Nachwuchssorgen

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Raniero

Textablader
Nachwuchssorgen

Die beiden Greise, Hector Winkelschroth und sein Bruder Otto, der erstere im Alter von einundachtzig Jahren, der andere zwei Jahre jünger, schritten langsam vorwärts, auf die Apotheke zu.
„Verdammt, da steht der Kerl schon wieder vor seinem Laden“, knurrte Hector, „hat der eigentlich nichts anderes zu tun?“
„Tatsächlich“, entgegnete Otto, „der Blödmann steht immer draußen und macht eine Show, dass einem die Lust vergeht. Ausgerechnet jetzt, in einer so delikaten Angelegenheit, muss er wieder hier herumstehen!“
Der „Blödmann“ begrüßte die Alten laut und überschwänglich, genau, wie sie es befürchtet hatten. Mit sanfter Gewalt drängten ihn die Alten in die leere Apotheke
zurück.
„Meine Herren, was kann ich für Sie tun?“ fragte der Apotheker,
„Wenn ich Sie beide sehe, wie das blühende Leben, dann stelle ich mir das Alter schön vor.“
Bei diesen Worten ließ er sein knatterndes Lachen erschallen. Die beiden Brüder blieben ernst.
Der Ältere fasste sich ein Herz:
„Mein Herr“, begann Hector, „wir kommen in einer delikaten Angelegenheit. Wir brauchen da so ein Pülverchen, wie heißt das noch gleich, Niagara?“
„Viagra, Hekki“ , korrigierte Otto seinen Bruder.
„Ach ja, Viagra. Haben Sie so was da?“
Der Apotheker starrte die beiden Alten an, als wollten sie sich bei den olympischen Spielen anmelden.
„Viagra!“ rief er ungläubig, „meine Herren, das ist ein Mittel zur Potenzsteigerung! Entschuldigen Sie bitte, aber will einer von Ihnen dieses Präparat gar selbst anwenden?“
Er wollte lospusten, vor Lachen, doch dann besann er sich eines besseren und sein Gesicht nahm einen verständnisvollen Ausdruck an.
„Ah, ich verstehe. Sie möchten dieses Mittel für jemand anderen besorgen? Man hat Sie geschickt, nicht wahr. Einer Ihrer Söhne, was? Ja, es ist immer dasselbe mit den Männern in der Midlife-Crisis, nichts läuft mehr richtig, aber nach außen hin spielen sie den wilden Mann, und wenn es nicht mehr geht, dann muss Viagra helfen. Und weil es ihnen zu peinlich ist, schicken sie lieber ihre alten Väter!“
Er konnte nicht mehr an sich halten, und legte los, mit einem lauten Lachen, das bis weit nach draußen zu hören war.
Die Greise lachten noch immer nicht und warteten ab, bis sich der Viagrahändler ausgeknattert hatte.
„In der Tat“, bestätigte Otto, „man hat uns hierhin geschickt, aber nicht einer unserer Söhne, sondern unser Vater.“
Bei diesen Worten fiel dem Apotheker fast die Brille vom Kopf.
„Habe ich richtig gehört? Ihr Vater? Sie scherzen wohl, was? Aber hören Sie zu, bitte. Viagra ist ein Medikament, und damit treibt man keinen Spaß.“
„Wir wollen auch keinen Spaß damit treiben“, entgegnete Otto kühl, „wir wollen es kaufen, dieses Pulver, für unseren Vater.“
„Ja, für Daddy“, bekräftigte Hector, „er braucht das Zeug.“
„Aber meine Herren“, rief der Herr der Pillen entgeistert, „wenn ich Sie so vor mir sehe, dann kann ich doch nicht umhin, zu erkennen“, rang er nach Worten, „dass Sie selbst nicht mehr die Jüngsten sind. Und wie alt muss dann Ihr Daddy, pardon, Ihr Herr Vater, sein?
„Er ist hundert Jahre alt“, erwiderte Otto ungerührt. „Unser Vater hat vor zwei Wochen seinen hundertsten Geburtstag gefeiert, mit der gesamten Verwandtschaft, und wir wollten ihm nachträglich dieses Viagra schenken. Er wartet schon darauf.“
„Aber wozu denn, meine Herren“, stammelte der Apotheker, „einem Mann in diesem Alter? Was sagt denn, wenn ich fragen darf, Ihre Frau Mutter dazu?“
„Mit unserer Mutter hat das nichts zu tun. Sie ist schon vor fünf Jahren gestorben“, fuhr Otto fort, „nein, es ist so. Unser Vater hat uns an diesem Tag seine neue Frau vorgestellt, seine bisherige Haushaltshilfe, unsere Stiefmutter sozusagen. Sie ist erst dreiunddreißig Jahre alt und er hat sie heimlich vor einigen Tagen geheiratet. Und nun ist sie schwanger, wir bekommen ein Schwesterchen, Hector und ich. Das war eine Überraschung, als wir davon erfuhren.“
Der Apotheker wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte.
„Sie ist also schwanger, Ihre Stiefmama, ich meine, die Frau Ihres Vaters, von ihm? Das kann doch wohl nicht wahr sein?“
„Aber natürlich!“ freuten sich die beiden Alten wie Kinder, „und wir können es kaum erwarten, bis es soweit ist.“
„Aber wenn das so ist, wozu braucht der Mann denn dann jetzt noch Viagra?
„Zum weiteren Üben“, rief Otto aus, „zum Nachsetzen.“
„Unser Schwesterchen soll doch nicht alleine aufwachsen, oder?“ ergänzte Hector.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
köstlich!

ich stell mir bildlich vor, wie es in der familie weiter geht mit 2 oder 3 kindern. der greise papa bleibt ruhig, aber die onkel schüttelt der wahnsinn . . .
lg
 

Raniero

Textablader
Hallo flammarion,
hallo Alma Marie,

ja, das Alter, da kommen wir alle noch einmal hin, oder befinden uns wahrscheinlich schon darin.
Freut mich, dass Euch die Story gefallen hat. Wie's weitergeht? Folgt in meinen nächsten zwei Beiträgen.:cool:

Gruß Raniero
 

Gorgonski

Mitglied
Hallo Raniero

Schöne Geschichte, locker geschrieben und unspektakulär (was ja auch nicht schlecht sein muß).

MfG; Rocco
 

Raniero

Textablader
Hallo Rocco,

freut mich, dass Dir diese kleine Story gefallen hat.
Tja, es ist schon ein Kreuz mit diesen Alten.
Warum mir diese Geschichten wohl so liegen? :)

Gruß Raniero
 



 
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