Nie Wieder

Chrisch

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Nie Wieder

Die zweite Scheidung war durch. Anne war Geschichte. Ich atmete frei die winterliche Luft und das machte mir auch die Gedanken frei. Endlich war es vorbei. Unsere Kinder haben ihr eigenes Leben. Jetzt fing meines erst richtig an.
Das ist erst gestern gewesen; heute bin ich einfach aufgestanden, habe mich nicht gleich gewaschen und angezogen, habe mir einfach einen Kaffee gemacht und bin mit nackten Füßen und wilden Haaren ins Wohnzimmer gegangen und habe die Beine auf den Tisch gelegt und wohlig das heiße Gesöff geschlürft und zwar richtig laut. Das soll mir in Zukunft mal einer verbieten! Ich stelle die leere Tasse einfach ins Bücherregal und stelle mir vor, wie sie einen Anfall bekommen hätte. Ich habe extra meine Socken auf die Erde geworfen als ich ins Bett gegangen bin und habe auch den Antischnarchgaumenschild nicht eingelegt. Welch befreiendes Schlafen! Ich musste nicht mal im Wohnzimmer nächtigen.
Beim Zähneputzen verteile ich die Spritzer gleichmäßig auf dem Spiegel und die Tube bleibt diesmal offen.
Das Gefühl der Freiheit ist einfach unvergleichlich.
Meine weißen Socken leuchten durch die offenen Sandalen. Ich laufe so durch die Wohnung, weil es doch etwas zu kalt ist um draußen in dieser Weise mein neues Lebensgefühl zu demonstrieren. Ich mache eine Büchse Ananas auf und fische mir den ersten Ring mit den Fingern heraus.
"Ja, du hast recht. Ich bin eben so und es schmeckt wunderbar.", schmatze ich der imaginären Exfrau zu, während mir der Saft von Mund und Fingern tropft. Wenn ich das damals kurz vor unserer Hochzeit gemacht hätte, dann wären mir die folgenden Jahre der Ehe erspart geblieben.
Die Hochzeit war schon toll. Sie sah einfach umwerfend aus. Plötzlich tropfen auch meine Augen. Wahrscheinlich ist der scharfe Saft daran schuld. Verschleiert sehe ich das Chaos, das ich in nur wenigen Minuten angerichtet habe.
"Quatsch, Chaos. Das ist ein Junggesellenhaushalt und jetzt mache ich mir was schnuckeliges zu Essen!" So ist es richtig! War nicht heute Abend das Spiel Herta gegen... gegen, egal, auf jeden fall Fußball. Muss noch einkaufen gehen. Ich habe schon so lange nicht mehr Fußball geschaut, dass ich gar nicht mehr richtig weiß, wie man das zünftig macht.
Wo ist mein Basecap? Hab ich noch Bier im Kühlschrank? Nach einigem Suchen finde ich auch meine Trainingshose, die mir zwar etwas eng vorkommt, ist wahrscheinlich eingelaufen, aber ich zwänge mich dennoch hinein. Auf dem Sportkanal ist natürlich rund um die Uhr etwas Aufregendes zu sehen, muss also nicht bis abends warten, jetzt nur Eisstockschießen, Lokalvorentscheidung, aber es ist spannend die Regeln zu erraten. Immer wenn ich gerade meine, jetzt weiß ich es, verblüfft mich wieder eine Variante, echt aufregend. Wie ich unsere Gespräche und Diskussionen vermisse. Es machte Spaß, ihrem scharfen Verstand zu folgen.

Ich muss wohl eingenickt sein; es ist schon dunkel und die Tabellen der Platzierten wiederholen sich unaufhörlich. Habe irgendwie keine Lust mehr auf Fußball. Werde mal Anne fragen, ob wir nicht in der kühlen Abendluft durch den Park gehen wollen. Die Erkenntnis, dass es keine Anne mehr in meinem Leben gibt, wirft mich förmlich um.
Was habe ich eigentlich falsch gemacht? Echt keine Ahnung. Bestimmt ist da doch irgendein anderer Kerl gewesen, zwanzig Jahre jünger als ich, aber der wird sich schon bald wundern, was er plötzlich alles nicht mehr machen kann, das ihm wichtig ist. Wahrscheinlich wird er dann keinen mehr hochkriegen, hihi.
Man muss sie nämlich einfühlsam nehmen. Sie ist so empfindlich an den Ohrläppchen und nur ich weiß, die Stelle an ihrem Nacken, bei der man sehen konnte wie sich die Härchen an ihrem Arm aufrichteten und sie meist ein kleines Stöhnen nicht unterdrücken konnte.
Ich hätte das viel öfter machen sollen, aber wenn ich rausbekomme wer der Kerl ist, dann werde ich ihm die Fresse dermaßen polieren, dass der Joker aus Batman dagegen ein geradezu himmlisch schönes Gesicht hat.
Ach, Blödsinn! Soll er sie doch anschaffen schicken. Das kann sie bestimmt gut, aber da wird er Pech haben; sie hat die 50 schon überschritten und so ein altes Mädchen wird wohl doch eher allein am Straßenrand stehen. Dabei probiere ich mein gemeinstens Grinsen, aber sehe doch nur vor mir, wie schön sie immer noch ist.
Wenn der Dreckskerl das macht, dann wird sie bestimmt merken, was sie an mir hatte. Ich werfe die Bierbüchse zu den anderen in die Ecke.
Ich bin ja so froh, dass sie weg ist!
 



 
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