Offenes zu Ende

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Walther

Mitglied
Offenes zu Ende
- für Hartmut -


Es ist, als hätte ich ihn gestern erst gesprochen:
Die Wahrheit ist: Es ist schon Jahre her.
Ich sitze still und denke nach, bin leer.
Die Hoffnung, sich zu treffen, ist zerbrochen.

Was ungesagt blieb, wird es bleiben. Schwer
Trägt man an dem, was nie zum guten Ende
Gebracht für immer schwärt! Ich seh die Hände,
Wie ihre Adern pochen, ahn’ mich mehr,

Als dass ich atme. Plötzlich kommt die Trauer.
Vor mir ersteht sein Bild, ich schau genauer
Und meine fast, ich könnt’ ihn lächeln sehn,

Ich kann ihn sogar beinah reden hören.
Er spricht mir Mut zu, das will ich beschwören:
Ich weiß, sag ich zu ihm, Du musstest gehn.
 
L

label

Gast
Hallo Walther

ein ergreifendes Gedicht, das einfühlsam die Reaktion auf eine Todesnachricht einfängt.
Mit klaren gut gesetzten Worten hast du die Betroffenheit ohne Pathos und ungekünstelt eingefangen.
das gefällt mir sehr gut.

zu bemäkeln habe ich die konstante Großschreibung am Versbeginn

schöner fände ich auch wenn du einen Punkt nach [blue]Wie ihre Adern pochen[/blue] machtest. Das gäbe eine zusätzliche Pause, die das langsame Begreifen, das sich Zurechtfindenmüssen wiedergäbe, da das auch im Text an dieser Stelle vorhanden ist.

LG
label
 

Walther

Mitglied
Offenes zu Ende
- für Hartmut -


Es ist, als hätte ich ihn gestern erst gesprochen:
Die Wahrheit ist: Es ist schon Jahre her.
Ich sitze still und denke nach, bin leer.
Die Hoffnung, sich zu treffen, ist zerbrochen.

Was ungesagt blieb, wird es bleiben. Schwer
Trägt man an dem, was nie zum guten Ende
Gebracht für immer schwärt! Ich seh die Hände,
Wie ihre Adern pochen - ahn’ mich mehr,

Als dass ich atme. Plötzlich kommt die Trauer.
Vor mir ersteht sein Bild, ich schau genauer
Und meine fast, ich könnt’ ihn lächeln sehn,

Ich kann ihn sogar beinah reden hören.
Er spricht mir Mut zu, das will ich beschwören:
Ich weiß, sag ich zu ihm, Du musstest gehn.
 

Walther

Mitglied
Lb. Label,

danke für Deinen Eintrag. Es ist in der Tat persönlich begründet, mein Gedicht. Ich dachte aber, man könnte es doch veröffentlichen, weil es ein generelles und häufiges Versäumnis der Lebenden gegenüber den Verstorbenen thematisiert, nämlich, Differenzen, größere und kleinere, aus meist eher kleinlichen Motiven, nicht rechtzeitig auszuräumen.

Ich habe Deinen Vorschlag so umgesetzt, daß ich das Komma in einen Gedankenstrich verwandelt habe - damit der Bezug des Verbs "ahnen" auf das "Ich" am Anfang des Satzes nicht verloren geht. Ich hoffe, das ist ein guter Kompromiß zwischen beiden Überlegungen, der Deinen und der meinen, die beide gut begründbar sind.

Bester Gruß

W.
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Walther

Ein wirklich schönes und treffend formuliertes Sonett, dass Deine Gefühle perfekt transportiert indem es genau den richtigen Ton trifft.

Im Gegensatz zu einigen anderen Deiner Werke wirkt diese auch gänzlich echt und ungekünstelt was nur wieder einmal beweist, dass diejenigen Gedichte, die aus einem Bedürfnis heraus entstehen, die besten sind.

Nun ein - allerdings sehr dickes und krauses - Haar habe ich in der Suppe gefunden (ich bin gleich beim ersten Lesen dran hängen geblieben): 2. Quartett, 1. Zeile - das Enjambement.

Es ist zwar nicht das einzige, bei allen anderen laufen aber Text und Betonung sauber durch. Hier jedoch bleibt man unweigerlich hängen und es drängt sich der Verdacht auf, es sei dem Reim geschuldet.

Da findest Du bestimmt noch eine bessere Lösung...

LG

Jürgen
 

Walther

Mitglied
Lieber JoteS,

das Enjambement ist durchaus nicht reimgeschuldet, sondern hat mit dem Inhalt und den Gefühlen des LyrIchs zu tun. Über die Frage, ob und wie ich reime, bin ich in diesem - und auch anderen jüngeren Gedichten hinausgekommen. Die Technik ist durch und durch gewollte Begleiterscheinung.

Wie die Sprache hakt, hakt's auch im Inneren des Protagonisten, der hier seine Gedanken zu Papier bringt (virtuell selbstredend). Er ist mit sich nicht im Reinen, mit dem Verstorbenen nicht, von dem er sich Erlösung erhofft von seinen berechtigten Selbstvorwürfen.

Ich kann Dir folgende Version anbieten, die etwas geglättet ist, aber nicht so glatt, daß die Widerhaken verloren wären. Kommt das Deinem Bauchgefühl entgegen? Metrisch sind beide Versionen einwandfrei.
Was ungesagt blieb, bleibt’s. Wie furchtbar schwer
xXxXxXxXxX
Trägt man an dem, was nie zum guten Ende
xXxXxXxXxXx
Gebracht für immer schwärt! Ich seh die Hände,
xXxXxXxXxXx
Wie ihre Adern pochen - ahn’ mich mehr,
xXxXxXx(/)XxX
Danke und Gruß W.
 

Walther

Mitglied
Offenes zu Ende
- für Hartmut -


Es ist, als hätte ich ihn gestern erst gesprochen:
Die Wahrheit ist: Es ist schon Jahre her.
Ich sitze still und denke nach, bin leer.
Die Hoffnung, sich zu treffen, ist zerbrochen:

Was ungesagt blieb, bleibt’s. Wie furchtbar schwer
Trägt man an dem, was nie zum guten Ende
Gebracht für immer schwärt! Ich seh die Hände,
Wie ihre Adern pochen - ahn’ mich mehr,

Als dass ich atme. Plötzlich kommt die Trauer.
Vor mir ersteht sein Bild, ich schau genauer
Und meine fast, ich könnt’ ihn lächeln sehn,

Ich kann ihn sogar beinah reden hören.
Er spricht mir Mut zu, das will ich beschwören:
Ich weiß, sag ich zu ihm, Du musstest gehn.
 

Walther

Mitglied
Gut, da streif ich mal den Angstschweiß von der Stirn,

lb. JoteS!

Ich habe es oben angerichtet. Nun wollen wir mal weitersehen.

Danke und Gruß

der W.
 
H

Heidrun D.

Gast
Manchmal bin ich richtig dankbar, wenn ich was Korrektes lese ... :D

Tja, soweit ist es schon gekommen. :(

Im Gegensatz zu Jürgen gefällt mir dein letztes Gedicht aber besser, weil es so viel lyrischer, schönsprachlicher klingt.
Ich gebe aber gern zu, dass dies reine Geschmackssache ist.

Trotzdem, bist nen Juuter!
Heidrun
 

Walther

Mitglied
Hallo Heidrun,

das ist ein persönliches Gedicht. In solchen Fällen ist das mit Kunst eher relativ. Betroffenheitslyrik hat ihre Grenzen, die aus der zu engen Verstrickung des Autors mit dem Protagonisten und dem Thema herrühren.

So gesehen kann ich mit den bisherigen Urteilen mehr als zufrieden sein.

Danke und Gruß

W.
 

revilo

Mitglied
Das kannst Du auch, lieber Walther, weil Dein Gedicht - zumindest mich- betroffen macht, ohne das es das geringste mit Betroffenheitslyrik zu tun hat. Auch wenn der Anlass traurig ist: Die persönliche Note kleidet Dich gut! Lg revilo
 

Inu

Mitglied
Hallo Walther


Ein gutes Gedicht. Die Gedanken, die Gefühle sind echt, die schöne Sprache einfach und ungekünstelt. Ich finde auch am Versmaß nichts, was mich nur im Geringsten stören könnte.

Nur die Großbuchstaben zu Anfang jeder Zeile ... muss das unbedingt sein? Ich weiß, dass viele Dichter es so machen, für mich ist es aber nicht plausibel. Was ist der Zweck außer einer schwer nachvollziehbaren, sonderbaren Ästhetik ( oder Ordnung? ). Ich wünschte, Du würdest es mir sagen.


[blue]Was ungesagt blieb, bleibt’s. Wie furchtbar schwer
Trägt man an dem, was nie zum guten Ende
Gebracht für immer schwärt! Ich seh die Hände,
Wie ihre Adern pochen - ahn’ mich mehr,

Als dass ich atme. Plötzlich kommt die Trauer.
...[/blue]

Es tut ja dem Klang und Inhalt des Gedichts keinen Abbruch, aber irgendwie irritiert es mich. Vor allem, weil ich keinen Sinn darin sehe.


Liebe Grüße
Inu
 

Inu

Mitglied
O je, ich sehe gerade, Label hat schon dasselbe gesagt. Warum lese ich nicht vorher die Kommentare der anderen?
 

Walther

Mitglied
Hallo revilo,

danke für Deine wohltuenden Worte. Bei solchen Gedichten ist man als Autor zu sehr Partei.

LG W.

Hallo Inu,

vielleicht ist das nur eine Marotte. Ich halte mich an die Konvention - evtl. veraltet -, daß Versanfänge groß geschrieben werden. Ich sehe, daß dies zunehmend in neueren Bänden verschwindet. Vielleicht sollte ich diese Marotte mal überprüfen. :)

Danke und Gruß

W.
 

Thylda

Mitglied
Lieber Walter

Ich habe nichts zu meckern, ganz im Gegenteil. Dieses Gedicht macht mir Deine Sonette wieder schmackhaft. Sehr einfühlsam geschrieben, ergreifend und ohne falschen Pathos, der bei dieser Thematik sonst oft zu lesen ist.

Beeindruckt
Thylda
 
B

Benedikt Behnke

Gast
Hey Walther!

Geiles Gedicht, von dir kann man offensichtlich beständig Beständiges erwarten, das zudem noch äußerst reif und von hohem Wortwert ist!
Kurzgesagt, ich finde alles, was ich bislang von dir gelesen habe, einfach klasse, wohl durchdacht, ergreifend!
Tolles Metrum übrigens, das erst befremdlich scheint und sich schließlich lieblich an den Leser schmiegt, jedenfalls geht's mir so!

Gruß
Bene
 
L

label

Gast
Hallo Walther

Dein Gedankenstrich ist wesentlich besser als mein Vorschlag. Wie ja schon im Namen dieses Satzzeichens enthalten - das lässt Raum für Gedanken und schließt nicht ab, wie ein Punkt. :)

liebe Grüße
label
 



 
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