Oma rein aus morbider Neugier angerufen

2,70 Stern(e) 3 Bewertungen
Die 14-jährige Melanie Fichtner hat eigenen Angaben zufolge ihre Großmutter am Donnerstag nur deshalb angerufen, um nachzuprüfen, ob sie noch lebt. Die 65-jährige Rosalia Weixelbaum, Melanies Großmutter, wird am Samstag als Gastgeberin für Melanies Eltern und die Kinder dienen. Bei der mittäglichen Familienzusammenkunft, die sich locker bis in den späteren Nachmittag zu Kaffee und Marillenkuchen strecken wird, wird erwartet, dass alte Geschichten aufgewärmt und nach dem Schulerfolg der mittelmäßigen Schülerin Melanie gefragt werden wird.
Diese Pläne kollidieren mit den Shoppingplänen der 14-jährigen, die gemeinsam mit einer Freundin die Modeketten der Mariahilferstraße in Wien nach günstigen Tanktops und Hosen durchkämmen, sowie im Segafredo einige süße Boys aus der Parallelklasse auschecken will.

"Wenn Oma bereits gestorben wäre, dann wären die Einladung zum Mittagessen hinfällig gewesen", erklärte die modebewusste Melanie gegenüber Freunden. "Sie hat aber das Telefon abgenommen und sich gefreut, dass ich angerufen habe. Sie hat den eigentlichen Grund meines Anrufes nicht erahnt."

Melanie habe Freunden bereits mehrmals geschildert, wie sehr ihr die Besuche bei ihrer Großmutter auf die Nerven gingen. Melanies Freundin und Shoppingbegleiterin Ramona Leutgeb (14) gegenüber soll Melanie vor allem den schlechten Mundgeruch der Oma, ihre total unhippe Kleidung und die dauernden Fragen nach Melanies Schulnoten kritisiert haben.

Die 65-jährige Großmutter von zwei Enkerln, die ihre einzige Tochter Jakob ihr geschenkt hat, habe sich laut Angaben der Nachbarn im Gemeindebau sehr angetan gezeigt, dass sich ihre Enkeltochter so ausgiebig nach ihrem Wohlbefinden erkundigt hat. "Die Jugendlichen von heute haben ja sonst nur ihr Vergnügen und Einkaufen gehen im Sinn", meinte Weixelbaum. "Die kleine Melanie hat aber nur die Gesundheit der Oma im Kopf und wollte genau wissen, ob ich nicht ein kleines Ziehen im Herzen oder Atembeschwerden beim Stufensteigen habe."

Melanie, die laut ihrem jüngeren Bruder Thomas (12) bereits ein längeres Register an ähnlich gearteten Telefonanrufen bei anderen Verwandten fortgeschrittenen Alters hat, versucht derzeit die Notwendigkeit ihrer Anwesenheit bei Omas Mittagessen mit ihren Eltern zu verhandeln. Bisher seien aber keine Fortschritte zu verzeichnen, die Eltern haben keine Verhandlungsbereitschaft und ein Abgehen von ihrer Position angedeutet. "Entweder sie geht mit, oder sie kriegt für 2 Wochen Zimmerarrest."

Melanie plant am Freitag, und wenn es sich nicht vermeiden lässt, auch am Samstagvormittag die Großmutter nochmals anzurufen. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", meinte sie mit einem Blick gen Himmel.

Beitrag erschienen in Österreichs exquisitem Nachrichtenmagazin Rappelkopf.at
 

healthnut

Mitglied
Hallo, ich finde es herrlich fies!
Und ein Stueck Wahrheit ist ganz gewiss mit drin!
( Unsere Nachbarin, 15, ist nur zum Geburtstag ihrer Oma (80)mitgekommen, als ihre erschoepfte Mutter ihr ein Handy versprach).

Hat mir echt gut gefallen!
healthnut
 

gueko

Mitglied
Halbschmunzel

Hallo Marius,
bei nachfolgendem Satz bin ich aus dem Lesefluss ausgestiegen, habs dann schon noch fertig gelesen. Aber "die einzige Tochter Jakob" - soll das ein Witz sein oder ist es ein Missverständnis - beides verstünde ich nicht. Und die "Enkerln" sind Mundart - also Enkeln oder Enkelkinder schlage ich vor.
Die 65-jährige Großmutter von zwei Enkerln, die ihre einzige Tochter Jakob ihr geschenkt hat, habe sich laut Angaben der Nachbarn im Gemeindebau sehr angetan gezeigt, dass sich ihre Enkeltochter so ausgiebig nach ihrem Wohlbefinden erkundigt hat.
Ich finde den Witz der Geschichte relativ rasch geklärt, das schafft dann ein Schmunzeln - für die Idee - aber es wird dann relativ bald langatmig. Da du ja als Satiriker für deine Zeitung oder Internetseite schreibst, will ich mal fragen, ob die Geschichte dann auch eine Satire auf die Zeitungesmacher allgemein ist, die um Seiten zu füllen manche Geschichten ganz langatmig schreiben? Also, ob eine zweite Ebene der Satire in deiner Geschichte steckt?

Schöne Grüße
Günter
 
Die 14-jährige Melanie Fichtner hat eigenen Angaben zufolge ihre Großmutter am Donnerstag nur deshalb angerufen, um nachzuprüfen, ob sie noch lebt. Die 65-jährige Rosalia Weixelbaum, Melanies Großmutter, wird am Samstag als Gastgeberin für Melanies Eltern und die Kinder dienen. Bei der mittäglichen Familienzusammenkunft, die sich locker bis in den späteren Nachmittag zu Kaffee und Marillenkuchen strecken wird, wird erwartet, dass alte Geschichten aufgewärmt und nach dem Schulerfolg der mittelmäßigen Schülerin Melanie gefragt werden wird.
Diese Pläne kollidieren mit den Shoppingplänen der 14-jährigen, die gemeinsam mit einer Freundin die Modeketten der Mariahilferstraße in Wien nach günstigen Tanktops und Hosen durchkämmen, sowie im Segafredo einige süße Boys aus der Parallelklasse auschecken will.

"Wenn Oma bereits gestorben wäre, dann wären die Einladung zum Mittagessen hinfällig gewesen", erklärte die modebewusste Melanie gegenüber Freunden. "Sie hat aber das Telefon abgenommen und sich gefreut, dass ich angerufen habe. Sie hat den eigentlichen Grund meines Anrufes nicht erahnt."

Melanie habe Freunden bereits mehrmals geschildert, wie sehr ihr die Besuche bei ihrer Großmutter auf die Nerven gingen. Melanies Freundin und Shoppingbegleiterin Ramona Leutgeb (14) gegenüber soll Melanie vor allem den schlechten Mundgeruch der Oma, ihre total unhippe Kleidung und die dauernden Fragen nach Melanies Schulnoten kritisiert haben.

Die 65-jährige Großmutter von zwei Enkerln, die ihre einzige Tochter Waltraud ihr geschenkt hat, habe sich laut Angaben der Nachbarn im Gemeindebau sehr angetan gezeigt, dass sich ihre Enkeltochter so ausgiebig nach ihrem Wohlbefinden erkundigt hat. "Die Jugendlichen von heute haben ja sonst nur ihr Vergnügen und Einkaufen gehen im Sinn", meinte Weixelbaum. "Die kleine Melanie hat aber nur die Gesundheit der Oma im Kopf und wollte genau wissen, ob ich nicht ein kleines Ziehen im Herzen oder Atembeschwerden beim Stufensteigen habe."

Melanie, die laut ihrem jüngeren Bruder Thomas (12) bereits ein längeres Register an ähnlich gearteten Telefonanrufen bei anderen Verwandten fortgeschrittenen Alters hat, versucht derzeit die Notwendigkeit ihrer Anwesenheit bei Omas Mittagessen mit ihren Eltern zu verhandeln. Bisher seien aber keine Fortschritte zu verzeichnen, die Eltern haben keine Verhandlungsbereitschaft und ein Abgehen von ihrer Position angedeutet. "Entweder sie geht mit, oder sie kriegt für 2 Wochen Zimmerarrest."

Melanie plant am Freitag, und wenn es sich nicht vermeiden lässt, auch am Samstagvormittag die Großmutter nochmals anzurufen. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", meinte sie mit einem Blick gen Himmel.

Beitrag erschienen in Österreichs exquisitem Nachrichtenmagazin Rappelkopf.at
 



 
Oben Unten