Nicht korrekt

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Raniero

Textablader
Nicht korrekt

„Na, Erwin, mein Schatz, wie hat sie dir gefallen, die Oper?“ war Erika Stufer neugierig auf die Reaktion ihres Mannes, als sie gemeinsam das Opernhaus verließen.

Eine unendlich lange Zeitspanne hatte sie gebraucht und vieles an Überredungskunst hatte sie aufbieten müssen, um ihren Erwin endlich einmal in einen Musentempel zu schleppen, zu einem Opernbesuch, zum ersten Mal in ihrer nun doch schon recht lang anhaltenden Ehe.
Stets hatte er abgeblockt, Ausreden gesucht und gefunden, in der Art wie er sei noch nicht reif für die Oper, er sei eher der Mann für’s einfach Gestrickte, was die Musik angehe und hätte noch nicht den richtigen Zugang, daher würde er sich dort zu Tode langweilen.
Mit Bedacht war Erika deshalb im Vorfeld an die Auswahl des richtigen Stückes für ihren Ehemann gegangen, denn hiervon hing im Prinzip alles ab; gefiel ihm diese erste Oper nicht auf Anhieb, dann konnte sie weitere gemeinsame Opernbesuche in den Wind schreiben, das wär’s dann gewesen, für alle Zeiten.
Lange Zeit schwankte sie bei ihrer Entscheidung zwischen der Zauberflöte, einer Oper, welche nach Meinung der Fachleute das geeignete Stück sei, selbst den hartnäckigsten Opernmuffel gefügig zu machen und Verdis Rigoletto, dem Werk, das ihrer Meinung nach zwar einiges mehr an Vorkenntnissen erfordere, dafür jedoch auch einiges mehr an innerer Spannung aufweise als Mozarts Romantikepos.
Letztendlich entschied sie sich für Rigoletto, denn Spannung war für Erika das Ausschlaggebende, spannend musste sie schon sein, die Oper, sie kannte ja ihren Erich, und daher musste bei seinem Premierenbesuch alles aufgeboten werden, was ihn am eventuellen Einschlafen während des Stückes hinderte.
Nachdem sie ihre Entscheidung getroffen hatte, machte sich Erika daran, ihrem Mann den Handlungsverlauf des Rigoletto schmackhaft zu machen und auseinanderzusetzen, wobei sie hierfür geschickt den richtigen Zeitpunkt auswählte, denn dieser durfte nicht zu früh, aber auch nicht zu spät angesetzt werden.
Zu früh konnte nämlich bedeuten, dass Erich bis zum bevorstehenden Ereignis alles wieder vergessen hatte und er sie dann während des Stücks mit Fragen löcherte, welche Blamage, und zu spät wiederum konnte den Nachteil haben, dass er bis zum Beginn des Besuches die Handlung noch nicht komplett kapiert hätte, was ebenfalls bohrende Fragen nach sich zöge, bei laufender Aufführung.
Erika fand den goldenen Mittelweg.
Ungefähr vierzehn Tage vor dem Opernbesuch begann sie damit, ihrem Erich allabendlich vor dem Schlafengehen Detail für Detail die einzelnen Handlungsstränge einzubleuen und zu einem Ganzen zusammenzufügen, wie ein leibhaftiger Opernführer.
Den gleichen Aufwand, den sie für die Didaktik der Opernhandlung betrieb, setzte sie darüber hinaus in Bezug auf die Musikalität des Werkes ein, indem sie ihrem Mann jeden Abend eine Arie aus der Oper zu Gehör brachte, in allen erforderlichen weiblichen wie auch männlichen Stimmlagen, damit er sich in gebührender Form auf die Originalmusik einstellen möge.
Auf diese Weise wurde er denn fleißig einstudiert, der Rigoletto, so intensiv, dass darüber fast die ehelichen Pflichten der Beiden zu kurz gekommen wären.

Der Opernabend wurde ein voller Erfolg, was sowohl die künstlerischen Leistungen auf der Bühne und im Orchestergraben betraf, denn es gab viele Vorhänge und nicht endend wollende Bravorufe, wie auch das Genussempfinden Erwin Stufer’s, was seine Frau unter anderem auch auf ihre eigenen eifrigen Bemühungen im Vorfeld bezog.
Sie hatte, nur um zu erleben, wie ihr Mann die Oper erlebte, ihren Erich während der gesamten Aufführung keinen Moment aus den Augen gelassen und hierbei die Handlung vorne optisch versäumt, was ihr jedoch nichts ausmachte, da sie diese ja zur Genüge kannte.
Keinen Augenblick hatte ihr Gatte zu ihrer namenlosen Freude die Augen vom Bühnengeschehen abgewandt, allzu ergriffen und durchdrungen schien er doch von seiner ersten Life-Oper zu sein.
Als sie ihn später beim Hinausgehen darauf ansprach, wie ihm der Abend gefallen habe, antwortete er eher ausweichend.
„Na, ja, Schatz, nicht schlecht, aber meiner Meinung nach müsste die Oper komplett neu geschrieben oder zumindest in Teilen abgeändert werden“.
Erika glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
„Wie bitte? Neu geschrieben werden? In Teilen abgeändert werden? Mensch, das ist eine Verdioper!“
„Verdi hin, Verdi her, das tut nichts zur Sache, Erika, vor Gericht hätte die Handlung in einzelnen Bezügen keinen Bestand“.
„Vor Gericht keinen Bestand? Bist du von Sinnen, Erich? Es handelt sich um eine Oper, nicht um einen Prozess!“
„Gleichwohl, mein Schatz, da war eine Unkorrektheit in der Handlung, von dem Mord an Rigolettos Tochter Gilda mal abgesehen“.
„Von dem Mord an Rigolettos Tochter Gilda mal abgesehen?“ wiederholte Erika ungläubig, „Bist du denn ganz von Gott verlassen? Was für eine Unkorrektheit, verdammt noch mal, was meinst du denn?“ schrie sie Erich an.
„Reg dich doch nicht so auf, Schatz“, versuchte er sie zu beruhigen, „schau mal, in der Szene, in der dieser, wie heißt er noch mal, dieser gedungene Mörder?“
„Sparafucile“, antwortete Erika tonlos.
„Ach, ja, Sparafucile, was für ein komischer Name. Na, ja, als dieser Sparafucile dem Rigoletto im ersten Akt das Angebot macht, irgendjemanden für ihn zu ermorden, da haben sie doch eine Ratenzahlung vereinbart, nicht wahr?“
„Eine Ratenzahlung?“ flüsterte Erika, dem Wahnsinn nah über das unbestechliche Auge ihres Ehemannes.
„Weißt du das nicht mehr, mein Schatz?“ plauderte Erich munter weiter, „zwei Raten haben sie ausgemacht, eine Hälfte vor und die andere Hälfte nach getaner Arbeit. Und wie ist es dann abgelaufen, bei der zweiten Rate? Vor die Füße geschmissen hat Rigoletto dem Sparafucile das Geld, ohne eine Quittung zu verlangen!“
„Erich,“ unterbrach Erika ihren Mann mit sterbender Stimme, „du meinst, Rigoletto sollte vom Mörder seiner Tochter eine Quittung verlangen, für den Blutzoll? Bist du denn noch zu retten?“
„Aber Schatz, zu diesem Zweck wusste Rigoletto doch noch gar nicht, dass Sparafucile der Mörder seiner Tochter war. Nein, glaube mir, das war nicht korrekt, Erika. Dieser Sparafucile könnte doch glatt im Nachhinein behaupten, er habe das Geld nicht erhalten. Er könnte sogar klagen, vor Gericht, und glaube mir, Schatz, er käme damit durch“.


Erikas Gesicht war aschfahl geworden, bei den Ausführungen ihres Mannes.
Sie sah ein, dass es keine Zukunft mehr geben würde, für gemeinsame Opernbesuche, wollten sie beide nicht selbst demnächst vor Gericht landen, als Hauptbeteiligte in einem Scheidungsprozess.
Warum hatte sie bloß diesen Buchhalter geheiratet?
 
M

Minotaurus

Gast
Eine köstliche Geschichte!
Der Buchhalter zum Schluß war eine Überraschung.
Und ich dachte die ganze Zeit, Erich muß ein Anwalt oder sonst ein Rechtsverdreher sein. :D
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

gute geschichte. aber die passage zu diesem Zweck wusste Rigoletto doch noch gar nicht scheint mir nicht zu stimmen. du meintest vielleicht zu dieser Zeit.
lg
 

Raniero

Textablader
Hallo Minotaurus,
hallo flammarion,

freut mich, dass euch die Story gefallen hat.
Natürlich, du hast Recht, flammarion, es muss an dieser Stelle heißen: Zu diesem Zeitpunkt wusste Rigoletto noch gar nicht..
Vielleicht habe ich 'Zweck' geschrieben, weil ich dachte, diese Geschichte hat den Zweck, einem künftigen Rigoletto-Besucher ein wenig die Angst vor dem blutrünstigen Geschehen zu nehmen.:D

Gruß Raniero
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
kicher,

ich hab damals als 14jährige vor lauter lautem gesinge die handlung gar nicht verstanden . . .
lg
 



 
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