Oma fährt zum Polenmarkt

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Oma fährt zum Polenmarkt

Oma rief ihren Sohn an, denn sie hatte Schwierigkeiten. Vom Klodeckel hatte sich ein Teil der Befestigung gelöst, der Sohn sollte kommen und mit seinen geschickten Händen die Sache wieder richten. Er antwortete: „Ich habe in diesem Monat nur einen freien Tag, und da wollten wir zum Polenmarkt fahren, um zu sehen, ob wir was Billiges kaufen können.“ Oma rief begeistert: „Ohh, Polenmarkt, da war ich noch nie! Nehmt ihr mich mit? Nehmt ihr mich mit? Dann kannste mir vorher den Deckel reparieren.“ Widerwillig stimmte der Sohn zu, denn das bedeutete, von Chorin erst mal nach Berlin zu fahren und dann wieder zurück in Richtung Norden. Es sollte unbedingt nach Küstrin gehen, weil der Sohn einen Billig-Einkauf- Tipp bekommen hatte.
Aus der Schilderung des Klo-Defektes hatte der Sohn ersehen, dass eine völlig neue Befestigung nötig sein wird und hatte vorsorglich eine aus Metall beim Baumarkt besorgt, die hoffentlich stark genug war, Omas Pfunden standzuhalten. Rasch war der Schaden behoben und dann ging es auf in Richtung Küstrin.
Am Vortag hatte es geschneit und dicke Schneeschichten lagen auf den Zweigen der Bäume. Hin und wieder warf der Wind diese Schichten hinunter. Oma sagte: „Nu kiek sich det eena an, im Mai schlagen die Bäume aus und im März schmeißen se mit Schnee.“
Die Enkelin lachte und sagte: „Vielleicht bekommen wir ein Reh zu sehen.“ Oma wollte das Kind necken und behauptete: „Die Rehe halten Winterschlaf.“ Ärgerlich brummte die Mutter: „Aber Oma, Rehe halten doch keinen Winterschlaf! Rede dem Kind doch nicht solchen Blödsinn ein!“
Dennoch durfte die Enkelin die Oma auf dem Polenmarkt von Stand zu Stand begleiten. Es wurde eine Uhrzeit vereinbart, zu der man sich wieder am Eingang treffen wollte. Oma suchte nach Unterwäsche, die in ihrer Größe in Berlin nicht zu bekommen war. Jeder dritte Stand hielt Unterwäsche feil, aber nur in den gängigen Größen. Oma wollte Hemden, die nicht am Bauchnabel endeten, sondern auch die Hüften wärmten. Erst in der dritten Reihe wurde sie fündig. Nun sie hatte, was sie wollte, bemerkte sie auch die anderen Waren. Als erstes einen String-Tanga, wo die Schambehaarung nur durch ein Spitzenröschen bedeckt war, alles andere war nur Schnur. Oma fragte: „Willste so n Teil haben?“ Die Enkelin errötete: „Aber Oma! Ich doch nicht!“ Sie gingen weiter und sahen eine Auslage von Porzellanfiguren. Oma sagte zur Enkeltochter: „Himmel, wat ne Menge glitzerndes Gerümpel!“, denn da waren nicht nur Katzen, Pferde und Hunde, sondern auch goldverzierte ägyptische Gottheiten. „Wer stellt sich so was nur in die Wohnung? Sag, Puppekin, is das etwa modern?“
Die Enkelin mühte sich um eine Antwort: „Na ja, weißt du, jetzt ist Deutschland doch offener für Ausländer. Man beginnt, sich mehr für den Orient zu interessieren.“ Die Oma nickte: „Hm, verstehe. Im Okzident fängt alles an, zu oxydieren, aber am Orient kann man sich orientieren.“ Das fand das Mädchen lustig. Nun wollte die Oma der Kleinen etwas Schönes kaufen und sie bummelten von Stand zu Stand. Endlich kamen sie an einen Händler mit DVDs. Oma wollte ihren DVD-Player mal wieder nutzen und kaufte sich „Der Herr der Ringe“ und den zweiten Teil von „Harry Potter“. Die Enkeltochter wollte „The Ring“. Oma sah den Verkäufer grinsen und bestimmte: „Such dir mal was anderes aus. Ick gloobe, der Film is mit polnischen Untertiteln.“ Also nahm das Kind einen Zeichentrickfilm mit Tom und Jerry.
Als die beiden Bummelanten endlich an den Eingang gelangten, wo die Eltern warteten, wurden sie mit den unwirschen Worten empfangen: „Es gibt Leute, denen schenkt man eine Uhr. Bei anderen ist eher ein Kalender nötig.“
Auf der Heimfahrt klagte die Kleine, dass sie nicht den Film bekommen hatte, den sie eigentlich wollte. Ihr Vater sagte dazu: „Na, da hat Oma ja mal vernünftig entschieden. Der Film, den du wolltest, ist erst ab 18. Und eh du 18 bist, fließt noch ne Menge Wasser die Spree runter.“
Da wusste die Oma, dass der geliebte Sohn die Verspätung verziehen hatte. Warum sonst hatte er eine Redensart benutzt, die er nur von ihr kannte?
 

anemone

Mitglied
Hallo Marion,

Da hast du uns einen schönen Einblick in das heutige Berlin gegeben, obwohl ich deine Geschichten immer wieder für Erzählungen halte. Oder müssen diese ein bestimmte Länge haben?

lG
anemone
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

danke fürs lesen und den kommentar. ja, wie das genau ist mit dem unterschied zwischen kurzgeschichte und erzählung, weiß ich nicht. ich hab mir sagen lassen, dass eine erzählung an mehreren orten spielen kann, eine kurzgeschichte aber nicht. auch die anzahl der handelnden personen ist bei einer kurzgeschichte stark begrenzt, bei einer erzählung können mehr leute drin sein. solange die moderatoren mich nicht rauswerfen, poste ich unter kurzgeschichten. ganz lieb grüßt
 

Zefira

Mitglied
Ich halte mich hier (unabhängig von der literaturtheoretischen Unterscheidung) an die Regel: eine Situation - Kurzgeschichte, mehrere Situationen (muß nicht unbedingt ein Ortswechsel sein) - Erzählung. Bei diesem Text ist das Eingangsgespräch so kurz und die Marktszene so im Mittelpunkt, daß ich ihn mal als Kurzgeschichte hier stehen lasse.

Vielleicht solltest Du das Alter der Enkelin ein wenig früher erwähnen, Flammi? Als sie den String-Tanga "errötend" ablehnt, hielt ich sie zunächst für erwachsen; als sie dann "Tom und Jerry" nahm, für ein Kind - erst am Schluß wird klar, daß sie wohl als 15 oder 16 gedacht ist.

Lieben Gruß,
Zefira
 
P

Poet

Gast
Hallo!

Eine Kleinigkeit: deine Geschichte ist nicht sehr lang. Aber das Wort Oma kommt achtzehnmal darin vor.
Außerdem werden polnische Filme durch eine einzige männliche Stimme synchronisiert, bzw. nachgesprochen. Keine Untertitel also.

Lieben Gruß, Poet
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oh,

lieber poet, zu schade, dass ich die dvd schon weiterverschenkt habe, sonst könntest du dich von der richtigkeit meiner angaben überzeugen.
 



 
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