Old guys

3,50 Stern(e) 2 Bewertungen
Old guys
Es klingelt. Jerry hievt sich auf der Veranda aus seinem Korbsessel und geht zur Haustür.
Draußen steht Tom, Tom Towers. Er kommt alle Jubeljahre einmal zu Besuch.
„Hallo, mein Lieber, komm herein“, begrüßt Jerry seinen alten Freund.
„Möchtest du ein Bier?“ Tom möchte.
Jerry geht zu dem überdimensionalen Kühlschrank und holt zwei eiskalte Corona heraus.
Tom hat es sich auf der Veranda bereits bequem gemacht.
„Also, ich muss immer wieder sagen: du hast einen wunderschönen Ausblick hier“, bemerkt er und nimmt genüsslich einen Schluck aus seiner Flasche.
„Aber ist Palm Springs auf die Dauer nicht ein bisschen weit weg von L.A.?“ fragt Tom nach.
„Ach, ich bin hier zufrieden“, antwortet Jerry.
„Und wenn ich Lust auf etwas Auslauf habe, den fahre ich eben für einen Tag hinunter und hole nach, was mir fehlt“, fügt er gut gelaunt hinzu.

„Wie laufen denn die Geschäfte bei dir?“ will Tom wissen.
„Gar nicht so schlecht“, antwortet Jerry.
„Ich habe gerade einen Auftrag von ein paar Jungs bekommen, die von Robert Redfords Stiftung für junge Talente gefördert werden“, erklärt er weiter.
„Einer dieser jungen Leute hat einen Film mit Dean Martin aus den 50ern gesehen. Dean Martin spielt einen berühmten Sänger, der eine Reifenpanne in einem Kaff in Nevada hat. Die Leute dort sind ganz aus dem Häuschen, weil so ein Idol bei ihnen Halt macht. Der Sänger kann die Leute und den Ort aber nicht ausstehen - alles ist ihm dort zu miefig. Hin und her, Liebe, Krach und Knatsch. Dean Martin lässt seinen Reifen reparieren und fährt weiter. Das ist in Kürze der Handlungsverlauf.“ Tom zeigt keine Reaktion.
„Ich spiele also den älteren Dean Martin in einem Remake von zwo null eins vier“, plaudert Jerry, sichtlich erfreut, weiter.
„Was bringt das denn in Barem?“ will Tom wissen.
„Zwanzigtausend Dollar für fünf Drehtage“, antwortet Jerry.
„Du hast auch schon bessere Zeiten gesehen, nicht wahr? Für deine Rolle in `Diesseits vom Paradies` hast du doch satte zwei Mio eingesteckt. Hast du davon noch etwas übrig gehalten?“ will Tom wissen.
„Also, ein paar Tantiemen aus den alten Filmen fließen mir noch zu; das reicht für den Einkaufsmarkt" ,bemerkt Jerry mit einem spöttischen Lächeln.
„Ansonsten bleibt mir dieses Haus hier im Palm Springs Valley. Meine Scheidung hat mich die Hälfte von meinem Vermögen gekostet. Den Rest habe ich versoffen, verhurt und verzockt.“
Bei diesen Worten schaut Jerry seinen Freund von der Seite an. Wenn Tom so biestig wird, wie bei der Bemerkung mit den besseren Zeiten, dann hat er etwas auf dem Herzen.

„Wie sieht es denn aktuell bei dir aus?“ fragt Jerry nun.
„Mies, mies“, antwortet Tom.
„Die Lizenzumsätze aus meinen Produktionen mit Boy Groups sind im Keller – kein Vergleich mit früher. Diese verfluchten Downloads machen die Ladenverkäufe kaputt. Ich schreibe jetzt wieder für die Hillbilly Szene; etwas an Geld muss ja nachfließen“, antwortet Tom.
„Back to the roots“, bemerkt Jerry mit einem Augenzwinkern.
„Old-Time music“, setzt er ironisch nach.
„Lange, aber dünne roots, mein Gutester. Von Hillbilly Tantiemen kannst du dir keinen neuen Porsche kaufen.“
„Und überhaupt“, jetzt legt Tom richtig los.
„Das Älterwerden geht mir total auf den Sack. Wenn ich nach Mädchen schaue, dann gucken die schon oft so komisch zurück. Einige kichern sogar bei meinem Anblick und tuscheln anschließen wie blöde.“
Tom nuckelt an seiner Flasche.
„Ich fühle mich manchmal auch schon etwas müde, anders als früher“, murmelt er vor sich hin.
„Komm, komm, du bist doch noch ein junger Spund mit deinen vierundfünfzig Jahren. Ich gehe flott auf die sechzig zu. Was soll ich denn sagen?“.
Jerry versucht jetzt, seinen Freund wieder aufzubauen.

Das Aufbauen funktioniert nicht. Tom schaut weiterhin grimmig vor sich hin.
Schließlich rappelt er sich auf und wendet sich wieder Jerry zu.
„Und – wie kommst du damit zurecht, mit dem Altwerden, meine ich?“ will Tom nun wissen.
„Ich habe vor einiger Zeit an einen Spruch meines Vaters, von ganz früher, gedacht. Der Spruch lautet sinngemäß etwa so: der Mensch hat mehrere Lebensabschnitte. Als Kind, im Alter von ein bis sieben Jahren, spielt er. Dann lernt er, im Abschnitt von acht bis achtzehn. Danach kommt das Berufsleben, Familie und so weiter. Ab fünfzig setzt der Mensch sich langsam zur Ruhe und geht in sich. Und das tue ich“, erklärt Jerry.

„Mit fünfzig kriegst du auch heutzutage keine vernünftigen Aufträge mehr, wenn du `mal aus dem Mainstream raus bist. Und von irgendetwas musst du ab fünfzig auch noch leben“, brummelt Tom.
„Aber zurück zu deiner Geschichte: Was machst du denn nun außer dem bisschen Kunstfilme drehen?“ will er wissen.
„Nun, ich setze mich hier auf der Veranda in meinen Korbstuhl und mache die Augen zu. Nach einer Zeit, das ist ganz unterschiedlich, werde ich wieder wach, und dann geht der Tag eben weiter. So ist das“, fährt Jerry fort.
Tom: „Fuck.“

***​

Ein Dank geht an Arno Abendschön. Mit seinem Beitrag „Wer war Sal Mineo?“ vom 2.1.2014. hat er mir die Anregungen zu dieser Geschichte geliefert.
 
Dein Text verdeutlicht einem, warum sich unsere Phantasie lieber mit tragisch jungverstorbenen Mimen beschäftigen mag als mit älteren, die am Leben und gerade noch so im Geschäft sind. Den erfolgreichen jungen Künstler umgibt stets eine Aura von Genialität, egal ob zu Recht oder nicht, der ältere, der viel bessere Zeiten gehabt hat, wird diesen Eindruck, diese Suggestion nicht mehr erzeugen können. Der junge baut an seinem eigenen Mythos - und ein früher Tod ist dabei sehr nützlich -, der alte ist vollauf mit bestandssichernden Maßnahmen im Materiellen (Geld, Gesundheit usw.) beschäftigt. Das Deprimierende an diesem Ablauf kommt in deinem prosaischen Altmännergespräch gut heraus. Und nun stelle ich mir Til Schweiger vor, der keine Rollen und kein Geld für eigene Produktionen mehr bekommt ...

Vor langen Jahren war ich mal mit einem Freund in den Alpen. Er wies auf den Gipfel des Hochkönigs und sagte: So ist das Alter! - Nee, antwortete ich, ich stelle es mir eher wie eine Tiefebene vor. - Das Wort Depression bezeichnet in der Geographie eine besondere Form von Senke (Beispiel Totes Meer). In so einer Senke verharren jetzt Jerry und Tom, deren Schlussworte ich recht bezeichnend finde.

Schönen Abendgruß
Arno
 
K

KaGeb

Gast
Hi Rhondaly,

gefällt mir grundsätzlich, aber aus dem Text ist (m.M.n.) mehr heraus zu holen. Ich persönlich denke, dass er im Präteritum besser rüber käme. Ist natürlich Geschmackssache.
Bei den Zwischendialogen würde ich es bei der wörtlichen Rede belassen - ohne Ergänzungen wie "will Tom wissen", "antwortet Jerry", ..., zumal sich diese Art von Formulierungen wiederholt.

Auf jeden Fall gern gelesen :)

LG
 
Hallo Arno,

ich freue mich, dass dir mein Text gefallen hat.
Zum Old Men Blues: Jerry kommt doch ganz gut mit den Änderungen in seinem Leben zurecht. Nur Tom verweilt in abgenutzten Mustern.
Es liegt also an einem selbst.

Hallo KaGeb,

ich danke auch dir fürs Lesen und für deinen Kommentar.
Ich bevorzuge die Erzählweise in der Gegenwartsform. Ich fühle mich dann selbst der Geschichte näher.
Die Zusätze (antwortet Tom usw.) verwende ich, damit der Leser die jeweiligen Aussagen den Akteuren besser zuordnen kann. Ich schaue jetzt öfter einmal nach, wie die Kollegen das halten.

Liebe Grüße. Rhondaly.
 



 
Oben Unten