Opa Kurt 1: Die neue Nachbarin

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Bursch

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Bäckermeister Rolf M., 54, war 22 Jahre lang Opa Kurts Schwiegersohn. Drei Jahre nach seiner Scheidung ist er durchaus nicht verpflichtet, sich weiter um das Wohlergehen des verwitweten, allein in seinem Haus auf dem Lande lebenden 84-Jährigen zu kümmern. Er tut es dennoch.
Er konnte es allzeit gut mit "dem Alten". In der Scheidungsphase hielt Kurt mehr zu ihm als zur ungeliebten ersten Tochter. Die brach ohnehin zehn Jahre zuvor endgültig mit ihrem Vater.
Seine zweite Tochter Susanne lebt im fernen Österreich, hat ihn vor etlichen Jahren zuletzt besucht, pflegt einmal im Jahr telefonischen Kontakt. Andererseits hört sie immer begierig zu, was Bäcker Rolf ihr in längeren oder kurzen Abständen berichtet über Schlecht- und Wohlergehen ihres Erzeugers.
Lauschen wir, was Rolf diesmal, abends in seinem Wohnzimmer auf- und abschreitend und lebhaft gestikulierend, seinem Handy anvertraut:

Nein, Susanne, nichts Schlimmes. Susanne ..., bitte! Keine Sorge!
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Nein, das nicht. Eher .., ich sag mal, wieder so'n Stück aus Kurts Tollhaus.
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Nur die Ruhe! Also es ist so: Du weißt ja, das Haus nebenan stand zwei Jahre leer. Ich verstehe, dass er da Verhaltensweisen an den Tag ..., ich meine, wenn da sechs Meter entfernt nie einer ist.
Er sagt, er habe Anzeichen wahrgenommen, mal einen Möbelwagen gesehen, sich aber weiter nichts gedacht.
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Richtig. Du guckst den Nachbarn auf den Wohnzimmertisch, die dir. Was ihn nicht hinderte, morgens in Schlafanzug oder auch im Slip an seinem Kaffeekocher zu stehen und an Duschtagen auch mal im Adamskostüm. Guckte ihm ja keiner was weg. Einmal traf ich ihn selbst so an, auf seinen dürren Beinchen. Ein Bild für die Götter.
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Ich weiß, ich rede von deinem Vater.
Irgendwann meint er, im Nachbarhaus sei ein weibliches Wesen vorbeigehuscht. Vielleicht sogar zwei. Was ihn aber nicht weiter kümmerte.
Am nächsten Morgens steht er frisch geduscht und ohne alles vor seiner Kaffeemaschine und dreht sich Richtung Nachbarhaus. Da sieht er, wie sich eine etwa Vierzigjährige im Morgenrock nahe am Fenster aufbaut. Sie dreht ihm den Rücken zu und lässt langsam und herausfordernd ihr einziges Bekleidungsstück zu Boden gleiten.
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Nein, nein, nichts Wunschträume. Er schildert es so genau, das hat der nicht erfunden. Mit einem betontem Hüftschwung begibt sich die weibliche Person vom Fenster weg und verschwindet im Haus. Kurt im Ausnahmezustand.
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Eben nicht, Susanne! Jeden Morgen stand der Alte, pardon, stand dein Vater etliche Minuten am Fenster, bewaffnet mit nichts als seiner Kaffeetasse, und wartete. Aus seiner Sicht mit Erfolg. Denn irgendwann erscheint sie zum zweiten Mal. Gleicher Ablauf, noch betonterer Hüftschwung.
Zwei Tage später steht er am Grenzzaun zu dieser Nachbarin.
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Bekleidet, klar. Schnippelt an seinen geliebten Rosenstöcken, erblickt sie auf der Terrasse. Langsam, sagt er, kam sie auf ihn zu, fixierte ihn, grüßte nicht.
Er blickt sie an von oben bis unten, grüßt seinerseits nicht, sagt stattdessen: "Och! So von vorn wäre ja noch viel schöner."
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Sie? Ihm ohne Vorwarnung eine gescheuert. Aber frag nicht, wie! "Pass mal auf, du Exhibitionist, du Schwein, du! Ich hab hier eine Tochter von zwölf Jahren. Meine eigene Aufführung war reiner Protest, du alter Trottel. Wenn du noch ein einziges Mal ..."
Mehr bekam Kurt nicht mit. Die Klatsche tat ihre Wirkung. Rief mich abends an, es gehe ihm nicht gut.
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Ein blaues Auge. Bettruhe. Habe ihm Hautcremes verpasst, Beruhigungstees gekocht. Mehrere Tage lang. Mein Gott, Susanne, ich hab ja wenig Zeit.
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Na klar. Seine Jalousien der Nachbarin gegenüber bleiben jetzt immer unten. Da soll er von mir aus herumlaufen, wie ...
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Eine Alleinerziehende. Habe sie einmal gesehen. Hat Haare auf den Zähnen.
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Nein, passt absolut nicht zum Alten, die Rolle des Geprügelten. Passte noch nie. Aber weißt du, wie soll ich sagen? Er wird alt. Er schätzt Dinge falsch ein. Und Menschen.
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Natürlich kümmere ich mich weiter. Mein Gott ...
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Ja klar. Und ihr seid ja alle weit weg.
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Nein, nein, keine Sorge. Ich mach das. Und schönen Abend noch, Susanne. Und grüß Hans von mir. Hörst du?
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hübscher, erheiternder Text! Ein Telefongespräch unter Auslassung der Gegenseite so abzufassen, dass der Gesamtinhalt vorstellbar wird, ist nicht leicht, doch hier gelungen!

Schöne Grüße

P.
 

Bursch

Mitglied
@Penelopeia
@Ji Rina
Dank für das doppelte Lob. Macht Mut zum Weiterspinnen, seitens des Autors wie des alten Helden.:)

Gruß von Bursch
 



 
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