Neugeboren 16

Ruedipferd

Mitglied
Wie erwartet wurde es um neun Uhr wild auf dem Schlosshof. Unsere Ponygruppe galoppierte in die Reitbahn und zeigte eine Springquadrille vom Feinsten. Die Kids hatten sich alle als Ritter und Ritterfräulein gekleidet. Zwei ältere Ritter führten ein Lanzenturnier vor. Mein Vater und Robert sowie alle anderen Pferdebegeisterten applaudierten. Um halb zehn Uhr eröffneten Andy und Christian die Disco. Jenny wartete schon auf mich. Unser Ehrentanz konnte nicht herrlicher sein und Jenny raunte mir zu, dass wir zu unserer Hochzeit aber einen Wiener Walzer aufs Parkett legen müssten. Ich drückte sie fest an mich, schob sie zur Diskothek und ließ den Schneewalzer spielen. Hundertfünfzig Gäste klatschten begeistert im Rhythmus mit. Am Schluss forderte ich meine Eltern und alle Anwesenden auf, ebenfalls die Tanzfläche unsicher zu machen. Kurz vor elf Uhr bat der Direktor ums Wort. „Liebe Anwesende, lieber Maximilian. Ich erinnere mich noch gut an deinen ersten Tag als Sextaner bei uns. Ja, liebe Eltern und ältere Gäste, da sind nun mal eben acht Jahre vergangen und unsere Kleinen sind groß geworden. Das allein wäre nicht so schlimm, wenn wir dabei nicht auch immer älter würden. Jetzt sitzt hier eine komplette Abiturklasse vor uns. In zwei Monaten werde ich euch hoffentlich alle ins Leben entlassen können. Dann sieze ich euch auch. Dass Max als künftiger Erbe unseres geschätzten Grafengeschlechts nun seinen achtzehnten Geburtstag heute feiern kann und damit nahezu das gesamte Dorf zusammengetrommelt erschienen ist, ist ein glücklicher Umstand, der nicht allen Gemeinden zuteilwird. Somit sind wir nämlich noch einmal hier heute vereint. In zwei Monaten wird sich unsere Jugend in sämtliche Himmelsrichtungen zerstreuen. Ich erhebe jetzt das Glas auf unser Geburtstagskind, Graf Maximilian von Wildenstein und danke Ihnen, lieber Max Senior, dass Sie mit ihrer ganzen Kraft diese traditionsreiche Trutzburg bewahren, die unser Land über vier Jahrhunderte geprägt und beschützt hat. Jeder von uns kennt natürlich auch die traurige Geschichte von Siegbert und Barbara, die ihre Liebe mit dem Leben bezahlen mussten. Wünschen wir den beiden ihren ewigen Frieden und du, Max Junior, sollst hochleben. Prost. Ach so, ein Geschenk hab ich hier auch in Form eines Buches. Das Hauptgeschenk, das Abizeugnis mit Durchschnitt von 1,0 kann ich dir leider erst nach den Prüfungen geben. Ich hoffe, du hast dafür Verständnis und hilfst mir mit deinen Klausurnoten dabei!“ Die Erwachsenen lachten. Meine Klassenkameraden sahen mich erwartungsvoll an Da musste eine passende Antwort her. Ich brauchte nicht lange zu überlegen. „Schade, Herr Direktor, und ich hatte mich bereits so auf mein Zeugnis gefreut. Können Sie nicht zur Feier des Tages eine Ausnahme machen und die Zeugnisse schon vor den Prüfungen verteilen?“ Unser Direx war schon eine Nummer. Aber die Reaktion hatte er wohl auch erwartet. Ich bedankte mich für die netten Worte und den schönen Bildband. Vor den Erfolg hatte der Herrgott nun mal die Arbeit gesetzt. Und die nächsten Wochen würden nicht einfach werden. Umso fröhlicher wollten wir heute in meinen Geburtstag hinein feiern. Kurz vor Mitternacht, just als alle mit ihren Sektgläsern aufstanden und gebannt auf die Schlossuhr blickten, geschah das Unglück. Das Licht fiel aus. Strom weg, keine Musik mehr, nur ein paar Kerzen flackerten auf den Tischen im Wind. Ein merkwürdiger Luftzug schien irgendwo herzukommen. Einige Mädchen und Frauen schrien laut auf, andere kicherten verhalten. Andy und Chris fluchten, suchten nach Taschenlampen. Mein Vater bemühte sich die Gäste zu beruhigen. „Ich gehe sofort zum Sicherungskasten. Da ist sicher wieder eine Überspannung eingetreten, die Disco und die Lautsprecher brauchen zu viel Strom. Wir hatten das heute Nachmittag schon einmal.“ Gerade als er mit der Taschenlampe in der Hand und Robert im Schlepptau losstiefeln wollte, fiel der Lampenschein auf eines der vergitterten Turmfenster. Tumult entstand unter meinen Gästen. Zwei Menschen standen dort oben in zehn Meter Höhe regungslos. Ein Mann und eine Frau. Der Mann trug eine Ritterrüstung, die Frau ein langes grünes Kleid. Ihre blonden Harre wehten im Wind. Sie breitete plötzlich weit die Arme nach ihm aus. „Siegbert, ich werde dich immer lieben!“, rief sie. Er erwiderte verzweifelt: „Meine schöne Barbara!“ Die Gäste starrten gebannt auf das Paar, deren Stimmen schaurig klangen. Die Szenerie war unheimlich. Wir hörten zusätzlich das Geklapper von Rüstungen. Dann schlug die Turmuhr Mitternacht. Nach zwölf Schlägen schauten die beiden unglückseligen Geister zu mir hinunter. „Maximilian von Wildenstein, du bist von unserem Blut, denke immer an uns, vergiss uns nie!“, riefen sie mir zu. Ein helles Licht hüllte sie ein und der Spuk brach ab. Wenig später war auch der Strom wieder da. „Nein, Siegbert und Barbara, ihr seid unsere geliebten Vorfahren, wir vergessen euch niemals. Ruhet in Frieden!“, schrie Beatrix ganz laut zum Turm hinauf. Dann drehte sie sich mit ihrem Glas zu mir um. „Alles Gute zum Geburtstag, Max.“ Sie schlang ihre Arme um mich, küsste mich leidenschaftlich und flüsterte mir eine Schweinerei nach der anderen ins Ohr. Jenny war die nächste. Hubertus ließ meiner Mutter den Vortritt. Auch mein Vater durfte vor ihm gratulieren. Nach und nach kamen alle zu mir. Der anschließende Gesang von Happy Birthday muss noch in München zu hören gewesen sein, so laut, war er. Als ich mich setzten wollte, gab es einen Tusch. Robert und Dietrich trugen die riesige Geburtstagstorte vor Mia und Lisa her und stellten sie auf einen Tisch. Ganz oben stand tatsächlich Chester in Schokolade und schaute mich spitzbübisch über drei Etagen Leckerei an. Meine Mutter reichte mir einen Teller, Mia ein Tortenmesser und Lisa passte auf, dass ich mir ein großes Stück abschnitt. Ich drückte sie und knutschte sie vor Dankbarkeit ab. Als alle ihren Tortenanteil bekommen hatten und auch die Tassen mit Kaffee, Tee und Schokolade gefüllt waren, bedankte ich mich noch einmal bei allen und hielt auch eine Lobrede auf unsere Schlossgespenster, die es sich nicht hatten nehmen lassen, heute an meinem Ehrentag außerplanmäßig zu erscheinen. Ich lächelte zu Conny. Die Nacht begann. Nach dem Kaffee kam endlich der Alkohol auf den Tisch. Ich war ja nun Achtzehn und musste mit einem Doppelkorn aus unserer Brauerei Prost sagen. Das Fest nahm seinen Lauf. Immer wieder kamen Freunde und brachten kleine Darbietungen. Dazwischen wurde das Tanzbein geschwungen und gefeiert. Die Älteren verabschiedeten sich ab halb drei Uhr nach und nach, während es bei uns Jungen erst richtig losging. Allerdings vertrugen wir noch nicht viel. Ich passte sehr auf mich auf, denn als Gastgeber durfte ich natürlich nicht volltrunken ausfallen. So gegen vier Uhr morgens lichteten sich auch bei uns die Reihen. Nur meine Übernachtungsgäste und unser harter Dorfkern der Ritter derer vom Bootshaus, die meisten davon bereits alkoholerprobt, rückten näher zusammen. Conny freute sich riesig. Er hatte alle Hände voll zu tun, mit den vielen Mädchen zu tanzen und die Nummern und Adressen der Jungen in sein Handy zu speichern. Die Boys wollten ihn natürlich alle mal auf der Reeperbahn besuchen. Er merkte gar nicht, wie sein Glas immer wieder gefüllt wurde und trank weiter von der Kornbowle. Langsam zeigte der Schnaps bei ihm Wirkung. Um halb fünf Uhr sank Conny im Stuhl zusammen und schlief ein. Melanie versuchte ihn wachzurütteln, aber es war zu spät. Ein paar Jungs aus dem Dorf nahmen ihn hoch und trugen ihn über den Schlosshof. Aber nicht nach oben in mein Zimmer, sondern in den Turm, direkt in Ritter Siegberts Gefängnis. Sie legten ihn vorsichtig neben das Skelett, seine Hand fasste um die knöcherne Hüfte. Über den Kopf zogen sie ihm eine locker sitzende Kapuze, die nur seine Augen bedeckte. Die Füße wurden, wie bei Siegbert, angekettet. Neben den beiden lagen Coladosen und mehrere Tüten Gummibärchen. Der Schauspieler in Siegberts Ritterrüstung blieb oben und blickte von Zeit zu Zeit auf den Gefangenen hinunter, damit dieser seinen Rausch auch gefahrlos ausschlafen konnte. Wir schossen noch schnell ein paar Fotos von dem ungläubigen Conny, der nicht an Gespenster glauben wollte. Danach verließen wir ihn lachend und gingen ins Bett. Siegbert und Barbara spielten ihre Rolle weiter perfekt. Als Conny um halb zehn Uhr wach wurde und sich verwundert die Kapuze vom Kopf zog, starrte er erschrocken auf das Skelett neben sich. Er stieß einen Schrei aus, der das unglückliche Paar alarmierte. Beide erschienen wieder auf der Empore und jammerten herzzerreißend. Alle Versuche, Connys, befreit zu werden, schlugen fehl. Er musste sich mit Gummibären und Cola zufrieden geben und als Zellengenossen den skelettierten Siegbert akzeptieren. Wir ignorierten seine Hilferufe. Um ein Uhr hatte Beatrix ein Einsehen. Barbara und Siegbert nahmen dem armen Conny endlich die Fesseln ab, der sichtlich flau aus seinem Verlies wankte. Er saß blass auf der Bank unter unserer alten Eiche. Freudig, gespielt, natürlich, lief ich auf ihn zu. „Hey, Conny, wir haben dich überall gesucht. Wo bist du bloß gewesen? Du siehst nicht gut aus, Alter. Ich dachte, du verträgst mehr als wir?“ Er legte seine Arme um mich. „Ich geb auf. Ich werde nie wieder etwas gegen Geister sagen. Siegbert hat fürchterlich geschnarcht und dann wollte er mir auch noch die ganzen Gummibärchen wegnehmen. Und sein Skelett stank bestialisch. Ich will nie wieder im Turm eingesperrt werden.“ Nach und nach kamen auch Hubertus und Andy angelaufen. Rene schlug die Hände überm Kopf zusammen und Melanie küsste ihn auf die Wange. „Oh, mein Liebling, wo warst du? Ich bin gestorben vor Angst“, log sie theatralisch. „Ich hab meine Lektion gelernt. Darf ich jetzt duschen? Und etwas zu essen wäre auch nicht schlecht.“ Wir brachten ihn nach oben. Im Speisesaal gab es Mittag und zum Kaffee saßen wir mit einigen Gästen am Tisch, die am Abend nicht mit uns in den Geburtstag hinein feiern konnten. Das wichtigste Gesprächsthema war natürlich nicht ich, sondern unser Gespensterpärchen. Klaus Bichelsteiner, unser Lokalredakteur des Wildensteiner Boten, ließ sich von Conny alle Einzelheiten seiner Entführung durch die rüde Ritterschaft erzählen. Am übernächsten Tag erschien ein Foto von Conny neben Siegberts Skelett im Turm in der Zeitung. Klaus hatte einen sehr spannenden Bericht dazu verfasst. Das ganze Dorf war stolz auf uns und unsere Burg. Ich schickte Conny die Zeitung nach Hamburg. Kurt lachte sich halb tot, aber Conny wollte noch mehr Exemplare, um sie an Bekannte auf dem Kiez zu verschenken. Unser Direx hielt leider auch Wort. Eine Klausur jagte die nächste. Ich hatte keine Zeit mehr, an Blödsinn, Sex oder meine Freunde nur zu denken. Auch Jenny war abgemeldet. Im Schloss liefen alle auf Zehenspitzen und jeder vermied es, mich anzusprechen. Mitte Mai aber waren sämtliche Arbeiten geschrieben. Ich bereitete mich auf die mündlichen Prüfungen vor. Als ich in den Spiegel blickte, konnte ich irgendwann keinen Unterschied mehr zwischen Siegbert und mir entdecken. Ich sah aus wie ein Zombie und fühlte mich auch so. Das Kolloquium begann und die besondere Sportabiprüfung fand auch statt. Am 2. Juni war alles vorbei. Gottseidank. Wir erhielten unsere Ergebnisse. Ich jauchzte überwältigt. Mathe und Deutsch glatt Eins. Englisch Zwei plus, Physik Zwei plus und Geschichte mit Sozialkunde auch glatt Eins. Das Sportabi hatte ich mit einer Eins abgeschlossen. Das war nicht zu fassen. Die ganze Plackerei hatte sich nun wirklich gelohnt. Wahnsinn! Oma wollte unbedingt bei der Zeugnisvergabe dabei sein. Sie war ja schon 95, aber immer noch ziemlich rege im Kopf. Körperlich gings nicht mehr so gut und zuweilen verwechselte sie mich auch schon mit Hubertus. Tante Alexa kam zur Abifeier mit ihr angefahren. Beatrix war natürlich auch dabei und schenkte mir ein sehr großes Paket. Das öffnete ich aber sicherheitshalber heimlich. Mit gutem Grund, wie ich gleich beim Auspacken bemerkte. Diverse Tuben Gleitcreme, Kondome in allen Farben und Geschmacksrichtungen und zwei versaute Gay DVD’s lagen drin. Außerdem eine aufgeblasene Muschi, die mich namentlich aufforderte, sie auch immer zu benutzen. Trixi saß in der Aula neben mir und sah sich unsere Abschlussfeier genau an. Nach den Ferien sollte meine dreizehnjährige Cousine nämlich nach Frankreich ins Internat. Ich umschlang ihre Hand, als der Direx seine Abschiedsrede hielt. Das Internat lag in der Nähe von Bordeaux, sie würde also sehr weit weg von uns leben. „Irgendwie beneide ich dich. München ist nur ein Katzensprung von zu Hause. Ich hab schon jetzt fürchterliches Heimweh.“ Ach, Süße, das tut mir leid. Mein Mitgefühl war ehrlich. „Das schaffst du schon. Vielleicht wird es viel schöner als du denkst. Du bist eine kleine Comtesse, vergiss das nicht. Und wir telefonieren immer über Skype.“ Gottlob ließ sie sich damit trösten. Ihr Kopf lag während der Feier liebevoll an meiner Schulter. Dann musste ich aufstehen, um mein Zeugnis entgegen zu nehmen. In Mathe und Deutsch erhielt ich als Klassenbester einen gesonderten Preis vom Direx, der sichtlich gerührt, Tränen in den Augen hatte, als er uns, einer nach dem anderen, die Hand drückte und Lebewohl sagte. Das war also jetzt die Schule gewesen. Ich dachte an meine Kinderjahre, an die unruhige Zeit, als ich noch als Mädchen leben musste und an meine legendären herrlichen Jungenstreiche. Mit zwölf Jahren wurde ich damals wieder geboren und begann, mein Leben in vollen Zügen zu genießen. Auch der Pfarrer saß im Publikum, stand lächelnd auf, gab jedem von uns die Hand und hielt eine Rede. Andy und ich schluckten, als er unsere Hilfsbereitschaft von einst hervorhob. Der verwilderte Pfarrgarten sah später nie wieder so gut aus, meinte er. Mein Vater betrachtete mich während der Lobrede mit zusammengekniffenen Augen. Nein, er würde nichts erfahren. Wie vieles andere nicht. Ich hatte meinen Stolz und ich wollte ihm den seinen nicht nehmen. Abends telefonierte ich mit Rene. Mein Freund war ebenfalls mit der Schule fertig, allerdings auch mit den Nerven. Seine Noten konnten sich sehen lassen, kamen dennoch mit den meinen im direkten Vergleich nicht ganz mit. Das störte ihn allerdings weniger. Doch auch in Hamburg hatte man mit dem Zentralabitur das Niveau gewaltig angehoben, so dass die Schüler dort ebenfalls ziemlich gestresst ihre Zeugnisse entgegen nahmen. Wir unterhielten uns über unsere OP und das weitere Vorgehen. Am 07. Juli sollten wir beide in Berlin sein. Mit Doc Reimers war ein letztes Gespräch, das auch das Röntgen der Lunge, ein EKG und die wichtigsten Blutwerte einschloss, am 01.07. abgesprochen. Die Ergebnisse würden wir gleich mitbekommen, um sie der Klinik vorlegen zu können. Einen Teil der Blutuntersuchungen wollte Herr Reimers mit dem Fax ans Krankenhaus schicken. Rene meinte, wir könnten uns gegen Mittag beim Doc treffen und erst am 03. gemeinsam zu mir nach Wildenstein fliegen. Danach würde es am 07. morgens mit dem ICE nach Berlin gehen. Der Rest vom 01. Juli und der nächste Tag sollten Conny gehören und…Hubertus, der tatsächlich Wort hielt und einen kurzen Einblick in die Karriere eines Strichjungen nehmen wollte. Mir war nicht ganz wohl bei der Sache. Ich hatte meinen Vetter immer als Vorbild für tadelloses Verhalten angesehen und konnte ihn mir in dem Milieu, das ich erleben durfte, eigentlich nicht vorstellen. Er blieb aber hartnäckig dabei und auch Rene fand die Idee gut. Ihm konnte doch gar nichts passieren. Wir passten alle auf ihn auf. Hubertus kam nach München zum Flughafen. Niemand in seiner Familie ahnte etwas, von dem, was wir wirklich in Hamburg vorhatten. Er wollte mich angeblich nur zum Doc begleiten. Wir flogen also gemeinsam seinem kurzen Strichjungenleben entgegen. Rene und ich vereinbarten selbst, keine Ausschweifungen mehr mitzumachen, ihm aber bei den ersten Kontakten zur Seite zu stehen. Hubi blieb im Wartezimmer sitzen und vertrieb sich die Zeit mit einigen Mädchen dort, während Rene und ich ausnahmsweise gemeinsam zum Doc hineingingen. Was für eine herzliche Begrüßung! Unser Begleiter in fast allen Lebenslagen atmete aus. „Ja, ihr beiden. Dann ist es also soweit. Die Untersuchungen sind durch, meine Sprechstundenhilfe gibt euch nachher alle Papiere und Bilder mit. Ich kann euch nur viel Glück wünschen und hoffen, meine beiden frisch gebackenen ‚Ziehsöhne‘ Anfang August hier wohl behalten wieder zu empfangen. Ruft ihr mich an, wenn ihr auf eurem Zimmer liegt?“ Rene und ich antworteten aus einem Mund. „Darauf kannst du dich aber verlassen, Ziehpapa!“ Er schmunzelte, nahm jeden fest in den Arm. Es ging ihm nah, das spürte man. Wir mussten beim Abschied erst mal Hubertus der Damenriege entreißen. „Du sollst jetzt nicht mehr mit den Mädchen flirten, sondern dich auf deine schwule Seite konzentrieren. Wenn du nicht mindestens einen Freier gehabt hast und Conny die Mäuse geben kannst, bekommst du kein Hufeisenkettchen und du wirst auch niemals sein Pony“, flüsterte ich. „Ja, das Leben ist hart, in der Marsch“, bemerkte Rene altklug. Wir fuhren mit der S-Bahn zu unserem Zuhälter nach St. Pauli. Vor dessen Wohnung, Fehlanzeige, zuhause war er nicht. Okay, mussten wir halt etwas warten und konnten die Zeit ja gut nutzen. Ich zeigte Hubertus schon mal, wie man als Stricher anschaffte. Er lernte schnell und stellte sich gleich wie ein Profi an die Mauer. Rene ging wieder langsam auf und ab. Ich winkelte mein Bein an und erklärte meinem Vetter die Regeln. Gummis hatte der schon reichlich selbst in der Hosentasche. Um diese Zeit rechnete ich allerdings nicht damit, angesprochen zu werden. Es war erst früher Nachmittag. Unser Neustricher sollte nur mal ein Gefühl für die Situation kriegen. „Was spürst du? Ist es erniedrigend für dich, hier zu stehen und zu warten?“ „Hm, eher nicht. Ich find‘s irgendwie lustig und aufregend.“ Grundgütiger, der hatte Nerven. Aber, gut. Wir werden sehen, wie er morgen früh darüber dachte. Unser bescheidener Standplatz befand sich gleich hinter einer Bushaltestelle. Ein dunkler Mercedes kam angefahren und hielt. Routiniert ging ich auf den Wagen zu. Zwei ältere Männer saßen darin. Das Beifahrerfenster wurde herunter gelassen. „Wir suchen einen netten Jungen für zwei, was ist? Hast du Lust?“ „Klingt nicht schlecht, kostet aber auch das Doppelte. Wollt ihr nicht lieber zwei Jungs für denselben Preis, dann könnt ihr zwischendrin tauschen, das kostet dann nichts mehr extra. Blasen und Ficken, wie ihr wollt?“, fragte ich und sprach ungewohnt laut, damit Hubertus mithören konnte. Er setzte sich langsam in Bewegung und kam zu mir an das Auto. Die beiden Insassen sahen sich an. Sie musterten uns ausgiebig. Der Fahrer nickte. „Also gut, steigt hinten ein. Wir fahren rüber zum Autostrich. Einer bleibt im Wagen, der andere stellt sich vor die Motorhaube.“ Ich öffnete die Tür. Rene drehte sich nach mir um. Ich rief ihm zu, wir würden kurz zum Parkplatz mitfahren. Man konnte nie wissen und wenn Rene informiert war, hatte ich ein sichereres Gefühl. Hubertus stieg als erster ein und ich setzte mich neben ihn. „Dreißig für jeden, also insgesamt einmal sechzig“, begann ich den üblichen Smalltalk. „Im Voraus, wie immer.“ Der Beifahrer grinste. Sie trugen bei dem schönen Wetter beide leichte Anzüge und kurzärmelige weiße Hemden, machten einen äußerst gepflegten und auch betuchten Eindruck. Ich schätzte sie auf ungefähr sechzig Jahre. „Zahlst du für mich mit, Ewald?“ „Klar, wenn ihr zwei den Mund haltet, gebe ich euch hundert, okay?“, antwortete der. Ich nickte und nahm die beiden fünfzig Euroscheine in Empfang. So, so, die wollten also anonym bleiben. Irgendwoher kannte ich den Fahrer. Es fiel mir nicht gleich ein. Er bog in die Parkplatzbucht. „Hier ist Abends mehr los“, erklärte ich Hubert. Interessiert blickte sich der um. „Ist das dahinten im Park das Klohaus von den Kleinen?“, fragte er. Ich bejahte. „Mein Freund ist noch neu im Geschäft. Ich weiß nicht, für wen ihr euch entschieden habt, aber ich würde ihm gerne die Rückbank überlassen. Die ist bequemer als draußen“, grinste ich die beiden Freier an. Während ich sprach, gab ich Hubertus einen Gummi. Sie stiegen beide aus. „Okay, ich nehme dich und mein Kumpel geht zu deinem Freund nach hinten. Komm, wir schmusen etwas.“ Ewald, der Beifahrer, legte gleich den Arm um mich, während ich lächelnd in seine Hose fasste. Deren Reißverschluss öffnete sich wie von selbst. Sein Schwanz war bereits sehr fest und stand aufrecht. Ich begann Ewalds bestes Stück zu küssen und zu streicheln, blickte dabei immer wieder ins Wageninnere zu den anderen. Hubertus arbeitete sehr fleißig und zog seinem Freier gekonnt das Kondom über. Auch er verwöhnte danach voller Hingabe dessen Schwanz mit dem Mund, so dass dem Kunden Hören und Sehen dabei verging. Meiner war nun bereit und ich drehte mich professionell um, blickte dabei auf Hubis Hinterteil und das des anderen, wie er sich gerade in ihn hineinsteckte und nach wenigen Stößen stöhnend und schnaufend kam. Hubertus ließ sich routiniert durchvögeln und keuchte. Mein Hintern, der eigentlich Ferien haben sollte, wurde nun auch ziemlich deftig benutzt. Es dauerte eine Weile bis mein Gast kam und abspritzte. Ich küsste ihn danach zärtlich. Er genoss es. „Du bist gut“, flüsterte er mir ins Ohr und spielte immer wieder mit seiner Zunge in meinem Mund. Das gehörte dazu. Die Freier sollten gute Ware und die gewünschte Dienstleistung bekommen. „Was ist, wollt ihr noch wechseln?“, fragte ich, als auch der Fahrer von Hubertus abgestiegen war und beide draußen wieder auf der Straße standen. „Wir haben keine Zeit mehr, unsere Sitzung beginnt gleich“, erzählte der Beifahrer. Es klang sehr bedauernd. „Wenn ihr wollt, könnt ihr auch allein fahren. Wir finden den Weg selbst zurück“, schlug ich vor. Sie nickten beide. „Man sieht sich“, der Wagen entfernte sich rasch. Das war‘s also gewesen, Hubis erstes Mal als Strichjunge. Ich schickte Rene eine SMS und erhielt gleich die Rückmeldung, dass Conny bereits eingetroffen war. Sie würden in ein paar Minuten bei uns sein. „Na, Vetter, was sagst du? Hat es dir gefallen? Hier sind deine fünfzig Euro. Unser Zuhälter ist schon im Anmarsch.“ Hubertus nahm schweigend sein Geld. „Die kamen mir so bekannt vor, aber ich kann sie nicht unterbringen. Es war einfacher Sex unter Männern. Hat mich nicht im Geringsten gestört. Den Job könnte ich tatsächlich machen“, meinte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich zog nach dieser überraschenden Aussage erst Mal die Augenbrauen hoch. Da hatte ich meinen Lieblingsvetter wohl gewaltig unterschätzt. Wir lehnten uns an einen Baum. Hubertus benahm sich wie ausgewechselt. Alles passte, alles sah professionell aus, als wenn er schon sein halbes Leben auf den Strich gegangen wäre. Von weitem näherten sich Conny und Rene. Sie umarmten Hubi und Conny küsste ihn. Er nahm seine Hand, strich mit seinem Finger über die Wangen seines neuen Ponys und begutachtete dessen Körperteile. Hubi gab ihm die fünfzig Euro. „Geht etwas auf und ab. Ich hab noch etwas zu erledigen und bin in zwei Stunden wieder hier.“ Connys Stimme war uns Befehl. Er duldete keinen Ungehorsam. Ich blickte zu Rene. Der zuckte mit den Schultern. Wir mussten also leider gehorchen, obgleich wir eigentlich nur Hubi begleiten wollten. Arschkarte, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir taten also, was Conny sagte. Es lief noch nicht viel Publikum im Park umher. Das Treiben hier ging erst nach 19 Uhr richtig los. Zum Üben genau richtig. Ich lotste Hubi zum Klohaus. Zeigte ihm auch die Rückseite. Wieder stand ein kleiner Wicht an der Mauer und blickte uns mit leerem Gesicht an. Er hatte etwas eingenommen, das konnte ich an seinen Augen sehen. Ich schätzte ihn auf vielleicht Dreizehn. Hubertus erschrak sichtlich. Ich nahm mein Handy und hatte Glück. Ronny war noch im Büro, das lag ganz hier in der Nähe. „Kommst du?“, fragte ich. Er wusste Bescheid. Wir hatten eine Kurzform abgemacht, wenn es brenzlig wurde. Ronny war automatisch in Alarmbereitschaft versetzt. „In zehn Minuten“, antwortete er. „Ronald ist gleich hier“, sagte ich zu Hubertus. Wir blieben bei dem Kind stehen, das jeden Moment zusammenbrechen konnte. Ronny kam rascher als erwartet. Er erkannte die Katastrophe schon von weitem und telefonierte kurz mit dem Handy. Wir nickten einander zu. „Wie heißt du?“, fragte er den apathischen Jungen und fasste ihn bei den Schultern. Der antwortete nicht, starrte nur weiter nach vorn. „Ich bringe dich jetzt erst mal ins Krankenhaus und dort reden wir später, ja. Ich bin Ronny und arbeite als Streetworker. Ich helfe dir.“ Er drehte sich zu mir. „Danke, Max. Wenn ich den Dealer erwische, bringe ich ihn eigenhändig um!“ Der Notarzt kam schon angelaufen. Ronny brachte den Jungen zum Rettungswagen. Er fuhr mit. Hubertus war inzwischen ein Stück weitergegangen. Als ich bei ihm stand, lehnte er seinen Kopf an meine Schulter und weinte hemmungslos. Mir war es anfangs ähnlich ergangen, als ich mit dem Drogenelend konfrontiert wurde. Ich konnte ihn deshalb sehr gut verstehen. Er würde diesen Moment wohl nie vergessen. „Wollen wir aufhören?“, fragte ich. Er nickte. Wir setzten uns auf eine Parkbank. Ich gab ihm ein Taschentuch. „Ich werde alles tun, um diesen Verbrechern das Handwerk zu legen, das schwöre ich. Oh, Max, das war heilsam. Ich weiß aber jetzt, was ich zu machen habe.“ „Das freut mich. Ich kann ja nicht auch noch Jura studieren. Es ging mir bei den Kleinen immer sehr nahe und ich bin froh, dass Ronny hier aufpasst. Nur, ein Streetworker allein, kann die Kids natürlich nicht retten. Die werden immer jünger und sind für Dealer ein gefundenes Fressen. Lass uns zu Rene gehen. Wir schreiben Conny, dass wir zur Bar unterwegs sind“, schlug ich vor. Rene simste unserem Conny einen Augenblick später. Bei Babs bestellte ich erst mal drei Wildensteiner Pils und drei Doppelte. Kurt kam aus seinem Büro. Wir erzählten ihm, was wir erlebt hatten. So wütend kannte ich den gar nicht. Er nahm Hubertus gleich in den Arm. „Mach dein Studium und dann komme hier her nach Hamburg. Ich helfe dir, diese Leute unschädlich zu machen. Die meisten Kollegen denken genauso. Drogen machen auch unsere Mädchen kaputt. Hamburg muss clean werden. Wenn wir alle zusammenarbeiten, können wir einiges bewirken.“ Hubertus nickte. „Schade, und ich wollte doch Conny so gerne helfen. Nun bekomme ich mein Ponykettchen nicht“, lächelte er bedauernd. „Oh, Gott.“ Kurt fasste sich an den Kopf. „Ihr seid dumme Kinder, das gibt es doch nicht. Nun bist sogar du schon verrückt geworden!“ Er sah uns sprachlos an. „Also, ich hatte meinem Herrn Sohn ohnehin den Parkplatz und die Pädos verboten. Wenn du willst, dann regle ich das für dich. Und zwar so, wie mit den anderen. Als Student bist du eh zu schade für den Billigstrich. Ich habe zahlungskräftige Kunden. Die lecken sich alle Finger nach jungen Männern wie euch. Englisch ist natürlich Voraussetzung, Spanisch und Französischkenntnisse vorteilhaft.“ „Ich hatte Russisch“, meinte Hubertus. „Wie lange bist du hier?“ Kurt wurde lebendig. „Wir fliegen übermorgen Mittag“, erklärte Rene, bevor Hubi antworten konnte. „Gut, was ist mit euch beiden? Wollt ihr noch mal oder nehmt ihr schon eure Schonzeit? Max, tanzt du heute Abend?“ „Eigentlich wollten wir nur Hubi zuschauen und tanzen würde ich gerne ein letztes Mal. Wobei, das ginge heute und morgen. Rene, was denkst du? Doch noch einen letzten Freier mit Dildo?“ Rene überlegte. Ich konnte sehen, wie er mit sich rang. Die Erregung nahm bereits Besitz von ihm. Mir ging es genauso. Die Katze ließ das Mausen leider nicht. „Ja, ich bin heiß. Aber es wäre ja lustig, wenn wir oben in den Zimmern anschafften und mit den Freiern im Whirlpool und in der Sauna sitzen könnten. Zumindest heute Abend. Morgen treffen wir uns dann getrennt und kommen am Abend zu Maximilians Aufführung mit unseren Begleitern her. Sozusagen als Abschiedsfete, wäre das möglich, Kurt?“ Der nickte. „Geht in die Umkleideräume und duscht euch. Eure Sachen liegen da noch rum. Dann setzt ihr euch hinten in die zweite Bar. Die hab ich für schwule Gäste eingerichtet. Ich rufe meinen Kumpel von der Vermittlung an. Mal sehen, was der noch für mich hat.“ Kurt verließ uns sofort in Richtung Büro. Wir taten, was er wollte. Im Umkleideraum schminkte uns Suzanne. Hubertus grinste, als er sich im Spiegel sah. Er war eindeutig als Callboy für Herren erkennbar. Rene natürlich auch. Ich schrieb eine SMS an Corinne. Ich wollte mit ihr meinen Auftritt noch einmal proben. Dann begann ich an der Stange mit dem Aufwärmen. Hubi schaute mir mit offenem Mund zu. „Whow, so kenne ich dich ja gar nicht. Das sieht geil aus!“, rief er bewundernd. „Komm, Stricher, wir gehen nach hinten und warten auf unsere Luxusfreier. Von dort hast du eine schöne Aussicht auf den Tanztisch“, lachte Rene und schlug Hubertus auf den Rücken. Die beiden setzten sich in Bewegung. Ich arbeitete mich derweil durch meine Übungen. Corinne kam und half mir. Traurig dachte ich daran, dass dies nun die beiden vorerst letzten Male sein würden. Um halb zehn Uhr öffnete Kurt die Bar. Er hatte für jeden ein interessantes Treffen arrangiert. Für Rene war ein fünfzigjähriger Spanier reserviert, der auch schon heute im Laufe des Abends kommen sollte. Hubertus wurde an einen reichen Polen verschachert und ich würde einen Holländer kennen lernen. Wir vergaßen, was wir waren, als unsere Freier einer nach dem anderen eintrafen. Erst saßen wir in unserer Schwulenbar, tranken Sekt, lernten einander kennen, machten Smalltalk. Renes Spanier wollte in die Sauna und in den Whirlpool. Rene und er verschwanden in der Wellnessoase. Hubertus sprach Englisch und Russisch und verabschiedete sich kurz vor Mitternacht mit seinem Kunden auf eines der Zimmer. Babs ging mit und zeigte ihm die oberen Räumlichkeiten. Sie wünschte den beiden Herren viel Spaß. Den hatten die wohl auch, denn wir sahen sie erst am frühen Morgen an der Bar wieder. Mein Holländer hieß Hendrik van Dochten, arbeitete im Schmuckgeschäft und freute sich wie ein Schneekönig über mich kleinen Burschen, wie er betonte. Ich vermutete ihn im Diamanthandel tätig zu sein. Geld spielte keine Rolle. Wir tranken teuersten Champagner. Er erzählte auf Deutsch von seinen Reisen nach Afrika. Irgendwann ließ ich mir von Babs einen Schlüssel geben. Ich sagte ihm auf dem Zimmer, dass ich gleich tanzen würde und wir somit unser Liebesspiel jetzt anfangen müssten. Er war einverstanden. So leicht wurde es nicht. Sein Schwanz wollte anders als er wollte. Aber gelernt war gelernt. Ich hatte so einiges drauf, zog alle Register. Da, er stand. Gummi drüber, weiterblasen. Nach zehn Minuten waren wir fertig. Alles paletti. Allerdings galt das für mich auch in doppelter Hinsicht. So schwierige Kunden musste ich nur selten bedienen. Hendrik lag ruhig auf dem Bett und genoss augenscheinlich das Ausklingen. „Danke, mein Kleiner. Das war herrlich. Ist nicht leicht mit mir, ich weiß. Ich hab Zucker, weißt du, da klappt es nicht mehr so. Aber du bist ein fleißiger, lieber Junge. Komm, hier sind noch 200 extra. Hast du morgen Zeit? Du brauchst nicht bis zum Äußersten gehen, nur blasen und schmusen, das wäre schön. Wir können machen und unternehmen, was du willst.“ Ich musste schmunzeln. Hendriks Deutsch klang so niedlich. Natürlich würden wir uns morgen noch einmal sehen. Ich wollte das letzte Mal tanzen und meine wilde Zeit in Hamburg gemütlich ausklingen lassen. Ich sagte zu, wir verabredeten uns morgen Abend um dieselbe Uhr hier in der Bar. Den Tag wollte ich mit meinen Freunden verbringen. Wir trafen uns wieder um elf Uhr bei Conny zum Frühstück. Hubertus musste erzählen. Sein Pole war ein reicher Geschäftsmann gewesen und fuhr heute schon wieder nach Warschau zurück. „Was wollt ihr denn wissen?“, fragte er spöttisch. „Alles“, rief Rene aus. „Erst die Knete, zu allererst kommt die Bezahlung! Ihr ungezogenen Ponys. Da muss Papi wohl mal wieder die Peitsche rausholen.“ Conny atmete tief durch. Hubertus hatte immer noch nicht verstanden. Ich knuffte ihn. „Gib deinem Zuhälter deinen Verdienst, sonst wird der ungemütlich. Wahrscheinlich kannst du dir ohnehin gleich die Hosen runterziehen und dich übers Sofa legen.“ „Oh, ja. Entschuldige, Conny. Hier sind 500 Euro. Bekomme ich auch etwas davon ab?“, fragte Hubertus. Himmel, der klang vielleicht naiv. Ich schluckte. Hubi, du hast mehr Mut, als gut für dich ist. Conny zog, wie erwartet, die Augenbrauen hoch. „Erst einmal gehst du zur Sofalehne, Hosen runter.“ Hubertus grinste, aber er tat ohne zu murren, was er sollte. „Aua, das tut ja weh!“, schrie er im nächsten Augenblick auf. Conny zog ihm die Peitsche über den nackten Hintern, bis Striemen zu sehen waren. Danach stellte er sich locker vor ihn, gab ihm einen Gummi und ließ sich den Schwanz lecken. Ein zweiter Gummi kam drüber. Ich musste meinem Zuhälter Gleitcreme reichen, die dieser wollüstig und geil in Hubis Fuge schmierte. Momente später stöhnten beide auf. Conny lächelte und zog ein kleines Goldkettchen mit einem Hufeisen aus der Tasche. Er legte es seinem frisch gebackenen vierten Pony um den Hals. „Willkommen in der Herde, mein kleines Pferdchen. Dein Futtergeld hast du gerade eben mit der Peitsche bekommen. Wenn du das nächste Mal für mich trabst, gebe ich dir etwas ab, damit du dir ein paar Mohrrüben kaufen kannst. So, Leute, wie sieht es aus? Was habt ihr heute vor? Bitte keine nasse Segelregatta mehr. Andererseits hab ich gegen einen Freibadbesuch nichts einzuwenden.“ Hubertus stand mühevoll und umständlich auf. „Hast du ‘n Spiegel? Wenn da was auf meinem Arsch zu sehen ist, gehe ich nirgendwo hin“, jammerte er. Wir nickten. „Sieht nicht gut aus“, meinte Rene und bemühte sich, Mitgefühl zu zeigen. „Aber du kannst dir ein paar bunte Badeshorts drüberziehen, dann fällt es nicht so auf.“ Dem konnte ich nur zustimmen. Es war ein so herrliches Wetter. Da durften wir nicht zuhause bleiben. „Gibt es irgendwo eine Seebadeanstalt oder ein Freibad an der Elbe?“, fragte ich deshalb. Ja, gab es. Conny rief Melanie an und auch Kerrin hatte Zeit. Eine Stunde später trafen wir uns im Naturbad am Stadtparksee. Hubertus versuchte immer wieder auf sein Hinterteil zu schauen, als wir uns in Badekleidung in der Sonne aalten. Melanie schüttelte genervt den Kopf und zog ihm die Hose ein Stück runter. Es waren tatsächlich noch ein paar rote Striche zu sehen. „Was ist denn das? Wer hat dich denn so fürchterlich zugerichtet?“ Ich überlegte nicht lange. „Seine Domina. Er war das erste Mal bei ihr und hatte den Mund etwas zu voll genommen. Zur Strafe hat sie ihn sehr streng erzogen.“ „Ach, du Armer.“ Kerrin legte ihren Arm um ihn und gab ihm einen Kuss.“ Rene schaute pikiert. „Was gibt das jetzt hier? Jeder mit jedem, oder verstehe ich das miss?“ Seine Freundin lachte und drückte sich an ihn. „Ich wünsche dir alles Gute, mit deinem Schwanz, mein Schatz. Wenn ich auch endlich operiert bin, darfst du ihn bei mir ausprobieren.“ „An oder In?“ Der Nachmittag konnte nicht besser verlaufen. Wir badeten, lagen in der Sonne, tranken und aßen, spielten auf der riesigen Wasserrutsche. Um halb sieben Uhr mussten wir bedauernd den Heimweg in Angriff nehmen. Was für schöne Stunden, mitten im Herzen der Großstadt, lagen hinter uns! Am Abend gab ich dann meine vorerst letzte Tanzvorstellung. Die Leute tobten, wollten Zugaben und Hendrik applaudierte wie besessen. Wie versprochen kümmerte ich mich um ihn. Es war ebenfalls meine letzte Amtshandlung als Strichjunge mit Dildo. Auch, wenn ich mich professionell bemühte, legte sich doch Neugierde auf alles, was da künftig auf mich zukommen sollte, wie ein Deckmantel über unsere Beziehung, so dass ich das mehrmalige Abschweifen meiner Gedanken nicht verhindern konnte. Hendrik merkte anscheinend nichts davon. Das war mir auch recht. Er bezahlte gut und verließ uns rundum zufrieden um drei Uhr. Conny schenkte mir und Rene unseren Verdienst, als Abschiedspräsent, wie er betonte. Als Kurt am frühen Morgen die Bar abschloss, stießen wir alle noch einmal auf unsere OP an. Rene legte den Arm um mich, während wir zur S-Bahn gingen. In Norderstedt verabschiedete er sich von seiner Mutter. Sie hatte keinen Urlaub bekommen und konnte ihn nicht begleiten. Stattdessen wollte meine Mum mit uns nach Berlin fahren und dort für uns beide sorgen. Hubertus bedankte sich noch fürs Übernachten, dann saßen wir alle drei wieder in der S-Bahn Richtung Flughafen. „Hat dir dein Ausflug ins Milieu gefallen, Hubi?“, fragte ich leise, als das Flugzeug abhob. Er nickte. „Es war superaffengeil. Und ich wünsche dir und Rene alles Glück der Erde.“ Die nächsten Tage gingen schnell vorüber. Am 07. Juli fuhren wir mit meiner Mutter im ICE nach Berlin. Hubertus war nach Hause zurückgekehrt, um sich auf seinen USA Aufenthalt vorzubereiten. Er wollte mit mir telefonieren. Mutter hielt dafür sämtliche Fäden in der Hand. Sie würde allen Bescheid geben und vor allem auch Renes Eltern sofort über unseren Gesundheitszustand informieren. Rene und ich bezogen ein gemeinsames geräumiges Zimmer, in das wir nach dem Aufenthalt auf der Intensivstation auch wieder zurück gebracht werden sollten. Am nächsten Tag wollte Doktor Dupret, der uns operieren würde, noch einige Voruntersuchungen durchführen lassen. Meine Mutter verließ uns nach einem kurzen Gespräch mit ihm frühzeitig, um in ihr Hotel zu fahren. Sie wirkte aufgeregt. So kannte ich sie gar nicht. Aber, es ging ihr sehr nahe, das merkte man deutlich. Rene und ich erlebten es nicht besser. Wir freuten uns auf unsere Schwänze und gleichzeitig spürten wir doch so etwas wie Angst vor dem Unbekannten. Die OP sollte ja auch gut ablaufen. Conny rief an. Er erzählte, die Ärzte sähen es als Beleidigung an, wenn ein Patient noch auf dem OP Tisch verstarb. Wir konnten also hoffen, auf jeden Fall wieder aufzuwachen. Wie beruhigend und zartfühlend! Rene hatte sein Handy auf laut gestellt. „Du tust besser dran uns Glück zu wünschen und für uns zu beten, sonst verlierst du deine Ponys. Wir sind die Leithengste deiner Miniherde!“, gab ich ihm zu bedenken. „Daran dachte ich auch gerade, danke für den Tipp. Also, viel Glück, auch von meinem Vater und Moana.“ „Und von Babs“, rief eine Stimme im Hintergrund. Wir legten auf. Bei mir war eine Sekunde später Hubertus dran. Beatrix, meine Oma und meine Tanten und Onkels riefen ebenfalls nacheinander an. Andy meldete sich. Die ganze Bande saß im Bootshaus. Wir konnten sie grölen hören. Sie wetteten auf uns, wer wohl den Längsten bekam. Rene musste ihnen eine Enttäuschung bereiten. Es waren exakt zehn Zentimeter. Die Unterarmmanschette, aus der der Hautlappen gewonnen wurde, besaß eine festgelegte Länge. Vielleicht konnte man ihn später noch etwas ziehen, kam mir in den Sinn. „Also, dann kann ich euch eigentlich schon eintragen“, meinte Jacob lässig. „Beide zehn Zentimeter, Max und Rene. Sorry, Leute, aber damit liegt ihr ziemlich weit hinten“, erklärte er. „Das ist mir so wurscht, wie nur was. Hauptsache, ich habe erst mal einen. Die Länge ist mir völlig egal“, ereiferte ich mich. Und stutzte. Wenn ich es richtig bedachte, eigentlich doch nicht. „Also, zehn Zentimeter reichen auf jeden Fall, um ihn aus der Hose nehmen zu können“, setzte ich nach. Jenny, zeigte mein Display an. Ich verabschiedete mich von den Jungs. Rene schüttelte den Kopf und hielt sich die Ohren zu. Unser Liebesgesäusel war wohl kaum auszuhalten. Die Parallelschaltung zwischen ihm und Kerrin, die neben Melanie saß, entschädigte ihn ein paar Minuten später. „Wisst ihr beide denn überhaupt, wieso ihr transsexuell seid?“, fragte Melanie, die am folgenden Tag nach Essen zur OP fahren sollte. Wir verneinten. „Also, das hat natürlich Ursachen und die sind relativ einfach erzählt. Ihr wisst, dass der Storch nicht die Kinder bringt, aber trotzdem sehr wichtig ist. Er teilt nämlich jedem Neugeborenen das Geschlecht zu. Dafür erhält er jeden Morgen von Petrus eine Liste, auf der die Namen stehen und ein Körbchen, in dem sich die Geschlechtsteile befinden. Brüstchen für die Mädchen und auf der anderen Seite liegen die Schwänzchen für die Jungen.“ Rene lachte auf. „Nicht lachen, zuhören, das ist sehr ernst, auch für den armen Storch“, erzählte Melanie weiter. „Weil die Kinder ja mit der Mutter in der Regel noch in der Klinik sind, ist der Storch mit dem glücklichen Vater allein zu Haus. Männer unter sich, natürlich gibt es einen aus der Buddel. Der Storch streicht den Namen von seiner Liste und lässt das entsprechende Geschlechtsteil im Kinderbettchen zurück. Er fliegt weiter. Den ganzen Tag. Und überall kriegt er einen Schnaps. Er verträgt zwar eine Menge, denn er ist in der Zwischenzeit nach zwanzig Dienstjahren schon, wie man sich denken kann, zum Alkoholiker geworden. Am späten Abend ist aber auch er so voll wie eine Haubitze. Die letzten Kinder kann der besoffene Storch nur noch im Tiefflug und torkelnd besuchen. Meistens rempelt er dabei auch gegen sämtliche Bäume und Laternenmasten. Manchmal passiert es nun, dass die beiden am Schluss noch übrig gebliebenen Babys verschiedenen Geschlechts sind. Der Storch schleppt sich taumelnd zum Kinderbett, greift in seinen Korb und… erwischt das falsche Teil. Beim Mädchen liegt also das Schwänzchen und beim Jungen das Brüstchen. Den restlichen Schnaps kippt er noch und irgendwie landet er irgendwann am späten Abend nicht nur zu Hause in seinem Horst, sondern, weil er schwul ist und sein Freund und Arbeitskollege zudem auch Horst heißt, auf diesem. Blitzbesoffen sind sie natürlich beide. Am anderen Morgen geht die Sache von vorne los. Weil alles korrekt auf dem Zettel ausgestrichen ist, merkt Petrus natürlich erst mal nichts. Ihn widert nur die fürchterliche Fahne an, mit der der Storch jeden Tag zum Dienst kommt. Aber, der tut seine Pflicht und obwohl Petrus schon öfter mit dem lieben Gott über das Problem gesprochen hat, mögen sie ihm nicht kündigen. Irgendwann, wenn Petrus auf die Erde zu den heranwachsenden Kindern schaut, sieht er die Bescherung. Um den Fehler des Storches zu kaschieren, hat er sich vom lieben Gott die Erlaubnis geholt, medizinisch eingreifen zu dürfen. Ja, und deshalb sind wir eben Transkids geworden. Unser Doc wird sofort von Petrus mit uns beliefert, wenn der unter den vielen Kindern auf der Welt eines von unserer Art entdeckt. Und nun schlaft gut, ihr zwei. Wir denken an euch. Gute Nacht.“ Nein, wie süß, die Geschichte sollte man sich patentieren lassen und aufschreiben. Rene und ich sahen uns gerührt an. Mir kamen fast die Tränen. Unsere Nachtschwester erschien und fragte, ob wir eine Tablette brauchten. Wir lehnten dankend ab. Nein, ich wollte wie Rene auch, mit klarem Kopf, meinem Schwanz entgegen schlafen. Am nächsten Tag wurde es noch mal hektisch. Wir erhielten so viele Medikamente, auch zur Beruhigung, um diverse Untersuchungen über uns ergehen lassen zu können, dass wir nicht mehr alles mitkriegten, was um uns herum geschah. Am Abend telefonierten wir noch mit Doktor Reimers und auch Frau Michelsen rief mich an, wünschte uns alles Gute. Die Narkoseärztin erschien und Doktor Dupret kam als letzter, lachte und erzählte einen Witz nach dem anderen. Ich schlief tief und traumlos in dieser für mich doch so wichtigen Nacht. Um sieben Uhr morgens wurde ich, in mein OP Hemdchen gekleidet, mitsamt Bett abgeholt. Aus den Augenwinkeln warf ich Rene noch einen letzten Blick zu. Der lächelte müde. An die Fahrt in den Operationssaal erinnerte ich mich in der Folge nur noch schemenhaft. Die Narkoseärztin gab mir eine Spritze. Und dann wurde mir schwarz vor Augen.
 



 
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