Neumond
»Beginne Aufzeichnung«, wies Yasmine Wilson ihr Memopad an, welches neben ihr lag, während sie sich in den Raumanzug zwängte. Ein Klicken signalisierte, dass der Verschluss verriegelt war.
»Basis Neumond, 27ster April 2061, 11:23 Uhr. McLeod rief mich gerade an, ich solle mir eine Grabungsstelle ansehen.«
Sie setzte den Helm auf, ergriff das Pad und stieg aus der Umkleide. Nur wenige Schritte entfernt befand sich die Transportkabine, die sie einige Kilometer weiter in den Bergbaukomplex der Kolonie bringen sollte.
Während der Fahrt schloss sie den Helm, prüfte den Druck und blickte auf das blau leuchtende Display ihres Pads: »Eine der Maschinen ist im neuen Tunnel auf eine Art Wand gestoßen.«
Wenige Minuten später stieg sie aus und verließ den mit den neuen Gravoplatten ausgelegten Bereich. Ein sonderbares Gefühl, von einem Schritt zum anderen auf ein Sechstel seines Gewichts reduziert zu werden. Als würde man in Götterspeise treten, das jedenfalls war ihr erster Gedanke.
Sie griff einen der Gewichtsgürtel, der direkt neben der Tür hing, und ging weiter. Der Tunnel tief unter der Mondoberfläche war hier bereits mit einer reißfesten Planenröhre abgesichert und durch Metallringe gestützt. Wilson bog um eine Sammelmaschine, ein sechsrädriges Ungetüm zwischen einem Bohrer und einer Raupe. Die Spitze, die sich direkt in das Mondgestein bohrte und das Gestein aufnahm, war vollkommen zerstört. Zwei der Arbeiter waren gerade dabei, an dem Gefährt zu retten, was noch zu retten ist.
»Mac?«, rief sie McLeod zu, der im Tunnel stand und mürrisch von seinem Memopad aufblickte. Er nickte knapp und deutete auf eine Metallplatte: »Das ist es.« Er grunzte und überschlug erneut eine Rechnung in seinem kleinen Computer.
Wilson blickte auf die silbrig-graue Platte und näherte sich dem Fund.
»Wenn ich das Teil mitverarbeiten darf, erfülle ich meine Quote um fünfhundert Prozent. Das bringt die Kosten für unseren ›Wurm‹ wieder rein.« Er deutete mit seinem bärtigen Kinn auf die Maschine am Tunnelende.
»Erst müssen wir wissen, was das ist. Auch wenn es nur Weltraumschrott ist, irgendwem wird es gehören. Wie wurde es entdeckt?«
McLeod seufzte: »Die Scanner stießen auf eine ungewöhnlich hohe Konzentration an Metallen. Als der Wurm sich hier durchfraß, gab’s nen mächtigen Knall.«
»Haben Sie die Erde schon informiert?«
»Noch nicht«, brummte er.
»Gut«, sagte sie. »Ich übernehme das, solange bleibt das unter uns.«
McLeod grummelte bei dem Gedanken, trotz der Unabhängigkeit über jede Kleinigkeit der Erde wieder Rede und Antwort stehen zu müssen.
Es war wie vor siebzehn Jahren. Damals, 2043, beschlossen die vier größten Nationen der Erde, ein seit Jahrzehnten geplantes Projekt zu realisieren. Unter der Führung der EU, einem jungen aber starken Land, welches einige Jahre zuvor noch aus etlichen kleineren Staaten bestand, gründeten Russland, China und die USA zusammen mit dem neuen Weltmarktführer das Projekt »Neumond«. Die erste Kolonie auf dem Erdtrabanten, welche mit neuester Technologie ausgestattet war, um das dauerhafte Leben auf dem Himmelskörper zu ermöglichen.
Nur zwei Jahre nach dem ersten Shuttlestart war auf der Linie zur Rückseite des Mondes eine sich innerlich drehende Wohnkuppel für mehr als vierzig Menschen errichtet worden, welche so einen künstlichen Tag-und-Nacht-Wechsel erzeugte und sogar Zivilisten anlockte, die auf dem Mond ihre neue Heimat fanden.
Als Zweites wurde auf dem Mond eine Art kleiner Weltraumbahnhof errichtet, der bis zu vier Shuttles gleichzeitig andocken lassen konnte. Vorzugsweise natürlich für jeden Investor eines.
Der Andockschleuse folgte eine Solaranlage sowie eine Signalstation, doch der eigentliche Zweck dieser Kolonie war der wirtschaftliche Nutzen des Bergbaus.
Und damit fingen die Probleme an; Rechenschaft waren die Kolonisten nur der Kommission unter der Führung der EU schuldig, doch heute übernahm diese Position die Regierung der USA.
Vor sieben Jahren wurde auf der Kolonie ein einzigartiges Gesetz erlassen: Alle Kolonisten und Besucher haben für den Aufenthalt auf dem Mond keine Nationalität. Als im Jahr 2053 der Krieg zwischen Russland und China begann und damit die Vereinten Nationen sich nach weniger als zwanzig Jahren gemeinsamer Arbeit wieder auflösten, erhob jeder Teilhaber seinen vollen Anspruch auf ›Neumond‹.
Doch die Kolonie entschied völlig eigensinnig: Geschlossen legten die Bewohner ihre Nationalitäten ab, und unter dem Motto ›Wir sind Menschen‹ setzten sie die Arbeit fort.
Es waren Russland und China, welche ungewöhnlich schnell der Forderung nach Unabhängigkeit stattgaben, was damit zu tun haben mochte, dass beide Staaten gerade sehr viel dringlichere Probleme hatten und die Rohstoffe benötigten. Auch hatte die EU kurz darauf akzeptiert, nur die USA weigerten sich bis heute. Statt dessen errichteten sie hier eine Botschaft, die wie die Priester auf alten Segelschiffen alles akribisch beobachteten.
»Graben wir es aus«, beschloss Wilson, während sie Notizen in ihr Memopad eingab.
Während Arbeitskräfte aus anderen Bereichen hinzugezogen wurden und jede andere Arbeit auf der Kolonie eingestellt wurde, erwies sich die Metallplatte als sehr viel größer, als die Scan-Ergebnisse es vermuten ließen. Wilson hatte keine Sekunde verschwendet und bereits ihre Vorgesetzen auf der Erde detailliert über den Fund informiert.
In Windeseile wurde auf der Erde ein Shuttle vorbereitet und mit dem Nötigsten Richtung Mond gestartet. Dank der Neuentwicklung des Nervaantriebs, eines kernkraftgespeisten einstufigen Schubantriebs, bestehend aus einem einfachen Reaktor, der Wasserstoff auf dreitausend Grad erhitzt und diesen ausstößt, war es günstiger und effektiver ins Weltall vorzudringen. Ein neuartiger elektronischer Strahlungsschild um die Maschinenkammer, eine stärkere Miniaturversion des Schildes, der ›Neumond‹ vor der Sonne schütze, machte dem Strahlungsproblem aus der Vergangenheit ein Ende. Hatte ein Shuttle den freien Raum erst erreicht, schalteten die Piloten auf den sehr viel leistungsfähigeren Plasmaantrieb um und konnten so in nur wenigen Stunden den Mond erreichen.
Diese Technologie ermöglichte einen regen Verkehr zwischen Mond und Erde – und auch dem Mars, der seit einigen wenigen Jahren den Grundbau einer orbitalen Wissenschaftsstation erhalten hatte.
An Board dieses Shuttles befanden sich der Pilot Colonel Mark Dutton und sein Kopilot Catherine »Cat« Meanville.
Die Fracht bestand einzig aus zwei unabhängigen Wissenschaftlern der EU, genauer gesagt Archäologen, die im Auftrag der US-Regierung ein unabhängiges Urteil zum Fund für die Weltöffentlichkeit erstellen durften.
»Meine Herren, ich bitte Sie, sich zurückzulehnen, wir befinden uns nun im offenen Raum, behalten Sie Ihr Essen bei sich und bleiben Sie bitte angeschnallt«, zog Mark Duttons Stimme durch die Helme seiner Passagiere.
»Kurs 248,4 zu 012,5 zu 314,6, Entfernung 386.645 Kilometer, Beschleunigung zwei g, Cap!« meldete sein Co-Pilot Cat Meanville.
»Cap?« fragte William Grant, der Geologe des Teams.
Dutton drehte sich zu ihm und machte eine Geste der Vorstellung: »Wir sind jetzt ein unabhängiges Schiff, ich bin der Captain und diese junge Schönheit hier mein erster Offizier«
»Aye,« kicherte Grant und Dutton zwinkerte ihm anerkennend zu.
»Umschalten auf Langstreckenantrieb in zwei Minuten«, gab Cat zu Protokoll und überwachte die Geschwindigkeit: »Geschwindigkeit bei zwölf Kps, steigend.«
»Verstanden. Kerntemperatur bei 2937, stabil«, beantwortete Mark Dutton die Meldung, ebenfalls fürs Protokoll. und beobachtete sein Computerdesk.
»2900? Jetzt schon?« rief Dr. Nicolas Steel.
Duttons Finger glitten über die Schmutz abweisende Glasscheibe, in welcher eine simulierte Animation neben den echten Daten des Fluges abgebildet wurde.
»Ein Kaltstart wäre nicht empfehlenswert«, grinste er nach hinten, doch sein Blick fiel auf seinen Kopiloten: »Ganz schön nervös, die beiden.«
»Ich bin nicht zum Fliegen gemacht!«, stieß Steel hervor.
»Ja, Maulwürfe lieben es, in der Dunkelheit und im Dreck zu wühlen!«, kicherte Cat, ohne ihre Augen von ihren Displays zu heben.
»Geschwindigkeit bei 17,8 Kps, Korrektur um vier Grad«, meldete sie und Dutton bestätigte mit einem Nicken.
»Korrektur?«, fragte Grant erneut.
»Lassen Sie die beiden machen, je weniger wir stören, um so eher kommen wir an!«, beschwichtigte ihn Dr. Steel. Der Archäologe war bereits fünfundsechzig Jahre alt und lebte schon in den Zeiten, als Shuttles Trägerraketen nutzten und monatelange Vorbereitungen brauchten.
»Keine Sorge, Dr. Steel«, erklärte Cat: »Diese Dinger sind statistisch gesehen sicherer als Flugzeuge.«
Ein leises Piepen ertönte und zählte die Sekunden, bis zur automatischen Umschaltung.
»Ich wollte mich informieren«, rechtfertigte sich Grant.
Meanville drehte ihren Kopf zu der hinteren Sitzreihe: »Wir haben die Korrektur vorgenommen, weil wir den Mond sonst verpasst hätten, Dr. Grant!«
Grant sah sie einen Augenblick an und nickte.
»Ich wollte sie nur informieren, keineswegs beruhigen.«
Der Piepton verklang.
»Plasmaantrieb aktiviert«, bestätigte Colonel Dutton.
William Grant hielt den Atem an, doch der Reaktion seines eigenen Körpers auf den Druck, den er erwartete, als das Triebwerk zündete, blieb aus. Die Anspannung dagegen hielt an und in seinem Kopf drehten sich die Gedanken um Wahnsinn und Angst.
»17:23 Uhr. Es ist ein Gebäude! Die Maschine ist gegen ein Gebäude gestoßen!« Wilson stand vor einer Tür und strich mit ihren behandschuhten Fingern über die Oberfläche. Während sie mit der anderen ihr Memopad festhielt und weitersprach: »Es wurden fast sechs Meter Wand freigelegt, als wir diese tunnelförmige Röhre mit einer Tür entdeckten.«
»Wilson?«, rief eine Stimme hinter ihr. »Die Amis kommen!«
McLeod erreichte sie und erklärte, dass sich die US-Regierung gemeldet hatte und ein unabhängiges Archäologenteam den Mond besuchen würde.
»Sie befinden sich bereits im Landeanflug.«
»Das ging schnell. Wieso erfahren Sie vor mir davon?«
»Dutton hat mich auf einem privaten Kanal angefunkt. Er möchte sie überraschen.« Mac lachte unterdrückend auf.
Als sein Gegenüber erfuhr, wer das Shuttle steuerte, musste sie unwillkürlich die Augen verdrehen. Colonel Mark Dutton war vielleicht ein Pionier in Sachen Raumfahrt, immerhin flog er die erste Route zum Mars, aber er war und blieb ein aufdringlicher Grünschnabel in Sachen Frauen – und Wilson war sein Opfer. Wehrlos war sie keinesfalls, aber es erwies sich als schwieriger, Dutton loszuwerden, als eine Schar Mücken.
»Tun Sie mir einen Gefallen, und halten Sie ihn mir vom Hals«, forderte Wilson und wandte sich einem der Arbeiter zu, ihm eine sinnlose Anweisung zu geben.
McLeod grunzte und verließ die Bergungsstelle.
Die Passagiere des Shuttles torkelten eher durch die Schleuse, als dass sie gingen.
Ein Pfeifen und eine grüne Lampe begrüßte sie auf der Mondkolonie, dessen Name in großen Buchstaben über der Tür in der Luftschleuse vor Jahren aufgemalt worden war.
Mit einem kräftigen frischen Luftzug öffnete sich die Schleusentür. Ein stämmiger Mann mit einem Hang zum Übergewicht und einem gepflegten Vollbart stand ihnen gegenüber: »Willkommen in der Wüste. Ich bin Finn McLeod, Vorarbeiter, Kindermädchen und Ihr Gastgeber.«
Dutton trat hervor und schüttete ihm die Hand. »Danke, bitten, an Bord kommen zu dürfen.«
»Gewährt. Schön, dich wiederzusehen«, lachte McLeod und blickte Cat an. »Na, holla, schöne Frau.« Er deutete eine Verbeugung an.
»Sehr erfreut, Mr. McLeod«, sagte sie höflich »Dies ist unsere Fracht, Dr. Grant und Dr. Steel.«
»Können wir gleich anfangen?«, fragte der jüngere der beiden Männer.
McLeod schaute seinen Begleiter an, welcher diesen Wunsch teilte. »Sicher.« Er drehte sich um und schritt auf eine Tür wenige Meter hinter ihm zu, welche sofort aufglitt.
Das Team betrat die kleine Kabine, in der McLeod auf sie wartete.
Dieser drückte einen Knopf am Wanddisplay, welches die Tür verriegelte und das Röhrengefährt aktivierte.
»Was wissen Sie bereits?«, wollte Grant wissen.
McLeod lachte. »Nur, dass wir die Maschinen ruhen lassen sollten, bis Sie sich den Mist angesehen haben.«
Steel sah McLeod an. »Wie können Sie da von Mist sprechen? Sie haben auf dem Mond eine archäologische Entdeckung gemacht. Ein Beweis für außerirdisches Leben!«
McLeod grunzte: »Ach, vor hundert Jahren wurden Leute, die so was behauptet haben, ausgelacht. Fünfzig Jahre später haben Wissenschaftler versucht, zu erklären, Leben sei hier draußen unmöglich, während andere das Gegenteil erzählten. Irgendwann hatte man sich damit abgefunden, es eines Tages schon zu erfahren.«
Steel nickte schweigend.
»Ich habe hier jedenfalls noch kein Raumschiff vorbeifliegen sehen. Ich habe auch keine Zeit, danach zu suchen.«
»Und Ihre Signalstation?«, fragte er.
McLeod grinste ihn an. »Der ruhigste Job hier, keiner führt ihn ernsthaft aus.«
Die Kabine stoppte.
»Noch ein paar Meter und halten Sie Ihren Magen fest. Die Gravoplatten wurde hier noch nicht verlegt.«
McLeod reichte den Wissenschaftlern jeweils einen Gewichtsgürtel. »Damit Sie sich nicht den Kopf stoßen, wenn Sie gleich vor Freude Luftsprünge machen«, meinte er mit einem Augenzwinkern.
Der provisorisch wirkende Tunnel aus Plane und Metallringen ließ Grant einen Schauer über den Rücken laufen. Unsicher beäugte er die Konstruktionen. »Und das soll halten?«
McLeod ging leichten Schrittes voran und zuckte dabei mit den Schultern und leuchtete auf einen der Metallringe. »Die Idee stammt von Barnet. Sie ist günstig, schnell aufgebaut und absolut sicher. Alles, was mein Ingenieur baut, ist sicher und funktioniert hundertprozentig.«
McLeod bog um den beschädigten ›Wurm‹, der noch immer an dem allerdings stehenden Förderband angeschlossen war, das Gesteinsbrocken in die zwei Kilometer entfernte Sortieranlage brachte. Dort wurde das Gestein ausgesiebt, das Erz erhitzt und das Metall gewonnen. Am meisten wurden Eisen, Aluminium und Silizium gefördert, doch hatte sich dieses Bergwerk auf Titan konzentriert, auch wenn nur zwei Prozent des Mondmantels aus diesem wertvollen Gut bestanden.
Jeden Monat ging ein automatischer Kanister mit reinstem Titan, Silizium, Kalzium und anderen seltenen Mineralien zur Erde. Die Güter wurden an die Länder nach den Prozenten aufgeteilt, mit denen sie sich am Bau der Station beteiligten. Mit jedem neuen Mitbewerber wurde die Menge für den Einzelnen unwesentlich geringer, doch die Station größer und der Ertrag natürlich ebenso. Die neuesten Maschinen, Module und die neuen Gravoplatten, die eine erdähnliche Schwerkraft innerhalb der Basis erzeugten, kamen aus Japan, Indien und Australien.
Doch die Arbeit war trotz modernster Maschinen und Robotertechnik kein Zuckerschlecken. Bis zu zehn Stunden verbrachten die Maschinisten an oder in ihren Maschinen, die sich durch den Mond gruben, um die Erze in der Raffinerie zu verarbeiten.
Eisen und Aluminium wurden zum größten Teil direkt hier verarbeitet und dazu genutzt, die Basis auszubauen, je nachdem, wie die Teilhaber dies forderten. So hatten die USA beispielsweise die ersten Jahre darauf verzichtet, dass ihr abgebautes Material zur Erde geschafft wurde, und stattdessen die Basis ausbauen lassen. Und heute besaß dieses Land sechsunddreißig Prozent der Gebäude der Kolonie – von anfangs dreißig Prozent Somit standen ihnen auch sechsunddreißig Prozent der abgebauten Mineralien zu. Ein Gremium der EU hatte diese Vertragslücke in einem Eilverfahren unterbunden, nichtsdestotrotz erhielten die USA weiterhin sechsunddreißig Prozent aller Waren und sechsunddreißig Prozent Mitspracherecht – mit einem Botschafter direkt vor Ort. Während China, Russland und die EU nur noch jeweils sechzehn, Australien und Indien, die später an der Kolonie mitbauten, nur jeweils acht Prozent erhielten. Aufgrund der Anerkennung der Unabhängigkeit hatte somit nur noch eine einzige Nation auf Neumond etwas zu sagen.
Und während sich Russland und China ihre Ressourcen gegenseitig um die Ohren schlugen, standen die USA untätig dabei und beobachteten, wie sich ihre ehemaligen Gegner gegenseitig bombardierten. Einzig die EU wagte unerlässliche Friedensgespräche. Die US-Regierung sah missbilligend hinüber und agierte in ihrer eigenen Sprache: keinerlei Handelsbeziehung mit diesem Land. Doch wen kümmerte schon, wenn eine Nation, kaum mächtiger als ihre Nachbarn, dem Weltmarktführer den Handel untersagt. Und doch finanzierte die NASA dieses Shuttle und seine Piloten und das offizielle Archäologenteam.
McLeod deutet auf eine grob freigelegte in das Felsgestein führende röhrenartige Metallkonstruktion, an deren Ende sich eine Art Tür befand. »Das ist es!«
»Nunja …«, suchte Grant nach Worten.
»Was haben Sie erwartet? Pyramiden?«, meinte McLeod.
»Sind Sie die Wissenschaftler?« Eine junge Frau in einem weißen Raumanzug schritt auf sie zu. An ihrer Schulter prangte die Flagge der USA. Sie war die einzige Person in der Kolonie, die eine solche Kennung trug.
»Ja, ich bin Dr. Grant, und dies ist mein Kollege, Dr. Nicolas Steel.«
Der ältere Mann nickte ihr zu, schritt an die Tür heran und strich mit beiden Händen an ihr herab. »Nun ja … Es wäre schon arg merkwürdig, hier etwas aus Stein zu finden.«
Grant blickte auf sein Memopad, welches er aus seiner Tasche zog. »Ja, das war ein kurzer Einsatz.«
Wilson seufzte entschuldigend. »Es ist doch klar, dass jemand, der auf den Mond landen kann, keine Gebäude aus Stein errichtet. Aber Sie sind ja auch nicht da, um Steine zu vermessen!«
»Ich bin Geologe. Das scheint ein altes Raumschiff zu sein. Was soll ich hier?«
»Und Sie sind Chemiker. Also können sie das Material doch bestimmen?«, meinte Steel.
Dr. Grant näherte sich dem Metall, nahm einen Stab von seinem Memopad und hielt diesen an das Metall. »Zum großen Teil aus Eisen, Aluminium … von der Strahlungs- und Verfallsrate kann ich sagen, dass es schon lange hier ist!«
McLeod lachte laut auf.
»Was?«, fuhr Grant ihn an.
»Jungchen, das, was dir dein Spielzeug gerade gesagt hat, haben mir heute Morgen meine Augen schon gesagt.«
Wilson lachte leise und wandte sich an den bulligen Mann. »Sagen Sie Dutton bitte, dass deren Ausrüstungsgegenstände hier unten gebraucht werden, er soll sie den Arbeitern übergeben.«
»Und sichern Sie diesen Bereich!«, wies Grant an, und deutete mit den Fingern auf den umliegenden Bereich der Planenröhre.
»Ich will hier eine Schleuse und unsere Helme. Wenn sich dahinter ein Vakuum befindet, das vielleicht in einen offenen Krater führt, haben Sie hier umsonst siebzehn Jahre gearbeitet!«
McLeod nickte zustimmend: »Ich werde sofort dafür sorgen!«
Er blickte Wilson grimmig an. Diese Sicherheitsvorkehrung war ihr nicht in den Sinn gekommen. Hätte sie einen Vorschlaghammer gehabt, wäre sie wahrscheinlich gerade dabei, die Tür einzuschlagen oder würde jemandem sagen, er solle dies tun.
Nur eine Stunde später befand sich eine aus Aluminiumplatten errichtete Schleuse vor der Metalltür. Einige Arbeiter und der stellvertretende Kolonieleiter David Slater hatten derweilen die Ausrüstungsgegenstände gebracht und standen nun interessiert hinter dem Team, während Grant eine Metallprobe chemisch untersucht hatte. Nach seinen Erkenntnissen war die Tür, welche sich als eine durch Magnetkraft gehaltene Schiebetür entpuppte, über sechzigtausend Jahre alt. Ingenieur Adam Barnet, der hinzugezogen wurde, schraubte an einem Generator herum, um mit einem improvisierten Elektromagneten der Tür entgegen zu kommen.
Mit einem lauten Quietschen hob sich die Tür und offenbarte reine Dunkelheit. Staub und Sand rieselten aus den nicht ganz gereinigten Ritzen, als sie in die Ruhestellung kam.
Wilsons Herz raste vor Aufregung und langsam hob sie ihr Memopad an. »22:10 Uhr. Grants erste Messergebnisse datieren das Gebäude auf über sechzigtausend Jahre. Wir bereiten uns auf die Untersuchung des Inneren vor.«
»Fertig?«, fragte Steel und prüfte seinen Raumanzug.
Wilson nickte, aktivierte ihre LED-Strahler und ging voran in die Dunkelheit.
Der gut zwei Meter lange Gang wurde nach oben schmaler und schien nach Einschätzung des Teams eine Art Schleuse zu sein.
Steel strich mit seiner Handfläche über die Wand und zeigte sie seinen Kollegen: »Rost?«
Grant nahm eine Messung des Raumes vor und sah ihn verblüfft an. »Fünfundzwanzig Prozent Sauerstoff, fünfundsiebzig Prozent Stickstoff.«
»Sind Sie sicher? Das ist doch unmöglich!«, stieß Steel hervor.
»Erdatmosphäre?«, fragte Barnet, und Grant nickte: »Fast … jedenfalls wie vor achtzigtausend Jahren.«
Am Ende befand sich eine identische Tür zur ersten, nur mit einem Unterschied: ein Schalter befand sich neben dem Rahmen über einer schwarzen glänzenden Fläche. Wilson berührte ihn, doch nichts geschah.
»Wenn das ein Türöffner ist, so ist er jedenfalls nicht mehr funktionstüchtig.«
Barnet blickte zurück: »Wenn wir die erste Tür gut abstützen, sollte es ein Einfaches sein, diese ebenfalls zu öffnen.«
Zwei Stahlpfeiler wurden kurzerhand mit Hilfe einer der Bergbaumaschinen in die Tür gestellt und Barnet aktivierte den Generator, um die zweite Tür zu öffnen.
Mit Spannung drängte sich Steel vor, um als Erster seine Messgeräte in das Unbekannte zu halten.
Aufgeregt setzte er einen Schritt vor den anderen. »Mein Gott!«, staunte er und befand sich in einem fast dreißig Quadratmeter großen Raum, der zur Decke hin ebenfalls schmaler wurde und in deren Zentrum eine Art Maschine herausragte.
In die Wände waren tischähnliche Konsolen eingesetzt worden. Staub, Rost und Schmutz hatten sich überall niedergelegt. In den Einbuchtungen waren ebenso schwarze Flächen wie an der Wand neben der Tür. Wilson, die nun ebenfalls den Raum betreten hatte, näherte sich einem der Tische und strich über die Oberfläche, wobei einige metallische Tasten zum Vorschein kamen.
»Das sieht mir nach einer Computerzentrale aus.«
»Holen Sie Ihre Kamera«, wies Steel seinen Kollegen an.
Grant packte die Kamera aus und zitterte vor Aufregung, als er sie langsam durch den Raum schwang. »Das habe ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt.«
Ehrfürchtig drehte er sich herum und filmte den ansonsten leeren Raum. Im hinteren Bereich befand sich eine Öffnung, welche noch im Dunkeln lag. »Haben Sie ein paar Bauscheinwerfer?«, wollte er von Barnet wissen.
Dieser nickte. »Ich lasse sie sofort herbringen!«
»Sehen Sie!«, rief Wilson, die einmal herumgegangen war und in eine der Ecken leuchtete.
Grant schwenkte die Kamera herum, und das Objektiv stellte sich auf das verwackelte Licht nur langsam ein. Als es zur Ruhe kam, machte es eine scharfe Aufnahme eines am Boden liegenden Körpers. Eine kleine graue Gestalt lag regungslos in der Ecke.
Der Wissenschaftler ging hastig neben ihr in die Hocke: »Wie sieht es aus?«, stieß er hervor und griff nach dem dürren Körper: Ein skelettierter Kopf mit langen weißen Haaren und einem Bart stierte ihn mit leeren Augenhöhlen an. Alte Knochen steckten in einem verstaubten Raumanzug.
»Es ist ein Mensch!«, begriff er und musste sich setzen.
Grant nahm seinen Scanner und schob ihn über den Körper. »Ebenfalls über sechzigtausend Jahre alt.« Sein Blick verriet Verwirrung.
Barnet kam mit den Scheinwerfern zurück und stellte den ersten auf, der zweite Strahler ließ Licht auf einen zweiten Körper fallen, welcher sich in der kleinen Ausbuchtung befand: »Ach, du heilige Scheiße!«
Grant registrierte den Fund und näherte sich ihm: »Nicht ganz, aber ich kann Ihrem Argument folgen.«
Wilson ging zu einem der Terminals und drückte zwei Tasten.
»Warten Sie!«, rief Steel sie an.
»Keine Sorge, funktioniert ja nicht.«
McLeod betrat den Fundort, jedoch ohne einen Raumanzug. Mit aufgerissenen Augen starrte er in den von den Scheinwerfern erhellten Raum. Er strich sich mit der Hand über die Augen, den Mund und seinen Bart. Wortlos schüttete er seinen Kopf.
»Kann ich mit einer der Leichen auf Ihre Krankenstation?«, fragte Dr. Steel ruhig.
Dr. Megan Bruck schob ihre medizinischen Scanner heran. »Unfassbar!«, nuschelte sie.
McLeod und Dr. Steel standen an der anderen Seite des Operationstisches.
»Was?«, fragte der stämmige Mann, der geholfen hatte, den Körper zu überführen..
»Nichts … Einfach nur die Tatsache. Ich öffne nun den Anzug!«, sagte sie.
Mit aller Vorsicht tasteten sie das spröde staubige Material ab.
»Hier, das scheint eine Öffnung zu sein«, meinte Steel, der der Ärztin zur Hand ging, und deutete auf einen Metallring um den Anzug.
»Versuchen wir es. Helfen Sie mal!«, forderte Bruck McLeod auf.
Der stämmige Mann fasste an der einen Seite des Raumanzugs an, die beiden Doktoren an der anderen.
Mit einem Knacken gab das Metall nach und zerbrach in mehrere Teile.
»Verdammt!«, fluchte McLeod.
»Ja, lassen Sie uns weitermachen«, seufzte Bruck und zuckte mit den Schultern.
Unter großer Vorsicht zogen sie dem Leichnam als erstes das Unterteil aus.
»Gute Güte, sie ist perfekt erhalten!«, staunte der Archäologe und hob den Kopf des Körpers an, damit Bruck und McLeod das Oberteil entfernen konnten.
»Das ist ja eklig«, kommentierte McLeod die Untersuchung.
»Sehen Sie. Schriftzeichen auf dem Hemd, haben Sie so was schon mal gesehen?«
»Ja, auf meinem Shirt steht Nike«, brummte der Kolonieverwalter.
»Ich meine die Schriftzeichen, ich kenne alle möglichen Sprachen der Erde, aber das …«, erklärte Dr. Steel.
»Auf dem ersten Blick ist es ein Homo sapiens, aber ich muss eine gründlichere Analyse vornehmen, um dies mit Gewissheit zu sagen«, erklärte Dr. Bruck, und Dr. Steel stimmte ihr stumm zu.
»23:55 Uhr. Dr. Grant ist dabei, Proben zu nehmen. Wenn seine Ergebnisse stimmen, besteht dieses Gebilde aus einer Titan-Messing-Legierung. Ich befinde mich gerade in der Nische gegenüber der Schleusentür. Etwa zwei Meter groß. Es ist eine Toilette auf der einen und eine Art Küche auf der anderen Seite.«
»Fantastisch, oder?«, warf Grant ein.
»Was ist daran fantastisch? Dass diese Leute einen Stoffwechsel hatten?«, grinste sie.
»Himmel noch mal!«, tönte Mark Duttons Stimme durch den Raum.
»Das können Sie laut sagen!«, bestätigte ihn Grant.
»Haben Sie das schon gemeldet?«, fragte er den Archäologen.
»Wir wissen noch gar nicht, was das ist.«
»Ich will Sie ja nicht drängen, aber lautet der Auftrag nicht, sofort Meldung zu machen, wenn …«
»Ich wiederhole mich ungern: Wir wissen noch nichts«, grummelte Grant.
»Es ist ein eine außerirdische Kontrolle oder so.«
»Wir haben zwei menschliche Leichen gefunden.«
»Menschen? Wie …«
Wilson kam aus der Nische und stellte sich zu Grant: »So einer braucht es halt dreimal.«
Dutton hob seine Augenbrauen. »Yaz! Ich hatte dich gesucht.«
»Na, dann geh mich suchen, nur nicht hier.«
Dutton grinste sie an. »Du bist mir doch nicht aus dem Weg gegangen, oder?«
»Selbstverständlich.«
»Würden Sie bitte die Ausgrabungsstelle verlassen? Ich melde mich schon«, forderte Grant.
Dutton hob die Hände, deutete Wilson eine Verbeugung an und drehte sich um.
Anerkennend nickte Wilson Grant zu. »Haben Sie eigentlich eine weitere Tür gefunden?«, fragte sie.
»Nein. Wieso?«
»Es muss doch so was wie Versorgungsräume geben, Sauerstoff und so!«
»Ach so! – Nun, wer auch immer das baute, er hatte sich einen Keller zugelegt.« Er zeigte auf die sechseckige Platte in der Mitte des Bodens. »Barnet besorgt bereits ‘nen Generator.«
Ein zweiter Generator wurde aktiviert und einige drahtumwickelte Eisenstangen unter Strom gesetzt.
»Okay, gehen Sie ‘nen Schritt zurück, nur vorsichtshalber!«, erklärte Barnet.
Kaum aber bewegte sich die Bodenplatte, begann die Maschine darüber, sich zu regen.
Doch sie war keineswegs aktiv, sondern begann, einfach nur zu beben. Staub und Einzelteile rieselten herunter.
»Was zum …«, begann Wilson. Weiter wurden seine Worte nicht gehört, als das metallische Gebilde mit Getöse von der Decke stürzte und in die halb geöffnete Bodentür krachte.
»Heilige Scheiße!«, schrie Barnet, als das Geräusch verklang.
»Soviel zur wissenschaftlichen Vorsorge!«, grummelte Grant und ging vorsichtig einen Schritt an den Klumpen Metall heran.
Barnet beleuchtete das entstandene Loch in der Decke. »Total verrostet. Es wurde wahrscheinlich eine Halterung gelöst, als wir die Tür öffneten«, mutmaßte er. »Es war wohl vorgesehen, dass diese Art ›Lift‹ runterfährt, wenn die Tür aufgeht.« Er deutete auf gebrochene Stufen an der Spitze der brummkreiselförmigen Maschine.
»Hm«, kommentierte Grant die Theorie und strich über die losen Kabel.
»Diese Leitungen waren nicht mit Plastik isoliert«, erkannte er und zerrieb das poröse Material zwischen seinen Fingern.
»Anscheinend haben sie deshalb hier alles aus Metall gebaut, sie kannten es nicht.«
»Schaffen Sie es mit einem der Baugeräte hier rein?«, fragte Grant und leuchtete in die Schleuse.
Barnet folgte dem Blick des Lichtkegels und schüttelte den Kopf: »Nein, absolut nicht, aber ich könnte einen Kran demontieren und hier drin aufbauen!«
»Das können Sie?«
»Na, hören Sie mal? Ohne mich und mein Klebeband läuft hier gar nichts.«
Grant hob belustigt die Hände: »Schon gut, ich habe schon davon gehört«
Dr. Steel sah auf die Digitalaufnahmen des Röntgengerätes. Unbewusst nahm er einen Finger in den Mund und kaute auf dem Knöchel. »Da stimmt was nicht!«, murmelte er mehr zu sich selbst und drehte sich zu der Leiche um, an der Bruck nähere Untersuchungen vornahm. Sie dokumentierte dabei jede Einzelheit, die sie aus dem Körper vor ihr schloss.
»Definitiv ein Mensch!«, sagte sie und wischte sich über die Stirn. »Die Organe, die Haut, alles erhalten und identifizierbar!« Sie blickte Dr. Steel an, der sich dem geöffneten Oberkörper nährte.
Er ergriff eine Zange vom Instrumententisch und setzte sie vorsichtig an dem getrockneten Körper an. »Ja, dies ist wohl die besterhaltenste Mumie, die ich je gesehen habe.« Langsam tastete er mit seinen nur durch einen Gummihandschuh geschützten Fingern der anderen Hand nach der Wirbelsäule: »Mensch … ja, Homo sapiens sapiens … nein.«
Bruck blickte fragend auf den Körper.
»Nun ja, es gibt geringe Abweichungen, aber um sicher zu gehen, müssten wir die andere Mumie auch sehen«, erklärte er, schaute sich den Körperbau weiter unten an und tastete die Beinknochen ab. »Es ist auch kein Homo sapiens idaltu, zu schlank, falsche Schädelform, falsche Wirbelsäule. Es ist eine mir unbekannte Art, wie ich zugeben muss.«
Ein schriller Ton unterbrach die beiden Wissenschaftler. Dr. Bruck zog einen Kommunikator aus ihrer Tasche und steckte ihn sich ans Ohr: »Was gibt’s?« Sie lauschte einen Augenblick, nahm das Gerät ab und überreichte es Steel: »Für Sie, es ist Ihr Kollege.«
Dr. Steel nahm das kleine Gerät entgegen und steckte es sich an: »Ja?« Seine Augen suchten die Ärztin, während er sich den Gummihandschuh auszog. »Ich komme!«, sagte er knapp, nahm das Gerät aus dem Ohr und reichte es Bruck: »Ich geh zurück zur Ausgrabungsstelle.« Seine Augen verrieten resignierten Ärger.
»1:30 Uhr, Fortsetzung der Aufzeichnung. Das Errichten des Krans nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, und Dr. Steel hat die Untersuchungen an einer der Mumien beendet. Sein Bericht befindet sich im Anhang. Er untersucht zur Zeit den Schaden, der durch die Öffnung der Bodenluke entstanden ist. Und ich …«
»Ja!«, stieß eine Stimme aus einer der Konsolen auf.
»Was zur Hölle tun Sie dort?«, rief Steel erschrocken auf, der bis eben intensiv das brummkreiselähnliche Gebilde untersuchte, als er sehen musste, dass ein Mann eins der Terminals geöffnet hatte.
»Das ist Jeff Clark, unser Techniker«, erklärte Wilson und deaktivierte genervt ihre Aufzeichnung.
Der junge Mann hielt Steel einen Kasten entgegen. »Dieses Teil ist eine Art Speicher, es arbeitet mit Minilochkarten aus Metall. Ich denke, man kann die Daten auf diesen Dingern hier auslesen.«
»Sie können das in Betrieb nehmen?«, fragte er mehr ungläubig als fasziniert.
Clark grinste. »Naja, nur auslesen.« Er wendete den Kasten in seinen Händen. »Viel wird hier nicht drauf sein, aber ich habe Dutzende davon gefunden.«
»Können Sie mir eine Kopie der Daten anfertigen?«, fragte Wilson den Techniker.
»Nur in meinem Spielzimmer«, grinste er sie an und verließ die Ausgrabung.
In der Signalstation hatte Clark einige Kabel an die Speicher angebracht, einen Laser und eine von Barnet improvisierte Verbindung zu einem Computerterminal gelegt.
»Okay, fangen wir an!«
Der kleine Kasten begann zu vibrieren. Nach nur wenigen Minuten war das Schauspiel beendet.
»Nun, nicht sehr aufregend.«
»Was ist los?«
»Das war’s wohl, wir haben gut siebzehn Megabyte an Daten erhalten, und der Computer kann nichts Brauchbares daraus erfassen.«
Wilson sah auf die Menge Einsen und Nullen auf dem Monitor: »Sie sagten doch, dass dort mehrere solcher Dinger sind. Könnten Sie alle aus dem Terminal entnehmen, vielleicht ist es ja eine verteilte Datei?«
»Das herauszufinden wird ein Weilchen dauern«, meinte der junge Mann schnippisch und entfernte seine Bastelarbeit von dem Speicherkern.
»3:22 Uhr. In den letzten Stunden waren wir damit beschäftigt, dreiundzwanzig Speicher zu bergen und haben fünfhundertvierundfünfzig Megabyte gewonnen. Die heuristische Analyse hat ergeben, dass es sich größtenteils um Bilder in einem Systembaum handelt. Clark projiziert diese gerade auf den Hauptdesk.«
Clark gab einige Daten ein und ein Computer setzte ein Bild zusammen. »Und da kommt es.« Er deutete auf einen größeren Desk und bestätigte eine letzte Taste an seiner Konsole.
Wie Kinder am Schaufenster des Süßigkeitenladens standen Dr. Steel, Dr. Grant, McLeod, David Slater, Adam Barnet und Yasmeen Wilson schweigend gegenüber der kleinen Glasscheibe, auf der sich langsam ein Bild aufbaute.
Ein abgelichtetes Schriftstück wurde gezeigt. »Dieselben Schriftzeichen. Können Sie mir das ausdrucken?«, bat Dr. Steel.
Clark nickte und betätigte drei Tasten an seinem Terminal.
Wilson überspielte es sofort auf ihr Memopad.
Ein neues Dokument wurde gezeigt. Hinter ihnen wurde auch dies ausgedruckt, doch Wilson ignorierte es, als sie ein Foto sah.
»Das ist die Erde«, staunte Steel.
»Vor über achtzigtausend Jahren«, bestätigte Grant.
»Was ist das dort?« Auf dem Bild war ein schwarzer Fleck über dem heutigen Australien.
»Könnte ein Fehler in der Grafik sein«, mutmaßte Clark und lud ein neues Bild.
Wieder baute es sich langsam auf, es zeigte sieben Raumfahrer, die in die Kamera lächelten.
»Hab nur ich gerade ein Déjà-vu?«, fragte McLeod, der hinter der Gruppe stand und ebenso neugierig wie gefesselt auf die Bilder starrte.
Es folgten weitere Schriftdokumente und ein neues Foto. In alle Gesichter war blankes Entsetzen eingezogen, und die erstaunten Augen der Anwesenden erloschen.
»Das ist eine Atomexplosion«, erkannte Grant, als sich das Bild einer Siedlung mit einer gewaltigen Explosion am Horizont aufbaute.
Das nächste Foto zeigte eine Armee merkwürdiger hoher Fahrzeuge, angetrieben von stark qualmenden Maschinen, die das gesamte Rückteil des Gebildes umfassten.
An der obersten Spitze des Gefährts standen zwei Menschen in rüstungsähnlichen Panzeranzügen.
»Oh, mein Gott.«
Die Erkenntnis traf Grant wie ein Blitz.
»Es ist ein verdammter Krieg!«, erkannte nun auch Clark.
Die nächsten beiden Bilder waren wieder Textdateien, und ein weiteres zeigte erneut die Erde, großteils mit schwarzen Flecken übersät und einem segelflugzeugähnlichen Schiff im Orbit.
»Das ist kein Grafikfehler.« Steel schüttete den Kopf.
»Wir müssen diese Bilder unbedingt zur Erde senden«, schlug Grant vor und sah sich um.
»Wir haben wieder Krieg! Wenn es wieder passiert? Wir befinden uns auf deren Technologiestufe! Was dann? Werden wir Fotos machen, bis unsere Nachfahren in zig Jahren hier herkommen und sie finden?«
»Ja, wir müssen diese Bilder senden. Wilson?«
Doch die US-Botschafterin war verschwunden.
»Kollisionskurs!«, brüllte der Computer auf Mark Dutton ein.
Als er den Kern einschaltete, dachte er an Wilsons letzte Worte: Er wüsste, was er zu tun habe.
Beide waren Patrioten. Doch die Zeiten, in denen die USA sich einen Krieg leisten konnten, waren vorbei. Vor über vierzig Jahren hatte der letzte große Krieg sie ruiniert. Die EU wurde ein Land, China rüstete auf und Russlands Verträge mit der EU waren das Ende ihres Status‘.
Das Paradies war isoliert.
Als die ersten Raketen zwischen Russland und China auf dem Weg waren, hatten sie gejubelt.
Das weiße Haus, die CIA und das Militär. Mehr als fünfzehn Jahre hatten sie an dem Konflikt gesät, und nun trug er Früchte. Das durfte nicht einfach so ein Ende haben.
Alientechnologie, hatten seine Vorgesetzten gehofft. Dutton und Wilson sollten notfalls alle töten und diese Technologie mitbringen. Doch das hier war weitaus gefährlicher als fremde Technologie, dies war eine Mahnung aus der Vergangenheit. Der Beweis, dass es von Anbeginn die Natur des Menschen war, sich gegenseitig zu zerstören.
Aber sollten eines Tages alle Menschen begreifen, was sie seit Jahrtausenden einander antaten, würden sie damit aufhören!
Diese Botschaft durfte niemals die Erde erreichen.
Mit einem grellen Blitz stürzte das Shuttle in die Basis. Der Reaktor brach, und in einem gleißenden Licht ergoss sich die alles verbrennende Energie über die Mondoberfläche.
Dutton nahm vierundzwanzig weitere Menschen mit in den Tod.
Seine Ideale waren mehr wert.
»Beginne Aufzeichnung«, wies Yasmine Wilson ihr Memopad an, welches neben ihr lag, während sie sich in den Raumanzug zwängte. Ein Klicken signalisierte, dass der Verschluss verriegelt war.
»Basis Neumond, 27ster April 2061, 11:23 Uhr. McLeod rief mich gerade an, ich solle mir eine Grabungsstelle ansehen.«
Sie setzte den Helm auf, ergriff das Pad und stieg aus der Umkleide. Nur wenige Schritte entfernt befand sich die Transportkabine, die sie einige Kilometer weiter in den Bergbaukomplex der Kolonie bringen sollte.
Während der Fahrt schloss sie den Helm, prüfte den Druck und blickte auf das blau leuchtende Display ihres Pads: »Eine der Maschinen ist im neuen Tunnel auf eine Art Wand gestoßen.«
Wenige Minuten später stieg sie aus und verließ den mit den neuen Gravoplatten ausgelegten Bereich. Ein sonderbares Gefühl, von einem Schritt zum anderen auf ein Sechstel seines Gewichts reduziert zu werden. Als würde man in Götterspeise treten, das jedenfalls war ihr erster Gedanke.
Sie griff einen der Gewichtsgürtel, der direkt neben der Tür hing, und ging weiter. Der Tunnel tief unter der Mondoberfläche war hier bereits mit einer reißfesten Planenröhre abgesichert und durch Metallringe gestützt. Wilson bog um eine Sammelmaschine, ein sechsrädriges Ungetüm zwischen einem Bohrer und einer Raupe. Die Spitze, die sich direkt in das Mondgestein bohrte und das Gestein aufnahm, war vollkommen zerstört. Zwei der Arbeiter waren gerade dabei, an dem Gefährt zu retten, was noch zu retten ist.
»Mac?«, rief sie McLeod zu, der im Tunnel stand und mürrisch von seinem Memopad aufblickte. Er nickte knapp und deutete auf eine Metallplatte: »Das ist es.« Er grunzte und überschlug erneut eine Rechnung in seinem kleinen Computer.
Wilson blickte auf die silbrig-graue Platte und näherte sich dem Fund.
»Wenn ich das Teil mitverarbeiten darf, erfülle ich meine Quote um fünfhundert Prozent. Das bringt die Kosten für unseren ›Wurm‹ wieder rein.« Er deutete mit seinem bärtigen Kinn auf die Maschine am Tunnelende.
»Erst müssen wir wissen, was das ist. Auch wenn es nur Weltraumschrott ist, irgendwem wird es gehören. Wie wurde es entdeckt?«
McLeod seufzte: »Die Scanner stießen auf eine ungewöhnlich hohe Konzentration an Metallen. Als der Wurm sich hier durchfraß, gab’s nen mächtigen Knall.«
»Haben Sie die Erde schon informiert?«
»Noch nicht«, brummte er.
»Gut«, sagte sie. »Ich übernehme das, solange bleibt das unter uns.«
McLeod grummelte bei dem Gedanken, trotz der Unabhängigkeit über jede Kleinigkeit der Erde wieder Rede und Antwort stehen zu müssen.
Es war wie vor siebzehn Jahren. Damals, 2043, beschlossen die vier größten Nationen der Erde, ein seit Jahrzehnten geplantes Projekt zu realisieren. Unter der Führung der EU, einem jungen aber starken Land, welches einige Jahre zuvor noch aus etlichen kleineren Staaten bestand, gründeten Russland, China und die USA zusammen mit dem neuen Weltmarktführer das Projekt »Neumond«. Die erste Kolonie auf dem Erdtrabanten, welche mit neuester Technologie ausgestattet war, um das dauerhafte Leben auf dem Himmelskörper zu ermöglichen.
Nur zwei Jahre nach dem ersten Shuttlestart war auf der Linie zur Rückseite des Mondes eine sich innerlich drehende Wohnkuppel für mehr als vierzig Menschen errichtet worden, welche so einen künstlichen Tag-und-Nacht-Wechsel erzeugte und sogar Zivilisten anlockte, die auf dem Mond ihre neue Heimat fanden.
Als Zweites wurde auf dem Mond eine Art kleiner Weltraumbahnhof errichtet, der bis zu vier Shuttles gleichzeitig andocken lassen konnte. Vorzugsweise natürlich für jeden Investor eines.
Der Andockschleuse folgte eine Solaranlage sowie eine Signalstation, doch der eigentliche Zweck dieser Kolonie war der wirtschaftliche Nutzen des Bergbaus.
Und damit fingen die Probleme an; Rechenschaft waren die Kolonisten nur der Kommission unter der Führung der EU schuldig, doch heute übernahm diese Position die Regierung der USA.
Vor sieben Jahren wurde auf der Kolonie ein einzigartiges Gesetz erlassen: Alle Kolonisten und Besucher haben für den Aufenthalt auf dem Mond keine Nationalität. Als im Jahr 2053 der Krieg zwischen Russland und China begann und damit die Vereinten Nationen sich nach weniger als zwanzig Jahren gemeinsamer Arbeit wieder auflösten, erhob jeder Teilhaber seinen vollen Anspruch auf ›Neumond‹.
Doch die Kolonie entschied völlig eigensinnig: Geschlossen legten die Bewohner ihre Nationalitäten ab, und unter dem Motto ›Wir sind Menschen‹ setzten sie die Arbeit fort.
Es waren Russland und China, welche ungewöhnlich schnell der Forderung nach Unabhängigkeit stattgaben, was damit zu tun haben mochte, dass beide Staaten gerade sehr viel dringlichere Probleme hatten und die Rohstoffe benötigten. Auch hatte die EU kurz darauf akzeptiert, nur die USA weigerten sich bis heute. Statt dessen errichteten sie hier eine Botschaft, die wie die Priester auf alten Segelschiffen alles akribisch beobachteten.
»Graben wir es aus«, beschloss Wilson, während sie Notizen in ihr Memopad eingab.
Während Arbeitskräfte aus anderen Bereichen hinzugezogen wurden und jede andere Arbeit auf der Kolonie eingestellt wurde, erwies sich die Metallplatte als sehr viel größer, als die Scan-Ergebnisse es vermuten ließen. Wilson hatte keine Sekunde verschwendet und bereits ihre Vorgesetzen auf der Erde detailliert über den Fund informiert.
In Windeseile wurde auf der Erde ein Shuttle vorbereitet und mit dem Nötigsten Richtung Mond gestartet. Dank der Neuentwicklung des Nervaantriebs, eines kernkraftgespeisten einstufigen Schubantriebs, bestehend aus einem einfachen Reaktor, der Wasserstoff auf dreitausend Grad erhitzt und diesen ausstößt, war es günstiger und effektiver ins Weltall vorzudringen. Ein neuartiger elektronischer Strahlungsschild um die Maschinenkammer, eine stärkere Miniaturversion des Schildes, der ›Neumond‹ vor der Sonne schütze, machte dem Strahlungsproblem aus der Vergangenheit ein Ende. Hatte ein Shuttle den freien Raum erst erreicht, schalteten die Piloten auf den sehr viel leistungsfähigeren Plasmaantrieb um und konnten so in nur wenigen Stunden den Mond erreichen.
Diese Technologie ermöglichte einen regen Verkehr zwischen Mond und Erde – und auch dem Mars, der seit einigen wenigen Jahren den Grundbau einer orbitalen Wissenschaftsstation erhalten hatte.
An Board dieses Shuttles befanden sich der Pilot Colonel Mark Dutton und sein Kopilot Catherine »Cat« Meanville.
Die Fracht bestand einzig aus zwei unabhängigen Wissenschaftlern der EU, genauer gesagt Archäologen, die im Auftrag der US-Regierung ein unabhängiges Urteil zum Fund für die Weltöffentlichkeit erstellen durften.
»Meine Herren, ich bitte Sie, sich zurückzulehnen, wir befinden uns nun im offenen Raum, behalten Sie Ihr Essen bei sich und bleiben Sie bitte angeschnallt«, zog Mark Duttons Stimme durch die Helme seiner Passagiere.
»Kurs 248,4 zu 012,5 zu 314,6, Entfernung 386.645 Kilometer, Beschleunigung zwei g, Cap!« meldete sein Co-Pilot Cat Meanville.
»Cap?« fragte William Grant, der Geologe des Teams.
Dutton drehte sich zu ihm und machte eine Geste der Vorstellung: »Wir sind jetzt ein unabhängiges Schiff, ich bin der Captain und diese junge Schönheit hier mein erster Offizier«
»Aye,« kicherte Grant und Dutton zwinkerte ihm anerkennend zu.
»Umschalten auf Langstreckenantrieb in zwei Minuten«, gab Cat zu Protokoll und überwachte die Geschwindigkeit: »Geschwindigkeit bei zwölf Kps, steigend.«
»Verstanden. Kerntemperatur bei 2937, stabil«, beantwortete Mark Dutton die Meldung, ebenfalls fürs Protokoll. und beobachtete sein Computerdesk.
»2900? Jetzt schon?« rief Dr. Nicolas Steel.
Duttons Finger glitten über die Schmutz abweisende Glasscheibe, in welcher eine simulierte Animation neben den echten Daten des Fluges abgebildet wurde.
»Ein Kaltstart wäre nicht empfehlenswert«, grinste er nach hinten, doch sein Blick fiel auf seinen Kopiloten: »Ganz schön nervös, die beiden.«
»Ich bin nicht zum Fliegen gemacht!«, stieß Steel hervor.
»Ja, Maulwürfe lieben es, in der Dunkelheit und im Dreck zu wühlen!«, kicherte Cat, ohne ihre Augen von ihren Displays zu heben.
»Geschwindigkeit bei 17,8 Kps, Korrektur um vier Grad«, meldete sie und Dutton bestätigte mit einem Nicken.
»Korrektur?«, fragte Grant erneut.
»Lassen Sie die beiden machen, je weniger wir stören, um so eher kommen wir an!«, beschwichtigte ihn Dr. Steel. Der Archäologe war bereits fünfundsechzig Jahre alt und lebte schon in den Zeiten, als Shuttles Trägerraketen nutzten und monatelange Vorbereitungen brauchten.
»Keine Sorge, Dr. Steel«, erklärte Cat: »Diese Dinger sind statistisch gesehen sicherer als Flugzeuge.«
Ein leises Piepen ertönte und zählte die Sekunden, bis zur automatischen Umschaltung.
»Ich wollte mich informieren«, rechtfertigte sich Grant.
Meanville drehte ihren Kopf zu der hinteren Sitzreihe: »Wir haben die Korrektur vorgenommen, weil wir den Mond sonst verpasst hätten, Dr. Grant!«
Grant sah sie einen Augenblick an und nickte.
»Ich wollte sie nur informieren, keineswegs beruhigen.«
Der Piepton verklang.
»Plasmaantrieb aktiviert«, bestätigte Colonel Dutton.
William Grant hielt den Atem an, doch der Reaktion seines eigenen Körpers auf den Druck, den er erwartete, als das Triebwerk zündete, blieb aus. Die Anspannung dagegen hielt an und in seinem Kopf drehten sich die Gedanken um Wahnsinn und Angst.
»17:23 Uhr. Es ist ein Gebäude! Die Maschine ist gegen ein Gebäude gestoßen!« Wilson stand vor einer Tür und strich mit ihren behandschuhten Fingern über die Oberfläche. Während sie mit der anderen ihr Memopad festhielt und weitersprach: »Es wurden fast sechs Meter Wand freigelegt, als wir diese tunnelförmige Röhre mit einer Tür entdeckten.«
»Wilson?«, rief eine Stimme hinter ihr. »Die Amis kommen!«
McLeod erreichte sie und erklärte, dass sich die US-Regierung gemeldet hatte und ein unabhängiges Archäologenteam den Mond besuchen würde.
»Sie befinden sich bereits im Landeanflug.«
»Das ging schnell. Wieso erfahren Sie vor mir davon?«
»Dutton hat mich auf einem privaten Kanal angefunkt. Er möchte sie überraschen.« Mac lachte unterdrückend auf.
Als sein Gegenüber erfuhr, wer das Shuttle steuerte, musste sie unwillkürlich die Augen verdrehen. Colonel Mark Dutton war vielleicht ein Pionier in Sachen Raumfahrt, immerhin flog er die erste Route zum Mars, aber er war und blieb ein aufdringlicher Grünschnabel in Sachen Frauen – und Wilson war sein Opfer. Wehrlos war sie keinesfalls, aber es erwies sich als schwieriger, Dutton loszuwerden, als eine Schar Mücken.
»Tun Sie mir einen Gefallen, und halten Sie ihn mir vom Hals«, forderte Wilson und wandte sich einem der Arbeiter zu, ihm eine sinnlose Anweisung zu geben.
McLeod grunzte und verließ die Bergungsstelle.
Die Passagiere des Shuttles torkelten eher durch die Schleuse, als dass sie gingen.
Ein Pfeifen und eine grüne Lampe begrüßte sie auf der Mondkolonie, dessen Name in großen Buchstaben über der Tür in der Luftschleuse vor Jahren aufgemalt worden war.
Mit einem kräftigen frischen Luftzug öffnete sich die Schleusentür. Ein stämmiger Mann mit einem Hang zum Übergewicht und einem gepflegten Vollbart stand ihnen gegenüber: »Willkommen in der Wüste. Ich bin Finn McLeod, Vorarbeiter, Kindermädchen und Ihr Gastgeber.«
Dutton trat hervor und schüttete ihm die Hand. »Danke, bitten, an Bord kommen zu dürfen.«
»Gewährt. Schön, dich wiederzusehen«, lachte McLeod und blickte Cat an. »Na, holla, schöne Frau.« Er deutete eine Verbeugung an.
»Sehr erfreut, Mr. McLeod«, sagte sie höflich »Dies ist unsere Fracht, Dr. Grant und Dr. Steel.«
»Können wir gleich anfangen?«, fragte der jüngere der beiden Männer.
McLeod schaute seinen Begleiter an, welcher diesen Wunsch teilte. »Sicher.« Er drehte sich um und schritt auf eine Tür wenige Meter hinter ihm zu, welche sofort aufglitt.
Das Team betrat die kleine Kabine, in der McLeod auf sie wartete.
Dieser drückte einen Knopf am Wanddisplay, welches die Tür verriegelte und das Röhrengefährt aktivierte.
»Was wissen Sie bereits?«, wollte Grant wissen.
McLeod lachte. »Nur, dass wir die Maschinen ruhen lassen sollten, bis Sie sich den Mist angesehen haben.«
Steel sah McLeod an. »Wie können Sie da von Mist sprechen? Sie haben auf dem Mond eine archäologische Entdeckung gemacht. Ein Beweis für außerirdisches Leben!«
McLeod grunzte: »Ach, vor hundert Jahren wurden Leute, die so was behauptet haben, ausgelacht. Fünfzig Jahre später haben Wissenschaftler versucht, zu erklären, Leben sei hier draußen unmöglich, während andere das Gegenteil erzählten. Irgendwann hatte man sich damit abgefunden, es eines Tages schon zu erfahren.«
Steel nickte schweigend.
»Ich habe hier jedenfalls noch kein Raumschiff vorbeifliegen sehen. Ich habe auch keine Zeit, danach zu suchen.«
»Und Ihre Signalstation?«, fragte er.
McLeod grinste ihn an. »Der ruhigste Job hier, keiner führt ihn ernsthaft aus.«
Die Kabine stoppte.
»Noch ein paar Meter und halten Sie Ihren Magen fest. Die Gravoplatten wurde hier noch nicht verlegt.«
McLeod reichte den Wissenschaftlern jeweils einen Gewichtsgürtel. »Damit Sie sich nicht den Kopf stoßen, wenn Sie gleich vor Freude Luftsprünge machen«, meinte er mit einem Augenzwinkern.
Der provisorisch wirkende Tunnel aus Plane und Metallringen ließ Grant einen Schauer über den Rücken laufen. Unsicher beäugte er die Konstruktionen. »Und das soll halten?«
McLeod ging leichten Schrittes voran und zuckte dabei mit den Schultern und leuchtete auf einen der Metallringe. »Die Idee stammt von Barnet. Sie ist günstig, schnell aufgebaut und absolut sicher. Alles, was mein Ingenieur baut, ist sicher und funktioniert hundertprozentig.«
McLeod bog um den beschädigten ›Wurm‹, der noch immer an dem allerdings stehenden Förderband angeschlossen war, das Gesteinsbrocken in die zwei Kilometer entfernte Sortieranlage brachte. Dort wurde das Gestein ausgesiebt, das Erz erhitzt und das Metall gewonnen. Am meisten wurden Eisen, Aluminium und Silizium gefördert, doch hatte sich dieses Bergwerk auf Titan konzentriert, auch wenn nur zwei Prozent des Mondmantels aus diesem wertvollen Gut bestanden.
Jeden Monat ging ein automatischer Kanister mit reinstem Titan, Silizium, Kalzium und anderen seltenen Mineralien zur Erde. Die Güter wurden an die Länder nach den Prozenten aufgeteilt, mit denen sie sich am Bau der Station beteiligten. Mit jedem neuen Mitbewerber wurde die Menge für den Einzelnen unwesentlich geringer, doch die Station größer und der Ertrag natürlich ebenso. Die neuesten Maschinen, Module und die neuen Gravoplatten, die eine erdähnliche Schwerkraft innerhalb der Basis erzeugten, kamen aus Japan, Indien und Australien.
Doch die Arbeit war trotz modernster Maschinen und Robotertechnik kein Zuckerschlecken. Bis zu zehn Stunden verbrachten die Maschinisten an oder in ihren Maschinen, die sich durch den Mond gruben, um die Erze in der Raffinerie zu verarbeiten.
Eisen und Aluminium wurden zum größten Teil direkt hier verarbeitet und dazu genutzt, die Basis auszubauen, je nachdem, wie die Teilhaber dies forderten. So hatten die USA beispielsweise die ersten Jahre darauf verzichtet, dass ihr abgebautes Material zur Erde geschafft wurde, und stattdessen die Basis ausbauen lassen. Und heute besaß dieses Land sechsunddreißig Prozent der Gebäude der Kolonie – von anfangs dreißig Prozent Somit standen ihnen auch sechsunddreißig Prozent der abgebauten Mineralien zu. Ein Gremium der EU hatte diese Vertragslücke in einem Eilverfahren unterbunden, nichtsdestotrotz erhielten die USA weiterhin sechsunddreißig Prozent aller Waren und sechsunddreißig Prozent Mitspracherecht – mit einem Botschafter direkt vor Ort. Während China, Russland und die EU nur noch jeweils sechzehn, Australien und Indien, die später an der Kolonie mitbauten, nur jeweils acht Prozent erhielten. Aufgrund der Anerkennung der Unabhängigkeit hatte somit nur noch eine einzige Nation auf Neumond etwas zu sagen.
Und während sich Russland und China ihre Ressourcen gegenseitig um die Ohren schlugen, standen die USA untätig dabei und beobachteten, wie sich ihre ehemaligen Gegner gegenseitig bombardierten. Einzig die EU wagte unerlässliche Friedensgespräche. Die US-Regierung sah missbilligend hinüber und agierte in ihrer eigenen Sprache: keinerlei Handelsbeziehung mit diesem Land. Doch wen kümmerte schon, wenn eine Nation, kaum mächtiger als ihre Nachbarn, dem Weltmarktführer den Handel untersagt. Und doch finanzierte die NASA dieses Shuttle und seine Piloten und das offizielle Archäologenteam.
McLeod deutet auf eine grob freigelegte in das Felsgestein führende röhrenartige Metallkonstruktion, an deren Ende sich eine Art Tür befand. »Das ist es!«
»Nunja …«, suchte Grant nach Worten.
»Was haben Sie erwartet? Pyramiden?«, meinte McLeod.
»Sind Sie die Wissenschaftler?« Eine junge Frau in einem weißen Raumanzug schritt auf sie zu. An ihrer Schulter prangte die Flagge der USA. Sie war die einzige Person in der Kolonie, die eine solche Kennung trug.
»Ja, ich bin Dr. Grant, und dies ist mein Kollege, Dr. Nicolas Steel.«
Der ältere Mann nickte ihr zu, schritt an die Tür heran und strich mit beiden Händen an ihr herab. »Nun ja … Es wäre schon arg merkwürdig, hier etwas aus Stein zu finden.«
Grant blickte auf sein Memopad, welches er aus seiner Tasche zog. »Ja, das war ein kurzer Einsatz.«
Wilson seufzte entschuldigend. »Es ist doch klar, dass jemand, der auf den Mond landen kann, keine Gebäude aus Stein errichtet. Aber Sie sind ja auch nicht da, um Steine zu vermessen!«
»Ich bin Geologe. Das scheint ein altes Raumschiff zu sein. Was soll ich hier?«
»Und Sie sind Chemiker. Also können sie das Material doch bestimmen?«, meinte Steel.
Dr. Grant näherte sich dem Metall, nahm einen Stab von seinem Memopad und hielt diesen an das Metall. »Zum großen Teil aus Eisen, Aluminium … von der Strahlungs- und Verfallsrate kann ich sagen, dass es schon lange hier ist!«
McLeod lachte laut auf.
»Was?«, fuhr Grant ihn an.
»Jungchen, das, was dir dein Spielzeug gerade gesagt hat, haben mir heute Morgen meine Augen schon gesagt.«
Wilson lachte leise und wandte sich an den bulligen Mann. »Sagen Sie Dutton bitte, dass deren Ausrüstungsgegenstände hier unten gebraucht werden, er soll sie den Arbeitern übergeben.«
»Und sichern Sie diesen Bereich!«, wies Grant an, und deutete mit den Fingern auf den umliegenden Bereich der Planenröhre.
»Ich will hier eine Schleuse und unsere Helme. Wenn sich dahinter ein Vakuum befindet, das vielleicht in einen offenen Krater führt, haben Sie hier umsonst siebzehn Jahre gearbeitet!«
McLeod nickte zustimmend: »Ich werde sofort dafür sorgen!«
Er blickte Wilson grimmig an. Diese Sicherheitsvorkehrung war ihr nicht in den Sinn gekommen. Hätte sie einen Vorschlaghammer gehabt, wäre sie wahrscheinlich gerade dabei, die Tür einzuschlagen oder würde jemandem sagen, er solle dies tun.
Nur eine Stunde später befand sich eine aus Aluminiumplatten errichtete Schleuse vor der Metalltür. Einige Arbeiter und der stellvertretende Kolonieleiter David Slater hatten derweilen die Ausrüstungsgegenstände gebracht und standen nun interessiert hinter dem Team, während Grant eine Metallprobe chemisch untersucht hatte. Nach seinen Erkenntnissen war die Tür, welche sich als eine durch Magnetkraft gehaltene Schiebetür entpuppte, über sechzigtausend Jahre alt. Ingenieur Adam Barnet, der hinzugezogen wurde, schraubte an einem Generator herum, um mit einem improvisierten Elektromagneten der Tür entgegen zu kommen.
Mit einem lauten Quietschen hob sich die Tür und offenbarte reine Dunkelheit. Staub und Sand rieselten aus den nicht ganz gereinigten Ritzen, als sie in die Ruhestellung kam.
Wilsons Herz raste vor Aufregung und langsam hob sie ihr Memopad an. »22:10 Uhr. Grants erste Messergebnisse datieren das Gebäude auf über sechzigtausend Jahre. Wir bereiten uns auf die Untersuchung des Inneren vor.«
»Fertig?«, fragte Steel und prüfte seinen Raumanzug.
Wilson nickte, aktivierte ihre LED-Strahler und ging voran in die Dunkelheit.
Der gut zwei Meter lange Gang wurde nach oben schmaler und schien nach Einschätzung des Teams eine Art Schleuse zu sein.
Steel strich mit seiner Handfläche über die Wand und zeigte sie seinen Kollegen: »Rost?«
Grant nahm eine Messung des Raumes vor und sah ihn verblüfft an. »Fünfundzwanzig Prozent Sauerstoff, fünfundsiebzig Prozent Stickstoff.«
»Sind Sie sicher? Das ist doch unmöglich!«, stieß Steel hervor.
»Erdatmosphäre?«, fragte Barnet, und Grant nickte: »Fast … jedenfalls wie vor achtzigtausend Jahren.«
Am Ende befand sich eine identische Tür zur ersten, nur mit einem Unterschied: ein Schalter befand sich neben dem Rahmen über einer schwarzen glänzenden Fläche. Wilson berührte ihn, doch nichts geschah.
»Wenn das ein Türöffner ist, so ist er jedenfalls nicht mehr funktionstüchtig.«
Barnet blickte zurück: »Wenn wir die erste Tür gut abstützen, sollte es ein Einfaches sein, diese ebenfalls zu öffnen.«
Zwei Stahlpfeiler wurden kurzerhand mit Hilfe einer der Bergbaumaschinen in die Tür gestellt und Barnet aktivierte den Generator, um die zweite Tür zu öffnen.
Mit Spannung drängte sich Steel vor, um als Erster seine Messgeräte in das Unbekannte zu halten.
Aufgeregt setzte er einen Schritt vor den anderen. »Mein Gott!«, staunte er und befand sich in einem fast dreißig Quadratmeter großen Raum, der zur Decke hin ebenfalls schmaler wurde und in deren Zentrum eine Art Maschine herausragte.
In die Wände waren tischähnliche Konsolen eingesetzt worden. Staub, Rost und Schmutz hatten sich überall niedergelegt. In den Einbuchtungen waren ebenso schwarze Flächen wie an der Wand neben der Tür. Wilson, die nun ebenfalls den Raum betreten hatte, näherte sich einem der Tische und strich über die Oberfläche, wobei einige metallische Tasten zum Vorschein kamen.
»Das sieht mir nach einer Computerzentrale aus.«
»Holen Sie Ihre Kamera«, wies Steel seinen Kollegen an.
Grant packte die Kamera aus und zitterte vor Aufregung, als er sie langsam durch den Raum schwang. »Das habe ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt.«
Ehrfürchtig drehte er sich herum und filmte den ansonsten leeren Raum. Im hinteren Bereich befand sich eine Öffnung, welche noch im Dunkeln lag. »Haben Sie ein paar Bauscheinwerfer?«, wollte er von Barnet wissen.
Dieser nickte. »Ich lasse sie sofort herbringen!«
»Sehen Sie!«, rief Wilson, die einmal herumgegangen war und in eine der Ecken leuchtete.
Grant schwenkte die Kamera herum, und das Objektiv stellte sich auf das verwackelte Licht nur langsam ein. Als es zur Ruhe kam, machte es eine scharfe Aufnahme eines am Boden liegenden Körpers. Eine kleine graue Gestalt lag regungslos in der Ecke.
Der Wissenschaftler ging hastig neben ihr in die Hocke: »Wie sieht es aus?«, stieß er hervor und griff nach dem dürren Körper: Ein skelettierter Kopf mit langen weißen Haaren und einem Bart stierte ihn mit leeren Augenhöhlen an. Alte Knochen steckten in einem verstaubten Raumanzug.
»Es ist ein Mensch!«, begriff er und musste sich setzen.
Grant nahm seinen Scanner und schob ihn über den Körper. »Ebenfalls über sechzigtausend Jahre alt.« Sein Blick verriet Verwirrung.
Barnet kam mit den Scheinwerfern zurück und stellte den ersten auf, der zweite Strahler ließ Licht auf einen zweiten Körper fallen, welcher sich in der kleinen Ausbuchtung befand: »Ach, du heilige Scheiße!«
Grant registrierte den Fund und näherte sich ihm: »Nicht ganz, aber ich kann Ihrem Argument folgen.«
Wilson ging zu einem der Terminals und drückte zwei Tasten.
»Warten Sie!«, rief Steel sie an.
»Keine Sorge, funktioniert ja nicht.«
McLeod betrat den Fundort, jedoch ohne einen Raumanzug. Mit aufgerissenen Augen starrte er in den von den Scheinwerfern erhellten Raum. Er strich sich mit der Hand über die Augen, den Mund und seinen Bart. Wortlos schüttete er seinen Kopf.
»Kann ich mit einer der Leichen auf Ihre Krankenstation?«, fragte Dr. Steel ruhig.
Dr. Megan Bruck schob ihre medizinischen Scanner heran. »Unfassbar!«, nuschelte sie.
McLeod und Dr. Steel standen an der anderen Seite des Operationstisches.
»Was?«, fragte der stämmige Mann, der geholfen hatte, den Körper zu überführen..
»Nichts … Einfach nur die Tatsache. Ich öffne nun den Anzug!«, sagte sie.
Mit aller Vorsicht tasteten sie das spröde staubige Material ab.
»Hier, das scheint eine Öffnung zu sein«, meinte Steel, der der Ärztin zur Hand ging, und deutete auf einen Metallring um den Anzug.
»Versuchen wir es. Helfen Sie mal!«, forderte Bruck McLeod auf.
Der stämmige Mann fasste an der einen Seite des Raumanzugs an, die beiden Doktoren an der anderen.
Mit einem Knacken gab das Metall nach und zerbrach in mehrere Teile.
»Verdammt!«, fluchte McLeod.
»Ja, lassen Sie uns weitermachen«, seufzte Bruck und zuckte mit den Schultern.
Unter großer Vorsicht zogen sie dem Leichnam als erstes das Unterteil aus.
»Gute Güte, sie ist perfekt erhalten!«, staunte der Archäologe und hob den Kopf des Körpers an, damit Bruck und McLeod das Oberteil entfernen konnten.
»Das ist ja eklig«, kommentierte McLeod die Untersuchung.
»Sehen Sie. Schriftzeichen auf dem Hemd, haben Sie so was schon mal gesehen?«
»Ja, auf meinem Shirt steht Nike«, brummte der Kolonieverwalter.
»Ich meine die Schriftzeichen, ich kenne alle möglichen Sprachen der Erde, aber das …«, erklärte Dr. Steel.
»Auf dem ersten Blick ist es ein Homo sapiens, aber ich muss eine gründlichere Analyse vornehmen, um dies mit Gewissheit zu sagen«, erklärte Dr. Bruck, und Dr. Steel stimmte ihr stumm zu.
»23:55 Uhr. Dr. Grant ist dabei, Proben zu nehmen. Wenn seine Ergebnisse stimmen, besteht dieses Gebilde aus einer Titan-Messing-Legierung. Ich befinde mich gerade in der Nische gegenüber der Schleusentür. Etwa zwei Meter groß. Es ist eine Toilette auf der einen und eine Art Küche auf der anderen Seite.«
»Fantastisch, oder?«, warf Grant ein.
»Was ist daran fantastisch? Dass diese Leute einen Stoffwechsel hatten?«, grinste sie.
»Himmel noch mal!«, tönte Mark Duttons Stimme durch den Raum.
»Das können Sie laut sagen!«, bestätigte ihn Grant.
»Haben Sie das schon gemeldet?«, fragte er den Archäologen.
»Wir wissen noch gar nicht, was das ist.«
»Ich will Sie ja nicht drängen, aber lautet der Auftrag nicht, sofort Meldung zu machen, wenn …«
»Ich wiederhole mich ungern: Wir wissen noch nichts«, grummelte Grant.
»Es ist ein eine außerirdische Kontrolle oder so.«
»Wir haben zwei menschliche Leichen gefunden.«
»Menschen? Wie …«
Wilson kam aus der Nische und stellte sich zu Grant: »So einer braucht es halt dreimal.«
Dutton hob seine Augenbrauen. »Yaz! Ich hatte dich gesucht.«
»Na, dann geh mich suchen, nur nicht hier.«
Dutton grinste sie an. »Du bist mir doch nicht aus dem Weg gegangen, oder?«
»Selbstverständlich.«
»Würden Sie bitte die Ausgrabungsstelle verlassen? Ich melde mich schon«, forderte Grant.
Dutton hob die Hände, deutete Wilson eine Verbeugung an und drehte sich um.
Anerkennend nickte Wilson Grant zu. »Haben Sie eigentlich eine weitere Tür gefunden?«, fragte sie.
»Nein. Wieso?«
»Es muss doch so was wie Versorgungsräume geben, Sauerstoff und so!«
»Ach so! – Nun, wer auch immer das baute, er hatte sich einen Keller zugelegt.« Er zeigte auf die sechseckige Platte in der Mitte des Bodens. »Barnet besorgt bereits ‘nen Generator.«
Ein zweiter Generator wurde aktiviert und einige drahtumwickelte Eisenstangen unter Strom gesetzt.
»Okay, gehen Sie ‘nen Schritt zurück, nur vorsichtshalber!«, erklärte Barnet.
Kaum aber bewegte sich die Bodenplatte, begann die Maschine darüber, sich zu regen.
Doch sie war keineswegs aktiv, sondern begann, einfach nur zu beben. Staub und Einzelteile rieselten herunter.
»Was zum …«, begann Wilson. Weiter wurden seine Worte nicht gehört, als das metallische Gebilde mit Getöse von der Decke stürzte und in die halb geöffnete Bodentür krachte.
»Heilige Scheiße!«, schrie Barnet, als das Geräusch verklang.
»Soviel zur wissenschaftlichen Vorsorge!«, grummelte Grant und ging vorsichtig einen Schritt an den Klumpen Metall heran.
Barnet beleuchtete das entstandene Loch in der Decke. »Total verrostet. Es wurde wahrscheinlich eine Halterung gelöst, als wir die Tür öffneten«, mutmaßte er. »Es war wohl vorgesehen, dass diese Art ›Lift‹ runterfährt, wenn die Tür aufgeht.« Er deutete auf gebrochene Stufen an der Spitze der brummkreiselförmigen Maschine.
»Hm«, kommentierte Grant die Theorie und strich über die losen Kabel.
»Diese Leitungen waren nicht mit Plastik isoliert«, erkannte er und zerrieb das poröse Material zwischen seinen Fingern.
»Anscheinend haben sie deshalb hier alles aus Metall gebaut, sie kannten es nicht.«
»Schaffen Sie es mit einem der Baugeräte hier rein?«, fragte Grant und leuchtete in die Schleuse.
Barnet folgte dem Blick des Lichtkegels und schüttelte den Kopf: »Nein, absolut nicht, aber ich könnte einen Kran demontieren und hier drin aufbauen!«
»Das können Sie?«
»Na, hören Sie mal? Ohne mich und mein Klebeband läuft hier gar nichts.«
Grant hob belustigt die Hände: »Schon gut, ich habe schon davon gehört«
Dr. Steel sah auf die Digitalaufnahmen des Röntgengerätes. Unbewusst nahm er einen Finger in den Mund und kaute auf dem Knöchel. »Da stimmt was nicht!«, murmelte er mehr zu sich selbst und drehte sich zu der Leiche um, an der Bruck nähere Untersuchungen vornahm. Sie dokumentierte dabei jede Einzelheit, die sie aus dem Körper vor ihr schloss.
»Definitiv ein Mensch!«, sagte sie und wischte sich über die Stirn. »Die Organe, die Haut, alles erhalten und identifizierbar!« Sie blickte Dr. Steel an, der sich dem geöffneten Oberkörper nährte.
Er ergriff eine Zange vom Instrumententisch und setzte sie vorsichtig an dem getrockneten Körper an. »Ja, dies ist wohl die besterhaltenste Mumie, die ich je gesehen habe.« Langsam tastete er mit seinen nur durch einen Gummihandschuh geschützten Fingern der anderen Hand nach der Wirbelsäule: »Mensch … ja, Homo sapiens sapiens … nein.«
Bruck blickte fragend auf den Körper.
»Nun ja, es gibt geringe Abweichungen, aber um sicher zu gehen, müssten wir die andere Mumie auch sehen«, erklärte er, schaute sich den Körperbau weiter unten an und tastete die Beinknochen ab. »Es ist auch kein Homo sapiens idaltu, zu schlank, falsche Schädelform, falsche Wirbelsäule. Es ist eine mir unbekannte Art, wie ich zugeben muss.«
Ein schriller Ton unterbrach die beiden Wissenschaftler. Dr. Bruck zog einen Kommunikator aus ihrer Tasche und steckte ihn sich ans Ohr: »Was gibt’s?« Sie lauschte einen Augenblick, nahm das Gerät ab und überreichte es Steel: »Für Sie, es ist Ihr Kollege.«
Dr. Steel nahm das kleine Gerät entgegen und steckte es sich an: »Ja?« Seine Augen suchten die Ärztin, während er sich den Gummihandschuh auszog. »Ich komme!«, sagte er knapp, nahm das Gerät aus dem Ohr und reichte es Bruck: »Ich geh zurück zur Ausgrabungsstelle.« Seine Augen verrieten resignierten Ärger.
»1:30 Uhr, Fortsetzung der Aufzeichnung. Das Errichten des Krans nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, und Dr. Steel hat die Untersuchungen an einer der Mumien beendet. Sein Bericht befindet sich im Anhang. Er untersucht zur Zeit den Schaden, der durch die Öffnung der Bodenluke entstanden ist. Und ich …«
»Ja!«, stieß eine Stimme aus einer der Konsolen auf.
»Was zur Hölle tun Sie dort?«, rief Steel erschrocken auf, der bis eben intensiv das brummkreiselähnliche Gebilde untersuchte, als er sehen musste, dass ein Mann eins der Terminals geöffnet hatte.
»Das ist Jeff Clark, unser Techniker«, erklärte Wilson und deaktivierte genervt ihre Aufzeichnung.
Der junge Mann hielt Steel einen Kasten entgegen. »Dieses Teil ist eine Art Speicher, es arbeitet mit Minilochkarten aus Metall. Ich denke, man kann die Daten auf diesen Dingern hier auslesen.«
»Sie können das in Betrieb nehmen?«, fragte er mehr ungläubig als fasziniert.
Clark grinste. »Naja, nur auslesen.« Er wendete den Kasten in seinen Händen. »Viel wird hier nicht drauf sein, aber ich habe Dutzende davon gefunden.«
»Können Sie mir eine Kopie der Daten anfertigen?«, fragte Wilson den Techniker.
»Nur in meinem Spielzimmer«, grinste er sie an und verließ die Ausgrabung.
In der Signalstation hatte Clark einige Kabel an die Speicher angebracht, einen Laser und eine von Barnet improvisierte Verbindung zu einem Computerterminal gelegt.
»Okay, fangen wir an!«
Der kleine Kasten begann zu vibrieren. Nach nur wenigen Minuten war das Schauspiel beendet.
»Nun, nicht sehr aufregend.«
»Was ist los?«
»Das war’s wohl, wir haben gut siebzehn Megabyte an Daten erhalten, und der Computer kann nichts Brauchbares daraus erfassen.«
Wilson sah auf die Menge Einsen und Nullen auf dem Monitor: »Sie sagten doch, dass dort mehrere solcher Dinger sind. Könnten Sie alle aus dem Terminal entnehmen, vielleicht ist es ja eine verteilte Datei?«
»Das herauszufinden wird ein Weilchen dauern«, meinte der junge Mann schnippisch und entfernte seine Bastelarbeit von dem Speicherkern.
»3:22 Uhr. In den letzten Stunden waren wir damit beschäftigt, dreiundzwanzig Speicher zu bergen und haben fünfhundertvierundfünfzig Megabyte gewonnen. Die heuristische Analyse hat ergeben, dass es sich größtenteils um Bilder in einem Systembaum handelt. Clark projiziert diese gerade auf den Hauptdesk.«
Clark gab einige Daten ein und ein Computer setzte ein Bild zusammen. »Und da kommt es.« Er deutete auf einen größeren Desk und bestätigte eine letzte Taste an seiner Konsole.
Wie Kinder am Schaufenster des Süßigkeitenladens standen Dr. Steel, Dr. Grant, McLeod, David Slater, Adam Barnet und Yasmeen Wilson schweigend gegenüber der kleinen Glasscheibe, auf der sich langsam ein Bild aufbaute.
Ein abgelichtetes Schriftstück wurde gezeigt. »Dieselben Schriftzeichen. Können Sie mir das ausdrucken?«, bat Dr. Steel.
Clark nickte und betätigte drei Tasten an seinem Terminal.
Wilson überspielte es sofort auf ihr Memopad.
Ein neues Dokument wurde gezeigt. Hinter ihnen wurde auch dies ausgedruckt, doch Wilson ignorierte es, als sie ein Foto sah.
»Das ist die Erde«, staunte Steel.
»Vor über achtzigtausend Jahren«, bestätigte Grant.
»Was ist das dort?« Auf dem Bild war ein schwarzer Fleck über dem heutigen Australien.
»Könnte ein Fehler in der Grafik sein«, mutmaßte Clark und lud ein neues Bild.
Wieder baute es sich langsam auf, es zeigte sieben Raumfahrer, die in die Kamera lächelten.
»Hab nur ich gerade ein Déjà-vu?«, fragte McLeod, der hinter der Gruppe stand und ebenso neugierig wie gefesselt auf die Bilder starrte.
Es folgten weitere Schriftdokumente und ein neues Foto. In alle Gesichter war blankes Entsetzen eingezogen, und die erstaunten Augen der Anwesenden erloschen.
»Das ist eine Atomexplosion«, erkannte Grant, als sich das Bild einer Siedlung mit einer gewaltigen Explosion am Horizont aufbaute.
Das nächste Foto zeigte eine Armee merkwürdiger hoher Fahrzeuge, angetrieben von stark qualmenden Maschinen, die das gesamte Rückteil des Gebildes umfassten.
An der obersten Spitze des Gefährts standen zwei Menschen in rüstungsähnlichen Panzeranzügen.
»Oh, mein Gott.«
Die Erkenntnis traf Grant wie ein Blitz.
»Es ist ein verdammter Krieg!«, erkannte nun auch Clark.
Die nächsten beiden Bilder waren wieder Textdateien, und ein weiteres zeigte erneut die Erde, großteils mit schwarzen Flecken übersät und einem segelflugzeugähnlichen Schiff im Orbit.
»Das ist kein Grafikfehler.« Steel schüttete den Kopf.
»Wir müssen diese Bilder unbedingt zur Erde senden«, schlug Grant vor und sah sich um.
»Wir haben wieder Krieg! Wenn es wieder passiert? Wir befinden uns auf deren Technologiestufe! Was dann? Werden wir Fotos machen, bis unsere Nachfahren in zig Jahren hier herkommen und sie finden?«
»Ja, wir müssen diese Bilder senden. Wilson?«
Doch die US-Botschafterin war verschwunden.
»Kollisionskurs!«, brüllte der Computer auf Mark Dutton ein.
Als er den Kern einschaltete, dachte er an Wilsons letzte Worte: Er wüsste, was er zu tun habe.
Beide waren Patrioten. Doch die Zeiten, in denen die USA sich einen Krieg leisten konnten, waren vorbei. Vor über vierzig Jahren hatte der letzte große Krieg sie ruiniert. Die EU wurde ein Land, China rüstete auf und Russlands Verträge mit der EU waren das Ende ihres Status‘.
Das Paradies war isoliert.
Als die ersten Raketen zwischen Russland und China auf dem Weg waren, hatten sie gejubelt.
Das weiße Haus, die CIA und das Militär. Mehr als fünfzehn Jahre hatten sie an dem Konflikt gesät, und nun trug er Früchte. Das durfte nicht einfach so ein Ende haben.
Alientechnologie, hatten seine Vorgesetzten gehofft. Dutton und Wilson sollten notfalls alle töten und diese Technologie mitbringen. Doch das hier war weitaus gefährlicher als fremde Technologie, dies war eine Mahnung aus der Vergangenheit. Der Beweis, dass es von Anbeginn die Natur des Menschen war, sich gegenseitig zu zerstören.
Aber sollten eines Tages alle Menschen begreifen, was sie seit Jahrtausenden einander antaten, würden sie damit aufhören!
Diese Botschaft durfte niemals die Erde erreichen.
Mit einem grellen Blitz stürzte das Shuttle in die Basis. Der Reaktor brach, und in einem gleißenden Licht ergoss sich die alles verbrennende Energie über die Mondoberfläche.
Dutton nahm vierundzwanzig weitere Menschen mit in den Tod.
Seine Ideale waren mehr wert.