Nirwana oder Thomas Mann
Emil Z. sah nachdenklich in das üppige Grün vor seinem spaltbreit geöffneten Fenster. Weit genug weg in der Nachbarschaft klimperte leise ein Klavier. Auch so ein freischaffender Künstler, dem nichts einfiel. Emil Z. stand auf und schloss das Fenster.
Seine punktgenaue Konzentration wollte gepflegt sein, die zentripetalen Kräfte galt es zu stärken. Der allgegenwärtigen, verführerischen Zerstreuung setzte er den unbedingten Willen zum Fokus entgegen.
Wobei die Bedingungen gar nicht mal schlecht waren an diesem Vormittag. Graue, schwere Wolken zogen träge vorbei und ein leichter Sprühregen ließ die Blätter glänzen. Am Wetter lag es nicht, das konnte besser nicht sein, fand er.
Die brutale Helle eines grenzenlos blauen Himmels bedeutete ihm Gefahr, Angst, verstärkte die Gewissheit des Verlorenseins; ein Nichts in der wüstenhaften Einsamkeit des Alls. Diese starke, klare Erkenntnis der kosmischen Leere hatte verlässlich ihr Pendant in der reflexartigen Bewusstwerdung der eigenen inneren Leere. Alles Wollen erlosch, alle Orientierung verlief sich und eine religiöse Ekstase, das unterschiedslose Einssein mit Allem ergriff Emil Z.
In diesen Momenten schien das Nirwana erstaunlich nahe und nur sein Leib, seine Physis waren ein letztes Hindernis auf dem Weg dorthin. Hatte das innere Geschehen diesen kritischen Punkt erreicht, bündelte er in einem voluntaristischen Kraftakt seine Restvitalität, erhob sich leise fluchend vom Schreibtisch und schlurfte hinüber zur Hausbar. Nur das rasche Trinken starker geistiger Getränke und die damit einhergehende intensive körperliche Wahrnehmung konnten einer weiteren krisenhaften Zuspitzung jetzt noch Einhalt gebieten. Der Tag war verloren, sicherlich, andererseits war er gerettet, - vorläufig.
Doch heute, im hier und jetzt, bestand keine Auflösungsgefahr, es regnete.
Emil Z. fiel trotzdem nichts ein.
Sein Kopf ließ die Ordnung vermissen, die Gedanken tanzten chaotisch und Zweifel, grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit des ganzen Projektes lähmten den Produktionsprozess. Die Figuren, die er erschaffen, denen er Leben eingehaucht hatte und die nun im existenziellen Konflikt einander massakrierten, wirkten konturlos, blutleer, leidenschaftslos. Sie taten das, was die Logik der Handlung erforderte, aber ohne Begeisterung. Ihnen fehlte die Haltung, die Botschaft, der Kick. Vor allem : Ihnen fehlte der Witz, sie waren gänzlich humorlos.
Er hatte sich seinen Protagonisten entfremdet.
Emil Z. seufzte. Er kannte das Problem. Wenn der Schreibfluss versiegte, war es schwer, noch einmal anzuknüpfen. Er war nicht Thomas Mann. Er konnte seine Kreativität nicht disziplinieren und täglich vormittags eine Seite schreiben, komme, was da wolle.
Das hätte gewiss einiges vereinfacht.
Vielleicht sollte er den Stoff ein Weilchen liegen lassen und in der Zwischenzeit seine merkwürdige Wetterfühligkeit essayistisch aufbereiten. Möglicherweise war er mit dieser Disposition nicht allein, sondern artikulierte einen Schmerz, der den Nerv der Gesellschaft berührte. Und er als Erster trat damit an die Öffentlichkeit : Ruhm und Ehre, Reichtum und Frauen und trotz aller Wertschätzung blieb er sympathisch bescheiden.
Es klingelte.
Franz K. stand in der Tür, nass, in aufgeräumter Stimmung, wie immer unangemeldet, mit feinem Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Er lebte ein paar Blocks die Straße rauf in ähnlicher Situation. Wenn er gefragt wurde, sprach er von sich als Lohnschreiber.
„Alter, was geht?“
Emil Z. fand die jugendlich – dynamische Attitüde seines Gegenübers stets unangemessen, aufgesetzt und krass widersprüchlich zu den offensichtlichen Tatsachen. Egal, darüber ließ sich hinwegsehen.
„Nun, du findest mich in einer sehr schwierigen Phase. Der Stoff sträubt sich und die Figuren sind mir entglitten. Die Story hat konstruktive Defizite, darunter leidet die Glaubwürdigkeit. Ich kann die Fehler benennen, ich sehe die Lücken, doch es fehlt mir die Inspiration; ich bin blockiert. Vielleicht lass ich den Stoff einfach ein Weilchen ruhen, manches ergibt sich mit der Zeit ja von selbst.“
„Ja, Mann, genau, entspann dich. Mir geht es original genauso. Ich glaube, das liegt an dem Scheißwetter. Man sollte echt mal einen Essay über den Einfluss der äußeren Umstände auf die Kreativen schreiben.“
Emil Z. schwieg. Manchmal würde er Franz K. am liebsten eine klatschen.
„Okay,“ fuhr der fort, „eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du mit in die `Oase` kommst. Ich treff mich da mit ein paar Leuten, einige kennst du vom sehen. Würde dir bestimmt Spaß machen.“
Emil Z. überlegte einen Moment, dann nickte er. Hier gab es für ihn ohnehin nichts mehr zu tun. Vielleicht wäre ein lockeres Gespräch unter Kollegen genau das richtige. Jedenfalls brauchte er jetzt unbedingt ein wenig Zerstreuung.
Emil Z. sah nachdenklich in das üppige Grün vor seinem spaltbreit geöffneten Fenster. Weit genug weg in der Nachbarschaft klimperte leise ein Klavier. Auch so ein freischaffender Künstler, dem nichts einfiel. Emil Z. stand auf und schloss das Fenster.
Seine punktgenaue Konzentration wollte gepflegt sein, die zentripetalen Kräfte galt es zu stärken. Der allgegenwärtigen, verführerischen Zerstreuung setzte er den unbedingten Willen zum Fokus entgegen.
Wobei die Bedingungen gar nicht mal schlecht waren an diesem Vormittag. Graue, schwere Wolken zogen träge vorbei und ein leichter Sprühregen ließ die Blätter glänzen. Am Wetter lag es nicht, das konnte besser nicht sein, fand er.
Die brutale Helle eines grenzenlos blauen Himmels bedeutete ihm Gefahr, Angst, verstärkte die Gewissheit des Verlorenseins; ein Nichts in der wüstenhaften Einsamkeit des Alls. Diese starke, klare Erkenntnis der kosmischen Leere hatte verlässlich ihr Pendant in der reflexartigen Bewusstwerdung der eigenen inneren Leere. Alles Wollen erlosch, alle Orientierung verlief sich und eine religiöse Ekstase, das unterschiedslose Einssein mit Allem ergriff Emil Z.
In diesen Momenten schien das Nirwana erstaunlich nahe und nur sein Leib, seine Physis waren ein letztes Hindernis auf dem Weg dorthin. Hatte das innere Geschehen diesen kritischen Punkt erreicht, bündelte er in einem voluntaristischen Kraftakt seine Restvitalität, erhob sich leise fluchend vom Schreibtisch und schlurfte hinüber zur Hausbar. Nur das rasche Trinken starker geistiger Getränke und die damit einhergehende intensive körperliche Wahrnehmung konnten einer weiteren krisenhaften Zuspitzung jetzt noch Einhalt gebieten. Der Tag war verloren, sicherlich, andererseits war er gerettet, - vorläufig.
Doch heute, im hier und jetzt, bestand keine Auflösungsgefahr, es regnete.
Emil Z. fiel trotzdem nichts ein.
Sein Kopf ließ die Ordnung vermissen, die Gedanken tanzten chaotisch und Zweifel, grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit des ganzen Projektes lähmten den Produktionsprozess. Die Figuren, die er erschaffen, denen er Leben eingehaucht hatte und die nun im existenziellen Konflikt einander massakrierten, wirkten konturlos, blutleer, leidenschaftslos. Sie taten das, was die Logik der Handlung erforderte, aber ohne Begeisterung. Ihnen fehlte die Haltung, die Botschaft, der Kick. Vor allem : Ihnen fehlte der Witz, sie waren gänzlich humorlos.
Er hatte sich seinen Protagonisten entfremdet.
Emil Z. seufzte. Er kannte das Problem. Wenn der Schreibfluss versiegte, war es schwer, noch einmal anzuknüpfen. Er war nicht Thomas Mann. Er konnte seine Kreativität nicht disziplinieren und täglich vormittags eine Seite schreiben, komme, was da wolle.
Das hätte gewiss einiges vereinfacht.
Vielleicht sollte er den Stoff ein Weilchen liegen lassen und in der Zwischenzeit seine merkwürdige Wetterfühligkeit essayistisch aufbereiten. Möglicherweise war er mit dieser Disposition nicht allein, sondern artikulierte einen Schmerz, der den Nerv der Gesellschaft berührte. Und er als Erster trat damit an die Öffentlichkeit : Ruhm und Ehre, Reichtum und Frauen und trotz aller Wertschätzung blieb er sympathisch bescheiden.
Es klingelte.
Franz K. stand in der Tür, nass, in aufgeräumter Stimmung, wie immer unangemeldet, mit feinem Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Er lebte ein paar Blocks die Straße rauf in ähnlicher Situation. Wenn er gefragt wurde, sprach er von sich als Lohnschreiber.
„Alter, was geht?“
Emil Z. fand die jugendlich – dynamische Attitüde seines Gegenübers stets unangemessen, aufgesetzt und krass widersprüchlich zu den offensichtlichen Tatsachen. Egal, darüber ließ sich hinwegsehen.
„Nun, du findest mich in einer sehr schwierigen Phase. Der Stoff sträubt sich und die Figuren sind mir entglitten. Die Story hat konstruktive Defizite, darunter leidet die Glaubwürdigkeit. Ich kann die Fehler benennen, ich sehe die Lücken, doch es fehlt mir die Inspiration; ich bin blockiert. Vielleicht lass ich den Stoff einfach ein Weilchen ruhen, manches ergibt sich mit der Zeit ja von selbst.“
„Ja, Mann, genau, entspann dich. Mir geht es original genauso. Ich glaube, das liegt an dem Scheißwetter. Man sollte echt mal einen Essay über den Einfluss der äußeren Umstände auf die Kreativen schreiben.“
Emil Z. schwieg. Manchmal würde er Franz K. am liebsten eine klatschen.
„Okay,“ fuhr der fort, „eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du mit in die `Oase` kommst. Ich treff mich da mit ein paar Leuten, einige kennst du vom sehen. Würde dir bestimmt Spaß machen.“
Emil Z. überlegte einen Moment, dann nickte er. Hier gab es für ihn ohnehin nichts mehr zu tun. Vielleicht wäre ein lockeres Gespräch unter Kollegen genau das richtige. Jedenfalls brauchte er jetzt unbedingt ein wenig Zerstreuung.