ÖsterreicherInnen in Österreich
„Du wirst nicht glauben, was mir heute passiert ist?“
„Na was denn, mein Kind?“
„Ich hatte heute mein Vorstellungsgespräch und dachte, dass ich auch recht gut war.“
„Und wo ist der Haken?“, fragt die Urgroßmutter scheinbar interessiert nach.
„Nun ja, dann kommt so ein besserwisserischer Ausländer des Weges und schnappt mir beinhart den Job weg“, antwortet die Urenkelin.
Plötzlich wurde die Urgroßmutter hellhörig: „Weißt du eigentlich, dass du über deinesgleichen schimpfst, wenn du so von Ausländern redest?“, damit versuchte die Urgroßmutter ihrer Urenkelin beizubringen nicht immer nur destruktive, sondern ausnahmsweise auch einmal konstruktive Kritik anzubringen.
„Wenn du mir erklären könntest, was du damit meinst, würde ich mir diesen Ausspruch gerne zu Herzen nehmen“, entgegnete ihr die Urenkelin, namens Klara.
„Ich habe dir doch schon erzählt, dass ich im Jahre 1917, damals war ich 5 Jahre alt, mit meiner ganzen Familie von Tschechien nach Österreich emigriert bin. Zu der Zeit hat in Österreich noch Kaiser Franz Joseph regiert und Wien war, mehr als heute noch, eine Metropole in der Österreichisch-Ungarischen K&K Monarchie…“
„Ja, ja, das hast du mir schon einige hunderte Male ausführlich erklärt. Könntest du jetzt vielleicht so nett sein und mir den Sinn dieser ausführlichen Aufklärung geben?“
„Kind, setz dich und hör mir eine Sekunde lang zu“
„Du weißt, dass ich nur begrenzt Zeit habe?“, gab Klara nicht ganz feinfühlig zu bedenken, worauf die Urgroßmutter ziemlich schroff mit den Worten: „Hinsetzen und Klappe halten“, reagierte.
„Wie du weißt hat meine Lebensgeschichte im Großen und Ganzen mit der Emigration meiner Familie nach Österreich begonnen, wo ich, wie gesagt, gerade einmal das süße Alter von fünf erreicht hatte.
Im Jahre 1927 verlobten mich meine Eltern, meine Eltern empfanden dies als noch immer zeitgerecht, ganz im Gegensatz zu mir, mit einem gewissen Herrn, namens Franz Oberauer. Diese ganze ‚Verlobungs- Heirats- und Kinderkriegzeit’ machte mir ziemlich zu schaffen, nicht zuletzt, da mein Mann in den Krieg ziehen musste und dort auch gefallen ist. Anschließend musste ich meine Kinder alleine versorgen. Vor allem deine Großmutter machte mir Kopfzerbrechen, wie du mit großer Sicherheit schon zu Ohren bekommen hast, da sie eine Frühgeburt war und …“
„Komm bitte endlich auf den Punkt“, warf Klara genervt ein.
„Also der Grund warum ich dich anscheinend mit so sehr meiner Lebensgeschichte nerve ist, dass du bedenken solltest, wen du als Aus- und wen du als Inländer bezeichnest, da bei diesen Bezeichnungen kein Unterschied zu machen ist. Trivial gesehen stammt nämlich der Großteil der Österreichischen Bevölkerung aus dem Ausland, und so auch du!“
„Das kann ich nicht glauben“, damit versuchte Klara ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen, jedoch vergebens.
„Dann denk doch einmal scharf nach und nenn’ mir einen ‚ganzen’ Österreicher.“
„…“
„Na siehst du. Versuch doch einmal das ganze aus einem anderen Blickwinkel zu sehen: Es gibt fast keine ‚ganzen’ Österreicher, so wie du sie letzte Woche bezeichnet hast, der Großteil der Österreichischen Bevölkerung stammt, wenn auch nur teilweise, aus dem Ausland und ist ebenfalls wieder nur zum Teil ein so genannter ‚Zuagraster’. Ich hoffe du verstehst jetzt was ich meine“, nun hatte die Urgroßmutter für die Urenkelin das ganze Bild in ein anderes Licht gerückt.
„Ich werde versuchen vorher nachzudenken, bevor ich meinen Mund aufmache und lauthals losschimpfe … über meinesgleichen“, gab Klara schließlich kleinlaut zu.
„Du hast es begriffen“, der plötzliche Sinneswandel der Urenkelin überraschte sie ein wenig, “Es ist nämlich vollkommen egal ob ein Mensch aus der Türkei, aus Norwegen oder aus Österreich kommt, er bleibt Mensch und an seinen anderen Sitten und Gebräuchen können wir nur reicher werden und sicherlich nicht ärmer.“