Ohne Titel, ein Shi.

4,30 Stern(e) 4 Bewertungen

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Wolfgang, was ist ein Shi? Was zeichnet diese Form aus? Ich habe es noch nie gehört.
 

wolfgang

Mitglied
Hallo Bernd,

das Shi ist eine alte chinesische Form, die man als ein verlängertes Tanka bezeichnen kann. Mit anderen Worten, es folgt denselben Prinzipien, nur dass es länger ist. Die Länge ist unbestimmt, sie beginnt bei sechs Zeilen und endet bei 10, 100, 1000 Zeilen.

Ganz grob und kurz gesprochen: ein Shi ist ein Fragment, das ewige Themen, wie Liebe und Tod behandelt.


Da fällt mir gerade auf, in Zeile drei muss es natürlich "weiterer Kerzen" heißen, nicht weiter Kerzen!

Viele Grüße

Wolfgang
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke für die Erklärung. Kannst Du bitte noch mehr zur Form sagen? Wie ist die Gedichtstruktur - im Gegensatz zum Tanga?

Gibt es Beschränkungen? (Silbenzahl fest oder ungefähr fest? Silbenstruktur im Vergleich zum Tanka? Thema offen oder eingeschränkt?)

Insgesamt ist es recht beeindruckend. Es ist ein fast episches Kurzgedicht.


geändert: (Angabe zum Tippfehler entfernt, ist erledigt)
 

wolfgang

Mitglied
Hallo Bernd,

gerade habe ich mein Manuskript mit dem Shi überprüft und erschreckt festgestellt, dass es keine Rechtschreibfehler hat. Scheinbar war ich gestern nicht auf der Höhe. Kannst Du die Fehler korrigieren?

Zu Deinen Fragen:

Das Shi ist seinem Wesen nach ein Fragment, somit kann das Thema nur offen sein. Insofern wüsste ich auch nicht, was ich noch mehr schreiben soll (der Wertung nach zu Urteilen, sind nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft).

Themen: Liebe und Vergänglichkeit (im traditionellen Sinn, im offenen - modernen Sinn - können über alle nur erdenklichen Fragen gedichtet werden.)

Die Silbenzahl ist begrenzt auf 5 und 7, die miteinander abwechseln.

Bei einem Tanka besteht der Oberstollen (die 3 ersten Zeilen) aus einem Bild, das in den beiden letzten Zeilen gedeutet wird. Bei einem Shi ist das ähnlich, nur das hier Bilder wie Perlen an einer Kette gereiht werden, weshalb es nicht auf 5 Zeilen festgelegt ist. Allerdings: wenn man ein Shi abschließt, dann zeigt man das durch einen Bruch im Wechsel der Silbenzahl an. (Normal wechseln 5 mit 7 Silben ab, aber am Ende wiederholt man 5 Silben und schließt dann mit 7 Silben ab.) Ein kleines Schema zur Veranschaulichung:

Tanka:

5. Silben,
7. Silben,
5. Silben,
7. Silben,
7. Silben.

Shi:

5. Silben,
7. Silben,
5. Silben,
7. Silben,
5. Silben,
u.s.w.

Schluss:
5. Silben,
5. Silben,
7. Silben,
7. Silben.

Das Shi muss mehr als 5 Zeilen haben und kann bis auf 1000 Zeilen anwachsen. Da gibt es keine Beschränkung.

Kurz und grob: als Richtschnur kann man sagen, ein Shi ist ein langgezogenes Tanka.

So, mehr fällt mir nicht ein, außer zu Fragen, was man an dem Shi noch feilen könnte.

Viele Grüße

Wolfgang

Nachtrag:

bei mir beruht das Gestaltungsprinzip auf Wiederholung und Gegensatz: Wintermorgen - Vorm Fenster das Weiß - Großpapas Gesicht.

Ob das generell für das Shi gilt, weiß ich nicht, dazu müsste ich es noch weiter und tiefergehender analysieren.
 

wolfgang

Mitglied
Der Wintermorgen
belebt sich im Anwachsen
weiterer Kerzen.
Bleiche Worte wechseln ab
mit ausweglosen.
Mein Kopf - ein Bogen Papier -
noch ohne Worte.
Vorm Fenster das Weiß
beginnt tief einzufallen,
so wie Großpapas Gesicht.
 

Perry

Mitglied
Hallo Wolfgang,

ich denke, dass die inhaltlichen Vorgaben dieser fernöstlichen Kurzgedichtformen bei uns keine so große Rolle mehr spielen. Insgesamt scheint es sich um eine Art Kranken- oder Totenwache zu handeln, die du mit deinen Bildern einfängst (Anwachsen weiterer Kerzen, obwohl ja eigentlich der Tag anbricht). Die Sprach- bzw. Wortlosigkeit des LI kommt gut zur Geltung.
LG
Manfred
 

wolfgang

Mitglied
Hallo Manfred,

ja, Deiner Meinung kann ich mich ruhigen Gewissens anschließen, wir sind in Europa und nicht in Fernost, daher kann man manche Stile anders interpretieren, als sie urspünglich gedacht waren.

Du findest nicht, dass ich noch mehr schreiben sollte?

Viele Grüße

Wolfgang
 



 
Oben Unten