Narrenfreiheit

Dexter

Mitglied
Narrenfreiheit



"Und wer bist Du? " Sie lächelte mich an.
"Eigentlich kenne ich alle Jungs hier, aber dich hab' ich noch nie gesehen! "
Sie lächelte noch mehr. Sie war gut drauf, wofür der Drink in ihrer Hand sicher zu einem großen Teil verantwortlich war.
Natürlich hatten wir uns schon ein paar mal gesehen, ein paar Worte gewechselt, aber Menschen wie sie vergaßen Menschen wie mich sehr schnell wieder.
Würde ich ihre beiden Sätze in meine "Liste der dümmsten Sprüche die ich jemals gehört hatte " aufnehmen?
Schon möglich.
Sie sah gut aus, keine Wucht, aber ein hübsches Gesicht, das leider mit viel zu viel Schminke verunstaltet worden war. Ihre weiße, viel zu große Bluse und die bunte Krawatte machten kombiniert mit dem kleinen schwarzen Hut vollends eine Witzfigur aus ihr.
Aber das störte heute Niemanden.
Nein, heute war das Fest der Witzfiguren, der Einfaltspinsel, der Kleingeister.
Sie erzählte von der Party, auf der sie letztes Wochenende gewesen war.
Ich hatte sie nicht danach gefragt.
Sie erzählte von ihrer Arbeit, wie gut sie ihr gefiel, redete und redete, dachte, ich würde schon auftauen.
Aber ich hörte ihre Worte kaum.

Die Weiß-Gelb gestreiften Wände des Festzeltes verschwammen vor meinen Augen.
Die schweiß-, bier-, rauchgeschwängerte Luft brannte in meiner Kehle, die Stimmen um mich herum wurden zu einem ohrenbetäubenden Summen.
Ein Wespenschwarm - und ich mittendrin.
Platz! - Ich brauchte Platz für meine Gedanken, stieß die Angetrunkenen zur Seite, kämpfte mich durch das Meer der torkelnden Leiber und trat endlich aus dem Zelt auf die Wiese hinaus.
Dann rannte ich.
Die Nacht war klar und kühl, nahm mich auf in ihre ehrliche Dunkelheit. Ich breitete meine Arme aus und ließ mich ins weiche Gras fallen. Unzählige Perlen frischen Taus küssten
zärtlich meine Hände und meinen Nacken.
Ich blickte mit offenen Armen zum Himmel auf, ins Firmament. Der volle Mond nickte mir wohlwollend zu, die blinkenden Sterne lächelten mich freundlich an, während sie leise ihr himmlisches Lied sangen.

Ich war frei!
 
G

Guest

Gast
Hallo Dexter!

Bei Deiner Story spürt man förmlich das schon oft erlebte Grauen dieser "Kleingeister-Veranstaltungen", wenn man sich nach Ferne, nach Stille sehnt, nur um dieser Oberfläche zu entkommen, die noch nicht einmal glänzt.

Wertloses Gelaber in einem Laberkäfig! - schrecklich, ich glaube, jeder kennt das!

Ich finde, Du hast das sprachlich gut umgesetzt!

Guido
 



 
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