Ohne Abschied

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KurzeXL

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Zum Jahresgedenken

Eine schreckliche Nachricht im Radio oder in der Zeitung, irgendwo aufgeschnappt und ebenso rasch wieder vergessen. Täglich hören wir sie und gelegentlich berühren sie uns für einen Augenblick. Manchmal aber sind wir plötzlich unmittelbar davon betroffen...
Fünf Uhr morgens:

Ich quäle mich, wie jeden Morgen um diese frühe Stunde, müde aus dem Bett. Das Radio läuft und während ich mich gerade kämme, höre ich beiläufig die Nachrichten: "... ist in der Nacht ein Fußgänger durch einen Unfall mit Fahrerflucht ums Leben gekommen. Der Fahrer des Wagens konnte bisher nicht ermittelt werden. Berlin: Das Kabinett tritt heute nach der Sommerpause zu seiner ersten..."
Ich kaue an meinem Brötchen, höre noch das Wetter und bin in Gedanken bereits auf Arbeit.


In der Frühstückspause lese ich in der Kantine die Titelblätter der dort am Zeitungsständer hängenden Tageszeitungen: "Schwerer Verkehrsunfall mit Todesfolge - Fahrer beging Fahrerflucht..." Auf dem großen Foto sehe ich ganz deutlich den typischen Baustil der Häuser in meinem Wohnviertel. Jetzt begreife ich auch den Lärm, der diese Nacht durch die Sirenen der Einsatzfahrzeuge meinen Schlaf störte. Für einen Augenblick stelle ich mir diese Szene vor, dann bezahle ich meinen Kaffee und gehe wieder an meinen Schreibtisch.


Als ich gerade über einem schwierigen Stück Arbeit sitze, kommt meine Kollegin aufgeregt ins Büro: "Habt ihr schon gehört - der Tote heute morgen da bei dir an der Straßenecke...". Genervt schaue ich kurz auf. Ich hasse solche Tratschereien. Sie weiß das, aber es scheint sie wenig zu stören: "... das war der Enkel unseres Hausmeisters.", führt sie ihre Rede fort.


Mit einem Ruck fahre ich auf. "Sven!" Der Schreck fährt mir durch alle Glieder. Meine Güte, der war knapp 18 Jahre alt! Unsere Familien hatten lange gemeinsam in einem Haus gewohnt und mein Sohn war mit ihm noch immer befreundet gewesen.
In Gedanken sehe ich mich, wie ich damals Svens Schuhe zubinde oder seine Nase putze und wie er mit meinen Jungs im Hof Fußball spielt...

Der Tod hat plötzlich einen Namen und ich eine Verbindung zu ihm. Svens Tante war eine Kollegin von mir gewesen. Seit sie in eine andere Stadt gezogen war, hatten wir noch immer eine lockere Verbindung gehalten. Ob ich sie anrufen sollte? Mich schauderte. Nein, das kann ich nicht!
Meine Arbeit auf dem Schreibtisch war in weite Ferne gerückt. Ich saß da und bastelte die einzelnen Mosaiksteinchen meines Wissens um den Jungen zusammen. Es tat mir unendlich weh. Was ich noch immer nicht wusste: Es sollte noch schlimmer kommen!


Am frühen Nachmittag rief mich mein Großer an. Er ist inzwischen 21 und hat eine eigene Wohnung. "Mama, hast du schon gehört? Sven hatte einen Unfall..." Mehr konnte er aber auch nicht sagen. Er war völlig verstört! "Ich komme, so schnell ich kann.", sagte ich nur.


Ich machte an diesem Tage früher Schluss, an arbeiten war so ohnehin nicht mehr zu denken. Als ich in seiner Wohnung ankam, weinte er hemmungslos. Er war nicht zur Arbeit gefahren sondern wollte an den Ort des Unfalls. Aber derJunge hatte es einfach nicht allein geschafft. Jetzt fing er langsam an mir zu berichten, was am Abend zuvor geschehen war:


Sven und er waren vorm Kino verabredet. Er hatte sich reichlich verspätet und der Film hatte bereits begonnen. Sven war sauer, er hatte sich seit langem auf diesen Abend gefreut. "Aber ich konnte doch nichts dafür, ich war nur so lange noch im Dienst. Ich habe ihn noch angerufen. Meine Ablösung war wieder mal nicht erschienen und ich musste noch warten...", erklärte mir mein Sohn. "Ich wollte es ihm sagen, aber Sven hatte gar nicht zugehört. Er war einfach nur sauer! Wir liefen dann durch die Innenstadt, um wenigstens noch irgendwo etwas zu essen. Wir haben uns die ganze Zeit nur gestritten, es war so schade um den Abend. Irgendwann ist Sven dann plötzlich los. Er sagte nur: "Du bist mir ein feiner Freund.", und hat mich dann einfach stehen lassen."
Jetzt konnte er nicht mehr weiter sprechen, die Tränen liefen ihm übers Gesicht und er schluchzte laut.


Wir umarmten uns und weinten beide. Ich weiß nicht, wer mir in diesem Augenblick wohl am meisten leid tat. "Mama,", sagte mein Sohn irgendwann: "ich habe mich gar nicht von ihm verabschiedet, wir hatten noch so viel zu bereden." Ein scharfer Schmerz durchbohrte mich erneut. "Das wird sich niemals nachholen lassen und es wird ewig in seinen Kopf weiter leben..." so meine Gedanken in diesem Augenblick. Ich musste irgend etwas tun, aber ich wusste auch nicht, was das sein sollte.


Wir redeten lange über Sven, dachten zurück an schöne, lange vergangene Tage mit ihm und lachten sogar manchmal leise. Es war schon fast dunkel, als ich sagte: "Komm, wir werden uns jetzt beide von ihm verabschieden!"
Wir setzten uns ins Auto und fuhren zum Unfallort. Dort lagen bereits eine ganze Menge Blumen, jemand hatte eine Kerze aufgestellt und ein Plakat aufgehangen. "Wir kriegen den Mörder!", war darauf zu lesen. Zum Glück war niemand da, ich hätte jetzt mit keinem anderen reden wollen. Wir setzen uns auf den Bordstein und schauten auf die Fahrbahn. Unaufhörlich fuhren Autos dort lang, wo noch heute Nacht Sven gelegen haben musste...
Mich fröstelte: Langsam begann mein Sohn zu sprechen. Er sprach mit Sven, er erklärte sich, er entschuldigte sich, immer wieder geschüttelt von seinem lauten Schluchzen. Ich hielt seine Hand ganz fest und er drückte die meine, dass es schmerzte. Je länger er sprach, um so ruhiger wurde er. Es war sein Abschied von einem Freund, von dem er sich nicht mehr hatte wirklich verabschieden können.....


Tage später erfuhren wir Stück für Stück den Unfall-Hergang. Sven war nicht schuld an dem Unfall, der Fahrer des PKW war bei rot gefahren. Es war ein junger Mann gewesen, wenig älter als Sven selbst es gewesen war. Noch am gleichen Tage hatte er sich der Polizei gestellt.
Hätte er jedoch angehalten und Hilfe geleistet, könnte Sven vielleicht noch leben - so hat das Gutachten später ergeben.


Aber Sven ist tot!


Eine schreckliche Nachricht im Radio, in der Zeitung, irgendwo aufgeschnappt und ebenso rasch wieder vergessen. Täglich hören wir sie und gelegentlich berühren sie uns für einen Augenblick. Manchmal aber sind wir plötzlich unmittelbar davon betroffen.

Ja, ich habe so etwas erlebt - sehr ähnlich jedenfalls. Das alles ist jetzt fast drei Jahre her.
Um die betroffenen Personen zu schützen, habe ich mir erlaubt, die Details und Zusammenhänge ein wenig zu verändern.

Wenn ich heute an dieser Stelle vorbei gehe, an der nichts mehr an diese schrecklichen Ereignisse erinnert, halte ich manchmal einen Augenblick inne und rede stumm ein paar Worte mit Sven. Beinahe so, wie mein Sohn das an jenem Tage tat. Auch ich hatte mich nicht verabschieden können und es gab doch noch so viel zu sagen....
 

Druckmaus

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Hallo Kurze,

deine Geschichte hat mich innhaltlich berührt und die Idee finde ich gut.
Aber ich hätte mir den Aufbau der Story anders gewünscht.
Deine Geschichte gehört meiner Ansicht nach eher in die Rubrik Tagebuch.
Für eine Kurzgeschichte, fehlt die Spanung, die mich als Leser motiviert sie auch bis zum Ende zu lesen.


Viele Grüße Druckmaus
 

KurzeXL

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Mag sein, danke für den Hinweis, Old Icke.

Es ist eben noch kein Meister vom Himmel gefallen!

Hat noch jemand einen Hinweis, eine Kritik, eine Anmerkung? Ich würde mich freuen.

LG die Kurze
 



 
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