Neulich, neben der Spur

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N

no-name

Gast
Liebe Enachtigall,

ein irgendwie "irrer Text", der auf mich eine echte Sogwirkung ausübt. Sehr phantasieanregend...!

Sag mir, wie bist du darauf gekommen?

Liebe Grüße von no-name.
 

ENachtigall

Mitglied
sag mir: wie

Liebe no-name,

ganz lieben Dank für die lobende Aufnahme meines Kürzest-Flashlights.

Auf dem Heimweg von der Arbeit fahre ich ein Stück "Hellweg". Das ist eine, im wahrsten Sinne, belebte Straße mit Straßenbahn, Haltestellen, Häusern, Geschäften, Bürgersteigen, Passanten, Kinderwagen, Radfahrern, kurzum; es gibt immer etwas zu sehen, zumal ich Gemütlich-Fahrerin bin, völlig unterzuckert um die Zeit und irgendwie manchmal wie in Trance.

Da sah ich so jemanden am Straßenrand stehen: mit einer großen Schere in der Hand fuchtelte er gedankenverloren am wilden Bart herum. Er wirkte geradezu natürlich und unverkrampft, eben wie zu Hause, aber doch auch eindeutig in der Absicht, die Straße zu überqueren.

Diese zwei so unverwandten Szenen - in einem Moment vom selben Menschen ausgestrahlt - habe ich mit Worten verflochten.

Ich möchte unter dem Thema "Neulich, neben der Spur" solche aus dem Rahmen fallenden Alltagseindrücke in einem eigenen Tagebuch sammeln.

Schön, dass Du nach den Hintergründen fragst. Ich habe es gern erklärt.

Liebe Grüße

Elke
 
N

no-name

Gast
Liebe Elke/ENachtigall,

danke für die "Hintergrunderklärung".
Sie passt dermaßen gut zu dem Bild - einer surreal-wirkenden Schwarz-Weiß-Szene, in der sich jede Bewegung der Personen in Zeitlupe abgespielt hat - ,die ich vor meinem inneren Auge hatte, als ich deinen Text las, dass es mir ein wenig Angst macht...

Ich bleibe dabei: Ein seltsamer, aber toller Text!

Lächelnde Grüße von no-name.
 

ENachtigall

Mitglied
Schweigendes Bandoneon

Die Stille
der Sehnsucht
ist uns immer
nur den Flügelschlag
einer Libelle
weit voraus
 
Hallo Elke,

einen schönen guten morgen!!
erst mal war ich völlig erstaunt ob des sehr kurzen textes und dann hatte ich riesige probleme heraus zu bekommen was der text mir nun zusagen hat. nun kam ich zu der vermutung das da jemand völlig" nebender spur ist. aber bevor ich schrieb wuselte ichmich vorsichtshalber durch die schon bestehenden koms. no hat es schon angedeutet, man möchte den text unbedingt verstehen... und deine antwort-erklärung macht für mich das ganze klar und lustvoll. ich muß lachen. für leute ohne deine erklärung wäre eine erklärender zusatz wahrscheinlich etwas leichter deine intension nachzuvollziehen.
ganz lieben gruß ( seit langem mal wieder)
heike
 
N

no-name

Gast
Ja genau, Heike... Elke hat eine ganz eigene sehr lyrische Art zu schreiben, die ich ungeheuer faszinierend, oft aber auch sehr schwer zu verstehen finde.

Liebe Grüße an euch beide von

no-name.
 

ENachtigall

Mitglied
neben der Spur

Hallo Heike,

danke für das Lesen und Deinen Kommentar. Du hast natürlich Recht mit dem Titel: da ist einiges neben der Spur, nur läßt sich nicht immer klar erkennen, bei wem gerade .... Soll aber auch nicht. Mir selbst sind diese "Abwege" nicht so unsympathisch wie der Ruf, der sie begleitet. Ich habe ein offenes Ohr, Auge und Herz für diverse Randerscheinungen, solange sie nicht bedrohlich sind.

Der kurze Text, der als wörtliche Karrikatur verstanden werden kann, soll nur den Verblüffungseffekt weiterreichen an den Leser. Das scheint zumindest bei Dir und no-name gut geklappt zu haben.

Ansonsten sollte das Bild für sich stehen und bedacht (oder auch nicht) werden können, unabhängig von der Entstehungsgeschichte.

"Wie habt ihr euch kennengelernt?" ist aber trotz alledem eine spannende Frage an den Schreiberling und seine Affinität zum Thema.

Ganz herzliche Grüße aus Dortmund!

Elke
 
N

no-name

Gast
Was soll denn das jetzt bitte heißen, Otto ?!
Was bitte ist denn an der Rubrik Tagebuch "schlechter" als an anderen Rubriken ??
Ich hoffe doch mal, dass deine Äußerung keine "Wertung" enthalten soll, denn so verstehe ich diese leider.

Verwirrte Grüße von no-name.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
liebe no-name,

war nicht böse gemeint. ich schreibe doch fast ausschließlich im tagebuch. leider lesen hier nicht so viele menschenkinder wie z. b. in der rubrik lyrik.
aus diesem grund hätte ich dieses gedacht gerne dort gelesen. die resonanz dort ist eine andere.

alles liebe dir otto
 
N

no-name

Gast
Lieber Otto,

ich habe mir schon gedacht, dass du deinen Einwand nicht böse gemeint hast. ;-)

Mir persönlich liegt die Leselupenrubrik Tagebuch besonders am Herzen, zum einen, weil man in ihr sehr oft sehr persönliche und emotionale Texte lesen kann und zum anderen natürlich auch, weil ich selbst dort hin und wieder einen Text einstelle. ;-)

Interessant, dass du, Otto, den Eindruck hast, in in dieser Rubrik würden weniger Lupianer lesen. Ich habe das bisher nicht so wirklich feststellen können, will das aber auch nicht ausschließen. Sollte dein Eindruck der Realität entsprechen, würde ich dies als sehr schade empfinden, denn in der Rubrik Tagebuch stehen nach meinem Empfinden wirklich eine Menge sehr guter, lesenswerter Texte.
So, dass musste ich einfach mal loswerden!

Liebe Grüße zurück von no-name.
 

ENachtigall

Mitglied
Raumzeitwirbel


En passant sehe ich negative Nachbilder positiv. Wahrscheinlich sitze ich deshalb gern gegen die Fahrtrichtung. Die laszive Schönheit der Landschaft weht umso entspannter am Sehnerv vorbei. Bequemer lässt es sich nicht versinken - in der Vorstellung, das Durchquerte läge, so gesehen, noch vor einem; ohnehin stürzt das optisch Fliehende beim nächst besten Anblick einer weißen Fläche auf die vermeintlichen Betrachterqualitäten zurück.

Neben mir: eine Dame, die ihre Hutschachtel auf den Knien umfasst, als hielte sie ihr Schoßhündchen. Der Zug stoppt. Energisch nimmt sie ihre eigentümliche Bedeckung vom Kopf. Sie bittet mich, diese kurz zu halten. Wie ungeniert sie ihr schütteres Haar entblößt. Verlegen schaue ich ein paar Mal zwischen Boden und dem fusseligen Pillbox-Hut hin und her. Inzwischen angelt sie eine Perücke aus der Schachtel; streift sich lässig die wüstenfarbene Mähne über. „Aschenputtel goes Hollywood, “ titelt mein Großhirn kleinbürgerlich. Es ist ungezogen und rächt sich für mein Schamgefühl. Den kleinen Schwarzen nimmt sie mir dankend ab; hebt ihn vorsichtig ins Behältnis, das sie behutsam verschließt. „Keine Ursache.“

Unabgesprochen synchron erheben wir uns, die Sitzrichtung zu wechseln. Ich möchte wieder versinken. Führe der Zug nur endlich weiter. Er tut es. Ich nicht. Ich lache.

Weichenstellerin sei sie gewesen. „Gar nicht so leicht, den Passagieren die richtigen Züge ins Gesicht zu leiten.“ Ein Gegenzug donnert mit Minimalabstand am Fenster vorbei. Einmal habe ihr Chagall mit einem Pinselstrich die perfekte Linie unters Auge gezeichnet; als Mittel gegen das russische Heimweh. Ich nicke mitfühlend. “Wirkt es?“ Akzentuiert schnäuzt sie sich in ein Taschentuch. Großkariert. Der Zug bremst lautstark. Eine kleine Gruppe von Kühen sieht unerschrocken aber skeptisch auf vom frischen Grün.

„Sehen Sie doch selbst.“ Sie lupft den Deckel der Hutschachtel. Verschwörerisch zwinkernd gestattet sie mir einen flüchtigen Blick. Innen schmiegt sich ein Bergmassiv aus schwarzem Filz in das samtene Moosgrün einer quasikaukasischen Landschaft. Deren Hänge: von üppigen Stickereien berankt. Am Fuße des Pillbox hockt, wie durchsichtig, getarnt, verharrend ein Chamäleon.

Fast verschlucke ich mich an peripherer Sprachlosigkeit. „Schade, dass ich hier aussteigen muss.“ Wo will ich eigentlich hin?
 

ENachtigall

Mitglied
überraschung

zu weihnachten
kam ein päckchen
mit einem brief darin
und deinen händen
ich möge sie reparieren
sie seien ganz taub
vom praktizieren
dazu ein kästchen
voll dunkelheit
 

ENachtigall

Mitglied
Schätzungsweise


Ein Gutachter kam ins Haus.

Er durchlief systematisch die Zimmer. Machte sich Notizen. Fragte nach undichten Stellen. Im Keller leuchtete er mit der Taschenlampe die Nasenlöcher aus. Klopfte mit dem Zeigefingerknochen an die Kniekehlen. Probierte den Kaffee. Sein rechtes Auge schätzte die Entzugserscheinungen des linken ab, dessen dimensionale Emotionsperspektive verrückt war.

Das verheißt ein konsensorientiertes Angebot.
 

ENachtigall

Mitglied
Unterwegs nach Übermorgen

Heute häute ich Hände
die gestern nach Sternen griffen
auf denen der Mondmond morgen Kälber säugt
 

ENachtigall

Mitglied
Danke Heike,

manchmal haut mich meine Fantasie selbst ko. Was da vielleicht manchmal "intelligent wirkt" kann allenfalls meine gelegentlich durchblitzende Idee von der lyrischen Logik sein. Der letzte Beitrag ist eher experimentell.

Dir alles Gute und viele Grüße

Elke
 



 
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