Nachts um halb drei - oder die Beziehung zu meinem Telefon

WuZhao

Mitglied
Mein Telefon bestimmt mein Leben. Es sitzt wie ein böses fettes Tier mitten in meinem Zimmer auf dem Fußboden, da wo ich es gleich sehe, da wo ich es nicht erst suchen muß wenn es klingelt, weil ich praktisch darüber falle wenn ich mich innerhalb meines Zimmers fortbewege. Exakt in der Mitte meines Zimmers übrigens, genau ausgezirkelt die Erreichbarkeit des Hörers, in der höchstmöglichen Geschwindigkeit, von allen als Lagerstätte für mich und meine ungedulige Erwartung benutzbaren umliegenden Einrichtungsgegenständen, Bett, Sessel, Schreibtisch.

Das ist die beste Lösung, finde ich. Örtlichkeiten, die außerhalb meines Zimmers liegen, kann ich in meinen Detailberechnungen getrost außer Acht lassen, denn ich weiß, ich werde es sowieso nicht verlassen. Bis es klingelt.

So ist das. So fühlt es sich an, wenn ich nachts um halb drei feststelle, daß ich süchtig bin, abhängig von einem symmetrisch formschönen, jedoch bei genauem Hinsehen völlig unscheinbaren, trauertristschwarzen Plastikdings. Von einer herzlosen Maschine, die nicht weiß, daß sie mich in ewiges Unglück und Verzweiflung stürzen wird, wenn sie nicht sofort ihre dreitönigeintönigdudelnde Stimme erhebt; diese Stimme, die für mich nicht mehr nur schnödes Klingeln, sondern vielmehr engelschorgleiche Erfüllung meiner kühnsten Träume und brennendsten Sehnsüchte würde.

Sofort, bitte, weil mein Leben davon abhängt, weil der Kühlschrank leer ist und ich nicht einkaufen gehen kann und ich deshalb zwangsläufig verhungern werde.

Sofort, aus Rücksicht auf meinen Mitbewohner, denn duschen, oder ähnliche Aktivität auf der Grundlage fließenden Wassers, ist beim besten Willen nicht drin.

Auch bin ich nicht im Stande den Mülleimer runterzutragen,
verwahrlosen werde ich, ganz und gar, und vereinsamen. Meine Freunde werden mich vergessen und die Angestellten der örtlichen Störungsstelle werden mich auf ewig hassen.

Der Rand des Nervenzusammenbruchs ist in greifbare Nähe gerückt, jede Stunde, Minute, Sekunde meines trostlosen Daseins ein Stückchen mehr, weil ich darauf warte, daß das Schreckgespenst auf meinem Fußboden zum Leben erwacht und mir sanft die schönste Stimme, die ich in den letzten 24 Stunden gehört habe, in mein rechtes Ohr träufelt.

Dabei will ich doch glauben, ganz tief in meinem Inneren, daß zwischen der lächelnden Stimme, die ich mir mein Leben erträumt habe, und meinem Telefon bereits eine unsichtbare, magische Verbindung besteht.

Das heißt im Klartext: Wenn ich mich jetzt konzentriere, tief durchatme und mein Telefon hypnotisiere ...

dann....

dann wird mir klar, daß ich sicher nicht noch ein Glas Rotwein vertrage und daß ich dringend ein paar Stunden schlafen sollte.

Bis morgen Neurose
Amen
 



 
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