Nur einer von denen
Es war ein verregneter Tag und die Nacht sollte keinen Deut besser werden. Das matte Licht der Straßenlaternen und das blutrote Glimmen einiger Ampeln spiegelte sich in dem nassen, dreckigen Asphalt wieder. Der Junge lehnte an einer schmutzigen Hauswand, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen. Sein langes schwarzes Haar hing ihm in nassen Strähnen ins Gesicht, er machte keine Anstalten sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.
Feierabendverkehr in der Stadt, graue Massen von Menschen pressten sich durch die engen Straßen, wie ein Krebsgeschwür durch die Arterien eines an Blutkrebs Erkrankten im Endstadium, versuchten so schnell wie möglich aus der Stadt in ihre kleinen Vororte zu kommen. Kein Kontakt zu Fremden, fünf Minuten bis zur nächsten Bahn, Abendessen mit Frau und Kindern, Gutenachtgeschichten vorlesen, später vielleicht ein Bier während der Sportschau. Im Bett ein bisschen Kuscheln, ein paar Seiten lesen und dann Seelenruhig einschlafen, in der beständigen Gewissheit, den nächsten Tag vom Jetzigen kaum unterscheiden zu können.
Der Junge stand immer noch dort, vom Regen durchnässt, mit geschlossenen Augen, so als würde er dieses miserable Wetter genießen. Die Menschen hasteten an ihm vorbei, keine Zeit für einen Blick in seine Richtung. Nur Einer von Denen. Einer von Denen, die ihr Geld für den nächsten Schuss auf irgendeine Art und Weise zusammenkratzten, und wenn sie in einem heruntergekommenen Bahnhofsklo schmierigen Päderasten den Schwanz lutschen mussten. Einer von Denen, die von Arbeitslosenhilfe lebten, dem Staat auf der Tasche lagen und nicht im Geringsten daran dachten, sich einen Job zu suchen.
Langsam öffnete er die Augen und sah in den mit Regenwolken behangenen Nachthimmel. Zeit, sich etwas zu bewegen, sich die Beine zu vertreten. Er schwamm eine Weile im grauen Menschenstrom mit, gesenkter Blick, schlurfender Gang, hängende Schultern. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, zählte er das Bisschen Kleingeld, das er darin vorfinden konnte, in der Hoffnung es würde für den nächsten Schuss ausreichen. Sollte sein Letzter werden. Einen Versuch aufzuhören gab es immer, die wenigsten schafften es tatsächlich.
Um die nächste Ecke, in einen der heruntergekommeneren Teile der Stadt, an schäbigen Strip Bars vorbei, in denen nur die Gäste schäbiger waren als die Tänzerinnen. „Sonderangebot: 2 Euro Blasen, 5 Euro Ficken.“ las er auf einem Pappschild, das an der Fensterscheibe eines billigen Bordells hing. Er schmunzelte. Weiter die Straße runter, in die nächste Seitengasse und hoffen, dass einer der Dealer dort darauf wartete, sein drittklassiges, verschnittenes H zu verkaufen.
„Haste was im Angebot?“ Ein Nicken, die dreckige Hand verschwand in der Innentasche des schwarzen, abgewetzten Stoffmantels und brachte eine kleine, mit braunem Pulver gefüllte, Tüte an das spärliche Licht einer flackernden Straßenlaterne. „Hast du denn das nötige Kleingeld?“ Er kramte in seinen Hosentaschen herum, zählte die Münzen auf der Handfläche und hielt sie dem grinsenden Erlöser hin. „Reicht das?“ Musterte den Betrag kurz, nickte, und nahm das Geld an sich. Ließ es daraufhin in der Manteltasche verschwinden und drehte sich um, zu gehen. Panisch hielt er den Dealer an der Schulter fest. Der wiederum versuchte sich loszureißen.
Ein Handgemenge begann, der Junge versuchte den Dealer an der Kehle zu packen, aus dem nichts tauchte eine Pistole auf. Er griff danach, vier Hände rangen um die Waffe. Ein Schuss löste sich. Bang! Der Dealer starrte mit weit aufgerissenen Augen in das Gesicht seines Kunden, bevor er leblos in sich zusammensackte. Dann lief alles wie mechanisch ab. Ihm war nicht einmal der Ernst der Situation bewusst, als er seine Manteltaschen nach Geld und Drogen durchsuchte. Nachdem er gefunden hatte, was er suchte, schlurfte er weiter.
Alles wirkte wie durch milchiges Glas betrachtet. Verschwommen nahm er die Menschen um sich herum wahr, wie sie versuchten, ihm aus dem Weg zu gehen, nicht mit ihm zusammenzustoßen. Erst nach einiger Zeit sah er wieder klar und war in der Lage, sich an das soeben Geschehene zu erinnern. Er hatte einen Menschen getötet. Laut seiner Version war es ein Unfall aber das würde ihm niemand glauben. Warum sollte man auch? Er würde sich selbst nicht glauben, wenn er jemand Anderes wäre. Egal, er hatte seinen letzten Schuss.
Das Bahnhofsklo war dreckig, wie eh und je, auf den nassen Fliesen, bei denen man sich nie wirklich sicher war, ob sie nur von Wasser oder von Urin bedeckt waren, zeichneten sich dreckige Fußabdrücke verschiedener Schuhe ab. Der Geruch von Pisse und Kotze stieg ihm in die Nase. „Home Sweet Home“ murmelte er, während er eine freie Kabine betrat, abschloss und die vergilbten, an einigen Stellen bereits Schimmel ansetzenden, Wände betrachtete. Er kramte sein Fixbesteck heraus, zog die nasse Jeansjacke aus und machte sich an die bekannte Prozedur, sich einen Schuss zu setzen. Heroin auf einem Löffel erhitzen, bis es sich auflöst, die Spritze aufziehen, Arm abbinden, so dass man die Vene auch trifft. Bevor er sich die Nadel in den Arm jagte hielt er Inne. Sein letzter Schuss. Ein Lächeln huschte über sein fahles Gesicht. In Anbetracht der jetzigen Situation hatte er beschlossen, dass es sein endgültig letzter Schuss werden sollte.
Sein lebloser Körper wurde am nächsten Morgen von der Reinigungskraft gefunden. Als der Rettungsdienst die Leiche abholte schüttelte einer der Sanitäter verständnislos den Kopf.
„Wieder Einer von Denen...“ murmelte er.
Es war ein verregneter Tag und die Nacht sollte keinen Deut besser werden. Das matte Licht der Straßenlaternen und das blutrote Glimmen einiger Ampeln spiegelte sich in dem nassen, dreckigen Asphalt wieder. Der Junge lehnte an einer schmutzigen Hauswand, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen. Sein langes schwarzes Haar hing ihm in nassen Strähnen ins Gesicht, er machte keine Anstalten sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.
Feierabendverkehr in der Stadt, graue Massen von Menschen pressten sich durch die engen Straßen, wie ein Krebsgeschwür durch die Arterien eines an Blutkrebs Erkrankten im Endstadium, versuchten so schnell wie möglich aus der Stadt in ihre kleinen Vororte zu kommen. Kein Kontakt zu Fremden, fünf Minuten bis zur nächsten Bahn, Abendessen mit Frau und Kindern, Gutenachtgeschichten vorlesen, später vielleicht ein Bier während der Sportschau. Im Bett ein bisschen Kuscheln, ein paar Seiten lesen und dann Seelenruhig einschlafen, in der beständigen Gewissheit, den nächsten Tag vom Jetzigen kaum unterscheiden zu können.
Der Junge stand immer noch dort, vom Regen durchnässt, mit geschlossenen Augen, so als würde er dieses miserable Wetter genießen. Die Menschen hasteten an ihm vorbei, keine Zeit für einen Blick in seine Richtung. Nur Einer von Denen. Einer von Denen, die ihr Geld für den nächsten Schuss auf irgendeine Art und Weise zusammenkratzten, und wenn sie in einem heruntergekommenen Bahnhofsklo schmierigen Päderasten den Schwanz lutschen mussten. Einer von Denen, die von Arbeitslosenhilfe lebten, dem Staat auf der Tasche lagen und nicht im Geringsten daran dachten, sich einen Job zu suchen.
Langsam öffnete er die Augen und sah in den mit Regenwolken behangenen Nachthimmel. Zeit, sich etwas zu bewegen, sich die Beine zu vertreten. Er schwamm eine Weile im grauen Menschenstrom mit, gesenkter Blick, schlurfender Gang, hängende Schultern. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, zählte er das Bisschen Kleingeld, das er darin vorfinden konnte, in der Hoffnung es würde für den nächsten Schuss ausreichen. Sollte sein Letzter werden. Einen Versuch aufzuhören gab es immer, die wenigsten schafften es tatsächlich.
Um die nächste Ecke, in einen der heruntergekommeneren Teile der Stadt, an schäbigen Strip Bars vorbei, in denen nur die Gäste schäbiger waren als die Tänzerinnen. „Sonderangebot: 2 Euro Blasen, 5 Euro Ficken.“ las er auf einem Pappschild, das an der Fensterscheibe eines billigen Bordells hing. Er schmunzelte. Weiter die Straße runter, in die nächste Seitengasse und hoffen, dass einer der Dealer dort darauf wartete, sein drittklassiges, verschnittenes H zu verkaufen.
„Haste was im Angebot?“ Ein Nicken, die dreckige Hand verschwand in der Innentasche des schwarzen, abgewetzten Stoffmantels und brachte eine kleine, mit braunem Pulver gefüllte, Tüte an das spärliche Licht einer flackernden Straßenlaterne. „Hast du denn das nötige Kleingeld?“ Er kramte in seinen Hosentaschen herum, zählte die Münzen auf der Handfläche und hielt sie dem grinsenden Erlöser hin. „Reicht das?“ Musterte den Betrag kurz, nickte, und nahm das Geld an sich. Ließ es daraufhin in der Manteltasche verschwinden und drehte sich um, zu gehen. Panisch hielt er den Dealer an der Schulter fest. Der wiederum versuchte sich loszureißen.
Ein Handgemenge begann, der Junge versuchte den Dealer an der Kehle zu packen, aus dem nichts tauchte eine Pistole auf. Er griff danach, vier Hände rangen um die Waffe. Ein Schuss löste sich. Bang! Der Dealer starrte mit weit aufgerissenen Augen in das Gesicht seines Kunden, bevor er leblos in sich zusammensackte. Dann lief alles wie mechanisch ab. Ihm war nicht einmal der Ernst der Situation bewusst, als er seine Manteltaschen nach Geld und Drogen durchsuchte. Nachdem er gefunden hatte, was er suchte, schlurfte er weiter.
Alles wirkte wie durch milchiges Glas betrachtet. Verschwommen nahm er die Menschen um sich herum wahr, wie sie versuchten, ihm aus dem Weg zu gehen, nicht mit ihm zusammenzustoßen. Erst nach einiger Zeit sah er wieder klar und war in der Lage, sich an das soeben Geschehene zu erinnern. Er hatte einen Menschen getötet. Laut seiner Version war es ein Unfall aber das würde ihm niemand glauben. Warum sollte man auch? Er würde sich selbst nicht glauben, wenn er jemand Anderes wäre. Egal, er hatte seinen letzten Schuss.
Das Bahnhofsklo war dreckig, wie eh und je, auf den nassen Fliesen, bei denen man sich nie wirklich sicher war, ob sie nur von Wasser oder von Urin bedeckt waren, zeichneten sich dreckige Fußabdrücke verschiedener Schuhe ab. Der Geruch von Pisse und Kotze stieg ihm in die Nase. „Home Sweet Home“ murmelte er, während er eine freie Kabine betrat, abschloss und die vergilbten, an einigen Stellen bereits Schimmel ansetzenden, Wände betrachtete. Er kramte sein Fixbesteck heraus, zog die nasse Jeansjacke aus und machte sich an die bekannte Prozedur, sich einen Schuss zu setzen. Heroin auf einem Löffel erhitzen, bis es sich auflöst, die Spritze aufziehen, Arm abbinden, so dass man die Vene auch trifft. Bevor er sich die Nadel in den Arm jagte hielt er Inne. Sein letzter Schuss. Ein Lächeln huschte über sein fahles Gesicht. In Anbetracht der jetzigen Situation hatte er beschlossen, dass es sein endgültig letzter Schuss werden sollte.
Sein lebloser Körper wurde am nächsten Morgen von der Reinigungskraft gefunden. Als der Rettungsdienst die Leiche abholte schüttelte einer der Sanitäter verständnislos den Kopf.
„Wieder Einer von Denen...“ murmelte er.