Osmose

3,70 Stern(e) 6 Bewertungen

Vera-Lena

Mitglied
Osmose

Meinem Lieblingsschauspieler

Wenn du den Zweifel
wie eine lästige Locke
aus deiner Stirne
fort wischst,
näherst du dich dem Punkt,
wo Orphisches erblüht.

Kinderhände müssen es sein,
die Fremdes ergreifen.
Das Ahnungslose
umfängt Neuerliches.

Das Schluchzen in der Buchenrinde
wird zu deinem Ton.
Das Geräusch der Engel,
himmelwärts auffahrend,
fächert sich in deine Stimme.

Jetzt – gibst du dir selbst
das Ja-Wort
und ich höre
den angehaltenen Atem
dieser Nacht.
 
Liebe Vera Lena,

mit deinem Gedicht bin ich mal wieder überfordert.
Bestünde es nur aus den beiden Strophen – s.unten -,
würde ich es in etwa verstehen.
Mit dem Schluchzen in der Buchenrinde, das zu meinem Ton wird und mit dem Geräusch der Engel kann ich gar nichts anfangen.
Fragende Grüße von
Marie-Luise.


Wenn du den Zweifel
wie eine lästige Locke
aus deiner Stirne
fort wischst,
näherst du dich dem Punkt,
wo Orphisches erblüht.

Jetzt – gibst du dir selbst
das Ja-Wort
und hörst
den angehaltenen Atem
dieser Nacht.
 

wirena

Mitglied
Liebe Vera-Lena

Dein Osmosegedicht gefällt mir sehr gut. Spontan würde ich allerdings „deiner“ wandeln in [blue]„der“. [/blue]Für mein Empfinden würde dadurch „das Fliessen“ gewinnen, nicht gestört...
andererseits beziehst Du Dich ja auf Deinen Lieblingsschauspieler..... Dennoch hier mein spontaner Vorschlag:

- (ich würde sogar fort wischt zusammen schreiben: siehe Duden z.B. Fortwerfen, Fortschreiten)-


Wenn du den Zweifel
wie eine lästige Locke
aus der Stirn
fortwischst,
näherst du dich dem Punkt,
wo Orphisches erblüht.

......
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Marie-Luise,

ich freue mich immer sehr, wenn Du nachfragst. :)

Das Schluchzen in der Buchenrinde wird nicht zum Ton des Zuhörers, sondern zum Ton in der Stimme des Schauspielers.

Ich mache das mal deutlicher, obgleich Du mich jetzt wahrscheinlich schon verstanden hast.

Der Schauspiler spricht ein Hörbuch auf. Es handelt sich dabei um einen 1000jährigen Baum, der in der Ich-Form erzählt, was alles er schon in seinem Leben gesehen hat. Er spricht auch von den Gräueln des 30jährigen Krieges. Diese haben ihn nicht kalt gelassen. Wenn ich nun diese Stelle vorgelesen höre, dann höre ich in der Stimme des Schauspielers, das Schluchzen in der Rinde des Baumes über die Gräuel, die Menschen einander antun können.

Mit den himmelaufwärts fahrenden Engeln verhält es sich ähnlich. Auch sie weiß der Schauspieler, auf die ihm eigene Weise, in seine Stimme hineinzubekommen. (So etwas erfüllt mich mit großer Ehrfurcht, denn der Schauspielberuf ist ein knallhartes Geschäft und sich seine Sensibilität dennoch zu bewahren, ist eigentlich immer ein Wunder.)

Die zweite Strophe ist, auch aus meiner Sicht, nicht leicht zu verstehen. Hier handelt es sich um die Voraussetzungen, welche der Schauspieler mitbringen muss, um in eine Rolle hineinzufinden. Er muss natürlich er selbst sein und er muss auch ein erwachsener Mensch sein, aber (wie soll ich das jetzt formulieren?) er muss sich selbst so weit zurücknehmen können, dass er für diesen anderen Menschen, den er verkörpern möchte, in seinem Inneren so viel Platz schafft, wie es ihm überhaupt möglich ist. Diesen Raum, den er dann mit dem Fremden erfüllt hat, muss er aber anschließend mit seinem eigenen Sein, seiner Individualität verschmelzen.

"Das Ahnungslose umfängt Neuerliches".Hier steckt das drin, diese gewisse geistige Keuschheit der Rollenfigur gegenüber aber dann doch das in sie eindringen und mit ihr verschmelzen.

"Neuerliches" habe ich statt Neues geschrieben, weil ein Schauspieler im Laufe seines Lebens eine Rolle ja auch mehrmals verkörpert, so dass sie jetzt nicht mehr neu sondern etwas Neuerliches für ihn ist. Denn, da er selbst sich inzwischen verändert hat, muss er den ganzen Prozess der Rollenfindung wieder von vorne durchlaufen.

Die letzte Strophe war Dir ja nicht so fremd vorgekommen. Gerne würde ich mich trotzdem auch dazu äußern. (Ach, ja, wie peinlich der Autor ist verliebt in seine Zeilen, ich gebe es zu. *schäm*)

Jetzt- gibst du dir selbst
das Ja-Wort
und ich höre
den angehaltenen Atem
dieser Nacht.

Hier wird der Augenblick beschrieben, (ach, naja angedeutet, beschreiben kann ich so etwas nicht) wie es klick macht und der Schauspieler spürt:"Jetzt habe ich es, in dieser Sekunde habe ich mich in die Rollenfigr verwandelt." Das passiert tatsächlich innerhalb eines einzigen Augenblicks und man weiß nur, dass es zu 80% aus Arbeit besteht und zu 20% ein Geheimnis bleibt. Der Schauspieler gibt sich also selbst das Ja-Wort zu der Art und Weise, wie er die Person darstellen will.

Das ist ein großer Moment und das Lyri durfte das dieses eine Mal mit diesem Schauspieler miterleben und ihm, dem Lyri, blieb der Atem weg und es erlebte diesen Augenblick, als hielte die ganze Schöpfung den Atem an. So übertrieben kann ich das ja hier jetzt mal schreiben. (Peinlich,peinlich).

Liebe Marie-Luise, jetzt habe ich Dich zugetextet. Nimm es mir bitte nicht übel.

Ganz liebe Grüße
Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe wirena,

nun hast Du die Punkte angesprochen, bei denen auch ich länger überlegt habe.

Vorab möchte ich zum Rhythmus sagen, dass ich diesen längeren klanglichen Anlauf brauchte und brauche, um dann am Ende kürzer und prägnanter sein zu können. Mir ist es wichtig, in dieses Geidicht hineinzugehen, um dann an diesen Punkt zu kommen, wo dem Lyri sozusagen "die Luft weg bleibt".

Mit dem "Fortwischen" hast Du aber Recht. Zwar gibt es eine dichterische Freiheit, die muss ich aber an dieser Stelle nicht für mich beanspruchen und so will ich gerne der deutschen Rechtschreibung genügen.

Ich werde, um 2 Wörter behalten zu zu können, "hinweg streichst" schreiben.

Danke für Deinen Kommentar und Deinen freundlichen Vorschlag! :)

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
Liebe Vera Lena,
danke, dass du dir so viel Mühe gegeben hast, mir dein Gedicht zu erklären.
„Meinem Lieblingsschauspieler“ hätte mich hellhörig machen müssen. Doch ahnte ich ja nicht, dass der Schauspieler als Baum seine schrecklichen Erlebnisse erzählt.
So kann ich mir vorstellen, dass man das Schluchzen unter der Rinde hören kann. Ein großes Kompliment an den Schauspieler.
Es wäre schön, wenn du diesem Schauspieler dein Gedicht schicken würdest. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich sehr darüber freuen würde.
Ist es der Schauspieler, den du mir gegenüber mal erwähnt hast?
Es grüßt dich Marie-Luise
 

Vera-Lena

Mitglied
Osmose

Meinem Lieblingsschauspieler

Wenn du den Zweifel
wie eine lästige Locke
aus deiner Stirne
hinweg streichst,
näherst du dich dem Punkt,
wo Orphisches erblüht.

Kinderhände müssen es sein,
die Fremdes ergreifen.
Das Ahnungslose
umfängt Neuerliches.

Das Schluchzen in der Buchenrinde
wird zu deinem Ton.
Das Geräusch der Engel,
himmelwärts auffahrend,
fächert sich in deine Stimme.

Jetzt – gibst du dir selbst
das Ja-Wort
und ich höre
den angehaltenen Atem
dieser Nacht.
 

Vera-Lena

Mitglied
Osmose

Meinem Lieblingsschauspieler

Streichst du den Zweifel
wie eine lästige Locke
aus der Stirn,
näherst du dich dem Punkt,
wo Orphisches erblüht.

Kinderhände müssen es sein,
die Fremdes ergreifen.
Das Ahnungslose
umfängt Neuerliches.

Ein Schluchzen in der Buchenrinde
wird zu deinem Ton.
Das Geräusch der Engel,
himmelwärts auffahrend,
fächert sich in deine Stimme.

Jetzt – gibst du dir selbst
das Ja-Wort
und ich höre
den angehaltenen Atem
dieser Nacht.
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe wirena,

manchmal braucht man etwas länger und auch ein wenig Abstand, um eine Änderungsvorschlag richtig einschätzen zu können.

Jetzt habe ich das Verb ganz an den Anfang der ersten Strophe gesetzt und mir dadurch eine ganze Zeile erspart. Außerdem passt nun auch klanglich "der Stirn", wie Du es mir geraten hattest besser dort hin.

"Ein" Schluchzen ist auch günstiger, einmal weil es günstiger ist, bei so einem außergewöhnlichen Ton im Unbestimmten zu verbleiben und zum anderen, weil ich dadurch den bestimmten Artikel nicht so dicht aufeinander folgen lasse.

Dieser Text ist mir wichtig und ich bin dankbar, dass ich ihn ein wenig verbessern konnte.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

hab dieses schöne Gedicht erst jetzt entdeckt.

Am besten gefallen mir der Titel (sic!) und die letzte Strophe.

Über das Schluchzen in der Buchenrinde bin ich zunächst gestolpert, aber es ist wunderbare Lautmalerei.

Liebe Grüße

Herbert
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Herbert,

schön, dass ich Dich erreichen konnte!

Herzlichen Dank für Deine Rückmeldung und Deine Bewertung!

Liebe Grüße
Vera-Lena
 



 
Oben Unten