Mutter-, Vater- und solche Tage

Muffin

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Mutter-, Vater- und solche Tage


Nils nahm den Pinsel in die Hand. Er tunkte ihn tief in die Farbe. Ich verzog das Gesicht. Ich konnte nicht ertragen, wie er den Pinsel quälte.
Dominik gab sich da mehr Mühe. Er schwang ihn wie einen Zauberstab von links nach rechts über das Bild.
Stefan sah seinen Pinsel wie einen Feind an. Er war noch nicht bereit ihn zu benutzen.
Ich nahm großzügig weiße Farbe und strich sie über das Papier.
Der Fernseher lief. Nils Augen waren mehr auf den Bildschirm gerichtet als auf das Papier. Er verlor das Interesse, was ihn aber nicht vom Weitermalen abhielt. Es wunderte mich nicht, dass er Stefan dabei über die Hand malte.
Als es im Fernsehen spannend wurde sprang er auf und ließ seinen Pinsel auf das Sofa fallen. Die Farbe lief langsam die Rückenlehne runter.
Dominik schien sich unterdessen für Picasso zu halten. Er hatte den Pinsel ganz hinten gefasst und rührte schwungvoll im Wasserbecher. Dabei stieß er ihn um. Der Inhalt ergoss sich über den Teppichboden.
Ich wollte aufstehen einen Lappen holen, als ich gegen den Tisch stieß und Nils Stapel Dragonballkarten runter warf. Eine der Karten landete im frischen Gemälde. Während ich noch mit dem Gedanken spielte die Karte einfach zu übermalen, stieß Nils ein Wutgebrüll aus. Es war seine Lieblingskarte. Mit spitzen Fingern holte ich sie aus der Farbe.
Woher Nils wusste, dass es sich um seine Lieblingskarte handelte, war mir ein Rätsel, denn sie war mit dem kleinen Bildchen in die Farbe gefallen. Wir mussten feststellen, dass die Farbe nicht mehr abzuwaschen war, worauf hin Nils Anzeige bei Stefan erstattete und Dominik für mich die, wie er sagte, günstige Kondition aushandelte, dass ich Nils so lange Kartenpäckchen kaufen muss, bis diese Karte drin ist.
Wenig später hatte Stefan genug vom Feind Pinsel und warf ihn wütend in eine Ecke. In dieser Ecke lag durch Zufall Dominik heißgeliebte Tituskappe. Gut, dass wir Farbe genommen haben, die aus so ziemlich nichts mehr raus geht. Schon wieder Tränen. Stefan muss jetzt wohl eine neue Kappe kaufen.
Zum Ausgleich kleckste Dominik Stefan blaue Farbe auf die neue fast echte G-Schock Uhr.
Als ich dann auch noch das Glitzerzeug über das Bild streute, dass Mama letztes Weinachten benutzte, um Nils zu zeigen, wo die Engelchen lang geflogen waren, wurde ich beschuldigt, dass ich das Christkind bestehle.

Morgen hängt das Gemälde wie jedes Jahr neben einem Kunstdruck von Pablo Picasso im Wohzimmer.

Irgendwann aber wird das Bild, davon bin ich überzeugt, neben einem echten Picasso hängen und unter dem Bild steht dann auf einem messingfarbenen Schild:

Nils, Dominik, Stefan und Sandra
„Das Caos“
Zum Muttertag 2002
Geschätzter Wert:
Eine Dragonball-Karte, eine Tituskappe, eine fast echte G-schock Uhr und Sandras Nerven.
 

chrissi

Mitglied
Hallo Muffin,

Du hast das Talent, sehr charmant und witzig zu formulieren. Es macht richtig Spass, Deinen Text zu lesen und ich musste mehr als einmal schmunzeln.

Solche Texte findet man hier viel zu selten...

Liebe Grüße

Chrissi
 



 
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