Otto&Adolf

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Haarkranz

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Otto & Adolf

Eines morgens behauptet Otto er sei Adolf. Anna sagt nichts, will nichts sagen, hätte sie all seine Verrücktheiten kommentiert, säß sie seit langem in der Klapse.
Otto trampelt mit abgewinkeltem Arm, lauthals „Sieg Heil!“ brüllend, um den Küchentisch. Anna ignoriert, steht an der Spüle, räumt Geschirr und Gläser in den Schrank, wischt den Boden, wringt den Feudel, stößt mit dem um den Tisch paradierenden Otto zusammen.
„Au! Pass doch auf, du tust mir weh!“ beschwert sie sich, und: „Geh doch auf die Straße schreien, findest womöglich noch andere Gehirnamputierte, die dir hinterher laufen!“
Otto bleibt stehen, grinst auf Anna herab, schnarrt: „Au! was heißt hier au? Fünf Millionen sind für Führer, Volk, Vaterland gefallen, geblieben auf dem Felde der Ehre! Wahrlich nicht schmerzlos, da sagt eine wie du, au! Bist ein geschichtsvergessenes Wesen! Damit ist jetzt Schluss! Der Führer hat sich meiner Gestalt bemächtigt, ist auferstanden wie ein anderer Großer auferstand, dessen Zeit nun abgelaufen ist! Dich Anna, nehme ich als erste in meine Bewegung auf, bist ab sofort nicht mehr meine Frau, haben Gewaltigeres zu leisten, als unsere Kraft bei dümmlichem Liebesspiel zu verplempern! Sieg Heil!“
Anna sagt nichts, lauscht ihrer Endlosschleife: Wie komm ich da raus? Auf was hab ich mich eingelassen?
Ich weiß einen Ausweg für Anna, jeder Leser wohl auch, aber was wird aus Adolf? Plöpp machte der, schnurrte zusammen wie ein angepiekster Luftballon. Otto braucht Anna, um Adolf zu sein, doch wozu braucht Anna Otto? Mal sehen, vielleicht kommen wir dahinter, liegt momentan noch im Nebel.
„Ich, dein Führer, Anna!“ bramarbasiert Otto als Adolf weiter, „verlange von dir Hingabe, Opfermut, wenn es sein muss, Blut! Das Höchste, deutsche Frau, ist das Opfer für dich! Durch Hingabe deines Lebens für mich, deinen Führer, adelst du dich und dein Geschlecht!“
Anna ist im Schlafzimmer als sie dies, und das Klirren der Besteckschublade hört. Geistesgegenwärtig schlägt sie die Tür zu, drehte den Schlüssel um.
Adolf klopft, bittet mit Ottos Stimme: „Mach auf Anna, ist doch nur Spaß, komm Mäuschen sei nicht albern.“
„Nicht albern, du Idiot, meinst du das wirklich?“ die Anna. „Wenn ich albern bin, dann bist du total bekloppt! Wer garantiert mir, dass du nicht wirklich durchgedreht bist?“
„Anna, ich übe Rollenspiele. Du weißt, ich kann auch Lenin, Honnecker und den Kohl. Hitler klingt bedrohlich, der kommt verdammt echt rüber, deine Flucht ins Schlafzimmer beweißt es.“
„Otto ich kann nicht mehr,“ die Anna. „Lenin, Honecker, Kohl waren lächerlich, dein Hitler ist zum Fürchten, lass den in Zukunft!“ Sie schließt auf, Otto steht mit ausgebreiteten Armen vor ihr, lacht, will sie an sich ziehen, sie jedoch prallt zurück, schreit: „Die Rotzbremse, Otto, die Rotzbremse unter deiner Nase!“
Otto befingert das Stoppelbeet.
Spiegel, fährt es ihm durch den Kopf. Er stolpert ins Bad, aus dem Spiegel glotzt mit schwarzer Rotzbremse, sein Gesicht.
Er schnappt sich den Rasierer, klappt den Langhaarschneider raus, sägt die Stoppeln ab. Prüft seine Oberlippe, fährt mit dem Zeigefinger drüber. Glatt. Dreht sich um zu Anna, die hinter ihm stehend, beobachtet.
Er lächelt. Anna nicht. Anna sieht in an, augenlos. Glasaugen gucken so, blicklos blau, leer. Mit haltsuchend nach hinten gestreckten Armen, bewegt sie sich rückwärts von ihm weg, öffnet den Mund, bringt keinen Laut raus.
Otto dreht sich zum Spiegel, fühlt seine einknickenden Knie, fängt sich am Waschbecken. Im Spiegel unter seiner Nase, die auferstandene Rotzbremse!
Er fällt aufs Clo, zieht an den neuen Haaren, stöhnt: „Anna!“
Die ist über alle Berge, hat die Tür zum Hausflur auf gelassen, Durchzug lässt die Gardine flattern.
Otto nimmt Annas Schminkspiegel, setzt sich an den Küchentisch, guckt sich die im Spiegel vergrößerten Schnurrbarthaare an. Mit Annas Nagelhautschere schnippelt er die untere Hälfte von Führers Bart weg, beobachtet gespannt den Kahlschlag.
Zuerst tut sich nichts, dann wie auf Kommando schieben sich auf Rotzbremsbreite Haare hoch. Bewegen sich mit sichtbarer Geschwindigkeit, stellen ihr Wachstum ein, als sie das Niveau der stehengebliebenen Haartrachthälfte erreicht haben.
Mit auf die Fäuste gestütztem Kopf, glotzt Otto in den Spiegel. Bis auf den Bart, hab ich keine Ähnlichkeit, tröstet er sich, als eine Stimme hinter seinem Rücken wispert: „Bis jetzt!“
Er fährt herum, niemand. Er geht durch die Wohnung, guckt in die Schränke, schließt alle Fenster, auch die auf kipp stehenden.
Dann hockt er sich wieder vor Annas Spiegel. Wo mag Anna sein? Ich brauche sie, kann das nicht allein abreiten. Wie fing das an? Ich wurde wach, nahm mir vor heute machst du den Führer. Zur Einstimmung leise ohne Stimme, „Es zittern die morschen Knochen,“ gesungen. Machte Laune, Melodie und Vorstellung fingen mich ein. In Gedanken braune Uniform, mit der schwar-weiß-roter Hackenkreuz Armbinde angelegt, Führergruß geübt. Hatte ne lässige Art, den Arm nach hinten zu klappen, der Adolf. Lag an seinen Wienerjahren.
Pass auf! ermahnte ich mich, du darfst ihn nicht vermenschlichen. Der Kerl war ein Psychopat, das Ungeheuerlichste was eine Mutter je entbunden.
Weiß ich, schon gut. Muss ihn in seiner Zeit darstellen, für die Deutschen und Österreicher war er der Erlöser. So etwa zehn Jahre Erlöser sein, nicht schlecht. Der Pabst scheint ihn anerkannt zu haben, jedenfalls hat er nicht sämtliche Glocken in seinem geistlichen Reich läuten lassen, um den Teufel auszutreiben. Gekonnt hätte er’s, kam ihm wohl als Juden und Bolschewikenschreck entgegen, der Führer.
Darf nicht ins Repertoire, die Schwarze können saugefährlich werden.
Anna verdammt, komm zurück, wie soll das weiter gehen.
Er sieht wieder in den Spiegel, unter der Nase das gleiche Bild. Der schwarze Radiergummi, was soll das, bin doch blond.
„Warst blond!“ die Stimme.
Otto dreht sich diesmal nicht um, diesmal legt er den Kopf auf die Arme und heult wie ein Schlosshund. „Anna, Anna,“ schluchzt er, bevor er vor Erschöpfung einschläft.

Anna kommt sehr spät nach Hause, hat zur Sicherheit Norbert ihren Bruder mitgebracht. Sie finden Otto schlafend am Tisch. Anna rüttelt ihn wach, Otto reibt sich das Gesicht mit den Händen, schaut Anna an.
Anna prallt zurück, Otto guckt sie aus blauen Augen an, seine blonden Haare glänzen schwarz, auch sonst ist sein Gesicht nicht Otto.
Otto tritt den Stuhl auf dem er geschlafen weg, stützt die Fäuste auf den Tisch, fixiert Norbert und Anna, brüllt: „Volksgenossen! Die große Stunde des Deutschen Volkes ist angebrochen! Gegen Tod und Teufel, Juda und Kapital, führe ich dich mein Volk an die Spitze der Völker, gebricht es dir an Kraft, in den Untergang!
Schwöre mein Volk, den heiligen Eid: „Bedingungslos folgen wir, Führer dir!“
Anna und Norbert stehen stramm, heben die Schwurhand, schwören:
„Bedingungslos folgen wir Führer dir!“
Otto setzt sich, „Gut wa? “ Norbert ringt nach Atem, stützt sich auf Annas Arm, sieht seine Schwester an, fragt: „Was geht hier vor?“
Anna schüttelt den Kopf, weint, bringt kein Wort raus, zieht Norbert mit sich, die Wohnungstür fällt ins Schloss, Füßegetrappel auf der Treppe.
Otto begreift, etwas ist mit ihm geschehen. Ich muss das jetzt leben, versucht er sich zu stützen. Im Schlafzimmer, vor dem großen Spiegel mustert er sich. Adolf wie er leibt und lebt. Die Konsequenz: Ich werde er sein. Doch Obacht, Deutscher Gruß, Hakenkreuz, Auschwitzlüge, alles Fallen, Volksverhetzung. Auch alles völkische, gefährlich. Werde mich schlaumachen. Auschwitz und Judenmord nicht leugnen, war größter Fehler der Bewegung, von Himmler und der SS zu verantworten, ich wusste von nichts, ist nicht zu widerlegen. Das braune Potential fördern, wenn die den leibhaftigen Adolf erleben, fallen die in Schreckstarre.
Die Oberen werden mich auf lange Sicht ausschalten wollen, zuerst jedoch werden die auf den Lafontaine Effekt bauen.
Das wird sensationell, der Boulevard wird kreischen. Hitler war von 1889, kann nicht identisch mit mir sein. Werde sämtliche Untersuchungen durchführen lassen, hoffentlich haben die seine Fingerabdrücke und irgend was vom Körper, für eine DNA Analyse. Gottverdammich, wenn wir identisch wären! Welches Interesse steckt hinter dieser Verwandlung? Wie kann das geschehen? Die Schnäuzerarie erinnere ich genau, ansonsten empfinde ich mich als natürliche Person. Kann es nicht ändern, vergesse den Otto, ist mir jetzt schon fremd.
Bin Adolf, werde ewig, tausend Jahre Adolf sein und bleiben. Sieg Heil!

Versammlung in einer Turnhalle.
Die Halle proppevoll, summt wie ein Bienenstock. Plötzlich eine grelle Fanfare, er kommt, soll dem Führer unheimlich ähnlich sein, wird gemunkelt.
Im Hintergrung eine zackige Stimme: „Melde mein Führer, ein Saal begeisterter Anhänger erwartet Sie!“
Eine Mann, mittelgroß, gekleidet in braunes Tuch, ohne Abzeichen bis auf das EK I des Ersten Weltkriegs, links zwischen Oberbauch und Brust, springt auf’s Podium.
In der Halle atemlose Stille, kein Räuspern, kein Hüsteln.
„Deutsche!“ der Mann auf dem Podium erst verhalten, dann brüllend: „Deutsche!“
Eine Welle durchläuft den Saal, ein Stöhnen, das sich nach Sekunden in
ekstatischem Sieg Heil!, Sieg Heil! Geschrei bricht.
Der Mann auf dem Podium nimmt die Ovation schweigend entgegen, wartet, tritt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, hebt den linken Arm, wischt den Beifall beiseite. Es wird still. Der Führer räuspert sich, spricht:
„Deutsche! Sieg Heil und sämtliche an die Bewegung erinnernden Ausrufe, Abzeichen, Schriften, Devotionalien, verbiete ich ab sofort.
Rufe wie Deutschland den Deutschen, Ausländer raus, national befreite Zonen, sowie jeglichen sentimentalen völkischen Klamauk, in die Mottenkiste damit.
Habt ihr, frage ich euch, nichts aus dem tragischen Irrtum der Vergangenheit gelernt?
Das Dritte Reich, hat den Deutschen die entsetztlichste Katastrophe seiner Geschichte beschert.
Ich verlange Säuberung und Läuterung dieser Partei. Wir dürfen rechts sein, jedoch auf dem Boden des Grundgesetzes. Geschwätz wie, wenn wir erst an der Macht sind, wird aufgeräumt mit der Demokratie, hat augenblicklichen Parteiausschluss zur Folge. Das Parteiprogramm wird überarbeitet, es ist Sorge zu tragen, dass es die Billigung der anderen in den Deutschen Parlamenten etablierten demokratischen Parteien findet.
Ich erwarte eine Ergebenheitsadresse der Parteiführung binnen 24 Stunden. Sollte ich die bis dahin nicht in Händen haben, gründe ich eine eigene Nationale Partei.
Deutsche! Wir siegen!
Sprach‘s, federt herunter vom Podium, marschiert mit geradeaus gerichtetem Blick durch die starrende Menge, steigt vor der Halle in ein wartendes Mercedes Cabriolet, dessen Chauffeur ihm die Tür aufreißt, entschwindet.
Wieder Zuhaus, stürzt Otto ins Bad vor den Spiegel. Es ist nicht zu fassen, die Rotzbremse auf dem Rückzug, sein Haar erblondet, die Augen wieder braun. Anna steht hinter ihm, küsst seinen Nacken.
„Nie mehr Adolf, Otto? Nie mehr, Liebste!“
 
Hmm, verstehe ich irgendwie nicht. Der Sinn der Geschichte erschliesst sich mir irgendwie nicht.

Schreibfehler: Pabst schreibt man Papst (wenn Du den gemeint hast).

Marius
 

Haarkranz

Mitglied
Otto& Adolf

Hallo Marius,
Pabst ist auch bei mir Papst, Schreibfehler.
Leider verstehst Du meinen Unsinn nicht. Sorry, kann man nichts machen.
Liebe Grüße, Haarkranz.
 



 
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