Novemberballade

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Ikarus

Mitglied
Novemberballade

Trübsalflair und Nieselregen,
Feuchtes Laub auf Straßen, Wegen.
Dichte, satte Nebel wallen,
Unsichtbare Schritte hallen.

Morgendunst, Gespensterstille,
Vogelnest in Ast und Zwille
Leer, nur Tann- und Weidenmeisen
Fiepen kleinlaut – Falken kreisen

Unterm Grau und aus dem Weiher
Dampft es einsam, fliegt der Reiher
Furchtsam - an des Nachens Rumpf
Stiebt die Welle, schlägt sie dumpf.

Fades Gras und bleiche Fluren,
Raureif, Minustemperaturen.
Dürre Dolden, welke Blumen,
Kümmerliche Äcker, Krumen.

Stürme! Banges Zittern! Trümmer
In den Wäldern - Sterngeflimmer
Selten, Mondglanz nur bescheiden,
Sonne rar an Tageszeiten.

Traktorspuren, Krähenschwärme,
Lange Nächte, Kuschelwärme.
Gelenkprobleme, Schnupfenplage –
So sind halt Novembertage!
 

blaustrumpf

Mitglied
Hallo, Ikarus

Mir gefällt deine Novemberballade nicht ganz so gut.

Gewiss, es ist witzig, Zeilen "überlaufen" zu lassen. Aber der Effekt ermüdet beim zweiten Mal bereits sich und mich. Du könntest das ohnehin durch ein einfaches Umstellen zumindest in der dritten Strophe vermeiden.

Mein erster Vorschlag:
Unterm Grau und aus dem Weiher
Dampft es, einsam fliegt der Reiher.
Furchtsam an des Nachens Rumpf
Stiebt die Welle, schlägt sie dumpf.

Gut, das mit der Welle wirkt dann ein bisschen übertrieben. Da ich bisher weder einen furchtsamen Reiher noch eine dito Welle gesehen habe, fehlt es meinem Erfahrungshorizont vielleicht ein bisschen an Höhe. Aber gleichzeitig stieben und dumpf anschlagen, das ist für mich ohnehin ein schiefes Bild. Was willst du beschreiben, die Bewegung des Stiebens oder den gedämpften Klang?

Mein zweiter Vorschlag:
Unterm Grau und aus dem Weiher
Dampft es, einsam fliegt der Reiher.
Wellen an des Nachens Rumpf
stieben auf und schlagen dumpf.

Dann können die ihres Ichs bewussten Wellen selbst entscheiden, ob sie beispielsweise am Bug aufstieben wollen und vielleicht unterhalb des Dollbords dumpf anschlagen. Fährt der Nachen eigentlich, was das Stieben nahelegen würde, oder ist er verankert, was sich für die dumpfen Wellenschläge empfähle?

Die Novemberstürme fahren in dein Gedicht ein wie in eine Fichtenschonung. Der Effekt ist sicher beabsichtigt, aber der Aufbruch, den die Gesamtstimmung erleidet, ist mir zu beiläufig. In meinen Augen packst du gerade in diese Strophe zuviel an unterschiedlichen Bildern. Ich würde wohl eher auf diesen Vierzeiler verzichten, als die Angelegenheit durch Aufteilen in zwei Strophen in die Länge zu ziehen. Die elegische Stimmung der ganzen Ballade ist dadurch geschlossener, was dem Überraschungseffekt der abschließenden beiden Zeilen nur zuträglich sein kann.

So. Das war's. Schöne Grüße von blaustrumpf
 

huesera

Mitglied
hallo ikarus,
mir gefällt dieses werk sehr gut. es scheint, als wabern zwischen den zeilen förmlich tröpfchenschwere nebelschwaden hervor ;). du beleuchtest den november von allen seinen seiten und das mit durchgängig interessanter wortwahl und guten reimen.
lediglich über die "minustemperaturen" bin ich auch gestolpert. ich hätte das e durch ein apostroph ersetzt, damit der fluss erhalten bleibt.
lg huesera
 

Ikarus

Mitglied
Hi Lapismont und huesera,

danke euch beiden sehr.

Was den Holperer betrifft:

"Raureif, Minustemperaturen"

Anfangsbetonung liegt auf Rau, was einen unbetonten "reif"
nach sich zieht. Nächste Betonung liegt auf der Silbe "Min".
Versucht die Zeile zu leiern oder ohne jede Betonung schnell
zu sprechen. Ich denke, es ist der Raureif, der's kompliziert macht:

"Raureif, kalte Temperaturen" Probiert diesen Satz mal (obwohl mir "kalt" ja nicht gefällt!)

Letztendlich bemerke ich keinen Holperer. 8 Silben und gleicher
Rhythmus stimmen mit den Strophen davor und danach überein.

Vielleicht ist es wirklich nur ein Problem der Aussprache!?

Lieben Dank euch
Ikarus
 

Ikarus

Mitglied
Hi Blaustrumpf,

gerne antwortet ich dir!!!

Dein Vorschlag lautet:

"Unterm Grau und aus dem Weiher
Dampft es, einsam fliegt der Reiher.
Furchtsam an des Nachens Rumpf
Stiebt die Welle, schlägt sie dumpf."

...finde ich gut. Insofern das "einsam" nach dem Komma zu setzen und für stiebt ein anderes Wort zu finden. Denn da haste Recht, stiebt passt nicht unbedingt, da es ja ein sehr ruhiger Weiher ist.

Übrigens. Der Nachen ist angekettet.

Nur würde ich gerne den Reiher furchtsam lassen, da
nach eigener Erfahrung er sehr ängstlich und vorsichtig ist und verschwindet, wenn er Schritte hört...Um ihn zu fotografieren braucht man ein grooooooooooooßes Objektiv!

Nun, die vorletzte Strophe sollte nix weiter wie den Sturm
beinhalten. Wollte nicht mehr bezwecken. Sturm, symptomatisch
für den Herbst, natürlich!
Also mit dieser Strophe hätte ich jetzt kein Problem.

Deine Kritik hat mich dennoch belehrt. Schade finde ich schon, dass dir meine Ballade nicht besonders gefiel...

Ich versuche mal das Bild gerade zu richten, was die Welle betrifft.

Danke dir, Blaustrumpf und liebe Grüße
Ikarus
 

Lunar Light

Mitglied
Lieber Ikarus,

mir gefällt deine novemberballade sehr gut. das liegt mit sicherheit nicht zuletzt daran, dass mir die thematik sehr zusagt und ich selbst gerne über eindrücke dieser art schreibe.

lediglich was die minustemperaturen betrifft, muss ich mich den anderen anschließen. das ist meiner bescheidenen meinung nach der einzige holperer in der rhythmik.
was die wellen-geschichte angeht... nun, ich hätte die welle vermutlich sterben statt stieben lassen, aber an deinem ausdruck störe ich mich nicht, und kann eigentlich nicht so wirklich verstehen, warum das hier zum thema gemacht wird.

das einzige, was mir gerade noch auffiel, ist, dass es sich - strenggenommen - um keine ballade handelt. da sich 'ballade' aber nur auf die (wie ich finde, sehr passende) titelwahl bezieht, ist das keine kritik, sondern lediglich eine neutrale feststellung.

weiter so~

Deine Renée.
 

blaustrumpf

Mitglied
Hallo, Lunar Light

Da ich diejenige bin, die sich an diesem "Stieben" gestoßen wird, will ich dir deine Frage, "...warum das hier zum thema gemacht wird" gerne beantworten.

Die Leselupe ist ja ein recht großes Literatur-Forum. Da ist Platz nicht nur für die unterschiedlichsten Meinungen, sondern eben auch für verschiedene Ansprüche. Meiner Meinung nach gibt es in einem wirklich guten Text (sei er nun Lyrik oder Prosa) kein überflüssiges oder falsches Wort. Es kommt auf jedes Wort an und auf jedes Satzzeichen.

Ich weiß, dass diese Meinung nicht von allen geteilt wird. Aber die Sorgfalt, die Ikarus seiner Novemberballade" bereits in der ersten Fassung so offensichtlich hat angedeihen lassen, gab mir das Gefühl, es sei sinnvoll, ihn auf mein Unbehagen anzusprechen.

Was Schreibende daraus machen, was ihnen andere Schreibende kommentierend zuarbeiten, zuzuschauen, wie ein Text immer klarer und genauer wird, gehört für mich zu den reizvollsten Besonderheiten der Leselupe.

Schöne Grüße von blaustrumpf
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja, Blaustrumpf hat recht!

Jedes Wort ist der Diskussion wert. Die Autorin oder der Autor entscheidet ja letztendlich welche Anmerkungen sie/er umsetzt, verinnerlicht oder einfach nur hinnimmt.

dichter am Text, wie hier ein perfekter Slogan heißt.

cu
lap
 

Lunar Light

Mitglied
hallo ihr beiden,

gut, damit habt ihr mit sicherheit recht. ich hab es selbst schon oft erlebt, dass ein einziges wort so gar nicht ins wort- oder satzgefüge passte, dass ich mich beim lesen einfach daran gestört habe. wenn das in diesem fall für euch so ist, ist es auch gut so, dass ihr eure meinungen kundtut. nur empfinde ich dieses wort in dem text eben nicht als störend und kann es aus diesem grund nicht wirklich verstehen. aber dafür sind meinungen auch viel zu subjektiv als dass man immer alles nachempfinden könnte. und für konstruktive kritik sind hier mit sicherheit alle autoren offen - wäre zumindest wünschenswert. das sollte auch kein angriff oder eine abwertung eurer meinung sein. im gegenteil - ich wollte den autor oder die autorin lediglich wissen lassen, dass ich es anders sehe...

liebe grüße~

lunar light
 



 
Oben Unten