Nach Mitternacht

Hochgiftig

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Es ist nach Mitternacht. Ich sitze auf dem Boden der Dusche, hunderte von Litern Wasser fallen auf mich herab. Den Kopf zwischen den Beinen versunken warte ich darauf, dass ich mich auflöse. Das Wasser ist mal warm, mal heiß, ich höre nichts außer dem steten Prasseln, es erfüllt meine Ohren und gibt mir ein gutes Gefühl. Mein Zeitgeühl ist vollkommen verschwunden. Wie lange sitze ich hier nun schon? Zehn Minuten? Zwanzig Minuten? Zwei? Ich weiß es nicht. Es tut gut, das ist alles, was ich im Augenblick wissen muss.
Ich warte darauf, dass du die Tür aufstößt und mich hier sitzend findest. Was soll die Scheiße?, höre ich dich in Gedanken schreien. Ich gucke dich an, du siehst meine Tränen, wohl wissend sie sind da, trotz des Wassers. Du kniest dich zu mir herunter, schaltest mit der einen Hand das Wasser ab, mit der anderen holst du ein Handtuch her. Du wickelst mich in den weichen, warmen Stoff ein, drückst mich fest und besitzergreifend an dich. Es wird alles gut, sagst du.
Doch nichts ist gut. Ich öffne die Augen und sitze immer noch alleine im Regen. Aus lauter Langeweile fange ich an, mich selbst zu befriedigen. Es ist unbefriedigend. Leicht benommen beobachte ich viele winzige Ichs, wie sie verloren ins Nirvana geschwemmt werden. Bye bye, Leben. Wenn es nur so einfach wäre.
Kraftlos schlage ich nach dem Hebel, der Wasserfluss versiegt und ich sitze im halbtrockenen. Ich bleibe noch etwas sitzen, das einzige Geräusch kommt von der Lüftung. Ich stehe auf und trockne mich ab, betrachte dabei Gottes Werk im Spiegel. Eine Trauergestalt schaut mir in die Augen, ich wende den Blick ab, kann das nicht ertragen. Ich möchte weinen, doch die Quelle ist versiegt, leer.
Ich ziehe meine Unterwäsche wieder an und verlasse das Badezimmer, gradewegs in die Küche. Der Sambucca steht auf dem Kühlschrank, ich hole ihn herunter, nehme ein Glas aus dem Schrank und setze mich auf die Couch. Auf dem Tisch liegen Zigaretten, ich nehme mir eine und zünde sie an. Zieh, zieh, zieh, zieh, zieh, aus. Die nächste. Zieh, zieh, zieh, zieh, zieh, aus. Nach wenigen Minuten ist die Schachtel leer. Mittlerweile kippe ich mein zweites Glas. Es brennt wie Feuer, aber es tut gut. Es wird erst warm, dann wieder kalt, also fülle ich wieder auf und schütte es runter. Natürlich mit Feuer, Traditionen sollten bewahrt werden.
Ich schaue Richtung Schlafzimmer, wo du grad schläfst. Du hast keine Ahnung, was jetzt im Moment in mir vor geht, woran ich denke, was ich will. Na gut, ich weiß selber nicht was ich will. Nur Liebe. Die du mir nicht gibst. Die du mir nicht geben willst. Denn da ist noch jemand anderes, der sich mir in den Weg stellt. Der sich uns in den Weg stellt. Du kannst ihn nicht vergessen, willst dich mir nicht öffnen. Das tut mir weh. Ich gebe dir alles, gebe dir einhundert Prozent von mir, und doch habe ich das Gefühl es reicht nicht im Geringsten. Du lässt mich nicht an dich heran, ich will dir so nah sein. Und doch kann ich nicht.
Der Kater streift umher, streichelt meine nackten Beine mit seinem Fell. Ich will ihn hoch heben, doch er läuft weg und brummt. Ich möchte jetzt nicht mit dir spielen, Kuschelmaus, dazu bin ich grad nicht fähig. Beleidigt setzt er sich auf den Sessel und schaut mich an, Minuten später ist er weg geschlummert. Ich gehe zu ihm und kraule ihm die Ohren, er fängt sofort an selig zu schnurren und dreht seinen Kopf in alle Richtungen. Ja, das gefällt dir, was? So leicht kann ich dich glücklich machen.
Die Uhr piepst, eine Stunde ist vergangen, so schnell, dass ich sie nicht halten konnte. Es stimmt mich traurig. Warum weiß ich nicht. Ich stehe auf und gehe zu dir, ins Bett. Ich lege mich neben dich und schaue dich an. Deine Hand wandert zu meinem Bauch, umschlingt mich, hältmich fest, drückt mich an dich. Ich will es nicht, aber es tut so gut. Ich verschränke die Hände hinter dem Kopf und schaue aus dem Fenster.
Es ist nach Mitternacht.
 



 
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