Novembergewitter

LUPESIWA

Mitglied
Aus meiner Reihe "Geschichten über Senioren für Senioren"

Novembergewitter

In drohender Stille ballen sich Berge dunkler Wolken am Novemberhimmel zusammen. Plötzlich schießt ein greller Blitz im Zick Zack aus der schwarzen Wand und Sekunden später zerreißt ein unheimliches Krachen die trügerische Ruhe.
Ein kleiner spitzer Schrei geht darin unter und einige Bewohner bemerken etwas verwundert, wie Johanna Helbig, die Arme über den Kopf verschränkt, ganz verstört in sich zusammenfällt.
„Das ist wieder typisch“, poltert Frau Eberlein los, „nicht nur stumm, auch noch überängstlich.“
„Nun halten sie endlich mal den Mund!“, fährt Isolde Gruber zornig dazwischen, „ihnen ist wohl gar nichts heilig.“
So trüb wie der Novembertag ist, verändert sich auch schlagartig die Stimmung in der sonst so gemütlichen Sitzecke. Gerade heute haben sich die meisten Bewohner der zweiten Etage dort zusammengefunden, da sie bei dem unheimlichen Gewitter nicht allein auf ihren Zimmern hocken wollen.
„Ich habe vor fast 20 Jahren meinen Mann durch einen Blitzschlag verloren“, unterbricht eine leise Stimme das Schweigen. Johanna Helbigs Mitteilung schlägt auch ein wie ein Blitz.
„Ist das wahr? das tut mir leid, aber warum hast du nicht…, das hab ich nicht gewusst, warum haben sie nie….“, stürmen von allen Seiten die Worte auf sie ein.
„Ist schon gut, ist schon gut“, unterbricht sie mit einer energischen Handbewegung den Redeschwall. „Ich habe es bisher niemanden erzählt, warum auch, ich kenn ja eure Geheimnisse ebenso wenig. Aber das nächste Gewitter kommt bestimmt und wenn ich bei Blitz und Donner wieder zusammenzucke, wisst ihr wenigstens Bescheid“, setzt sie mit einem kleinen Schmunzeln fort, das aber gleich wieder erstarrt, als es erneut und noch viel gewaltiger kracht.

Gustav Häberlein eilt, die eine Hand erhoben und mit der anderen seine Finger zählend, ganz aufgeregt auf die Sitzenden zu. „Es war hier in der Nähe“, ruft er laut, ganz in der Nähe!“
„Was war hier in der Nähe, sie aufgedrehter Professor“, reagiert Frau Eberlein ziemlich grantig, da sie sich immer noch über die Zurechtweisung der Frau Gruber ärgert.
„Drei Sekunden zwischen Blitz und Donner, das heißt, 3 mal 333, also 999 Meter entfernt hat es vielleicht eingeschlagen, muss nicht, aber kann, bei dem gewaltigen Knall“, und ohne die Eberlein zu beachten, setzt er sich zu Einstein und Mücke, den beiden anderen männlichen Mitbewohnern auf der Etage.
Das ärgert Frau Eberlein aufs Neue und missmutig schaut sie in die Runde. „Igitt! das ist ja ekelig, was für eine Sauerei“, übertönt ihre keifende Stimme das friedliche Gemurmel an den Tischen. „Ja sieht das denn keiner? Da liegt ein Gebiss im Wasserglas, ein Gebiss und wir trinken vielleicht heute Abend daraus“, empört sie sich weiter und zeigt mit dem Finger auf den Platz neben sich.
Alle Blicke folgen ihrer Hand und tatsächlich liegen Zähne in einem Wasserglas. Keiner regt sich aber so darüber auf, sie überlegen nur, wer da gerade noch gesessen hatte.
Schwester Hilde kommt nach hinten. “Was ist denn los Herrschaften?“
„Unmöglich so was, ein Gebiss….“ Weiter kommt Frau Eberlein nicht.
Eilig nähert sich Agathe Brunner der Runde und ruft schon von weitem. „Ach liebe Erna, du hast meine Zähne gefunden? Gott sei Dank, ich hatte schon befürchtet, ich hätte sie beim Kuchen essen mit verschluckt.“ Dann schnappt sie sich das Glas und verschwindet wieder in ihrem Zimmer und hat die Lacher auf ihrer Seite.
Jetzt reicht es der Nörglerin und griesgrämig verschwindet sie im Nachbarzimmer.
Das Gewitter draußen ist auch inzwischen weiter gezogen.
 



 
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