Nebenbei vergessene Gedanken

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Monochrom

Mitglied
Nebenbei vergessene Gedanken

Lass mich wechseln, ich suche
mir einen anderen Gott,
geringer und ferner,
im Dunstkreis unserer Geister.
Der Weg tötet meine Sinne,
so fasse ich den dünnen Faden
und grabe mich durch das Gewäsch
tief unter die Disteln meines Gartens.

Ruhelos der Schritt,
die Tasche mit den Briefen,
lose um die Schultern,
die Uniform blank,
ein Spinnennest hinter dem Ohr,
so kommt der Wissende in unser Dorf.
Warm traurig die Blicke, wenn er spricht,
und er kneift mich und flüstert:
Bei ihnen ist Mitleid angebracht.

Fast ist mir, sie sprachen von ihm
in den Nachrichten, warnten, bevor
sie wieder frohlockten, doch ich
vergesse zu häufig dieser Tage,
zu häufig. Nur sein knöcherner Kopf
mit dem flammenden Blick
bleiben uns als Standbildaufnahme
einer Gabe ohne lohnende Wirkung.

Ich zähle die Narben und warte.
Wer denkt, der irrt, was mir klarer wird,
wenn er spricht, und seine Worte
rieseln wie tote Ameisen aus
einem störrischen Himmel
ohne Fernweh. Ich sehe die Wolken
im Wasserglas, suche, suche, sehne mich hin
zu den leeren Orten, bevor ich weiß,
er spricht auch von anderen,
von allem, und das Knacken in meinem Kopf
ist das Fernweh meines Herzens.
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Irgendwie gefällt mir dein Gedicht. Da kommt einer aus einer anderen Welt, er spricht von seinen Gedanken, die nicht die Gedanken der Anwesenden sind, keiner versteht ihn. Er begreift vielleicht oder auch nicht, dass da Leute sind, die ihn nicht verstehen können, weil sie nie aus ihrem Ort herausgekommen sind, er bemitleidet sie. Ich stell mir vor, dass ein Großstädter in ein kleines hinterwäldlerisches Dorf gekommen ist und neue Gedanken mitbringt, die noch niemand gedacht hatte, nicht denken konnte. Ihr Misthaufen liegt ihnen näher als die Freiheit des Gedankens. Das Ich, der Beobachter, begreift zwar die Szenerie, nicht aber die Ideen des Fremden, denn er selbst ist einer der Dorfleute.

Ich lese das Gedicht als Metapher (falls es dir nicht zu weitgehend erscheinen sollte). Es ist stilistisch im Großen und Ganzen ansprechend formuliert, und wenn man sich die Zeit nimmt, es genau zu lesen, also nicht nur drüberfliegt, begreift man vielleicht am Ende sich selbst.

blackout
 



 
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