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Adam Wolf

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Kürzlich in den Nachrichten: vor fünfzehn Jahren wurde Rechtschreibreform eingeführt und sorgte für Aufregung. Fünfzehn Jahre ist das schon her? Ich kann mich noch so deutlich daran erinnern, auch wie ich mich bemühen musste sie zu aus beruflichen Gründen zu erlernen. Ich werde alt, die Jahre schrumpfen in der Erinnerung auf Monate zusammen.

1983 zogen Die Grünen erstmals in der Bundestag ein, noch so eine Nachricht. Ist das erst 30 Jahre her? Das kommt mir viel länger vor. Die Erinnerung dehnt und streckt sich beliebig. Ja, es war in den 70er Jahren, als Umweltschutz allmählich ein Thema wurde. Ich wurde 1952 geboren und wuchs in Duisburg auf, im Ruhrgebiet, dem Kohlenpott, wie man damals noch zu Recht sagte. Stahl- und Schwerindustrie vergifteten die Luft, an manchen Tagen konnte man zusehen, wie ein Ascheschleier sich wie Schnee auf parkende Autos legte. Ein beliebtes Spiel war, mit einem Magneten Eisenspäne vom Straßenrand zu heben.

Ich kannte sie noch, die Hochöfen, Kokereien, Walzstraßen. Heute sind erhaltenswerten Reste dieser archaisch anmutenden Fabriken Museen oder Kulturhallen. Eine Besichtigung der Zeche Zollverein in Essen oder des Landschaftsparks Nord in Duisburg Meiderich demonstriert eindrucksvoll, unter welch unmenschlichen Bedingungen damals gearbeitet wurde, geringe Lebenserwartung inbegriffen. Es scheint wie eine Erinnerung an frühindustrielle Zeiten, oder wenigstens Vorkriegszeiten, aber es war zu meinen Lebzeiten in Betrieb. Und ich bin kein Hundertjähriger! Ein seltsames Gefühl, die eigene Jugend als museales Erbe der staunenden nächsten Generation präsentiert zu sehen. Es ist so weit von mir entfernt, dass ich es selber in die Rolle der nächsten Generation schlüpfe und über mich selber staune.

Mit Internet, PC, Handy oder Smartphone ist es ähnlich. Bis auf die ganz Jungen, denen es von vornherein selbstverständlich ist, ist es jedem der dies benutzt selbstverständlich geworden. Man kann sich kaum mehr vorstellen, wie das Leben noch vor wenigen Jahren ohne diese technischen Errungenschaften war. Gar nicht zu denken an unser erstes Telefon Ende der 60er Jahre, grauer Kunststoff, Wählscheibe, kurze Anschlussschnur. Später war ein orangefarbiges Modell mit langer Schnur und extra Muschel zum Mithören schon ein großer Fortschritt.

Ich hatte das Privileg, neben der Schwerindustrie auch den Einzug der Computer in unser Leben von frühen Anfängen an zu erleben. Ich stand damals nicht selber in der Werkhalle, sondern betrat sie mit Anzug und Krawatte, zunächst als Lehrling zum Industriekaufmann, dann als kaufmännischer Angestellter in der Buchhaltung. Zur Zeit meiner Übernahme vom Lehrling in die Festanstellung zog auch der erste Computer in das Unternehmen ein. Eine faszinierende, völlig neue Technik. Damals war der Begriff Computer auch noch korrekt – viel mehr als Zahlen zusammenrechnen konnten diese monströsen Maschinen damals nicht.

Bei einem Besuch der EDV-Abteilung, wie es sich nannte, sah ich einen Ausdruck mit kryptischen Zahlen- und Buchstabenkolonnen, und zwischendrin einen lesbaren Satz, eine Mitteilung des Computers an die Welt da draußen. Faszinierend, diese Maschine konnte nicht nur rechnen, sondern sich auch (scheinbar) artikulieren. Dieser zündende Moment brachte mich dazu, Lehrgänge zu besuchen und Programmierer zu werden. Ich lernte mit Lochkarten umzugehen, Lochkartensortier- und Mischmaschinen zu bedienen, selbst eine alte mit Steckkarten zu programmierendeTabelliermaschine sah ich noch in Betrieb. Wenige Jahre später brachten die ersten Monitore mit grünflimmernde zeilenweise Anzeige und Tastatureingabe die erste Arbeitserleichterung. Und die ausschließlich mit Frauen besetzten und von mir deshalb gerne besuchten Lochkartensäle gehörten der Vergangenheit an.

Bis die ersten PC aufkamen, denen auch ich damals keine große Zukunft gab, hatte dieser Beruf etwas von einer Geheimwissenschaft, und das machte ihn spannend und interessant. Und nebenbei auch gut bezahlt. Aber als das erste Mal im Fernsehen PC-Themen in den Nachrichten vorkamen, wurde daraus Allerweltswissen. Plötzlich konnte jedes Schulkind besser mit einem PC umgehen als ich mit meinem schnell veralteten Spezialistenwissen.

Heute, im Jahre 2013, bleibt mir viel Erinnerung und, so es mir gegönnt ist, vielleicht 10, 20 Jahre weiteren Erlebens. Müde geworden höre ich Nachrichten über den Atomausstieg, zu dessen Einstieg ich damals Nein Danke sagte. Über die fortschreitende Klimaveränderung, wo ich mich einst um Ozonlöcher sorgte. Ich werde wohl keine Nachrichten hinterlassen.
 



 
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