Oliver - Eine kleine Utopie

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Criss Jordan

Mitglied
Oliver

Es war vor zwei Wochen. Ich hatte den letzten Arbeitstag hinter mir und zwei Wochen Urlaub vor mir. Den Kopf voller Ferienpläne, stieg ich die steile Treppe zu meiner Mansardenwohnung hinauf.
Auf dem letzten Absatz jedoch stockte ich. Das durfte doch nicht wahr sein! Auf der obersten Stufe stand ein etwa zehn Zentimeter großes Männchen. Es war emsig damit beschäftigt, eine Leiter von der vorletzten Stufe zu sich heraufzuziehen. Neben ihm stand ein Rucksack, der mich stark an eine miniaturisierte Bergsteigerkraxe erinnerte.
Dann hatte das Männchen die Leiter oben. Es faltete sie zusammen und befestigte sie auf seinem Rucksack. Dann drehte es sich zu mir, hob eine Hand, wie um zu grüßen und sagte mit leiser, doch gut vernehmbarer Stimme: "He! Darf ich bei dir campen? Ich bin Oliver!"
Nun erst reagierte ich: "Michael? Laß den Quatsch! Was soll´n die Puppe?" Suchend sah ich mich um. Wo hatte sich Michael versteckt?
"He! Hier unten!" Das Männchen hüpfte und wedelte mit den Armen: "Hier bin ich! Ich bin Oliver! O - LI - VER!" Ich hockte mich nieder: "Und du bist keine Puppe?" "Ich doch nicht!" Der Kleine stemmte entrüstet die Arme in die Seite. "Darf ich nun bei dir campen?" "Na, wenn Du unbedingt willst, meinetwegen!" Ich hielt ihm meine Hand hin: "Steig auf!" Flink packte der Kleine seinen Rucksack und kletterte auf meine Handfläche.
In der Stube setzte ich ihn auf dem Sofa ab. Sofort begann er, sein Zelt aufzubauen. Ungerührt schlug er die Heringe in meine Sofadecke. "Was´n das für´n Lärm?" fragte er und meinte das Telefon, das zu klingeln begonnen hatte. "Telefon!" sagte ich und nahm den Höhrer ab. Michael. "Ich kann heute abend nicht kommen. Muß ´ne Sonderschicht machen!" "Schade" sagte ich, dann fügte ich wie beiläufig hinzu: "Interessiert es dich gar nicht, ob Oliver angekommen ist?" "Oliver? Wer ist´n das?" Ich lauschte auf Michaels Stimme. Wenn er jemanden veralberte, gluckste seine Stimme vor Lachen, als käme sie vom Grunde des Pazifiks. Doch nichts. Michael war wirklich erstaunt. Deshalb sagte ich nur "´ne Puppe!" Ich legte den Hörer auf und sah zu Oliver.
Der hatte gerade begonnen, eine Miniluftmatratze aufzublasen. Ich schüttelte den Kopf: "So´n Männel!" "Ich bin ein Mann!" sagte Oliver und stellte sich in Muskelprotzpositur. "Da kann ich nur lachen!" sagte ich und lachte wirklich. Oliver verzog sein Gesicht in beleidigte Falten und verkroch sich ins Zelt.
Ich wartete ein Weilchen. Dann stuppte ich vorsichtig mit dem Finger gegen das Zelt: "Willst du dich nicht waschen?" "Wozu? Es hat vorhin geregnet!" "Na so ein Ferkel!" "Altes Plundi!" kam es verächtlich zurück. "Werd nicht frech!" Ich zupfte sachte an den Zeltverspannungen. Das kleine Stoffhaus zitterte und bebte.
Oliver kam herausgestürzt, stampfte mit dem Fuß auf und schrie: "Plundi! Plundi!" Das reichte! Noch bevor er wieder im Zelt verschwinden konnte, hatte ich ihn mit einer Hand gepackt. Er schlug um sich wie ein Wilder, doch ich ließ ihn nicht los. Ich trug ihn ins Bad und ließ etwas Wasser ins Waschbecken. Dann sagte ich: "Wenn man irgendwo zu Besuch ist, benimmt man sich anständig!" Oliver machte bloß "Ph". Da setzte ich ihn mitsamt seinen Sachen ins Waschbecken. Er schrie auf und versuchte, dem Wasser zu entkommen. Doch die Waschbeckenwände waren zu steil und zu glatt.
"So was Grobes!" knurrte Oliver wütend, "macht ihr das mit euren Männer auch so?" "Ne!" lachte ich, "die waschen sich von allein!" "Ehrlich? Ist ja interessant!" Oliver vergaß, daß er mir eigentlich böse war. "Und ihr wascht euch wirklich nicht?" wollte ich wissen. "Es regnetr," sagte Oliver "das reicht!"
Er begann, an der Stöpselkette zu zerren. Der Stöpsel gab nach und das Wasser floß gurgelnd ab. Oliver stand im leeren Becken und sagte: "Ich friere!"

Abends, ich lag im Bett und Oliver hatte seine Luftmatratze erst aus dem Zelt geholt, nachdem ich auch die letzte Fliege aus dem Zimmer gejagt hatte, begann ich, ihn ein bißchen auszufragen: "Rot ist wohl deine Lieblingsfarbe?" Sowohl Rucksack und Zelt als auch die Luftmatratze waren rot gemustert. "Es leuchtet so!" "Und was ißt du am liebsten?" "Erdbeeren!" Oliver schmatzte genüßlich.
"Gibt es noch mehr solche Winzlinge wie dich?" "Nur noch Vater!" Olivers Stimme bekam einen schwärmerischen Klang. "Er hat mich auf Wanderschaft geschickt. Ich wollte unbedingt größer werden. Da hat er gesagt: 'Geh in die Welt der Großen! Sie sie dir an! Und wenn du dann immer noch groß werden willst, hab ich nichts dagegen!'" "Und, willst du noch?" "Klar, nun gerade!" "Und wie macht das dein Vater? Das mit dem Größerwerden, meine ich?" "Er hat da so´n Mittel!" sagte Oliver begeistert. "Und warum seid ihr so klein?" "Vater hat da so´n Mittel!" diesmal klang Olivers Stimme weniger begeistert.
"Warum hast du dich eigentlich bei mir einquartiert?" Es dauerte ein Weilchen, ehe Oliver antwortete: "Ich hab dich auf der Straße gesehen und ich hab ausgekundschaftet, wo du wohnst." "Aha," sagte ich, obwohl mir das nicht Antwort genug war. Doch Oliver schien nichts weiter sagen zu wollen.
Da hörte ich ein Geräusch. Ich guckte zum Sofa und sah, wie Oliver auf den Fußboden kletterte. Er lief duch die Stube, hatte einige Mühe, über die Schwelle zum Schlafzimmer zu kommen. Dann stand er an meinem Bett.
"Hilfst du mir hoch?" er reckte mir die Arme entgegen. Ich setzte ihn neben mich auf das Kopfkisen. Er kroch über den weichen Untergrund bis zu meinem Kopf und malte mir mit dem Finger irgendwelche Zeichen auf die Wange. Es kribbelte.
"Ich liebe dich!" sagte Oliver. Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. "Liebst du mich auch?" Oliver hatte begonnen, an meinem Ohrläppchen zu zupfen. "Du bist mir zu klein!" sagte ich und ärgerte mich im gleichen Augenblick über meine Worte. "Und wenn ich größer wäre?" "Dann ja!" Oliver schniefte zufrieden: "Wie groß?" "Einsachtzig. Mindesten!" Oliver stiefelte zum Bettrand, sprang auf den Bettvorleger und rannte zu Sofa zurück.

Am nächsten Morgen war Oliver verschwunden. Ich rief nach ihm und suchte die ganze Wohnung ab. Nichts. Das kleine rote Zelt blieb leer.
Am Abend kam Bea, meine Freundin. Ihr erzählte ich die Geschichte vom kleine Oliver und zeigte ihr das Zelt.
Bea schütelte nur den Kopf: "Du hast eine Phantasie, mein je! - Aber das Zelt ist wirklich süß! Diese Fummelarbeit, mein je! Das wär was für meine Tochter. Da könnte sie mir ihren Puppen Camping spielen ..."
Sie redete und redete. Den ganzen Abend. Bis ich schließlich selber glaubte, nur geträumt zu haben. Das Zelt nahm Bea für ihre Tochter mit.

Am nächsten Morgen war ich überzeugt, daß Oliver nur in meinen Gedanken lebte, bis - ja, bis gestern Abend. Es klingelte an der Tür. Ich öffnete und stand einem Zwei-Meter-Mann in einem leuchtendroten Anzug gegenüber. Er lehnte lässig im Türrahmen, lächelte und sagte mit einem abgrundtiefen Baß: "He! Darf ich bei dir campen? Ich bin Oliver ..."
 
Liebe Criss,
was für eine Geschichte! Großes Kompliment!
Ich wollte ein wenig „meckern“, weil wir in der LL ja nicht auf einem Kaffeekränzchen sind, sondern in einem Autoren-Arbeitsforum, aber du hast mir den Spaß verdorben. Es gibt einfach nichts zu meckern, so'n Mist - bis auf einen kleinen Tippfehler. Doch weil heute Samstag ist, sehen wir darüber hinweg.
Super geschrieben, ehrlich.
Es grüßt dich ganz lieb
Willi
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Chris,

ehrlich - ich bin platt, total verschmunzelt und ein wenig gerührt. Eine richtig tolle Geschichte. Du siehst, mir geht es wie Willi. Zwei Fragen hätte ich allerdings.
Wo baut der große Olli nun sein Zelt auf und wie bekommt sie ihn jetzt ins Waschbecken?

Gruß Ralph
 

Criss Jordan

Mitglied
*rot werd und grins*

Hallo Willi, hallo Ralph,

Danke für Eure netten worte, hab mich doll drüber gefreut. Und zu Deinen Fragen, Ralph: Wer sagt denn, dass der grosse Olli im Zelt schlafen muss? Und für grosse Jungs gibt es die Badewanne oder die Dusche, da passt der Olli bestimmt rein... Sonst noch Fragen (*grins*) ?

Ein wundervolles Wochenende Euch beiden, von mir und Olli


Criss
 
B

beisswenger

Gast
Werter Kollege,

Ihre story gefällt mir sehr gut. Sie ist rund, gefällig und abgeschlossen. Der Kollege Corsten hat allerdings ein paar Rechtschreib-/Tippfehler übersehen. In dem folgenden Satz habe ich gleich zwei gefunden:

"Mindesten!" Oliver stiefelte zum Bettrand, sprang auf den Bettvorleger und rannte zu Sofa zurück."

Muss heißen: "Mindestens!" und "...zum Sofa..."

Um in diesem Zusammenhang noch einmal auf Ihre "Geklaut - Diskussion" zurückzukommen:

Ihre Idee ist natürlich nicht neu: "Die Borgers, Gulliver, die Hobbits..." gründen auf der gleichen Idee. Aber das schmälert die Qualität Ihres Werkes in keinster Weise.
Aber auch Sie, werter Freund, klauen Ideen aus der Weltchronik- so, wie wir alle es tun. Und das ist gut so!

Schönes Wochenende!
 

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Criss!

Die Geschichte ist toll. Spannend bis zum Schluss. Bei dem Regenwetter heute genau das Richtige, um mich aufzumuntern.

Tschüssie, hera
 

Criss Jordan

Mitglied
Ach ja, Herr Beisswenger?

Ich glaube mal, werter Kollege, dass sie entweder meinen Text nicht richtig lasen oder aber die von ihnen zitierten Filme/Bücher nur vom allergröbsten Inhalt her kennen. Sicher geht es da auch um kleine Menschen/Wesen... aber das ist auch das einzige, was sie mit meiner Story gemein haben. Aber ihnen DAS zu erklären, halte ich nun doch für vergebliche Mühe. Es gibt durchaus Werke, die man mit viel Böswilligkeit als Väter meiner Geschichte betrachten könnte.... aber ich liess mich inspirieren und machte neues, eignes daraus... Sie werden KEINEN Text finden, der im Wortlaut dem meinen gleicht, es sei denn , der wäre abgeschrieben. Aber ich glaube, dass interessiert sie gar nicht, nicht wahr, Herr Beisswenger? Sie wollen nur beweisen, dass sie recht haben und jeder hier ein Dieb ist.... tut mir leid: DIESEN Gefallen tu ich ihnen nicht! Und vielen anderen hier in Lupanien treten sie damit auch auf den Schlips, die sind aber wahrscheinlich höflich oder überlegen genug, sie einfach babbeln zu lassen.... Und dem werde ich mich anschliessen, Herr Beisswenger... reden sie was sie wollen, von mir kriegen sie nie wieder einen Kommentar, welcher Art auch immer. Ich wünsche ihnen viel Spass bei allem, was sie noch tun wollen.

Criss
 
Liebe criss,
geht mich zwar nichts an, aber ich glaube, jetzt tust du dem Kollegen Beiswenger unrecht. Er findet deine Geschichte toll und sagt sinngemäß doch nur, dass über alles schon einmal geschrieben wurde. Auch dies findet er OK.
Oder sehe ich das falsch?
Nichts für ungut.
Es grüßt dich ganz lieb
Willi
 

Criss Jordan

Mitglied
Hallo, Willi,

dies ist nur eine Fortführung eines Disputes aus der allgemeinen Diskussion. Ich habe dort nicht mehr auf Herrn Beisswenger geantwortet, weil ich die Faxen zu diesem Thema endgültig dicke habe. Nun denkt der gute Herr Beisswenger er müsse diesen Diskurs hier fortsetzen... und meinetwegen soll er ... ich werde ihm nicht mehr antworten. Ich habe gelernt, dass die Grenzen hier in der Lupe sehr fliessend sind, und das was der eine als Unrecht sieht, findet der andere völlig normal. Also lohnt es nicht, darüber zu streiten... A überzeugt B nicht und B überzeugt A nicht... Also, was solls... Aber wenn der gute Herr Beisswenger meint, das Thema noch fortführen zu müssen, seis ihm gewährt, nur wird er ab nun Monologe halten müssen...
Ich hoffe, es wird ihm bald langweilig werden und wir können uns wieder den Dingen zuwenden, wegen derer wir hier sind: den Geschichten und Gedichten.

Also, auf bald

Criss [die übrigens eine SIE ist, Herr Beisswenger :cool:]
 

jorunn

Mitglied
Du liebe Güte!

Als Besucher schau ich schon sehr lange in die Leselupe rein, und Eure Diskussion über Plagiate ist ja echt endlos. Wenn niemand mehr über etwas schreiben dürfte, was nicht in der einen oder anderen Form schon mal geschrieben wurde, könnten wir alle unsere Stifte wegwerfen und es würde nie wieder ein Buch gedruckt. Man denke nur an die vielen tausend Variationen von Romeo und Julia.
Das ist nun meine meinung.
Die Geschichte von Oliver hat mir gut gefallen, sie war witzig und präzise, klar zum Ziel geführt, kein endloses Gequassel zwischendrin. Und die paar Rechtschreibfehler - ich hab eigentlich nicht gewusst, dass wir hier in der Deutschstunde sind. Mir sind sie nicht aufgefallen, und ich denke, 99Prozent der Leser auch nicht. (War das jetzt fies??)
Nix für Ungut, und wenn ich jemals herausfinden sollte, wie man hierher kopiert, dann könnt Ihr Euch für meine vermeintlichen oder echten gemeinheiten rächen.
Schönes Wochenende noch.
Jorunn
 
B

beisswenger

Gast
Werter Willi,

vielen Dank für deine Unterstützung. Du schreibst mir aus der Seele und deiner Auffassung brauche ich nichts hinzuzufügen.

Abschließend möchte ich mich bei der hochgeachteten Kollegin Jordan noch entschuldigen. Allerdings nur dafür, dass ich sie für eine männliche Person gehalten habe.

Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Rest-Wochenende!
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
liebe

criss, deine geschichte ist das entzückendste, was ich heute zu lesen bekommen habe. das kommt natürlich in meine sammlung. ganz lieb grüßt
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Criss Jordan,

auch mir hat Deine Geschichte viel Spass bereitet. Sie ist ausgezeichnet, ich habe nix zu meckern,

cu
lap
 



 
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