Österreich und seine

Xoph

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Der Besuch des kleinen Prinzen in Ostarichistan

Als nächstes machte der kleine Prinz auf einem Planeten Halt, der ihm schon aus der Ferne etwas größer als seine Nachbarplaneten vorgekommen war. Er landete auf einer saftig grünen Wiese, auf der friedlich eine Herde Ziegen weidete, und machte alsbald Bekanntschaft mit zwei Bewohnern, einem Mann und einer Frau.
„Einen wunderschönen guten Tag! Wie schön, wieder einmal einen Gast begrüßen zu können!“, so wurde er herzlich empfangen.
„Ebenfalls einen guten Tag!“, antwortete der kleine Prinz daher artig. Und neugierig fügte er hinzu: „Mir ist aus der Luft schon aufgefallen, dass euer Planet etwas größer ist als die anderen. Und da gibt es so eine Art Ringmauer um den ganzen Planeten, etwas unterhalb des Äquators...“
„So? Du kennst uns also noch gar nicht? Dann sei noch herzlicher willkommen! Willkommen auf Ostarichistan, dem riesigsten aller Zwergplaneten! Er hat einen Umfang von genau vierhunderteinundzwanzig Kilometer, das hat vor vielen Jahren ein Weiser namens Erothastenes ausgerechnet...“
„Ach ja?“
„So ist es! Und wir sind ihm dankbar dafür – denn nur so war es möglich, die Flächen unserer beiden Länder einigermaßen gerecht aufzuteilen. Die Mauer, die du von oben aus gesehen hast, stellt nämlich die Grenze zwischen unseren beiden Ländern dar.“
„Zwei Länder?“
„Richtig!“
Der kleine Prinz verstand nicht so recht.
„Wir hier sind die Bläulinge und leben auf der südlichen Hemisphäre des Planeten. Drüben, auf der anderen Seite, da sind die Rötlinge.“
´Bläulinge!´, dachte der kleine Prinz, ´Also so was! Da hätte ich ja gleich beim Säufer bleiben können.´ Und nur um nur so etwas zu sagen meinte er: „Dann gibt es wohl auch Grünlinge, Gelblinge, Bräunlinge...“
„Nein, Nein!“ unterbrach ihn die Frau. „Das heißt, nicht ganz. Oder, besser gesagt, das wissen wir nicht ganz so genau. Angeblich gab es vor vielen, vielen Jahren hier auch Schwärzlinge, Pinklinge und ein paar verstreut lebende Orangelinge. Und mit den Grünlingen hast du wohl recht: sie sollen dereinst sogar eine recht große Kolonie gebildet haben.“
„Und wo sind sie jetzt?“
„Das ist“, fuhr der Mann fort, „so eine in Vergessenheit geratene Sache. Aber es muss sie wohl damals noch gegeben haben, als der Große Zaun gebaut wurde… Du bist also nun auf unserer Seite gelandet. Du hattest Glück! Immerhin ist unser Land nur etwas weniger als halb so groß wie das der Rötlinge. Du hättest also eher auf der anderen Seite des Großen Zauns landen müssen. Aber du hattest, wie gesagt, Glück.“
´Rötlinge!´, dachte der kleine Prinz, ´Also, das ist wenigstens neu.´ Als er sich aber seinen Säufer mit vor Scham hochrotem Kopf vorstellte, musste er sich eingestehen: ´So neu auch wieder nicht.´
„Übrigens, ich habe mich noch nicht vorgestellt: ich bin Qeiko, und das ist Qeika, meine Frau. Früher hieß ich Cleo, aber bei uns ist es üblich, dass Männer bei der Eheschließung den Namen der Frau übernehmen, also angleichen.“ sagte der Mann.
„Das ist aber fortschrittlich!“ freute sich der kleine Prinz. Dabei dachte er an die Rose, die er bei sich zu Hause gelassen hatte. Wenn das so ist, würde er wohl irgendwann Roser heißen, oder Roso oder so ähnlich. Immer noch besser als gar kein Name! Und vorausgesetzt, er würde je wieder zu ihr zurückkehren: man kann ja nie wissen.
„Was hat es nun mit den beiden Ländern auf sich?“ fragte er.
„Das ist alles sehr lange her, und in unserer Erinnerung dürfte so manches verblasst und anderes dafür ausgeschmückt worden sein… Aber ich will versuchen, dir unsere Geschichte so genau wie möglich zu erzählen. Also, vor zweihundertundzwölf Jahren, sieben Wochen und einem Tag beschuldigte der damalige Anführer der Rötlinge, ein gewisser Vrantz-Nitz-Kinski den unseren, nämlich Hai-Dang-Jorg, er würde sein Volk ausgrenzen. Ausgrenzen, so nannte er das! Dabei waren die Rötlinge doch immer schon viel zahlreicher als wir. Lustig, nicht? “
„Eure Namen sind noch viel lustiger!“, erwiderte der kleine Prinz.
„Findest du? Und wie heißt du denn überhaupt?“
Das war das erste Mal, dass der kleine Prinz um eine Antwort verlegen war. Und Qeiko nutzte die Pause, um seine Geschichte fortzusetzen. „Unser Volk wollte das natürlich nicht auf sich sitzen lassen, und so gingen unsere Vorfahren längere Zeit zu Rate...“
„Vergiss die Vorfahrinnen nicht!“
„Entschuldige, Schatz. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Eines war klar, die Rötlinge hatten das Wort zuerst verwendet, also sozusagen erfunden. Und wer ein Wort erfindet, hat auch das Recht über seine Bedeutung, so sieht es das Gesetz über geistiges Eigentum vor. Das gilt nämlich im gesamten Universum, musst du wissen. Also auch bei uns!“
„Aha.“ Der kleine Prinz verstand überhaupt nichts. Aber in ihm tauchte die Frage auf, wer ihn denn eigentlich zum Prinzen ernannt haben könnte, und wollte ihn nicht mehr loslassen.
„Das Wort war also nun einmal da, und es gehörte den Rötlingen. Was sollte unser Volk tun? Man kam schließlich darin überein, sozusagen den Stier bei den Hörnern zu packen und…“
„Was ist ein Stier?“ Der kleine Prinz war froh, eine Frage gestellt zu haben, deren Antwort er vermutlich verstehen würde.
„So eine Art Ziege, wie du sie hier siehst, nur größer…“
„...wohl eher so eine Art Ziegenbock!“ Das kam wiederum von Qeika.
„Ist doch egal! Ich meinte ja nur, unser Volk beschloss also, den Rötlingen zuvorzukommen und...“
„Ist überhaupt nicht egal! Wieso konntest du sie dann nicht zur Abwechslung mal eine Kuh bei den Hörnern packen lassen?“
Da dem kleinen Prinzen nun wenigstens klar war, dass Stiere Hörner haben und zu Kühen in einer gewissen Beziehung stehen, glaubte er, die beiden müssten sich darüber wohl nicht in die Haare kriegen. Er unterbrach also den Wortwechsel: „Entschuldigt, aber ich glaube verstanden zu haben, was ein Stier ist. Ihr könnt also weitererzählen, bitte.“
Qeiko wurde ohnehin bereits etwas ungeduldig. „… bei den Hörnern zu packen, also den Rötlingen, die das Wort Ausgrenzen zuerst verwendet hatten, wenigstens in der Sache zuvorzukommen. Das soll heißen, sie beschlossen einen Zaun zu errichten, damit jeder sehen konnte, wo die einen anfingen und die anderen aufhörten. Oder umgekehrt.“
Qeika fügte hinzu: „Du erinnerst dich noch an den weisen Erothastenes? Der ausgerechnet hat, dass unser Planet genau vierhunderteinundzwanzig Kilometer dick ist? Ich meine, in der Mitte. Denn man wollte die Rötlinge, mit denen man jahrhundertelang im besten Einvernehmen gelebt hatte, auch nicht ungerecht behandeln, indem man ihnen nur die Hälfte des Planeten überließ, wo sie doch viel zahlreicher sind als wir.“
„So könnte es gewesen sein sein.“ Wieder meldete sich Queiko zu Wort. „Es könnte aber auch sein, dass einfach nicht genug Holz da war. Stell dir vor, so ein langer Zaun! Besser also, man errichtet ihn nicht gerade genau auf der Mittellinie, dann braucht man weniger Material. Jedenfalls, man kam darin überein, den Zaun dreißig Kilometer und vierundsiebzig Meter weiter unten zu bauen.“
„Und seitdem lebt ihr also getrennt voneinander?“ Der kleine Prinz wusste nicht, ob die Geschichte zum Lachen oder zum Weinen war.
„Vor einundfünfzig Jahren, vierzehn Wochen und drei Tagen gab es unter dem damaligen Anführer der Rötlinge, dem Großen und Geliebten Kim-Jong-Honni-Mon, den Versuch einer Annäherung, so eine Art Tauwetter zwischen unseren beiden Ländern, so eine Art...“
„...Flitterwochen.“
„Genau! Wie kommst du darauf?“
„...“
„Aber dann, genauer gesagt vor dreiundvierzig Jahren einunddreißig Wochen und fünf Tagen, kam unser damaliger Anführer, der nicht weniger Große und Geliebte Hai-Tse-Strau auf den Gedanken, wir müssen uns ein für alle Mal gegen mögliche Übergriffe schützen. Der Zaun war etwas altersschwach geworden, überall durchbrachen ihn unsere Ziegen und ihre Schafe, um auf der jeweils anderen Seite zu grasen. Du kannst dir vorstellen, wie oft die Hirten aneinander gerieten!“
„Und so kam es also zum Mauerbau. Angeblich soll die Idee dazu von einem gewisser Trum-Don-Duck stammen, der damals unser Minister für Auswärtige Beziehungen war, eine eher eintönige Arbeit übrigens. Da hat man schon auch mal sonderbare Einfälle.“ Qeika hatte sich längst hingesetzt, das viele Erzählen machte sie müde. „Man ging dabei praktisch vor: wie hoch kann eine Ziege höchstens springen? Das musste die Mindesthöhe der Mauer sein. Andererseits sollte man einander auch in Zukunft hin und wieder etwas zurufen können. Wie hoch durfte sie also höchstens sein? Und so verständigte man sich auf einen Meter und vierundsechzig Zentimeter. So war allen recht getan.“
´Auch den Kindern?´ dachte der kleine Prinz, aber er unterdrückte die Frage. Die Geschichte war auch so schon kompliziert genug. Aber eines wollte er unbedingt noch wissen:
„Und warum sind das da drüben die Rötlinge und ihr seid die Bläulinge?“
„Das war schon immer so.“
„Aber warum?“
„Vermutlich weil schon die Väter und die Väter unserer Vätersväter Bläulinge waren.“
„Und die Mütter und Mütter unserer Müttersmüttersmütter.“
„Aber irgendeinen Unterschied muss es doch geben. Vielleicht sind die Rötlinge etwas größer als ihr?“ Der kleine Prinz versuchte sich ein wenig aufzubäumen, um seine Worte zu unterstreichen.
„Nein, das kann nicht sein. Ich sehe manchmal ein paar Rötlinge, so aus der Ferne, aber doch nah genug. Sie sind ungefähr gleich groß wie wir.“
„Oder haben sie andere Haare?“ fragte der kleine Prinz und wickelte dabei eine seiner goldblonden Strähnen um den linken Zeigefinger.
„Auch nicht. Alle Rötlinge, die ich bisher gesehen habe, haben genau wie wir schwarz-rot-braun-blonde wellig-glatt-gekrauste Haare.“ Aus Qeiko Worten war eine gewisse Ratlosigkeit zu spüren.
„Vielleicht“, ergänzte Qeika, „reden sie ja etwas anders als wir. Ich habe zwar noch mit keinem Rötling gesprochen, aber nach so vielen Jahren könnte es schon sein, dass sie Schafe sagen statt Ziegen und umgekehrt, weil das irgendjemand irgendwann einmal verwechselt hat. Vielleicht haben sie sogar für uns hier eine andere Bezeichnung als wir selbst? Sie könnten uns zum Beispiel Grünlinge nennen, weil blau und grün doch recht ähnlich ist, besonders in dunklen Zeiten. Oder weil in ihrer Erinnerung wir die ersten waren, die von Ausgrenzen gesprochen haben. Aber so genau wissen wir das nicht mehr.“
„Warum fragst du sie nicht selbst? Du kannst sie jederzeit besuchen, die Mauer ist nicht sehr hoch und eigentlich gar keine Mauer, sondern mehr so eine bauliche Maßnahme, sie soll also niemanden abschrecken, schon gar nicht, wenn er als Besucher von so weit her kommt. Und für unsere Willkommenskultur waren wir Ostarichistanianer immer schon im ganzen Universum bekannt!“
Der kleine Prinz wusste nicht so recht, ob Qeiko ihn nicht eher los werden wollte, da seine vielen Fragen ihn langsam in Verlegenheit brachten. Da er weder unhöflich noch aufdringlich sein wollte, erwiderte er daher: „Vielen Dank für den Hinweis, aber ich werde lieber wieder abreisen! So wie es aussieht, werde ich auch dort nicht viel Neues über euren Planeten erfahren!“ Außer vielleicht festzustellen, dass die Rötlinge es mit den Zahlen nicht ganz so genau nahmen wie die Bläulinge… aber diese Bemerkung verkniff er sich.



C.H., Nov 2016
 

Rumpelsstilzchen

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Hallo Xoph, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von Rumpelsstilzchen

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