedanken Cittas sofort, und ihm kam das aus empirischen Gründen, der Chirurg war nämlich ein großer Empiriker und Fan von David Hume, sinnvoll vor.
„Ich verstehe. Auf diesem Fundament geht das natürlich. Sie sind ein scharfer Geist, Citta. Legen Sie sich gleich mal hin, ich operiere.“

Citta tat wie ihm geheißen, und B. G. B. führte alles exakt so aus, wie es auf der Zeichnung Cittas vorgegeben war. Liebe Leserschaft, ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie der Arzt sich gefreut hat, als Citta aus der Narkose aufgewacht ist. Er kam mit einer Flasche Wein und zerrte den entstellten Körper vor den Spiegel, damit er sich mal anschauen könne.
„Famos, nicht wahr! Wie auf Ihrer Zeichnung!“
„lll“, sagte Citta, dem der Arzt die Zunge an die Wange genäht hatte. „lllll“
„Warten Sie, ich mache mal ein Photo von uns beiden. So. Und jetzt trinken wir mal einen. Gleich kommt die Presse.“
Citta hätte dem Arzt gerne mitgeteilt, dass doch nun alles schief gelaufen sei. Alles genau andersherum und verdreht, und das der Arzt in seiner empirischen Weltauffassung nun eine neue Tatsache mit aufnehmen müsse. Aber das war jetzt natürlich gar nicht mehr möglich. Und Freunde, wenn ihr denkt Citta hätte sich doch ein Blatt nehmen können, um dem Arzt alles aufzuschreiben, dann habt ihr entschieden noch nicht die rechte Vorstellung davon, wie der gute alte Citta jetzt aussah.

Jedenfalls stand Citta vor dem Spiegel. Noch immer. Und er blickte sich an.
 

Circulo

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Citta posiert mit Maske

Meine Maske ist jetzt schon gänzlich mit meinem Gesicht verwachsen. Ich lese den Satz personam capiti detrahere (jemandem die Maske vom Gesicht reißen) von einem Römer, ohne dass mir dieser Satz noch möglich ist. Ich verstehe ihn und weiß auch so ungefähr was gemeint ist. Aber ich bin seit 2000 Jahren verlogener Christ: meine Maske hat sich mir ins Bewusstsein gebrannt wie Fett in die Polster eines Sitzes, nachdem das Auto ausgebrannt ist. Das ist alles Versicherungssache geworden.
Ich gehe nicht mehr aus dem Haus, ohne zu lügen; hätte ohne meine ganze Lügerei mein Haus gar nicht. Ich erwische mich sogar bei einer Lüge, wenn ich das Wort schön ausspreche. Aber was Lüge ist, ist relativ; deswegen falle ich auch nicht auf. Du lügst ja auch. Wen lügen wir an? Naja eigentlich lügen wir die ganzen nichtmenschlichen Dinge an. Tagtäglich: im Naturschutz lügen wir die Tiere an, wenn wir von Zukunft sprechen, lügen wir Zeit an, wenn wir von Geschichte sprechen, von Macht von gut und böse, wenn wir miteinander schlafen auch.
Es ist ziemlich deprimierend. Wir lügen en masse. Deswegen geht es uns so gut, scheinbar. Natürlich, wer Masken trägt, hat andererseits auch nichts mit Wahrheit zu schaffen. Aber was soll es! Wir haben ja alle nichts mit Wahrheit zu schaffen. Aber die Dinge... was wenn die Dinge etwas mit Wahrheit zu schaffen hätten, und sich allmählich wieder ein Feuerreinigungsprozess der Physis einstellt, den wir Poser seit einem Jahrhundert Weltkrieg nennen? Wer könnte in seinem Lügen etwas dagegen tun? Im Ernst: Du, meinst Du Maskenmensch, Europäer, Demokrat, Würdeträger, kurz: Lügner, meinst Du, Du könntest irgendetwas tun, wenn das nächste Feuer einmal nicht in einem Auto knallt sondern in unserem Schlafzimmer, wo es uns und unsere Kinder verbrennt? Freunde, sind wir ehrlich: wir sind machtlos, weil wir lügen. Was sollen wir machen! Wir labern den ganzen Tag nur scheiße: ob ich einer Frau ins Ohr stöhne, dass ich sie liebe, einen Beitrag in der Zeitung veröffentliche, meinem Sohn etwas verspreche, oder unter der Dusche singe; ich bin verschuggt, Lügner ohne Gnade. Selbst wenn ich dichte lüge ich. Überhaupt wenn ich dichte; aber immerhin weiß ich dann mehr oder weniger, dass ich lüge.
 



 
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