Nachtschattengewächs

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Nyxon

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Nachtschattengewächs

Wenn der Wind durch die Vorhänge streifte und der kühle Abendhauch sich auf den weißen Seidenlaken nieder bettete, atmete er tief ein und schloss die Augen. Er versuchte, möglichst keine allzu lauten Geräusche zu machen, um sie nicht aufzuwecken. Er hätte es sich nie verzeihen können, hätte sie wegen ihm keine Nachtruhe gefunden. Er wollte nur ihr Bestes und er versuchte jeden Tag und jede Nacht das ihm Mögliche, um ihr die Befriedigung zu verschaffen, die sie ihn seinen Augen notwendig hatte.

Sie drehte sich etwa fünfmal im Schlaf, soweit hatte er es mitgezählt. Gerade rollte sie sich auf die rechte Seite – das schlafende Gesicht ihm zugewandt. Sie machte einen zufriedenen Eindruck, als würde sie etwas Schönes träumen. Er wollte die Nacht neben ihr liegen und ihr ein wenig von seinen Träumen schenken. Diese waren voller Liebe zu ihr und ihrer Welt.

Er hatte sie das erste Mal im Supermarkt getroffen. Sie wog einige Klementinen ab und als eine davon von der Waagfläche rollte, fing er sie in der Luft auf und setzte sie sanft zurück zu den anderen. Dafür erntete er ein Lächeln und es war um ihn geschehen. Seine neue Flamme bedankte sich höfflich bei ihm und sie kamen ins Gespräch, ohne ein festes Thema zu verfolgen. Als eine dicke Frau sich an ihnen vorbeischob und ihre Äpfel abwiegen wollte, wechselten die beiden einen genervten Blick und mussten lachen. Sie gingen einen Kaffee trinken und fanden zueinander. Eine Bilderbuchliebe. Sie fuhren zusammen in einen romantischen Liebesurlaub und kamen als ein festes Paar zurück. Gemeinsam suchten sie die Gardinen und das Bett für das Schlafzimmer aus, die Wohnzimmerausstattung war ihr Bereich, dafür durfte er sich an der Küche auslassen. In dieser kochte er oft sie für und dann saßen sie an der schön marmorierten Mitteltheke auf den bequemen Lederhockern und tranken Wein und aßen seinen frisch gebratenen Fisch auf Dillsauce. Sie liebten sich in den Laken des Schlafzimmers und auf dem flauschigen Teppichboden. Sie duschten in der Dreibrausendusche und sahen sich im Spiegel im Flur beim gegenseitigen Masturbieren zu. Wenn er spät abends nach Hause kam, brachte er ihr Blumen mit, denn sie war trotz der Regelmäßigkeit seiner Überstunden schnell eingeschnappt und die ebenso regelmäßigen Blumen beruhigten ihr Gemüt. Er liebte sie von ganzen Herzen und wollte sie nie verlassen, das hatte er sich geschworen. Vor einigen Tagen hatte er beschlossen, sie um ihre Hand anzuhalten und ihr Glück entgültig zu besiegeln. Den Ring hatte er bereits gekauft.
Er betastete seine Hosentasche. Die eckige Ausbeulung des Kästchens rieb sich an seinen Beinen. Neben ihm schnaufte sie plötzlich laut auf. Sie roch immer noch sehr stark nach dem Parfüm, das er ihr geschenkt hatte. Es war eine Art Südfrucht, er kannte sich da nicht so gut aus. Mandarine, dachte er und beschloss, gleich im Bad nachzuschauen, wenn er sich für das Bett fertig machte.

Er streichelte sanft ihre Wange und fuhr mit der Hand ihren Nacken herab. Sie hatte reine, straffe Haut. Er vergötterte ihren makellosen Körper. Wenn er im Büro seine Überstunden machte, dann machte er das für sie. Damit sie solch ein beruhigendes Leben führen konnte, musste etwas getan werden, das ging nicht einfach so, als zaubere man auf die Schnelle ein perfektes Leben aus dem Hut! Sie war ihm dankbar dafür, das wusste er. Sie machte keinen Hehl daraus, ihm zu sagen, wie glücklich sie mit ihrem neuen Leben war. Er hatte sie aus einer kleinen Mietwohnung herausgeholt und hatte ihr Glück geschenkt. Sie hatte zu mancher Zeit daran gezweifelt, es zu verdienen. In diesen Momenten hatte er ihr Gesicht in beide Hände genommen und sie zärtlich auf die Stirn geküsst und ihr gesagt, dass sie seine Traumfrau sei und alles Glück auf Erden verdient habe, dafür, dass sie ihn gefunden habe. Sie lächelte verlegen und küsste ihn zärtlich.

Durch einen heftigeren Windstoß flatterte ein Teil der Decke von ihren Beinen. Er erhaschte einen Blick auf ihre straffen Waden und die braungebrannte Haut. Ihre kleinen Füße hatte sie sich ordentlich nebeneinandergelegt und die Zehen eingezogen. Dass sie eine gesunde Bräune besaß, konnte er im Dämmerlicht nur erahnen, aber er wusste es. Er kannte ihren Körper in- und auswendig. Wie eine feine Skulptur saß sie aus, wenn sie im Negligé vor ihm stand und ihr schulterlanges Haar offen trug.

Als sie sich erneut umdrehte und sich ihm wieder abwand, stand er auf. Vorsichtig schob er sich aus dem Bett und schlich in das Badezimmer, um ihren Schlaf nicht zu stören.
Er machte einen großen Schritt über den leblosen Körper am Wäschekorb und betrachtete mit Argwohn die Samen auf der Fensterbank. Er hatte sie vor ein paar Wochen gesät und bevor er sie in einen größeren Kübel umpflanzen konnte, mussten sie erst ein paar Wurzeln schlagen und kleine Triebe ausbilden. Bengalische Kartoffeln sollten es einmal werden, wenn es soweit war. Nicht sehr bekannt, aber äußerst delikat. Mit müdem Blick schaute er in den Spiegel. Sein Gesicht war zermürbt von der Anstrengung der letzten Stunden. Mit einer Hand fuhr er sich durchs Haar. Waren da einige graue Strähnen zu sehen? Vielleicht lag es an denen, dass seine große Liebe sich nicht immer mit voller Aufmerksamkeit ihm zuwandte. Vielleicht lag es an diesen paar grauen Härchen, dass sie mit diesem Jungen Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Vielleicht, aber nur vielleicht, waren die allmählichen Alterserscheinungen der Grund, weshalb sie es in seinem Haus mit einem anderen trieb, während er schuftete, um ihr ein Leben zu ermöglichen, das man sich in kühnen Silvesternächten wünschen mag.

Mit Verachtung streifte er den muskulösen Körper des jungen Burschen zu seinen Füßen. Der erste Schlag hatte ihn mitten ins Gesicht getroffen, so dass er mit dem Kopf an den Beckenrand gestoßen war. Leblos war er dort liegengeblieben, aber der „alte Mann“, wie der Jüngling ihn genannt hatte, als dieser ihn und seine Liebste in der Badewanne beim Liebesspiel entdeckt hatte, war auf Nummer Sicher gegangen. Immer wieder hatte er auf den Körper des Jungen eingeprügelt, bis dieser nicht mehr sicht- oder hörbar atmete. Seine Liebste hatte sich kreischend aus der Badewanne geschwungen, war mit ihrem nassen, nackten Körper auf ihn zugerollt und hatte ihn wutentbrannt zu Boden geworfen. Brüllend hatte sie auf ihn eingeschlagen, während er über sie und ihren Liebhaber lachte und sie an den Haaren von ihm wegzog. Er hatte zurückgebrüllt und sie mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Irgendwann war sie vor seinen Füßen zusammengesackt, weshalb auch immer. Schwächeanfall, hatte er vermutet und sie ins Schlafzimmer getragen und auf das Bett gelegt. Als er ihre Beine zurechtrückte, hatte er seine Nase zwischen ihre Schenkel gepresst und hatte tief eingeatmet. Trotz des frischen Badewassergeruchs hatte er den Samen eines Fremden in ihrem Geschlecht vernommen. Er kannte seine Liebe, er wusste, sie sie roch.

Grapefruit! Es war Grapefruitduft, das Parfum. Er glaubte, sie hasste es mittlerweile, deshalb hatte er sie damit eingesprüht, um den fremden Geruch zu vertreiben. Abermals sah er auf den Toten am Wäschekorb. Armer Kerl, er hatte eine Frau wie sie nicht verdient gehabt.

Während er die Bengalischen Kartoffeln mit Wasser bestäubte, summte er ein Lied, das er sich ausgedacht hatte. Die Nacht war fast vorbei, es gab noch viel zu tun. Im Milchglasfenster fauchten blaue Blitze.
 



 
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