Anonym
Gast
Sie wartete auf ihn. Wieder einmal. Wie viele Stunden hatte sie eigentlich in den vergangenen zwei Jahren mit Warten verbracht? Es mussten hunderte sein.
Heute wollte er um achtzehn Uhr kommen und nun hatte er bereits eine Stunde Verspätung. Wie immer wird etwas dazwischengekommen sein, eine Besprechung, ein Telefonat, ein Kundenbesuch ... oder eben seine Familie.
Die ging immer vor. Vor allem die Kinder, immer wieder die Kinder. Zwei hatte er, einen Jungen und ein Mädchen. Sie gingen beide in die Grundschule.
Nette Kinder, sie hatte sie ein Mal auf der Straße gesehen, als sie sein Haus beobachtet hatte. Um die Menschen zu sehen, die immer an erster Stelle kamen.
Sie fing ja schon fast an, diese Kinder zu hassen, aber als sie sie sah ... diese unschuldigen Wesen, was konnten sie schließlich dafür, dass ihr Vater sich in sie verliebt hatte?
Eigentlich störten die Kinder sie mehr als seine Frau. Das war eine attraktive Mutter, die eigentlich alles hatte, was sie brauchte. Ihr Mann offensichtlich nicht, denn sonst hätte sie selbst keinen Platz in seinem Leben gefunden.
Sie sprachen nie über seine Frau. Nur über die Kinder, denn wenn mit ihnen irgendetwas war, erzählte er es ungefragt. Als sein Sohn wegen Blinddarmreizung ins Krankenhaus musste, hatte er sie stundenlang versetzt. Genauso wie bei seiner Tochter, die einen Unfall in der Schule gehabt hatte. Sie erfuhr es als Letzte, und sie musste Verständnis dafür haben.
Sie musste für alles Verständnis haben, denn sie war nur die Geliebte. Es gab keinen Sonntag, keinen Feiertag mit ihm. Die gehörten ausschließlich seiner Familie. Das war der Preis, den sie zahlen musste.
Er war viel zu hoch, warum machte sie dem Ganzen kein Ende? Es würde keine gemeinsame Zukunft geben. Sie war frei, sie war schon lange geschieden. Und kinderlos. Sie könnte noch Kinder bekommen.
Aber nur von ihm.
Und das wollte er nicht. Er würde die Kinder, die er schon hatte, niemals im Stich lassen. Er würde sich nicht von der Mutter dieser Kinder trennen. Der gute Ruf, die Familie, das Ansehen in der Kirchengemeinde ... alles das spielte für ihn eine Rolle. Und trotzdem kam er immer wieder. Konnte auch nicht von ihr lassen. Und sie ließ das zu.
Man wählt den Menschen nicht, den man liebt.
Wie wahr ist dieser Satz, dachte sie, und wie grausam.
Sie betrachtete den schön gedeckten Tisch, roch das leckere Essen in der Küche, dachte an das aufgeschlagene Bett im Schlafzimmer. Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Abend, an dem sie sich in einer Kneipe kennengelernt hatten. Nachdem ihre Freundin und sein Geschäftspartner gegangen waren, blieben sie allein zurück und redeten die halbe Nacht.
Plötzlich packte sie die Wut.
Wieso ließ sie, eine erwachsene Frau, sich so behandeln? Wartete nun schon seit fast neunzig Minuten? Er hätte ja wenigstens kurz anrufen können. Aber sie war nur die Geliebte. Sie blies die Kerzen aus, deckte den Tisch ab, warf das gesamte Essen in den Müllschlucker, obwohl es ihr in der Seele wehtat. Sie wollte gerade das Bett machen, als es klingelte.
Sie öffnete die Tür und da war er.
Alle Wut und aller Widerstand fielen bei seinem Anblick in sich zusammen.
"Gut, dass du nichts zu essen gemacht hast", sagte er anstatt einer Begrüßung und schloss sie in seine Arme, "ich hatte mal wieder ein endloses Meeting und konnte nicht eher kommen".
Sie war nicht in der Lage, etwas zu erwidern. Stumm stand sie an ihn gelehnt. Ohne Umschweife trug er sie ins Schlafzimmer und sie liebten sich mehrere Stunden. Sie sprachen kaum etwas. Er genoss ihre Gegenwart und sie klammerte sich verzweifelt an ihn, weil sie nicht wusste, was sie tun sollte.
Sie verabschiedeten sich und verabredeten für übermorgen das nächste Treffen.
Als er sich umwandte und die Treppe hinabging, schloss sie die Augen. Den ihr zugewandten Rücken wollte sie nicht sehen. Am nächsten Morgen fand der Hausmeister ihren zerschmetterten Körper auf dem Gehweg. Ihr Balkon im zweiten Stock war hoch genug gewesen.
Heute wollte er um achtzehn Uhr kommen und nun hatte er bereits eine Stunde Verspätung. Wie immer wird etwas dazwischengekommen sein, eine Besprechung, ein Telefonat, ein Kundenbesuch ... oder eben seine Familie.
Die ging immer vor. Vor allem die Kinder, immer wieder die Kinder. Zwei hatte er, einen Jungen und ein Mädchen. Sie gingen beide in die Grundschule.
Nette Kinder, sie hatte sie ein Mal auf der Straße gesehen, als sie sein Haus beobachtet hatte. Um die Menschen zu sehen, die immer an erster Stelle kamen.
Sie fing ja schon fast an, diese Kinder zu hassen, aber als sie sie sah ... diese unschuldigen Wesen, was konnten sie schließlich dafür, dass ihr Vater sich in sie verliebt hatte?
Eigentlich störten die Kinder sie mehr als seine Frau. Das war eine attraktive Mutter, die eigentlich alles hatte, was sie brauchte. Ihr Mann offensichtlich nicht, denn sonst hätte sie selbst keinen Platz in seinem Leben gefunden.
Sie sprachen nie über seine Frau. Nur über die Kinder, denn wenn mit ihnen irgendetwas war, erzählte er es ungefragt. Als sein Sohn wegen Blinddarmreizung ins Krankenhaus musste, hatte er sie stundenlang versetzt. Genauso wie bei seiner Tochter, die einen Unfall in der Schule gehabt hatte. Sie erfuhr es als Letzte, und sie musste Verständnis dafür haben.
Sie musste für alles Verständnis haben, denn sie war nur die Geliebte. Es gab keinen Sonntag, keinen Feiertag mit ihm. Die gehörten ausschließlich seiner Familie. Das war der Preis, den sie zahlen musste.
Er war viel zu hoch, warum machte sie dem Ganzen kein Ende? Es würde keine gemeinsame Zukunft geben. Sie war frei, sie war schon lange geschieden. Und kinderlos. Sie könnte noch Kinder bekommen.
Aber nur von ihm.
Und das wollte er nicht. Er würde die Kinder, die er schon hatte, niemals im Stich lassen. Er würde sich nicht von der Mutter dieser Kinder trennen. Der gute Ruf, die Familie, das Ansehen in der Kirchengemeinde ... alles das spielte für ihn eine Rolle. Und trotzdem kam er immer wieder. Konnte auch nicht von ihr lassen. Und sie ließ das zu.
Man wählt den Menschen nicht, den man liebt.
Wie wahr ist dieser Satz, dachte sie, und wie grausam.
Sie betrachtete den schön gedeckten Tisch, roch das leckere Essen in der Küche, dachte an das aufgeschlagene Bett im Schlafzimmer. Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Abend, an dem sie sich in einer Kneipe kennengelernt hatten. Nachdem ihre Freundin und sein Geschäftspartner gegangen waren, blieben sie allein zurück und redeten die halbe Nacht.
Plötzlich packte sie die Wut.
Wieso ließ sie, eine erwachsene Frau, sich so behandeln? Wartete nun schon seit fast neunzig Minuten? Er hätte ja wenigstens kurz anrufen können. Aber sie war nur die Geliebte. Sie blies die Kerzen aus, deckte den Tisch ab, warf das gesamte Essen in den Müllschlucker, obwohl es ihr in der Seele wehtat. Sie wollte gerade das Bett machen, als es klingelte.
Sie öffnete die Tür und da war er.
Alle Wut und aller Widerstand fielen bei seinem Anblick in sich zusammen.
"Gut, dass du nichts zu essen gemacht hast", sagte er anstatt einer Begrüßung und schloss sie in seine Arme, "ich hatte mal wieder ein endloses Meeting und konnte nicht eher kommen".
Sie war nicht in der Lage, etwas zu erwidern. Stumm stand sie an ihn gelehnt. Ohne Umschweife trug er sie ins Schlafzimmer und sie liebten sich mehrere Stunden. Sie sprachen kaum etwas. Er genoss ihre Gegenwart und sie klammerte sich verzweifelt an ihn, weil sie nicht wusste, was sie tun sollte.
Sie verabschiedeten sich und verabredeten für übermorgen das nächste Treffen.
Als er sich umwandte und die Treppe hinabging, schloss sie die Augen. Den ihr zugewandten Rücken wollte sie nicht sehen. Am nächsten Morgen fand der Hausmeister ihren zerschmetterten Körper auf dem Gehweg. Ihr Balkon im zweiten Stock war hoch genug gewesen.