Neugeboren 15

Ruedipferd

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Die Woche verging schnell. Meine Eltern, Hubertus und Beatrix hatten mit mir eine riesige Geburtstagsparty geplant. Die Remise musste dazu ausgeräumt und saubergemacht werden, alle Pferdehänger und die Autos wurden rausgefahren. Partytische und Bänke für gut hundertfünfzig Jugendliche und Erwachsene standen stattdessen irgendwann drinnen und wurden hübsch gedeckt. Mia und Lisa ließen mich plötzlich nicht mehr in die Küche. „Damit du nicht wieder zu viel vom Pudding naschst und dich schmutzig machst“, meinte Mia grinsend. Sie wollte mich sogar zur Feier des Tages siezen und mit Herr Graf ansprechen, aber das erlaubte ich ihr nicht. Mia war immer mein guter Geist gewesen und sie hatte mir mehr als einmal als Kind aus der Patsche geholfen. Sie war wie eine echte Freundin für mich und das würde sie auch auf ewig bleiben. Ihre Augen schimmerten etwas feucht, als ich es ihr sagte. Verlegen drehte sie sich um und eilte an ihre Arbeit. Meine Mutter lächelte. Sie stand in der Tür und hatte alles mitbekommen. Die beiden lagen sich kurz in den Armen. Meine Mutter erklärte Mia und auch der alten Lisa, dass sie beide für uns inzwischen Familienmitglieder wären, ohne die hier im Schloss ein geregeltes Leben gar nicht möglich war. Aufgeregt und glücklich fuhr ich am Nachmittag zusammen mit Andy zum Bahnhof. Jenny hatte darauf bestanden, mit der Pferdekutsche abgeholt zu werden. Sie nahm dasselbe Flugzeug nach München, wie die Hamburger Freunde. Mit dem Regionalzug ging es dann für die ganze Bande nach Wildenstein weiter. Sie fiel mir um den Hals, als sie sah, dass ich mit unseren zwei Brauereipferden und dem Brauereikutschwagen direkt vor dem Bahnhof stand. Was für ein Trubel, was für eine Begeisterung. Alle Besucher und auch Fremde wollten erst mal die Pferde streicheln. Es dauerte etwas, bis wir das Gepäck auf dem Wagen hatten. Melanie tanzte total durchgeknallt um uns herum, schob Jenny zur Seite, um mich abzuknutschen, unterlag und musste sich der künftigen Gräfin Wildenstein geschlagen geben. Conny konnte den Mund fast nicht zu bekommen. Rene erzählte, sie hätten den armen Kerl aufgezogen und ihn geängstigt, dass er mit seinen Kiezmanieren sicher nicht im Schloss übernachten durfte. Gewöhnliche Leute hätten dort keinen Zutritt. Ich schmunzelte. „Conny, bringst du schon mal das Gepäck in den Wagen“, befahl Andy und dachte daran, wie er sich gehorsam seinem Zuhälter in Hamburg fügen musste. Er genoss es sichtlich, jetzt den Spies umdrehen zu dürfen. Conny sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Ich wollte ihn auch erst ärgern, ließ es dann aber. Wir würden noch viel Zeit haben, einander auf die Schippe zu nehmen. Ich hatte allen ein großartiges Erlebnis beschert, wobei es für Andy und auch für Jenny nichts Neues war, in einer Kutsche zu fahren. Ich lenkte die Pferde bewusst durch den Ort und drehte einige Ehrenrunden zwischen engen Gassen. „Alle zufrieden? Conny, du sagst gar nichts. Gibt es in Hamburg keine Brauereipferde?“, stichelte Andy. „Sei froh, dass wir hier Mädchen bei uns haben. Aber ich denke, wir sind irgendwann mal unter uns Männern allein, dann antworte ich dir“, erwiderte der und ließ wieder seinen gefährlichen Unterton in der Stimme erklingen. „Auf jeden Fall. Wir gehen später noch ins Bootshaus, da haben die Damen keinen Zutritt“, meinte ich und lächelte Jenny an. Sie legte den Arm um meine Hüften. „Du weißt ja, was wir abgemacht haben. Andere Frauen, außer Melanie, die hat einen besonderen Status bei mir, sind tabu und Herren nur erlaubt, solange du die meiste Zeit mit mir verbringst. Adel verpflichtet, sagt dein Papa immer. Und ich sehe das genauso.“ Oh, oh, das kann ja heiter werden. Was wird bloß sein, wenn wir erst verheiratet sind, dachte ich. Gottseidank hatte ich durch meine Freunde für genug männlichen Beistand vorgesorgt. „Alles Durchatmen, frische Landluft“, rief Rene aus. Wir verließen das Dorf und ich nahm einen Umweg in den Wald. Auch die Pferde brauchten Bewegung und trabten von selbst munter vorwärts. Der nicht asphaltierte Waldweg durch unseren Forst tat ihren Hufen gut. Sie schnaubten zufrieden ab. „Wirklich zwei schöne Tiere“, meinte Jenny anerkennend. „Man sieht so etwas heute nur noch selten. Selbst die großen Brauereien halten sich keine Pferde mehr, weil sie zu teuer sind und nur noch für Umzüge gebraucht werden. Wollen wir nachher Kaltblutnachwuchs züchten? Die Fohlen sind richtig knuffig“, fragte sie mich. Ja, daran hatte auch ich schon gedacht. Mit Jenny bekam ich eine Pferdefachfrau an meine Seite. Vaters Zucht und unsere eigenen Vorstellungen, würden sich gut miteinander kombinieren lassen. „Aber nur, wenn ich das erste dicke kleine Stutfohlen Jenny taufen darf“, neckte ich sie. „Wer ist hier dick? Na warte. Ich werde dir heute Abend schon zeigen, wer in unserer Ehe das sagen hat.“ Conny hatte aufmerksam die Ohren gespitzt. „Max, guter Freund, nach dem, was ich nun gehört habe, brauchst du meine Rache nicht mehr zu fürchten. Du bist ja schon gestraft genug. Wann musst du deine Domina ehelichen?“ Ich schüttelte den Kopf. An Entkommen war wohl nicht mehr zu denken. „Erst kommt das Abi, dann die OP und danach das Studium. Vielleicht gehe ich auch noch für ein Jahr in die Staaten oder nach England, wie Hubertus. Wir haben ja viele britische Geschäftspartner. Mein Vater hat Kontakte zu englischen Bierbrauern und meinte, es könnte nichts schaden, wenn ich den Beruf zusätzlich lerne und mich im Geschäft umschaue. Also, Süße, vor Mitte zwanzig brauchst du dir noch kein weißes Kleid zu kaufen. Ich muss mir als Mann erst in der Fremde die Hörner abstoßen, wie mein alter Herr zu sagen pflegt.“ Ich beugte mich zu Jenny. Sie kannte natürlich meine Pläne. Ihre eigenen Berufswünsche lagen im Bereich Pferdewirtschaftsmeisterin und wenn ihr Abi es ihr erlaubte, wollte sie noch zusätzlich Tiermedizin in Hannover studieren. „Du weißt doch, wie ich darüber denke. Es ist alles besprochen. Ich will ebenfalls meine berufliche Karriere vorbereiten. Als Tierärztin kann ich unsere Pferde selbst behandeln. Du wirst mit mir eine Menge Geld sparen. Ich bin eine gute Partie für dich“, schmunzelte sie und erwiderte meinen Kuss. Melanie seufzte hinten im Wagen laut auf. „Und was soll ich jetzt machen? Kerrin ist mit Rene zusammen, Andy ist schwul und Conny nimmt keine Notiz von mir. Ich werde den Rest meines jungen Lebens eine alte Jungfer bleiben müssen. Wer bedauert mich nun?“ Sie tat, als wenn sie schluchzte. Conny legte ganz vorsichtig den Arm um sie. „Du, ich bin jetzt auch bi. Ich hab mich nur nicht getraut, dich anzusprechen. Du weißt aber, dass ich auf dem Kiez arbeite?“ Melanie schmiegte sich an ihn und ehe sich Conny versah, küsste sie ihn leidenschaftlich. Er atmete aus. „Puh, da bleibt einem ja die Luft weg. Kannst du das noch mal machen?“ Andy und Rene klatschten Beifall. „Herzlichen Glückwunsch, Melli. Ich glaub, deine Wahl war nicht schlecht. Aus Conny könnte noch etwas werden. Er muss nur in die richtigen Hände.“ Jenny hatte wie immer das letzte Wort. Die Pferde fielen in gemächlichen Schritt zurück. Ich lenkte sie zu einer Abkürzung und ließ sie die kleine Steigung in ihrem eigenen Tempo hochlaufen. Die Fahrt entspannte unsere beiden Kaltblüter sichtlich. Wir brauchten die Kutsche viel zu wenig. Jenny hatte Recht. Vielleicht würde ich sie nach der OP mehr nutzen und im Sommer regelmäßige Waldfahrten unternehmen. Zwischen den Tannen tauchte plötzlich in der Ferne unser Schloss auf. Kerrin bemerkte es als erste und stieß einen Schrei aus. „Nein, das ist ja Wahnsinn. Max, das gehört alles dir?“ Ich lachte. „Nein, meinen Eltern. Mein Vater gehört dem Grafengeschlecht der Wildensteins an. Unser Dorf ist auch nach uns benannt. Meine Ahnen waren Raubritter. Einer wurde sogar auf dem Schloss ermordet. Man warf ihn ohne Essen und Trinken in den Burgturm und ließ ihn dort verhungern. Sein Skelett liegt noch heute da. Er hatte seinem Bruder, dem Schlossherrn, die Frau geklaut. Sie wurde dafür lebendig im Keller eingemauert. Beide erscheinen am Tag des Urteilsspruchs, dem 05. August 1677, pünktlich um Mitternacht jedes Jahr wieder, seufzen und weinen, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Manchmal melden sie sich auch zwischendurch. Oft, wenn wir Feste feiern. Am Geburtstag meines Vaters sind sie schon ein paarmal aufgetaucht und haben die Gäste, die über Nacht bei uns blieben, zu Tode erschreckt. Meistens lachen alle, wenn sie von unseren Schlossgespenstern hören. Aber, wenn die sich dann wirklich im Turmfenster zeigen und laut klagen, dann zittern alle vor Angst. Vielleicht sind sie ja auch heute Nacht wieder da. Sie wissen, dass einer ihrer Nachfahren volljährig wird.“ Conny grinste. Andy auch. Allerdings aus unterschiedlichen Gründen. „Das ist kein Scheiß. Das stimmt wirklich. Das Skelett von Ritter Siegbert besuche ich regelmäßig und werfe ihm Naschis runter. Er mag am liebsten Gummibärchen. Gräfin Barbara schmachtet im Keller. Die Mauer, hinter der sie liegt, haben Max und ich inzwischen gefunden. Wir mussten alle alten Baupläne studieren und lasen uns durch uralte Chroniken. Wie alt waren wir damals eigentlich, Max? So um die elf oder zwölf Jahre?“, erzählte Andy. Ich überlegte kurz. „Ja, stimmt. Da haben wir angefangen, nach ihr zu suchen. Gefunden haben wir die Unglückliche erst zwei Jahre später. Wir hatten systematisch alle Kellergänge durchkämmt. Mann, war das unheimlich da unten und kalt. Ich hatte immer Angst, gleich würde sich die Wand auftun und Barbara ihre Ketten um meinen Hals legen, um sich an mir zu rächen. Uns fiel auf, dass eine Wand anders aussah als die anderen und da haben wir drangeklopft. Es war tatsächlich ein Hohlraum dahinter. Und mit einem Gerät, das durch Mauern sehen kann, haben wir sie dann geröntgt. Das Skelet zeichnet sich deutlich ab. Ich hab ein Foto davon in meinem Zimmer. Das Gerät gehörte dem Bauamt und mein Vater hat es zurück bringen müssen. Unser Schloss steht seit dem auch unter Denkmalschutz. Nach unserem makabren Fund begannen die Spukserien an Vaters Geburtstag.“ Andy nickte. „Ja, genauso war es. Der Graf erschrak sehr und Max durfte nie mehr ins Gewölbe unter das Schloss steigen. Das hatte ihm seine Mutter verboten. Es wäre zu gefährlich, meinte sie. Ich denke auch, dass die beiden Liebenden heute Nacht erscheinen. Allein schon deshalb, weil hier so viele Paare zu Gast sind. Die zwei wollen sich nicht mehr verstecken. Jetzt sind sie ja auch tot und können nur noch als Geister auftreten.“ Andys ernste Erläuterungen schienen noch nicht ganz zu unseren Gästen durchgedrungen zu sein. Nun, sie würden um Mitternacht selbst erfahren, ob es Gespenster gab. Da war ich mir sehr sicher. Als wir auf den Schlosshof rollten, hielt ich meinen üblichen Vortrag über Gebäude, Geschichte, Bewohner und Hintergründe. Meine Eltern, Hubertus und Beatrix waren zu uns hinunter gekommen und hörten, wie meine Besucher, aufmerksam zu. Mein Vater warf hin und wieder einige Bemerkungen ein. Am Schluss meldete sich auch noch Beatrix mit dem wohl wichtigsten Thema. „Hat euch mein vergesslicher Vetter denn auch schon das bedeutsamste Ereignis des Wildensteiner Schlosses erzählt?“ Alle schauten sie an. „Hier hat sich 1677 ein fürchterliches Drama zugetragen. Ritter Siegbert ging mit der Gattin seines Bruders Max Ferdinand, der schönen und anmutigen Gräfin Barbara, fremd. Zur Strafe wurde er in den Turm geworfen und musste verhungern. Die Gräfin starb im Keller, eingemauert, bei lebendigem Leib. Sie spuken seitdem und erscheinen immer wieder an ihrem Todestag, manchmal auch an Geburtstagen ihrer Nachfahren. Mein Onkel musste sehr oft Gäste, die zu seinem Geburtstag angereist waren und hier im Schloss übernachteten, beruhigen. Ich weiß noch, wie ich jedes Mal von dem Gekreische der Frauen wach wurde. Und Max ist der Erbe des Hauses und wird heute um Mitternacht achtzehn Jahre alt. Das ist natürlich für die zwei unglücklich Liebenden die beste Gelegenheit, sich in den Mittelpunkt zu stellen.“ Conny grinste wieder. „Ich bin in Hamburg schon mit ganz anderen Sachen fertig geworden, die sollen nur kommen.“ Mutter lachte und bat uns herein. Sie hatte den Kaffeetisch decken lassen. Meine Freunde kamen im Inneren des Schlosses aus dem Staunen nicht mehr heraus. Andy und Rene erzählten von ihren Erlebnissen bei mir und auch Jennys Vorträge konnten sich hören lassen, während Kuchen und Tee herumgereicht wurde. „Wahr ist, dass sich heute sehr wenige Leute über ein derartiges Erbe noch freuen können. Die Unterhaltung des Gebäudes kostet Unsummen. Wenn wir nicht die Brauerei und die Schnapsbrennerei hätten, wäre das hier nicht zu stemmen. Allein mit Holzwirtschaft und ein paar Wildköstlichkeiten im Verkauf, kann man dies Anwesen nicht erhalten. Ich bin froh, dass Max ins Geschäft einsteigen will und werde alles tun, um ihm eines Tages eine intakte Firma übergeben zu können“, erklärte mein Vater und stieß auf rege Zustimmung. Die meisten ahnten, dass es Schlösser mit Prinzen und Prinzessinnen nur im Märchen gab und die Realität heute anders aussah. Nach dem Kaffee brachte Beatrix die Mädchen auf ihre Zimmer. Natürlich thematisierte der kleine Frechdachs wieder unsere Gespenstergeschichte. Melanie und Kerrin lachten zwar erst und ließen sich ihre Ängste nicht anmerken. Aber sie gingen nicht so leicht damit um, wie Conny. Ich hatte zusammen mit Hubertus in meinem Zimmer ein zweites Zelt aufgebaut und beide so ineinander gestellt, dass eine große Schlaffläche zur Verfügung stand und wir zu fünft hineinpassten. Hubertus wollte auf jeden Fall noch eine Weile bei uns bleiben, wenn wir am frühen Morgen zu Bett gingen. Er konnte sonst im Gästezimmer nebenan schlafen. Aufgekratzt schlug der männliche Anhang nach dem Kaffee und der ersten Schloss- und Schlafplatzbesichtigung unter den schmunzelnden Blicken meines Vaters den Weg zum Bootshaus ein. Ich hatte Conny bereits das Wichtigste darüber erzählt. Hubertus nahm sofort unser Hausbier aus seinem Rucksack heraus und reichte die Flaschen herum. Gemütlich saßen alle vereint in der Runde. Es war wie immer, wenn wir hier zusammen kamen. Sanft schlugen die Wellen an den überdachten Bootssteg und bewegten Vaters Jolle und das Ruderboot, mit dem wir immer zum Angeln auf den See fuhren, auf und nieder. Das plätschernde Wasser hörte sich in meinen Ohren an wie Musik. Manchmal klatschte ein Fisch beim Luftschnappen auf den See. Vögel zwitscherten, Schwalben hatten ihre Nester unter das Dach gebaut und flogen emsig über unsere Köpfe hinweg. Was für ein schönes Gefühl, jetzt, nach sechs Jahren, im Kreise aller neuen Hamburger Freunde, dieses Paradies erleben zu dürfen, dachte ich bei mir. Die Erinnerung an das erste Mal, damals, als ich endlich ein Junge sein durfte, übermannte mich so heftig, das sich eine kleine rührige Träne im Auge löste. „Entschuldigung, aber ich bin so überwältigt und freu mich wahnsinnig, dass ihr nun alle bei mir seid. Ich denke an damals, Hubi. Andy erinnert sich bestimmt auch. Hubertus, Martin und Chris tischten uns Märchen über ihre Erfahrungen mit Frauen auf. Wir Kleinen zitterten geradezu vor Ehrfurcht. Aber ich glaube, das meiste war wohl etwas übertrieben, oder Hubi? Sei ehrlich.“ Er nickte. „Also, ein bisschen dick aufgetragen hatten wir schon. Aber die kleinen Burschen wollten ja immer mehr wissen und glaubten uns fast alles.“ „Nun, wenn wir das nächste Mal Schniedel messen machen, könnt ihr zwei auch endlich mithalten“, sagte Andy zu Rene. Und zog das alte Lineal hervor, welches einen Ehrenplatz hatte und in einer besonderen Spalte im Boden steckte. Er reichte es Conny, der allerdings die Bedeutung dieses für uns doch so wichtigen Instruments nicht verstand. „Hosen runter, das passt“, meinte er deshalb und wollte das Teil schon für den üblichen Hinternvoll zweckentfremden. Rene grinste wissend. „Erst selbst runter und messen, wir haben hier eine Liste, siehst du, dort an der Wand.“ Er zeigte an die gegenüberhängende Holztafel. Wir hatten seit damals alle unsere Namen und Längen eingeritzt. Keiner, der nicht wusste, um was es sich bei der Aufstellung handelte, käme auf die richtige Lösung. Mein und Renes Name standen noch abseits. Wir durften uns erst nach der OP verewigen. Conny las sich die Ergebnisse durch. Dann wollte er selbstbewusst seine Hose öffnen. „Halt, Stopp, Kollege. Hierher, zu uns kommen. Wir lesen stets alle gemeinsam ab. Schummeleien gibt es bei uns nicht“, befahl Andy und erhielt ausnahmsweise von mir Rückendeckung. Nein, es musste alles seine Ordnung haben. „Richtig, die Messung geschieht nur unter strengster notarieller Aufsicht“, erklärte ich. Conny gehorchte lässig. Er wurde allerdings nur zweiter in der ewigen Bestenliste. So sehr er sich auch um jeden Millimeter mehr abmühte, Martin hatte und behielt den Längsten. Wir prosteten Conny zu. Es gab ja für ihn auch Wichtigeres. Conny grinste. Natürlich ahnte ich, an was er gerade dachte. Aber das ging im Augenblick nicht. „Nicht jetzt, Conny. Hubertus kennt unsere Spielereien nicht. Er ist vollständig hetero“, warf ich ein. Wir durften nicht zu viel von uns preisgeben. Ich wollte nicht, dass Hubi mehr erfuhr, als unbedingt nötig. Meine Hamburger Eskapaden gingen auch ihn nichts an. Und selbst ich konnte nicht vorhersehen, wie er darauf reagieren würde. Conny verstand sofort. „Okay, dann nicht. Was ist mit der Jolle? Ist sie seetüchtig?“ Andy nickte. „Natürlich, auch das Ruderboot ist startklar. Wir fahren oft damit zum Angeln auf den See. Wollen wir noch etwas aufs Wasser? Nur diesmal fehlt Jan, Conny, du solltest also die Finger vom Großsegel lassen. Ich übernehme das. Oder willst du lieber rudern? Ist vielleicht für dich sicherer, als das Segelboot.“ Hubertus sprang hoch und schloss die Takelagekammer auf. Wir nahmen unser Segel und alles, was sonst noch für die Jolle benötigt wurde, heraus. Andy und Rene machten das Ruderboot los. Conny durfte als erster einsteigen und setzte sich wie ein Prinz ans Ende. Rene stieß schnell ab, als Andy saß und die Ruder in die Hand nahm. Hubi und ich mussten uns beeilen. Bei einer Jolle dauerte es etwas länger, bis man damit in See stechen konnte. Als wir soweit waren und die anderen grinsend mit vollen Segeln überholten, lachte er mich an. „Was ist?“, fragte ich. „Ihr habt in Hamburg keine Däumchen gedreht, stimmt’s? Dass du mit Andy und Rene gepoppt hast, weiß ich. Hast du ja selbst mal erzählt. Aber welche Bedeutung hat Conny für euch? Warum tragt ihr diese Hufeisen um den Hals? Und wieso hat Conny keines?“ Gut beobachtet. Hubertus wurde Jurist und er war kein Kind mehr. Puh. Sollte ich Farbe bekennen? Andererseits würden auch wir anderen bald erwachsen sein. Bislang konnte ich mit meinem Vetter Pferde stehlen. Ob er geschockt sein würde, wenn ich ihm die Wahrheit sagte? Ich wog alles vorsichtig und sorgfältig ab. „Du hast Recht. Was ich dir jetzt im geheimen erzähle, darfst du niemals meinen Eltern sagen und, vor allem kein Wort zu Beatrix“, antwortete ich. Hubertus nickte. „Was immer du auch ausgefressen hast und noch ausfressen wirst, Cousin, wird bei mir hinter Schloss und Riegel verwahrt bleiben. Wir zwei sollten keine Geheimnisse voreinander haben und ich liebe Familiengeheimnisse!“ Wir holten in der Mitte des Sees die Segel ein. Leise erzählte ich ihm, während das Boot vor sich hin dümpelte, von meinen sexuellen Ausschweifungen. Er sperrte den Mund auf und starrte mich verblüfft an. „Whow, alle Achtung. Das hätte ich nicht erwartet. Max, weißt du, was du getan hast? Du hast dich im Grunde vollkommen ausgelebt. Es gibt Leute, die in ihrem ganzen Leben nicht einmal die Hälfte von dem in die Realität umsetzen konnten, was du mir jetzt berichtet hast. Und Onkel Max hat wirklich nichts gemerkt, als du so besoffen warst, am Tag nach der ersten Orgie?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, er ist bis heute ahnungslos. Und das ist auch gut so.“ „Gottgütiger, mein kleiner Vetter, ein Strichjunge! Das muss ich erst mal verkraften.“ „Brauchst du ein Bier dazu? Hier liegt noch ‘ne alte Dose.“ Zu meinen Füßen rollte eine Dose Wildensteiner Pils, die es für kurze Zeit gab. Wir füllten jetzt wieder in Flaschen. Hubert lehnte lachend ab. „Füttere die Fische damit, dann schmecken die Karpfen zu Weihnachten besser! Und Andy und Rene haben nach und nach einfach so mitgemacht? Am meisten freue ich mich für Conny, dass er seinen Vater gefunden hat, aber die Krankheit ist natürlich Schitt. Ich bin irgendwie total neidisch auf eure Freundschaft. So etwas konnte ich mir nicht aufbauen. Mit meinem Kumpel Tom bin ich zwar eng befreundet und auch Martin ist ein feiner Kerl, aber ihr vier seid ja wie die Musketiere, die durch dick und dünn gehen!“, schwärmte er. Ich blickte verträumt über den See und sah, wie die anderen zwischen den Rohrkolben verschwanden. Ich kannte die Stelle. Wenn man nicht gesehen werden wollte, war es der beste Platz. „Vor allem, als wir von Connys Unglück erfuhren, hielten wir wie Pech und Schwefel zu ihm. Erst hatten wir uns fürchterlich mit ihm gestritten, wegen der Filmerei. Rene und ich bekamen es mit der Angst, er würde sich wirklich von uns trennen. Aber dann wurde alles enger als zuvor. Und schöner. Nur, meine Eltern dürfen natürlich nie erfahren, was ich in Hamburg gemacht habe. Ich höre auch auf. Allerdings wird die Versuchung groß sein, wenn wir operiert sind, es noch mal zu probieren, um unsere Schwänze in der freien Natur zu testen.“ „Ich würde damit warten, bis die Pumpe drin ist und alles richtig funktioniert. Dann komme ich mit und schaue mit Conny zu, wie ihr zwei auf dem Parkplatz steht. Ich stelle mir das gerade bildlich vor. Oh, mein Schwanz meldet sich. Was soll das denn? So total hetero bin ich wohl doch nicht. Onkel Max hatte auch seine schwulen Zeiten gehabt, erzählte mir mein alter Herr mal, in einer Bierlaune. Er selbst gab zu, anfangs mit Jungen gespielt zu haben. Aber er lernte Mama sehr früh kennen. Die saßen in der Uni schon nebeneinander und als er mit ihr zusammen kam, war die Neigung passee. Was meinst du? Ob die anderen mich mitmachen lassen? Ich würde es gerne mal ausprobieren. Am liebsten würde ich auch so ein oder zwei Mal für Conny am Parkplatz stehen und mich ausbeuten lassen. Nur so, zum Spaß.“ Hubi! Was höre ich da! Unsere Moralapostel, das Pendant des Papstes in Bayern, will auf den Strich? Ich gluckste. „Lass uns ins Bootshaus zurück fahren. Wir haben bis sieben Uhr Zeit. Dann müssen wir uns für die Gäste umziehen. Um acht Uhr gibt es Gulaschsuppe. Du fängst mit mir an. Wenn nichts steht, versuchst du es bei den anderen, wenn sie da sind. Die machen nämlich gerade ‘ne Nummer im Schilf.“ So schnell hatte mein Vetter noch nie die Segel hochgezogen. Elegant glitten wir wieder über den See, wendeten ein paar Mal und genossen den leichten Wind, der uns mühelos übers Wasser fliegen ließ. Hubertus und ich waren geübte Segler. Als das Boot vertäut am Steg lag und wir alles Zubehör wieder verstaut hatten, tranken wir jeder ein Bier. Ich beugte mich über ihn, streichelte seinen Hosenlatz und öffnete sanft den Reißverschluss. Sein bestes Stück kam mir bereits entgegen und fand wie von selbst seinen Weg an meine Lippen. Hubertus begann wohlig zu stöhnen und strich mir zärtlich übers Haar. Er lag entspannt vor mir und ließ sich von mir stimulieren, bis es nicht mehr ging. Ich zog meine Hose auch runter, legte mich auf ihn. Rieb mich an seinem Oberschenkel, wie es mir Sensei beigebracht hatte. Hubi spritzte ab. Unsere Lippen berührten sich, während auch ich kam. „Alles gut?“ Er lächelte glücklich. „Wahnsinn, warum haben wir das nicht schon früher gemacht? Du bist umwerfend gut. So fantastisch blasen nicht einmal Frauen.“ Ich kraulte seine Brust. „Danke für die Blumen. Ich hatte hervorragende Lehrmeister und auf dem Strich gibt es keine Tabus mehr“, antwortete ich leise. Wir waren so vertieft mit uns selbst beschäftigt, dass wir die Rückkehr des Ruderboots gar nicht mitbekamen. „Was treibt ihr zwei denn?“, rief Rene aus. „Leute, unser Hetero hat sich von einem Bihomo entleeren lassen! Nein, das glaub ich jetzt nicht.“ Andy und Conny knieten plötzlich neben uns. „Conny, du kannst schon mal ein viertes Kettchen bestellen. Hubi will einmal mit zum Parkplatz und sehen, wie es dort ist, als Stricher. Wobei, er ja schon zu den älteren Semestern gehört. Für Kai taugt er nicht mehr. Das bleibt dem angehenden Anwalt also erspart.“ „Jugendrichter, bitte. Ich hab mich fürs Richteramt entschieden.“ Ich stutzte. „Das kann vielleicht gar nicht besser laufen. Niemand wird je erfahren, dass du selbst gesehen hast, was auf dem Babystrich passiert. Ich zeig dir auch die Mädchen. Hubertus, dort gibt es ein Klohaus und Ronny, unser Streetworker, holt dort ständig kleine Jungen heraus. Wenn du auf diese Weise Erfahrungen sammeln kannst, wäre das ein Segen für deine Laufbahn als Richter. Du solltest in einer Großstadt wie Hamburg oder München arbeiten. Mehr kannst du gar nicht für deinen Beruf lernen. Wir werden dir alles zeigen. Im Juni wollen Rene und ich ein letztes Mal zum Doc, um uns bis nach der OP zu verabschieden und noch Blutuntersuchungen und Röntgenbilder von ihm abholen. Anschaffen wollten wir nicht mehr. Aber du könntest deine erste Unterrichtsstunde als Stricher nehmen und hinterher lernst du Kurt kennen. Dann siehst du mich als Tabledancer auftreten. Was ist, kannst du das einrichten?“ Er nickte. „Ich fliege erst am 14. Juli nach Philadelphia. Conny, ich will ein Hufeisen mit in die Staaten nehmen!“ Conny grinste. „Nichts lieber als das. Da habe ich also jetzt vier Ponys plus eine Stute. Dich reite ich dann auch noch zu. Mit Gummi, natürlich. Gerne auch zwei. Ich passe gut auf, dass ich meinen Pferdchen nichts tue. Da würde ich mir ja ans eigene Bein pinkeln und mein schönes Geschäft kaputt machen.“ Wir lachten. „Leute, es ist gleich sieben Uhr. Wir sollten nach Hause und statt Rudelbumsen die neueste Variante ausprobieren, die da heißt Rudelduschen. Das Haus wird heute Abend voll werden. Meine Abiklasse kommt vollständig, teilweise mit Frauen, Kampfsportgruppe, Fußballelf mit Trainer und die meisten Lehrer inclusive Direx sind eingeladen. Meine Oma fährt im Rollstuhl und hat einen Ehrenplatz neben mir. Die alte Dame ist hochbetagt, lässt sich aber nichts anmerken. Das wird die geilste Party, die Wildenstein je gesehen hat. Der Reitverein wird ebenfalls da sein. Die haben sogar eine Überraschung für mich. Ich denke, die Kleinen führen etwas mit ihren Ponys auf.“ Wir liefen um die Wette und kamen verschwitzt und schnaufend auf dem Schlosshof an. Robert winkte. „Max, es wird Zeit. Macht euch fertig. Die ersten Gäste sind schon im Anmarsch.“ Ich winkte zurück. Schnell tobten wir nach oben und teilten die Duschen unter uns auf. Gottseidank gab es auf meinem Flur derer drei. Frisch angezogen machte ich mich noch vor den anderen auf den Weg in die Remise. Dabei riskierte ich einen Blick in die Küche. Lisa merkte es und scheuchte mich fort. Ich sah aus dem Augenwinkel eine überdimensionale mehrstöckige Geburtstagstorte auf dem Tisch stehen. Stand da etwa eine Miniaturfigur von Chester auf der Spitze? Fast schämte ich mich für meine Neugierde. Den Abend verbrachte ich damit meine Gäste zu begrüßen, Geschenke entgegenzunehmen und allen einen guten Appetit und eine schöne Party zu wünschen.
 



 
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