Ohne Titel

gladiator

Mitglied
Nachfolgender Text ist Teil einer längeren Erzählung, an der ich gerade arbeite. Konstruktive Kritik ist erwünscht.

„Nun“, sagte Edeltraut Schneider, die Leiterin des Kreativkurses, eine erbarmungswürdig magere Frau mit stahlblauen Augen und aparten Falten im Gesicht, als sich alle gesetzt hatten, „bevor wir uns unserer heutigen Aufgabe widmen, wie immer an alle die Frage, ob sie etwas zu sagen oder mitzuteilen haben...ja bitte, Ursula?“
Eine der Frauen, mit schwarzem Pagenkopf, kleiner Nickelbrille und Anfang 30, rückte auf ihrem Stuhl hin und her und setzte dann zum Reden an. An ihrem Hals breiteten sich langsam von unten nach oben breite, rote Flecken aus, die bald das Kinn erreichten.
„Ähm, also...ich wollte sagen...daß ich wohl den Solopart nicht singen kann.“ Eine der Frauen kicherte, Ursula erglühte und senkte den Blick. Ein stahlblauer Blick traf die Kichernde. „Das ist nicht zum Lachen, Birgit. Ursula hat den Mut aufgebracht, uns ihr Problem mit der Freude...äh, mit der Ode zu offenbaren, und das sollten wir angemessen würdigen.“ Birgit senkte jetzt ebenfalls den Blick. Die beiden anderen Frauen studierten angestrengt ihre Noten.
Die Situation war kritisch. Seit Tagen übten alle wie besessen, um eine fröhliche kleine Chorversion von Schillers „Ode an die Freude“ gemeinsam zu singen. Heute sollte die erste gemeinsame Probe Fortschritte und Möglichkeiten der Verbesserung zeigen. Doch jetzt drohte die Solistin mit Abbruch und damit das gesamte Projekt scheitern zu lassen. Birgit hatte es übrigens die ganze Zeit gewußt!
„Nun, mein Kichern war sicher nicht angebracht, aber ich habe schon immer gesagt, daß Ursulas Stärken sicherlich woanders liegen“, sagte sie sachlich.
„Also, das finde ich jetzt nicht ok“, empörte sich Ursula und die roten Flecken bekamen einen Hauch Violett. „Ich fühl mich hier unter Druck gesetzt, und das ist ja wohl nicht Sinn der Sache.“
„Aber warum hast Du überhaupt den Solopart übernommen?“
„Ich wollte es eben versuchen, was ist schon dabei?“
„Wenn Du jetzt aussteigst, haben wir alle umsonst geübt...“
„Ich habe mir das auch sehr, sehr gut überlegt....“
„Das hättest Du mal früher tun sollen“, höhnte Birgit.
„Sag doch gleich, daß Du es sowieso besser kannst“, giftete Ursula zurück, und ihr Mund wurde ein schmaler Strich. Birgit setzte zu einer Antwort an, doch da unterbrach sie das Händeklatschen ihrer Lehrerin.
„Schnickschnack, Mädels, Schluß jetzt. Wir wollen hier Freude und Spaß in unserem Kurs haben. Freude weckt Lebenslust und befreit die Seele. Und die Seele ist nichtig...äh, wichtig.“
Edeltraut Schneider hatte die Angewohnheit, sich regelmäßig zu versprechen, eine Eigenart, die man allerdings überhörte, wenn man längere Zeit mit ihr verbrachte.
„Also, Birgit, wir wissen alle, daß Du hervorragend singen kannst, aber Ursula war mutig genug, es auch zu versuchen, und wir sollten sie dabei unterstützen, daß sie jetzt den Mut nicht verliert.“ Sie wandte sich an die unglückliche Solistin. „Nun, Ursula, wir sind hier ganz unter uns, und niemand wird Dich versöhnen...äh, verhöhnen.“ Aufmunternd nickte sie Ursula zu und schenkte ihr ein stahlblaues Lächeln.
Ursula rutschte weiter auf ihrem Stuhl hin und her, ihre ganze Haltung drückte innere Unordnung aus. Schließlich nahm sie, den Kopf wiegend und mit den Worten „Naja, Augen zu und durch!“ die Notenblätter in die Hand, setzte sich kerzengerade auf und fragte, dabei mit hochgezogenen Brauen in die Runde schauend: „Also?“
Auch die anderen Frauen nahmen ihre Notenblätter in die Hand. Edeltraut Schneider stand auf, hob die Hände, sah jeder ihrer Schülerinnen ins gespannte Gesicht, zog eine Augenbraue empor, hob die Arme ein weiteres Stück höher, die Frauen holten Luft, und Ursula setzte ein. Mit feiner, etwas schwankender Stimme, ein heller Alt, der vor seinem eigenen Klang zu erschrecken schien und vorsichtig um die Töne kreiste, sang sie die ersten Zeilen:

„Freude schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, Dein Heiligtum.
Deine Zauber binden wieder,
Was der Mode Schwert geteilt,
Bettler werden...“

Mit einer Handbewegung brach die Schneider ab. Ursulas Mund klappte hörbar zu.
„Etwas frischer, es ist ein fröhliches Lied“, sagte die Lehrerin und stahlbläute Ursula mit ihrem Lächeln. „Also...“ Sie hob die Hände, neuer Einsatz, und die Adern traten an Ursulas Hals hervor, als ihrem Part mit aller Kraft und Inbrunst Fröhlichkeit verlieh. Allein, für die Zuhörer mußte es immer noch allzu unsicher und verhuscht wirken. Aber warum auch nicht? Wir sind hier, um Spaß zu haben und neue Fähigkeiten an uns zu entdecken, dachte Ursula und mit grimmiger Entschlossenheit kämpfte sie darum, ihrem Gesang die Fröhlichkeit zu geben, die ihm zukam. Dann setzte der Chor ein.

„Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Bürger – überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen...“

Dieses Mal kam die Unterbrechung durch Matteo, dem seine Laute entglitten war. Er hatte ihren Hals zwar rechtzeitig greifen können, so daß sie nicht auf den Boden fiel, trotzdem gaben die Saiten einen häßlichen, spröden Ton von sich. Der Gesang der Frauen riß ab. Edeltraut Schneider drehte sich stirnrunzelnd um.
„Junger Mann, wir müssen uns hier sehr konzentrieren. Wir ruinieren...äh, studieren Schillers Ode an die Freude, das ist eine große Aufgabe. Ich darf Sie bitten, ein wenig Ruhe zu bewahren.“ Beides, Lächeln und Augen, stählern und blau. Matteo hob abwehrend die Hände, die rechte umklammerte den Hals seiner Laute: „Entschuldigung!“ Die Lehrerin nickte huldvoll und wandte sich wieder dem Chor zu. Arme hoch, Einsatz:

„Wem der große Wurf gelungen,
eines Freundes Freund zu sein...“
 

Andre

Mitglied
hmmm, nicht schlecht geschrieben, auch wenn ich die Intention nicht erkennen kann. Liegt aber wohl daran, dass man auch den ganzen Rest der Geschichte dafür braucht. Dann wird man sich auch über das Alter der Sängerinnen klar, die mal mit Frauen, mal mit Schülerinnen angesprochen werden. Ok, beides kann dasselbe sein, muß es aber nicht.

Aber es liest sich angenehm flüssig, nur die Versprecher nerven - die wirken, meiner Meinung nach, zu gekünstelt.

Der Zusammenhang, warum die Damen dort sitzen und singen würde mich schon noch interessieren.

André
 

gladiator

Mitglied
Richtig...

...aber jetzt hier den ganzen Zusammenhang darzustellen, würde zu weit führen.

Mir reicht es, wenn ich höre, wie der Text sprachlich bewertet wird. Um den Inhalt geht's mir weniger.

Über die Versprecher grüble ich auch schon die ganze Zeit. Soll man sie ganz rauslassen, oder nur verändern?

Danke
Gladiator
 

Fredy Daxboeck

Mitglied
*drinnen lassen gladi . . . unbedingt*

hallo mein freund

sprachlich sehr gut geschrieben,
"Edeltraut Schneider hatte die Angewohnheit, sich regelmäßig zu versprechen, eine Eigenart, die man allerdings überhörte, wenn man längere Zeit mit ihr verbrachte." - das würde ich allerdings streichen. der leser merkt, dass sie sich ständig verspricht . . . und es macht sie liebenswürdig, die gute frau, aber durch die extra erwähnung stört es dich dann.
". . . Hals hervor, als (sie) ihrem Part mit aller Kraft . . . " - das sie vergessen . . . ;)
und die dialoge sauber hingekriegt . . . :D

liebe grüße

fredy
____________
kenne ich etwa birgit und matteo aus der werkstatt . . . :D
 

gladiator

Mitglied
Hallo Fredy

Das wäre eine Idee, diesen Absatz rauszunehmen...Du kennst Matteo aus der Werkstatt, Birgit jedoch nicht :D.

Gruß
Gladiator
 



 
Oben Unten