Nur die Fliegen, die Fliegen nerven so!

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Skala

Mitglied
Eigentlich war es ein schöner Sommer, dachte er und griff nach seiner Fliegenklatsche. Die mit dem blauen Griff, aber er hatte noch zwei andere, eine rote und eine schwarze, wo die war, wusste er nur nicht mehr.
Das kleine Tierchen hatte sich auf den Küchentisch gesetzt, direkt neben sein Mittagessen, Spinat und Kartoffelpüree. Die Fischstäbchen waren verbrannt, als er auf der Jagd nach vier Fliegen gewesen war, die sich heimlich in die Küche geschlichen hatten. Eklige Biester. Derentwegen hatte er die Fischstäbchen wegwerfen müssen.
Diese Fliege war die fünfte heute. Nur in der Küche. Vorsichtig hob er die Fliegenklatsche. Verharrte einen Moment. „Sayonara“, flüsterte er und ließ die Fliegenklatsche unvermittelt auf das arme Tier niedersausen. Drückte noch einmal extra zu, presste es zu Matsch.
Zufrieden ließ er die platte Fliege platte Fliege sein und begann zu essen.
Eigentlich war es ein schöner Sommer, dachte er, aber die Fliegen, die waren wirklich schlimm. Ein Schweißtropfen löste sich an seinem Haaransatz, rann seine Stirn hinab um dann auf seiner Augenbraue hängen zu bleiben. Ein widerliches Gefühl. Er wischte den Tropfen mit dem Handrücken ab und schob sich die letzte Gabel Kartoffeln in den Mund.
Schon wieder eine Fliege. Nein, zwei. Eine am Toaster, sich im durchs Fenster fallenden Lichtstrahl sonnend, eine am Kühlschrank. Er sprang auf, griff nach der Fliegenklatsche, an der noch die Reste von Fliege Nummer fünf klebten und machte der Toaster-Fliege den Garaus. Die Kühlschrank-Fliege entwischte ihm, aber nur ganz knapp, sagte er zu sich, und das Biest würde schon sehen, wo es bliebe.
Am Kühlschrank klebte neben einem alten Fliegenkadaver ein zerknittertes Farbfoto. Sommerurlaub in Sizilien. Meer, Sand, er und sie. Bevor sie die Koffer gepackt und sich mit einem fröhlichen „Bye, bye!“ davongemacht hatte.
Er legte sein Mordinstrument an die Seite und öffnete das einzige Fenster in der kleinen Küche. Ein Hitzeschwall schwappte in den Raum, der die miefige Luft für einen kurzen Moment aufwirbelte.
Er ließ das Fenster offen und trat in den kleinen Flur. Ein leises Summen drang an sein Ohr. Fliegen. Im Flur zählte er jetzt bereits fünfzehn – nein, sechzehn –, aber im Wohnzimmer war es noch schlimmer. Dort musste ein Nest sein, irgendwo. Vielleicht sollte er einen Fachmann rufen.
Er ging zurück in die Küche, holte die blaue Fliegenklatsche und richtete ein Massaker im Flur an. Vierzehn Opfer, stellte er befriedigt fest.
Er ging ins Wohnzimmer. Erschlug schon an der Tür vier Fliegen. Am Fernseher saßen noch mehr. Die meisten fanden ihren Tod unter seiner Fliegenklatsche.
Dann hatte er keine Lust mehr. Er legte das blaue Stück Plastik, das bereits in seiner verschwitzten Hand zu schmelzen schien, auf den Wohnzimmerschrank, ging zum Sofa und setzte sich neben seine Mutter.
Er schmiegte sich an sie, legte seinen Kopf auf ihre Schulter und fühlte, wie zu dem ganzen Schweiß auch noch eine einzelne Träne seine Wange herunterlief.
„Mutti“, schluchzte er, seine Hände um ihre legend, die gefaltet in ihrem Schoß ruhten, „Mutti, ich wünschte, du hättest diesen Sommer erlebt. Er ist eigentlich ganz schön, weißt du, nur die Fliegen, die Fliegen nerven so!“
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Skala, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

"Schöne" Geschichte - und Norman Bates lässt grüßen. :)


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 

van Geoffrey

Mitglied
Bsss! - KIatsch!

Eine runde Geschichte mit Pointe.
Zuerst dachte ich: Oje, da will jemand einen gefühllosen Mann zeichnen. Und war damit eigentlich nicht zufrieden, denn so etwas ist klischeehaft.
So hat mich der Schluss angenehm überrascht.
Alles ist wunderbar dicht beschrieben. Man hat das Empfinden, einem lebendigen Menschen zu begegnen.
Als Anregung empfehle ich, die Geschichte manchmal mehr durch dazwischengeschobene Bilder, die alles kaleidoskopartig ergänzen können, zu erzählen.
 

valcanale

Mitglied
Berührend, beeindruckend, beklemmend.
Selten eine Geschichte in solcher Komprimierung gelesen, die so aufwühlt.
Super! Wünschte, ich könnte das auch ;)!
Gratulation!
Valcanale
 

van Geoffrey

Mitglied
Über den Zaun gucken

Das ist uns wohl allen gemeinsam: ein wenig über den Zaun gucken und sich wundern, wo die andern denn das alles her nehmen.
Das spornt an, hält demütig und ermutigt zugleich.
Also das volle Programm bei der Leselupe.
 

Skala

Mitglied
@DocSchneider:
Vielen Dank für das herzliche Willkommen! Ich hoffe auch, hier ein bisschen mehr Textarbeit betreiben zu können, als das in anderen Foren schonmal möglich ist. :) Und danke für die Links, die waren sehr hilfreich! (Ich hoffe übrigens jetzt, dass mein Prot nie auf die Idee kommt, ein Motel zu eröffnen - hatte nicht im geringsten an Norman Bates gedacht, als ich die Geschichte, die übrigens eine meiner älteren ist, geschrieben habe.)
Liebe Grüße, Skala.


@van Geoffrey: Danke für das Lob! Zu der Geschichte (die immer so meine Anmeldungs-Repräsentations-Geschichte ist), habe ich schon einmal eine Textarbeit bekommen, die eine ähnliche Anregung, wie du hervorbrachte. Ungefähr so in der Art, dass der Prot ein bisschen etwas bräuchte, dass ihn "menschlicher" macht, woraufhin ich die kleine Szene mit dem Foto am Kühlschrank eingefügt habe. Ich schätze, solche kleinen, aus dem Zusammenhang gerissenen Szenen sind das, was du unter "kaleidoskopartig" eingeschobene Bilder verstehst, oder? Werde mal drüber nachdenken, ob man da vielleicht noch etwas hinzufügen kann. :)
Liebe Grüße, Skala.


@valcanale: Vielen Dank! Das klingt so euphorisch, da werde ich glatt rot. Aber, um das Ganze etwas zu relativieren: Neben gelegentlichen Ausreißern schreibe ich auch ziemlich viel Mist für den Papierkorb und bin immer froh, wenn mir andere sagen können, was ich an meinen Texten noch verbessern kann. :)
Liebe Grüße, Skala.
 

van Geoffrey

Mitglied
Ja

Ja, auch der durch's Fenster fallende Lichtstrahl, in dem sich die Fliege sonnt, ist so ein scheibar belangloses Bild, das zum Ganzen dazuzugehören scheint.
Oder Spinat mit Kartoffelpüree.
Ich finde diese scheinbar belanglosen Dinge, die einfach wie absichtslos dazwischengeschoben sind, stellen eine gute Technik dar, die Geschichte aufzulockern.
Finde ich viel besser, als alles mintiös zu beschreiben.
Man kann rasche Sprünge zu den verschiedensten Themen machen - das wären im Film die Schnitte und schnellen Szenenwechsel.
Man kann auch gut - in Anlehnung an die guten alten Filme - mal einen "Schnitt" machen, und die Szene aus einer anderen Perspektive zeigen. Hitchcock machte immer wiede diese Schnitte, wo dann das Zimmer von außen durch's Fenster gezeigt wurde. Das könnte dann so aussehen: Ein Mann blickt zum Fenster hoch, geht zur Gegensprechanlage, zögert, geht wieder - und wieder Schnitt zum Zimmer. Der Mann draußen hat nichts mit der Handlung zu tun, aber er baut Spannung auf, und man rätselt, was der mit der Geschichte zu tun hat.
Sicher gibt es noch andere Tricks, eine Geschichte rund zu machen, aber ich wollte dich ermutigen, das immer wieder einmal zu verwenden.
Es könnte sein, dass du dazu ein besonderes Talent hast.
Das wird alles noch wachsen, aber wenigstens bestätige ich das, was ich als besonders gelungen erkenne.

LG
 
Eine geniale Geschichte!

Das Ende gefällt mir sehr gut und es hinterlässt noch einige Spuren, die einen zum Nachdenken bringen.
Das einzige was mich vielleicht am Anfang leicht gestört hat, waren die häufigen Kommas bei z.B. den Fliegenklatschen. Ist aber Geschmackssache.

Liebe Grüße,
LyrikAmbition
 
Gedanken zu - nur die Fliegen ....

Hallo Skala

... und noch einer mit einem dicken Lob!
Mir hat besonders gefallen, wie sich die Szenerie mit der immer höheren Anzahl von Fliegen verdichtete und man als Leser, der sich über die Quelle wunderte, dorthin "geleitet" wurde. Also das große Finale ... man wird "gezwungen" bis zum Ende mit zu"gehen".
Widerspricht dem was ich mal - vor Jahren- im Deutschunterricht gelernt hatte: Anfang - Mitte(Höhepunkt) Schluß.
Sorry, keine Verbesserungsvorschläge, keine Belehrungen, kein Gemeckere ...
Gruss Thomas
 



 
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