Nach einem realen Geschehen !

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Das Opfer

Sie war gerade 18 geworden, als sie den Aushilfsjob im einzigen Supermarkt des Ortes bekam. Es war ein Glücksfall, denn um ein Taschengeld zu verdienen, standen Schüler und Studenten im Sommer Schlange. Klar, auch Ina war wie alle ihre Freunde nicht scharf auf richtige Arbeit. Aber ohne Zaster konnte sie nicht am Wochenende in die Disco oder sich in einer Bar mit ihren Freunden treffen. Man musste eben was tun, wenn man nicht mit reichen Eltern gesegnet war.
Solange Herr Berner Filialleiter war, konnte sie es ja noch aushalten, aber mit seiner Nachfolgerin, der Frau Bop, war es der reine Stress. Die Frau war extrem herrschsüchtig und ehrgeizig, ihr Laden sollte der Beste in der Kette sein oder werden. Lange dauerte es nicht, da war keiner der alten Angestellten, außer Ina, noch dort. Entweder waren sie von selbst gegangen oder von Frau Bop entlassen worden. Auch die Neueinstellungen hielten sich nicht lange auf, da gab einer dem anderen die Klinke in die Hand. Mit Ina kam jeder aus, wenn man sich auch über ihre papageienfarbige Strubbelfrisur und den vielen Piercingringen in Nase, Ohren und Lippen lustig machte. Das Mädchen hatte Humor und konnte sogar mit den anderen über sich selber lachen. Ihr Wahlspruch war: „Nur nichts so eng sehen!“
Mit der neuen Filialleiterin hatte sie wenig Berührung, denn, wenn sie zum Arbeiten kam, saß Frau Bop meistens im Büro über Abrechnungen und Bestellungen.
So hatte Ina Ruhe vor der ‚Tyrannin’. Ihre Arbeit war auch mehr im Lager und das Auffüllen der Regale, da bekam sie das ‚scharfe Weib’ wie sie sie im Stillen nannte, kaum zu Gesicht.
Zwei Laster hatte Ina, das Rauchen und das Biertrinken.
Wollte sie mal ‚Eine durchziehen’, machte sie es draußen vor dem Markt, aber oft trank sie unbekümmert eine Dose Bier dazu, trotzdem sie von Kollegen vor der allbekannten allergischen Reaktion der Chefin gewarnt wurde. Dass Frau Bop schon oft, noch gerade an der Grenze der Gewalttätigkeit die Bremsen gezogen hatte, war ihr bekannt. Diese Frau hatte nicht nur gegenüber Angestellten ihre Hand drohend erhoben, auch Kunden waren nur haarscharf an einer brennenden Backe vorbei gekommen, es fiel ihr sichtbar schwer, sich zu kontrollieren.
Frau Bop war eher schmal zu nennen, auch ihre dunkelblonden Haare waren schon sehr dünn, man meinte, dass es vom vielen Haare raufen kam. Am Alter konnte es nicht liegen, denn mit Mitte dreißig war sie noch jung zu nennen. Ihren kleinen grauen Mäuseaugen entging nie etwas und die scharf geschnittene, spitz auslaufende Nase war wie ein Geierschnabel, immer auf Beute aus. Nicht mal vor dem größten und stärksten Mann steckte sie zurück, schon manchen Kunden hatte sie gezeigt, wer hier im Laden den Ton angab. Die Angestellten respektierten sie nicht als Vorgesetzte, aber fürchteten sich höllisch vor ihr, denn die kleinste Widerrede wirkte so, als würde man Benzin ins Feuer schütten, sie explodierte augenblicklich.
Sie liebte es, Angestellte öffentlich zu demütigen.
Stand dann einer mit hängendem Kopf vor ihr, umspielte ein satanisches Lächeln ihre schmalen Lippen, ihre Pupillen verengten sich noch mehr und glänzten wie polierte Stahlknöpfe.
Sie brauchte Publikum um sich allen als Herrscherin zu zeigen!
„Bei mir gibt es kein langes Gerede, wer sich querstellt, den lass ich über die Klinge springen! Der geht über den Jordan!“
Außer einigen kleinen Wortwechseln hatte es noch nichts Ernstes zwischen Ina und Frau Bop gegeben.
Bis an dem Tag vor Weihnachten, an dem sie Ina befahl beim Abladen von Tannenbäumen zu helfen. Da war sie ja gerade an die Richtige geraten! Befehle lösten bei Ina eine Antibefehlsallergie aus, sodass sie auch im gleichen Ton von Inas Echo getroffen wurde.
„Chefin, ich bin nicht Ihre Sklavin, mit der Sie umspringen können wie Sie wollen! Merken Sie sich das!!“ dann als sie sah, dass Frau Bop kurz vor der von allen gefürchteten Explosion stand, fügte sie noch hinzu:“ Ich werde für eine Bitte Ihrer Entlassung, mal Unterschriften sammeln, bei Kunden wie bei Kollegen und sie an die Zentrale schicken. Sie gehören in eine Zwangsjacke, Sie sind doch eine Gefahr für jeden!“
Ina hatte nicht mal die Stimme erhoben, sondern in ganz normalen Tonfall, dass ausgesprochen, was alle dachten.
Trotz Drohungen von Entlassung und sogar eines Prozesses, blieb Ina bei der Verweigerung, da genügend kräftige Männer zur Hilfe bereit standen. Vor allen Leuten drehte sie sich einfach um, ließ die Chefin in den Wind wettern und ging seelenruhig in das Lager zurück, um dort weiter zu arbeiten.
An dem Tag sah sie Frau Bop nicht mehr, war sich aber gewiss, dass da noch ein richtiges Gewitter über sie hereinbrechen würde.
Nach diesem Zwischenfall sahen sich die Beiden mehre Tage nicht, das hieß aber nicht, dass Frau Bop alles zu den Akten gelegt hatte. Im Gegenteil, sie war dabei einen Plan zu schmieden auf welche Weise sie sich der ungeliebten Hilfskraft entledigen und gleichzeitig ihre Position noch festigen konnte.
Kurz vor den Feiertagen war es denn so weit, nachdem sie morgens den Besuch des Bezirksleiters bekommen hatte. Dieser kam mit der Nachricht ihrer Kündigung, der Grund war, dass sie untragbar für die Firma sei. Man gab ihr noch zwei Wochen, in denen sie ihren Nachfolger einarbeiten sollte, um dann in den Urlaub zu gehen. Damit wäre die Kündigungsfrist eingehalten worden.
Sofort kam ihr die Drohung von Ina in den Sinn, von wegen des Sammelns von Unterschriften. Hatte diese kleine Hexe es doch wirklich gemacht, dafür musste sie empfindlich bestraft werden. Hatte Ina, ihrer Ansicht nach doch ihre Karriere und damit ihre Zukunft zerstört. In ihrem Hirn tickte ab dann eine Zeitbombe, wie sie Rache nehmen würde, war ihr schon klar, sie musste nur den richtigen Moment abpassen. Im Markt selber war es nicht ratsam, aber wenn Ina abends in der Dunkelheit den Weg durch die Anlage nahm, wo es mit Sicherheit keine Zeugen geben würde.
Wenn sie nur den bunten Schopf von Ina vor dem Fenster des Büros sah, kochte sie vor Wut. Am liebsten wäre sie auf der Stelle hinausgerannt, um dem Mädchen den Hals umzudrehen.
Die würde eine Lektion bekommen, die sie nie vergessen sollte und sich nicht mehr in die Angelegenheiten anderer einmischen würde. Was bildete sich diese arrogante Hilfsarbeiterin überhaupt ein? Ihre Abreibung war schon gebucht!!
Einige Tage, bevor Ina in den Weihnachtsurlaub ging, verlies Frau Bop den Markt vor den anderen. Sie hatte dem Personal befohlen pünktlich abzuschließen und die Schlüssel im Briefkasten zu deponieren. Es war nicht zum ersten Mal und darum wundert es auch niemanden. Sie fuhr mit ihrem Wagen ein Stück und parkte ihn nicht weit von Markt im Schatten einiger Tannen. Es war stockdunkel, nur alle hundert Meter hingen gelbliche Kugeln an einem Laternenpfahl, die gerade an die zwei Quadratmeter unter sich beleuchteten.
Ina konnte nur diesen Weg nehmen, denn die Nebenwege gingen alle im Kreis um den Hauptweg. Die Filialleiterin hatte sich einen Platz zwischen einem Gebüsch am Anfang des Weges ausgesucht, von da hatte sie noch einen guten Blick auf die Straße, die vom Markt kam. Sollte Ina nicht alleine kommen, würde sie ihr Unternehmen auf einen anderen Moment verlegen müssen.
Es war feuchtkalt und der Wind stand genau auf dem Gebüsch der Frau. Sie rieb sich ihre kalte Nase und trampelte sich die Füße warm.
„Wegen der erwischt mich noch eine Grippe! Sonst ist sie doch immer pünktlich, wo bleibt sie nur!“ fragte sie sich ungeduldig.
Aber da sah sie ein Fahrrad langsam in ihre Richtung kommen.
Das musste ihr Opfer sein!
Und wirklich, es war Ina, die jetzt langsam in Sicht kam. Sie fuhr ohne Licht und hatte ihre Strickmütze weit über Ohren und Stirn gezogen.
Frau Bop fieberte gespannt wie eine Stahlfeder dem Mädchen entgegen. Vorsichtig machte sie einen Schritt aus dem Busch vorwärts, sie wollte doch nicht im letzten Moment noch über einen Zweig oder einer Wurzel stolpern.
Als Ina greifbar nahe war, sprang sie vor und stieß sie samt Fahrrad um, in ihrer geschlossenen rechten den Baseballschläger, mit dem sie Ina bestrafen wollte. Damit, dass das Mädchen reaktionsschnell sofort wieder auf die Füße kam, hatte sie wohl kaum gerechnet. Wäre Ina jetzt geflüchtet, wäre ihr bestimmt nichts passiert, denn Frau Bop konnte ja unmöglich Baseballschläger schwingend hinter ihr herrennen. Ina erhob sich blitzschnell, um ihrerseits mit einem großen Metzgermesser auf den Angreifer aus dem Busch loszugehen. Es lag immer gegen eventuelle Attacken in ihrem Korb an der Lenkstange bereit.
Die wütende Frau, vor Aufregung fast blind, bemerkte nicht, was Ina da in ihrer Hand hielt.
Ein Stich in ihren Unterarm ließ sie aufschreien und mit ganzer Kraft zuschlagen. Der Schlag ging ins Leere, ließ sie aber durch die Wucht eine halbe Drehung nach Links machen, sie rutschte auf der feuchten Erde aus und fiel schwer auf ihre rechte Schulter. Der Schläger entglitt ihrer Hand und verschwand schlingernd unter dem Busch.
Blind vor Wut, dass es jemand wagte, sich ihr entgegen zu stellen, verlor sie vollkommen den Verstand. Wie ein Stehaufmännchen war sie sofort wieder in der Senkrechten und stürzte sich, ohne auf das Messer in Inas Hand zu achten auf das Mädchen. Instinktiv packte sie die Hand mit dem Messer und biss blindlings zu. Das Messer viel zu Boden, sie stieß Ina vor die Brust, sodass diese rückwärts auf den Kiesweg landete. Ihr Kopf streifte heftig die Bank am Wegrand. Es wurde ihr schummrig vor den Augen und machte sie für einen Moment bewegungsunfähig. Sie sah, dass Frau Bop mit dem Messer auf sie stürzte, die schwache Rolle nach links brachte sie aber nicht außer Gefahr. Quietschend und keuchend landete die Frau schwer auf dem Körper des Mädchens und stach zu. Die ersten Hiebe gingen vorbei in den Kies, der dritte Hieb traf Ina mitten ins Herz. Das Mädchen wand sich zuckend im Todeskrampf, aber die Frau hieb immer wieder und wieder auf das schon tote Mädchen ein. Nach einer Weile wurde sie ruhiger und streckte sich erschöpft schluchzend über Inas leblosen Körper.
„Ich wollte dich doch nur bestrafen, ich wollte dich nicht umbringen!“ laut schrie sie das tote Mädchen wütend an, “Du hast selber Schuld, du störrisches Weib!“ Mühsam richtete sie sich auf, die Kleidung, die Hände, das Gesicht verschmiert vom Blut ihres Opfers.
Die Sirenen der Polizeiwagen hörte sie gar nicht, ohne jegliche Regung ließ sie sich die Handschellen anlegen. Sie merkte gar nicht, was mit ihr passierte. Sichtlich befand sie sich geistig nicht mehr auf unserem Planeten. Willenlos stolperte sie schlürfend vom Polizisten geführt zum Wagen, immer wieder murmelnd: „Ich wollte dich nicht töten! Ich wollte dich nicht töten!“
Wegen heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangenen Mordes wurde sie einige Monate später zu lebenslanger Haft verurteilt und erstmal in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen.
 



 
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