Nur diesen Sommer

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viktor

Mitglied
Nur diesen Sommer

Lass uns diesen Sommer Wollust trinken,
diesen letzten Sommer, bis zum Schluss
ineinander fallen und versinken,
weil das Glas im Herbst geleert sein muss.

Lieb mich, wenn die Sonnenblumen blühen,
Küss mich - ach, wie schnell vergeht die Zeit,
ehe wir im Fiebertraum verglühen
in den Klöstern unsrer Einsamkeit.

Werde eins mit mir im Reich der Sinne,
unbeirrbar wendet sich das Licht.
Morgen steht der Wächter auf der Zinne,
morgen, wenn der Herbst den Sommer bricht
 

presque_rien

Mitglied
Oh, ein "neuer viktor", wie schön. Gefällt mit erwartungsgemäß sehr, auch wenn's nicht so furchtbar originell ist. Am Anfang hat's mich etwas an Celan erinnert, dann an Opitz. Aber wie mein Lieblingsonkel immer sagt (er ist selbst Dichter): "Wir sind nicht für Originalität zuständig, sondern für Wahrheit!"

Lg presque
 

Reggy

Mitglied
Auch wenn die Idee nicht neu ist, gefällt sie mir ebenso wie die Umsetzung - dieser Gedanke "Genießen wir es, solange es anhält" begeistert mich immer wieder und somit trifft das Gedicht meinen Geschmack. Gerade der Kontrast zwischen den doch recht heiteren Bildern, die vom drohenden Herbst überschattet werden, und der Trennungsangst, die zwischen den Zeilen mitschwingt, machen für mich den Reiz deins Werks aus. Der Schluss ist kraftvoll und düster, klingt nach, voller Liebe und Verzweiflung. Die Bilder sind insgesamt auch farbenreich und stimmig.
Ein schönes, starkes Gedicht!
GLG
Reggy
 

viktor

Mitglied
danke, verehrte p.r.,
ich bin leider ein lyrikbanause, sodass mir celan und besonders
opitz kaum etwas sagen.
vergiss bitte nicht, deinen lieblingsonkel herzlich zu grüßen!
hallo reggy,
ich danke dir für deine ausführliche und positive kritik - ich hatte - ehrlich gesagt - daraufhin - hüstel - das ein oder andere pünktchen mehr in deiner bewertung erwartet...
liebe grüße
viktor
 
H

Hakan Tezkan

Gast
wie, viktor, du kennst celan nicht? einer meiner lieblinsgdichter... "todesfuge" ist wohl das bekannteste gedicht von ihm...
zu deinem gedicht:
es ist handwerklich sauber umgesetzt, die bilder eröffnen dem leser aufgrund ihrer klarheit direkt bilder. aber- und ich glaube, das ist auch der grund, warum reggy weniger punkte hier gelassen hat- sowohl das thema, als auch die umsetzung ist nicht sonderlich neu, nichts, was ich nicht schon mal gelesen habe, oder gelesen geglaubt habe...
irgendwie kommt mir das alles bekannt vor, sicher, manche stört das nicht sonderlich, ich mag aber besonders neuartige verbindungen, die einfach viel schwerer zu finden sind und die natürlich auch ein wagnis bedeuten, kommt das bild an, ist es vielleicht schief, etc., etc.
na ja, trotz allem, ein zartes gedicht, das, wie gesagt, gut gestrickt ist, daher 7 punkte von mir...

lg,
hakan
 

presque_rien

Mitglied
Hi viktor,

ja, Celan ist großartig! Hier mal nur Spaßeshalber die Gedichte, an die ich denken musste (was natürlich keineswegs heißt, dass da objektiv gesehen unbedingt klare Verbindungen vorhanden sind, es schoss mir nur bei ein paar Bildern von dir so durch den Kopf):

***

So schlafe

So schlafe, und mein Aug wird offen bleiben.
Der Regen füllt' den Krug, wir leerten ihn.
Es wird die Nacht ein Herz, das Herz ein Hälmlein treiben -
Doch ists zu spät zum Mähen, Schnitterin.

So schneeig weiß sind, Nachtwind, deine Haare!
Weiß, was mir bleibt, und weiß, was ich verlier!
Sie zählt die Stunden, und ich zähl die Jahre.
Wir tranken Regen. Regen tranken wir.

Paul Celan

***

Ach Liebste / laß vns eilen /
Wir haben Zeit:
Es schadet das verweilen
Vns beyderseit.
Der edlen Schönheit Gaben
Fliehn fuß für fuß:
Das alles was wir haben
Verschwinden muß.
Der Wangen Ziehr verbleichet /
Das Haar wird greiß /
Der Augen Fewer weichet /
Die Brunst wird Eiß.
Das Mündlein von Corallen
Wird vngestalt /
Die Händ' als Schnee verfallen /
Vnd du wirst alt.
Drumb laß vns jetzt geniessen
Der Jugend Frucht /
Eh' als wir folgen müssen
Der Jahre Flucht.
Wo du dich selber liebest /
So liebe mich /
Gieb mir / das / wann du giebest /
Verlier auch ich.

Martin Opitz
 

viktor

Mitglied
danke ht und pr,
für eure infos zu celan.
ich habe persönlich null ahnung von lyrik - und dabei soll es auch bleiben, damit ich von fremden einflüssen frei bleibe.
ich schreibe erst seit zwei jahren gedichte, hab allerdings vorher eine unmenge veröffentlichte songtexte geschrieben (mittlerweile dürften sie ca. in ca. drei mio auflage umherschwirren...) und von daher eine gewisse handwerkliche routine.
zu dem hier vorliegenden bauchtext habe ich in einem anderen forum folgenden kommentar bekommen, der die intention des textes sehr genau zu treffen scheint:
"jahreszeiten werden in der literatur nicht sooo selten mit lebensphasen gleichgesetzt (also für mich nix urlaubsflirt, sondern "mehr") - so auch hier: das text-ich befindet sich am übergang vom sommer zum herbst (des lebens) und hat begriffen, dass nichts bleibt, dass nichts bleibt wie es war (ja, der Wader - manchmal träume ich schwer ...) - deshalb: jetzt noch kosen und kosten, bevor das licht sich wendet, bevor das große ausatmen beginnt, bevor das dunkel wächst und die noch verbleibende zeit ganz bestimmt kleiner ist als die bereits verlebte. den wächter da, von dem die dritte strophe erzählt, assoziiere ich mit dem sensenmann. er wird auch im herbst noch nicht "hautnah" sein, aber er ist immerhin bereits in der wahrnehmung des sprechers, gut sichtbar dort auf der zinne ... memento ..."
liebe grüße
viktor
 



 
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