Nach Luft schnappen

Cafard

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Ich kann lange so gut wie nichts tun, sehr lange, bis ich an den Punkt komme, wo ich den faulen Hintern irgendwohin bewegen will, irgendwohin, wo ich auch so gut wie nichts tue, aber dafür habe ich mir wenigstens die Beine vertreten.

Das Ziel ist immer die Innenstadt, in der Innenstadt laufe ich meine Runde, eine gesunde Tätigkeit, bei der ich Leute beobachte, eine Tätigkeit, die in einer Stadt wie Düsseldorf stets neue Überraschungen bietet.

Ein junger Rappertyp, zum Beispiel, der seiner Freundin am Po herumzuppelt, weil seiner Meinung nach ihr Slip nicht richtig sitzt, was diese Frau geradezu empört, sie hätte jenen knappen Slip für ihn angezogen, und es sei gemein, wie er sie nun maßregele, woraufhin der Rapper noch lauter und vernehmlicher mault: Was redest du eigentlich für eine Scheiße!?

Meine Augen untersuchen ganz genau den Po der bildhübschen Frau, natürlich ohne mich ausdrücklich einzumischen, obwohl ich das Problem sofort erkenne, der schiefsitzende Slip würde gar nicht auffallen, wenn darüber nicht eine hauchdünne schwarze Leggins säße, sondern eine gute Diesel-Jeans.

Nun, zuvor konnte ich eine etwas bedeutendere Beobachtung machen, ich lief an einer verlassenen Champagnerbar vorbei, eine Außen-Bar, wo sonst nur Leute sitzen, mit denen ich nichts zu tun haben will. Damen in goldenen Daunenwesten und silbernen Sneakers, Herren in Mänteln von Loden-Frey und englischen Maßschuhen. Diese Menschen nehmen zwischendurch mal einen Champagner am Köbogen, das dürfen sie auch, und ich darf sie mir weg wünschen, wie letzten Donnerstag, als es ein nasskalter grauer Mittag war und überhaupt ein nasskalter Tag.

Ein Barkeeper fehlte auch, aber die Musik fehlte nicht, es lief eine Interpretation von Leonard Cohens: Dance me to the end of love, hinreißend schön gesungen von Madeleine Peyroux, die ich mir gemeinsam mit Cohen in diese Bar wünschte, aber noch besser wirkte dieser Ort in seiner jazzbeseelten Menschenlosigkeit, so, als wenn ich es bestellt hätte, wenn ich nur auf solch beglückende Bestellungen käme.

Ich blieb nicht stehen, ich vertiefte mich nicht länger in diesen Anblick, ich hatte doch eine Aufgabe zu erledigen, ich wollte erforschen, mit welchen Inhalten sich sehr viele Leute auf der Welt identifizieren, wenn sie Knausgård lesen. Denn so vernahm ich es, der große Erfolg dieses norwegischen Autors beruhe einerseits auf der eingängigen Sprache, und andererseits schreibe er Dinge, die man von sich kennt, die man jedoch ungerne der Welt mitteilt, weil man lauter Nachteile befürchtet.

Oben in der großen Buchhandlung landete ich in einem drehbaren Ohrensessel aus rotem Leder oder aus rotem Kunstleder, man sitzt wie in einem halben Ei recht flach über dem Boden, man schaut von dort auf den belebten Kögraben, was ein prächtiger Anblick ist, man könnte dort auch ohne ein Buch sehr gut sitzen, aber ich hielt das dicke Buch: Leben in der Hand, um in die Seele des Autors und der Menschheit zu schauen. Entlastet von den leicht gebauten Sätzen und nachdenklich bei Passagen wie diese:

"Stattdessen eröffnete ich eine neue Unterabteilung in meinem Leben: Suff und Hoffnung auf Hurerei hieß sie und lag direkt neben der Abteilung für Einsicht und Innerlichkeit, getrennt nur durch eine kleine, gartenzaunartige Persönlichkeitsänderung."

Bei einem Mann kann mich dieses Geständnis nicht sonderlich überraschen, von der Gartenzaungrenze zwischen sich widerstrebenden Lebensimpulsen habe ich schon mehrfach gehört - kalter Kaffee, aber anschaulich formuliert - dachte ich so, und dann musste ich lachen, weil auch viele Frauen zu Knausgårds Leserschaft gehören, vermutlich erhoffen sie Einsicht in das andere Geschlecht, sie werden sich doch nicht in solchen Uneindeutigkeiten wiedererkennen.

Knausgård beschreibt nicht selten ganz banale Tätigkeiten, beispielsweise was er alles in den Einkaufswagen wirft, es ist mitunter krass unwichtig, was er da erzählt, aber es liest sich ungemein beruhigend. Schwärmend geht er auf die Schönheiten norwegischer Natur ein, man möchte eines Tages nach Norwegen fahren und Fjorde bestaunen, ich spüre zunehmend, wie mich das reizt. Das könnte teuer werden, dagegen sind Ausflüge in Büchern geschenkt.

Möglicherweise sind Fjorde ähnlich schön wie eine verlassene Champagnerbar, in der Madeleine Peyroux vom Ende der Liebe singt, als wenn es nichts Schöneres gäbe als Vergänglichkeitsschmerz. Nein, Fjorde müssen noch schöner sein, Fjorde sind vielleicht sogar das Schönste auf der ganzen Welt, Knausgård schreibt:

"Als wir auf der anderen Seite herauskamen, schnappte ich nach Luft. Zwischen zwei langen zerklüfteten, steilen und baumlosen Bergketten erstreckte sich ein schmaler Fjord, und davor, wie eine gewaltige blaue Fläche, das Meer.

Oooh."

Ich möchte selbst nach Luft schnappen müssen, so gesehen.
 

revilo

Mitglied
Knausgård beschreibt nicht selten ganz banale Tätigkeiten, beispielsweise was er alles in den Einkaufswagen wirft, es ist mitunter krass unwichtig, was er da erzählt, aber es liest sich ungemein beruhigend. Schwärmend geht er auf die Schönheiten norwegischer Natur ein, man möchte eines Tages nach Norwegen fahren und Fjorde bestaunen, ich spüre zunehmend, wie mich das reizt. Das könnte teuer werden, dagegen sind Ausflüge in Büchern geschenkt.

wooooaaaahhhh...ich habe [red]Knausgard [/red]letzten Monat entdeckt, den ersten Band gelesen und sofort Band 2 und 3 hinterhergekauft.....er ist für mich [red]DIE[/red] Entdeckung des Jahres..er macht sein Leben zum Objekt des Schreibens und zwar in einer Form, wie ich es nie zuvor gelesen habe.....ein moderner Werther..........ein big brother Container Roman allererster Güte.......

[red]LEST KNAUSGARD[/red]!!!!!!

LG revilo
 

Cafard

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Danke dir, revilo, für deine Zuschrift zum Beitrag, ich mag den Sound vom Autor K. ebenfalls sehr, aber eben auch das Echte an dem Sound, was will man denn großartig getextete Fiktion lesen, wenn sie doch nur aufs wirkliche Leben zurückführen will, dann kann man auch gleich ins Livegefühl gehen ohne Umschweife, ich mag es so!
 



 
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