Nur eine Sonne
Der Abend ist mild, das Licht des Vollmonds freundlich. Wir sitzen zusammen auf der Veranda des Ferienhäuschens am See und lauschen, jeder für sich, in die Stille. Es ist der letzte Abend, den wir diesen Sommer hier verbringen. Nach einer Woche in dieser wohltuenden Abgeschiedenheit werden wir morgen wieder in den Alltag geworfen. Jeder für sich.
Ich schaue auf den See. Das Schilf am Ufer wiegt sich in einer leichten Brise und erinnert mich ein wenig an uns, wie wir damals in dieser kleinen Bar, eng aneinander geschmiegt, zu sanften Pianoklängen tanzten.
Der volle Mond spiegelt sich auf dem Wasser. Ich muss beim Anblick der Enten schmunzeln, die gründelnd sein Angesicht zerstückeln, das sich immer wieder glitzernd zusammenfügt. Ich sehe mich, wenn ich mich in Stücke geschnitten fühle und selbst wieder zusammen setze. Manchmal fehlt mir dann ein kleines Teil und es kann dauern, bis ich mich wieder vollständig fühle. Ein Gefühl, das mir vielleicht bevorsteht.
Versonnen sehe ich zu dir und betrachte dein Gesicht. Im kontrastarmen Kerzenlicht sind deine Falten kaum zu sehen. Ich liebe jede einzelne an dir und weiß schon jetzt, wie sehr ich sie vermissen werde. Deine Augen sind auf das Wasser, in die Ferne gerichtet und ich kann mir denken, dass deine Gedanken bereits vorgeeilt sind. Sicher schmiedest du schon an den Plänen der kommenden Wochen, in denen wir uns nicht sehen werden.
“Hallo?!”, möchte ich sagen, “Was wird nun aus uns?”. Doch ich schweige und blicke wieder hinaus.
Seit drei Jahren sind wir miteinander verbunden. Wir trafen uns zufällig in einem Antiquitätenladen und schacherten als Konkurrenten um einen alten Bilderrahmen. Ich hätte angesichts des Preises längst aufgeben müssen, doch etwas in mir trieb das Gerangel weiter. Ich erinnere mich an das Funkeln in den Augen des Händlers, der seine Stunde gekommen sah. Du wolltest diesen Rahmen unbedingt haben. Daraus machtest du kein Geheimnis und beeindrucktest mich gleichzeitig mit souverän vorgetragener Kenntnis über Antiquitäten. Außerdem drehtest du mir geschickt ständig deinen athletischen Rücken zu und versuchtest mich so, außen vor zu lassen. Ich fühlte mich herausgefordert und es reizte mich. Deine faszinierende Weltgewandtheit, die ich in kleinen Gesten und großem Wortschatz erkannte und dein Enthusiasmus ließen mich vergessen, dass ich gar kein Bild für diesen Rahmen hatte. Wir hätten genau so gut um diesen kleinen Silberlöffel streiten können, den ich seit einer Weile nervös in der Hand drehte. Ich schacherte um mein Leben, so kam es mir vor. Mir war es nicht mehr wichtig, was und ob ich kaufen würde, ich wollte dich.
Irgendwann gab ich mich doch geschlagen, allerdings nicht ohne dir das Versprechen einer angemessenen Entschädigung abzunehmen.
„Sie dürfen mir heute Abend wenigstens gepflegt meinen Magen füllen, nachdem die Wand in meinem Schlafzimmer nun leer bleibt“, sagte ich bestimmt und setzte mein süßestes Lächeln auf. Deine Verwirrung machte mir Spaß, dein Zögern überging ich und Sekunden später hattest du ein Date für den Abend. Wir trafen uns in einem kleinen Lokal außerhalb der Stadt.
Vielleicht waren meine Erwartungen an diesen Abend zu hoch gesteckt. Wie konnte ich auch annehmen, dass ein Mann wie du noch zu haben wäre. Jedenfalls bliebst du recht reserviert, beinahe kühl und meine Flirt-Versuche wurden in sachlichen Monologen über Antiquitäten erstickt. Also begnügte ich mich damit, dich zu beobachten, deine Gestik und Mimik zu studieren, mich in das Feuer deiner Augen zu verlieben und mir allerlei prickelnde Augenblicke mit dir zu erträumen.
Mein Magen rebelliert, als diese Erinnerungen mich einholen. Ich nehme mein Glas mit Rotwein und genehmige mir einen großen Schluck. Wir schweigen noch immer. Ich spüre, wie eine gewisse Wut in mir aufsteigt. Sie richtet sich gegen mich, weil ich, angesichts meines Gefühls für dich, unfähig bin für Klarheit zu sorgen. Jener Klarheit, die dich ganz an meine Seite führt und auch nach außen sichtbar wird. Stattdessen lasse ich es zu, mich alltags wie ein lästiges Anhängsel zu fühlen, um mich zu gegebener Zeit in eine umschwärmte Prinzessin oder Herrscherin über deinen Leib und Leben zu verwandeln.
Gleich an unserem ersten Abend hast du mir von deiner Familie erzählt und versichert, dass du an einer Affäre nicht interessiert bist. Diese Ehrlichkeit zog mich noch tiefer in deinen Bann. Ich verbarg meine Enttäuschung nicht, zog eine Schnute und wollte wissen:
“Warum sind Sie dann hierher gekommen?”, und du antwortetest verschmitzt:
“Nun, es ist doch so eine Art Geschäftsessen.”
Am Ende des Abends hatte ich immerhin deine Handynummer und bewahrte sie wie eine Trophäe.
Ich sinke tiefer in meinen Sessel auf der Veranda und mein Blick schweift über den Horizont. Weit weg sehe ich, wie ein Gewitter sein Kommen an den Himmel malt. Dunkle Wolken ziehen sich zusammen und das wilde Lichtspiel eines Wetterleuchtens umschwirrt sie. Daneben ist der Himmel noch klar, der Mond hat einen zarten Hof und unendlich viele Sterne schicken ihr Funkeln.
Es ist ein bizarrer Anblick, wie eine optische Metapher unserer Situation.
Verstohlen blicke ich zu dir und taste dein markantes Profil ab, lasse meine Augen über deinen Oberkörper zu deinen Händen wandern. Du hast schöne Hände. Ich spüre meine Abhängigkeit von der Leidenschaft und Zärtlichkeit, die sie mir geben. Etwas, was mich sehr an dich bindet. Aber ich würde sonst was darum geben, auch zu erfahren, wie es in deinem Inneren aussieht. Bis heute hast du mir den tieferen Zugang zu deiner Seele verwehrt.
Meine Stirn kräuselt sich bei diesen Gedanken wie die Oberfläche des Sees, und mein Zorn wandelt sich zusehends in Entschlossenheit.
“Es wird noch laut werden heute Nacht”, sage ich unvermittelt und sehe gelassen, wie meine Worte dich aufschrecken.
“Was meinst du, Liebes?”, murmelst du und schaust mich an.
Ich bemerke dein Zwinkern und weiß, du hast mich völlig falsch verstanden.
“Ich sehe Dunkles auf uns zukommen”, locke ich dich und wende meinen Kopf Richtung Gewitter.
“Ja, ich sehe es. Hast du Angst, Schatz?”, fragst du zärtlich und ich erkenne, dass du mein Wortspiel nicht verstehen willst. Ich werde deutlicher:
“Ja, ich habe Angst. Angst vor meiner Konsequenz, dem Wetterumschwung. Ich liebe dich, das weißt du. Aber ich kann so nicht weiterleben. Erklären muss ich dir nichts und ich habe auch keine Fragen mehr. Es ist seit drei Jahren dabei geblieben, dass für uns nur die kurzfristige Wirkung zählt. Ich gebe zu, diese Wirkung ist enorm, aber daneben wird jede Beständigkeit bestraft. Meine und die deiner Familie. Weißt du, es kann nur eine Sonne für dich scheinen.”
“Aber ich....”
“Pssst”, ich lege meinen Finger auf die Lippen und sage: „Komm mit ins Wasser? Lass uns schwimmen gehen. So schnell wird sich die Gelegenheit nicht mehr bieten. Der See ist noch warm, deine Familie und das Gewitter noch einiges entfernt. Ich bin jetzt genug allein geschwommen. Komm endlich, diese Gelegenheit kommt nicht wieder.”
Als ich entschlossen aufspringe, sehe ich, wie du dich zu winden beginnst.
“Schatz, sei vernünftig, es ist doch dunkel. Was ist denn nur los mit dir? Sei lieb, Süße, und setz dich wieder hin. Lass uns den herrlichen Abend genießen. Ich hole dir noch ein Glas Rotwein, oder möchtest du vielleicht noch etwas essen? Soll ich dir den Rücken kraulen? Liebes.... ! Veronika?! Wo gehst du hin? Man soll bei Gewitter nicht baden... ich komme nicht mit! Bleib hier! ....Veronika!?”
Und mit dem ersten Donnerschlag des Gewitters an unserem letzten Abend sitze ich in meinem Wagen und starte zu neuen Ufern.
Der Abend ist mild, das Licht des Vollmonds freundlich. Wir sitzen zusammen auf der Veranda des Ferienhäuschens am See und lauschen, jeder für sich, in die Stille. Es ist der letzte Abend, den wir diesen Sommer hier verbringen. Nach einer Woche in dieser wohltuenden Abgeschiedenheit werden wir morgen wieder in den Alltag geworfen. Jeder für sich.
Ich schaue auf den See. Das Schilf am Ufer wiegt sich in einer leichten Brise und erinnert mich ein wenig an uns, wie wir damals in dieser kleinen Bar, eng aneinander geschmiegt, zu sanften Pianoklängen tanzten.
Der volle Mond spiegelt sich auf dem Wasser. Ich muss beim Anblick der Enten schmunzeln, die gründelnd sein Angesicht zerstückeln, das sich immer wieder glitzernd zusammenfügt. Ich sehe mich, wenn ich mich in Stücke geschnitten fühle und selbst wieder zusammen setze. Manchmal fehlt mir dann ein kleines Teil und es kann dauern, bis ich mich wieder vollständig fühle. Ein Gefühl, das mir vielleicht bevorsteht.
Versonnen sehe ich zu dir und betrachte dein Gesicht. Im kontrastarmen Kerzenlicht sind deine Falten kaum zu sehen. Ich liebe jede einzelne an dir und weiß schon jetzt, wie sehr ich sie vermissen werde. Deine Augen sind auf das Wasser, in die Ferne gerichtet und ich kann mir denken, dass deine Gedanken bereits vorgeeilt sind. Sicher schmiedest du schon an den Plänen der kommenden Wochen, in denen wir uns nicht sehen werden.
“Hallo?!”, möchte ich sagen, “Was wird nun aus uns?”. Doch ich schweige und blicke wieder hinaus.
Seit drei Jahren sind wir miteinander verbunden. Wir trafen uns zufällig in einem Antiquitätenladen und schacherten als Konkurrenten um einen alten Bilderrahmen. Ich hätte angesichts des Preises längst aufgeben müssen, doch etwas in mir trieb das Gerangel weiter. Ich erinnere mich an das Funkeln in den Augen des Händlers, der seine Stunde gekommen sah. Du wolltest diesen Rahmen unbedingt haben. Daraus machtest du kein Geheimnis und beeindrucktest mich gleichzeitig mit souverän vorgetragener Kenntnis über Antiquitäten. Außerdem drehtest du mir geschickt ständig deinen athletischen Rücken zu und versuchtest mich so, außen vor zu lassen. Ich fühlte mich herausgefordert und es reizte mich. Deine faszinierende Weltgewandtheit, die ich in kleinen Gesten und großem Wortschatz erkannte und dein Enthusiasmus ließen mich vergessen, dass ich gar kein Bild für diesen Rahmen hatte. Wir hätten genau so gut um diesen kleinen Silberlöffel streiten können, den ich seit einer Weile nervös in der Hand drehte. Ich schacherte um mein Leben, so kam es mir vor. Mir war es nicht mehr wichtig, was und ob ich kaufen würde, ich wollte dich.
Irgendwann gab ich mich doch geschlagen, allerdings nicht ohne dir das Versprechen einer angemessenen Entschädigung abzunehmen.
„Sie dürfen mir heute Abend wenigstens gepflegt meinen Magen füllen, nachdem die Wand in meinem Schlafzimmer nun leer bleibt“, sagte ich bestimmt und setzte mein süßestes Lächeln auf. Deine Verwirrung machte mir Spaß, dein Zögern überging ich und Sekunden später hattest du ein Date für den Abend. Wir trafen uns in einem kleinen Lokal außerhalb der Stadt.
Vielleicht waren meine Erwartungen an diesen Abend zu hoch gesteckt. Wie konnte ich auch annehmen, dass ein Mann wie du noch zu haben wäre. Jedenfalls bliebst du recht reserviert, beinahe kühl und meine Flirt-Versuche wurden in sachlichen Monologen über Antiquitäten erstickt. Also begnügte ich mich damit, dich zu beobachten, deine Gestik und Mimik zu studieren, mich in das Feuer deiner Augen zu verlieben und mir allerlei prickelnde Augenblicke mit dir zu erträumen.
Mein Magen rebelliert, als diese Erinnerungen mich einholen. Ich nehme mein Glas mit Rotwein und genehmige mir einen großen Schluck. Wir schweigen noch immer. Ich spüre, wie eine gewisse Wut in mir aufsteigt. Sie richtet sich gegen mich, weil ich, angesichts meines Gefühls für dich, unfähig bin für Klarheit zu sorgen. Jener Klarheit, die dich ganz an meine Seite führt und auch nach außen sichtbar wird. Stattdessen lasse ich es zu, mich alltags wie ein lästiges Anhängsel zu fühlen, um mich zu gegebener Zeit in eine umschwärmte Prinzessin oder Herrscherin über deinen Leib und Leben zu verwandeln.
Gleich an unserem ersten Abend hast du mir von deiner Familie erzählt und versichert, dass du an einer Affäre nicht interessiert bist. Diese Ehrlichkeit zog mich noch tiefer in deinen Bann. Ich verbarg meine Enttäuschung nicht, zog eine Schnute und wollte wissen:
“Warum sind Sie dann hierher gekommen?”, und du antwortetest verschmitzt:
“Nun, es ist doch so eine Art Geschäftsessen.”
Am Ende des Abends hatte ich immerhin deine Handynummer und bewahrte sie wie eine Trophäe.
Ich sinke tiefer in meinen Sessel auf der Veranda und mein Blick schweift über den Horizont. Weit weg sehe ich, wie ein Gewitter sein Kommen an den Himmel malt. Dunkle Wolken ziehen sich zusammen und das wilde Lichtspiel eines Wetterleuchtens umschwirrt sie. Daneben ist der Himmel noch klar, der Mond hat einen zarten Hof und unendlich viele Sterne schicken ihr Funkeln.
Es ist ein bizarrer Anblick, wie eine optische Metapher unserer Situation.
Verstohlen blicke ich zu dir und taste dein markantes Profil ab, lasse meine Augen über deinen Oberkörper zu deinen Händen wandern. Du hast schöne Hände. Ich spüre meine Abhängigkeit von der Leidenschaft und Zärtlichkeit, die sie mir geben. Etwas, was mich sehr an dich bindet. Aber ich würde sonst was darum geben, auch zu erfahren, wie es in deinem Inneren aussieht. Bis heute hast du mir den tieferen Zugang zu deiner Seele verwehrt.
Meine Stirn kräuselt sich bei diesen Gedanken wie die Oberfläche des Sees, und mein Zorn wandelt sich zusehends in Entschlossenheit.
“Es wird noch laut werden heute Nacht”, sage ich unvermittelt und sehe gelassen, wie meine Worte dich aufschrecken.
“Was meinst du, Liebes?”, murmelst du und schaust mich an.
Ich bemerke dein Zwinkern und weiß, du hast mich völlig falsch verstanden.
“Ich sehe Dunkles auf uns zukommen”, locke ich dich und wende meinen Kopf Richtung Gewitter.
“Ja, ich sehe es. Hast du Angst, Schatz?”, fragst du zärtlich und ich erkenne, dass du mein Wortspiel nicht verstehen willst. Ich werde deutlicher:
“Ja, ich habe Angst. Angst vor meiner Konsequenz, dem Wetterumschwung. Ich liebe dich, das weißt du. Aber ich kann so nicht weiterleben. Erklären muss ich dir nichts und ich habe auch keine Fragen mehr. Es ist seit drei Jahren dabei geblieben, dass für uns nur die kurzfristige Wirkung zählt. Ich gebe zu, diese Wirkung ist enorm, aber daneben wird jede Beständigkeit bestraft. Meine und die deiner Familie. Weißt du, es kann nur eine Sonne für dich scheinen.”
“Aber ich....”
“Pssst”, ich lege meinen Finger auf die Lippen und sage: „Komm mit ins Wasser? Lass uns schwimmen gehen. So schnell wird sich die Gelegenheit nicht mehr bieten. Der See ist noch warm, deine Familie und das Gewitter noch einiges entfernt. Ich bin jetzt genug allein geschwommen. Komm endlich, diese Gelegenheit kommt nicht wieder.”
Als ich entschlossen aufspringe, sehe ich, wie du dich zu winden beginnst.
“Schatz, sei vernünftig, es ist doch dunkel. Was ist denn nur los mit dir? Sei lieb, Süße, und setz dich wieder hin. Lass uns den herrlichen Abend genießen. Ich hole dir noch ein Glas Rotwein, oder möchtest du vielleicht noch etwas essen? Soll ich dir den Rücken kraulen? Liebes.... ! Veronika?! Wo gehst du hin? Man soll bei Gewitter nicht baden... ich komme nicht mit! Bleib hier! ....Veronika!?”
Und mit dem ersten Donnerschlag des Gewitters an unserem letzten Abend sitze ich in meinem Wagen und starte zu neuen Ufern.