Neugierde

Elfi

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Neugierde

Die Neugierde trieb mich, die Seiten der Suchmaschinen aufzurufen, die mir beim Blättern in einem Magazin ins Auge sprangen. Es waren jene Suchmaschinen, in denen man nur einen Namen eingeben musste, und auf dem Bildschirm erschienen Informationen, die jeder User über diesen Namen irgendwo einlesen konnte.
Die Neugierde trieb mich, meinen Namen dort in der blau umrandeten Zeile einzugeben, und wie erwartet, erschienen die spärlichen Informationen über mich, einer einfachen Bauersfrau auf dem platten Land: Adresse und Telefonnummer, und ich las, das es noch sieben weitere Personen in Deutschland gab, die so hießen, wie ich.
Die Neugierde trieb mich, nacheinander die Namen meiner Schwestern, meiner Schwäger, sowie die meiner Nichten und Neffen einzugeben, und ich las die Infos, die die Suchmaschine angab. Da gab es nichts Anrüchiges zu erfahren. Meine Nichte hatte erfolgreich an einem Mathewettbewerb teilgenommen, und einer meiner Neffen errang den dritten Preis bei einem Tischtennisturnier. Doch diese Infos waren mir durch meine Schwestern schon bekannt.
Wieder war es die Neugierde, die mich trieb, nacheinander auch die Namen meiner beiden Zwillingstöchter Marina und Martina in die blau umrandete Zeile zu setzen.
Über Marina, der Älteren, fand ich schon mal keinerlei Infos; ich hatte auch nichts anderes erwartet. Sie hatte eben nie an einem Mathewettbewerb teilgenommen, und obwohl sie mit ihren sechzehn Jahren schlank und sportlich aussah, hatte sie bisher keinen sportlichen Ehrgeiz an den Tag gelegt.
Anschließend gab ich „Martina Mennemann“ in die blau umrandete Zeile ein, und im ersten Augenblick war ich wie hypnotisiert, als die erste Suchmaschine diverse Treffer landete; unter Anderem in der Rubrik Videos. Ruhe bewahren, ermahnte ich mich selbst, schließlich gab es acht weitere Frauen und Mädchen, die ebenfalls Martina Mennemann hießen, und ich klickte nacheinander die Videos an. Nach den ersten drei Videosequenzen wusste ich, dass es Videos von Namensvettern waren. Etwas anderes konnte ich mir auch nicht denken, schließlich sind meine Töchter anständig!
Abermals trieb mich die Neugierde, spontan das letzte Video anzuklicken.
Ein leicht unscharfes, verwackeltes Bild erschien, und ich sah die Beine einer jungen Frau auf einem Skateboard. So eine Hose hat Martina auch, schoss mir noch durch den Kopf, und dann hörte man neben dem Geräusch des auf Pflastersteinen dahin ratterndem Board auch eine Stimme, ehe die Person hinter der Kamera für einen Bruchteil einer Sekunde auch das Gesicht der jungen Frau auf dem Board zeigte. Dunkelblonde, lange Haare, gute Figur, und im Hintergrund unsere Hofzufahrt mit dem markanten Eichenbaum an der Gartenseite.
Kein Zweifel, das war eindeutig Martina! Mein Herz verkrampfte sich, aber sollte ich wegen so einem Video schockiert sein? Das war nichts unanständiges, nichts Anstoßendes! Nur meine Tochter beim skateboarden, und irgendjemand hatte es gefilmt…
Unterhalb des Videos war zu lesen, wer dieser Irgendjemand war, und ich klickte mutig auf den Namen, der einem Städtenamen in Großbritannien ziemlich ähnelte. Zwanzig Videos hatte dieser oder diese „Newfolg“ gedreht, und sporadisch klickte ich auf das eine und das andere Video. Mit jeder Minute des gesichteten Videomaterials nahmen meine Hoffnungen ab, und mein Unmut zu, denn allein die Betitelungen der Videos waren schon eine gehörige Standpauke wert. Zudem sah man ganz deutlich unseren Hof, worüber ich auch nicht gerade erbaut war, und auch Marina war teilweise zu sehen. Aber dieser Newfolg… Er hatte sich zwei Mal eher unbeabsichtigt filmen lassen, und ich erkannte ihn: es war unser Azubi, der vor einem halben Jahr seine Ausbildung abgeschlossen hatte…
Na ja, immerhin waren die Videos inhaltlich recht harmlos, und solange es noch so im Rahmen geblieben war…
Schließlich wechselte ich zu der zweiten Suchmaschine, und setzte auch dort in der entsprechenden Zeile den Namen meiner Tochter ein…
Dort erschienen Portraitfotos in der ersten Reihe, und das Portrait meiner Tochter befand sich ebenfalls darunter. Ein Klick auf das Foto…
Ich versank vor dem Bildschirm tiefer in meinem Bürosessel, als ich erkannte, dass meine sonst so vernünftig erscheinende Tochter sich auf einer Internetseite als Beziehung suchend eingetragen hatte! Mit sechzehn! Ein Faustschlag ins Gesicht der Mutter, ein Seitenhieb auf die Erziehung der Eltern! Kann es Schlimmeres geben?
Ich klickte mich auf die entsprechende Seite meiner Tochter, die sich dort Jenny nannte, und stöberte durch die Fotogalerie: Jenny beim Handstand, keine Bewertung. Jenny bekleidet unter der heimischen Dusche, die Brust raus, der Bauch rein: sieben Bewertungen und drei Kommentare, die alle auf das Selbe hinaus liefen: sexy…
Aber es gab Schlimmeres: Jenny, nur mit BH und Slip bekleidet, die ihr Spiegelbild fotografisch festhielt, wobei sie mit der linken Hand gerade an dem Slip nestelte…
Die Kommentare und Bewertungen las ich mit Abscheu, und begutachtete die nebenstehenden Fotos der User, die einen Kommentar hinzugefügt hatten. Die Palette der Begutachter war immens, das Alter von ihnen teilweise auch.
Abscheu, Ekel und Wut erfassten mich: meine Tochter, eine Sklavin ihrer Selbst, die sich auch noch eigenständig auf so geschmacklose Art verkaufte. Nein, es war Schlimmer, schoss mir durch den Kopf: meine Tochter verkaufte nicht nur sich, sondern auch ihre Schwester…
War das meine Tochter, fragte ich mich. Hey Leute, seht: das Fleisch ist willig, aber die Gelegenheit fehlt…
Die Gelegenheit fehlt? Nachdenklich sitze ich noch vorm Bildschirm, der sich schon verdunkelt hat, und die endlosen, quälenden Gedanken peitschen mich aus…
Die Gelegenheit war da, in den Sommerferien…
„Mama, mein Internetfreund Jochen möchte mich persönlich kennen lernen, er ist aus Köln“, hatte Martina gesagt, „Kann der bei uns übernachten, damit er sich nicht ein Hotelzimmer nehmen muss?“
Nach damaliger, kurzer Überlegung hatte ich zugestimmt, Jochen bei meinen Eltern im Nachbarort unterzubringen. Aber auch Marina lag mir in den Ohren, und bat mich, ihren Internetfreund bei uns treffen zu dürfen, wo ich es Martina erlaubt hatte.
Ihn konnte ich doch nicht auch noch bei meinen Eltern unterbringen, daher nächtigte Marinas Freund Norbert aus dem WWW bei uns…
Im Resümee muss ich anmerken, dass mir Jochen sogar sympathisch war. Er war ein zweiundzwanzigjähriger Student, hatte gute Manieren und spazierte mit meiner Tochter durch die Gegend, oder beide fuhren mit dem Rad. Er bedankte sich bei seiner Abreise auch auf sehr freundlicher Art bei mir und meinen Eltern für die Gastfreundschaft, die ihm entgegen gebracht wurde.
Norbert dagegen war dreißig, ein Lehrer mit kahl rasiertem Hinterkopf, der sich kaum außerhalb des ihm zugeteilten Zimmers blicken ließ, weil Marina meistens bei ihm hockte.
War er wirklich ein Lehrer, wo er so aussah?
Meine Gedanken rattern im Staccato. Ja, ich war echt froh, als er ging, denn er hatte hier im Büro seine Bettstatt gehabt…
Langsam gewinne ich meine Fassung zurück, und rufe von meinem Platz am Schreibtisch meine beiden Töchter, deren Antworten durchs Haus schallen. Ehe sich die Tür zum kleinen, kahl eingerichteten Büro öffnet, habe ich die Maus bewegt, und die erschreckenden Tatsachen sind erneut auf dem Bildschirm sichtbar.
„Was is´n?“, fragen Martina und Marina fast gleichzeitig, als sie hinter mir stehen, und ich erhebe mich von meinem Stuhl, um ihnen die Sicht auf die Tatsachen zu ermöglichen.
„Das ist doch nichts Schlimmes!“, rechtfertigt Martina sich, „Das machen doch so viele!“
„Willst du dich wie ein Stück Vieh verschachern?“, schleudere ich ihr entgegen. Martina schweigt und schluckt heftig, während Marina betroffen zu Boden blickt. Ich hebe meine Hand unter ihrem Kinn, um ihr Gesicht anzusehen. Tränen rollen aus ihren grünblauen Augen.
„Ich bin schon verkauft. Norbert existiert nicht mehr im Web! Seine Handynummer ist falsch, und die Schule, an der er angeblich unterrichtet hat, gibt es nicht…“, und Martina fügt an:
„Er lässt sich nicht mehr blicken, wie Marinas Periode…“
 

Lisa König

Mitglied
Tja Elfi, wenn das eine Tatsachengeschichte ist, kannst Du nichts mehr ändern. Auch die Überprüfung der beiden jungen Männer vorher im Netz hätte wohl daran nichts geändert. Mir fällt dazu ein, wie die diesbezügliche Sachlage bei mir mit 16 war. Heute bin ich auf meinen erwachsenen Sohn sehr stolz.
Alles Gute und weiterhin viel Spaß am Schreiben.

Liebe Grüße
Lisa König
 

Elfi

Mitglied
Liebe Lisa König, danke für die lieben Grüße und die nette Bemerkung. Ich wünsche Dir/ Ihnen auch weiterhin viel Spaß beim Schreiben und Lesen hier auf LL.

Herzliche Grüße, Elfi.
 



 
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