Panik

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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Heute würde sie das Haus verlassen müssen, um die unumgänglichen Einkäufe zu erledigen. Schon der Gedanke daran machte ihr Angst.

Was war geschehen? Warum bekam sie neuerdings Panik, wenn sie alltägliche Dinge ausführen wollte? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie Angst vor der Angst hatte. Diese Angst war stärker als sie selbst.

Damals im Kaufhaus....da hatte es angefangen. Wie ihr urplötzlich der Schweiß ausgebrochen war, ihr Herz wie wild schlug und sie sich von den Menschen um sich herum bedroht fühlte. Nur weg - das war ihr einziger Gedanke.

Und nun passierte das immer öfter. In den letzten Wochen war es ihr gelungen, Einladungen und der Ausübung ihrer Hobbies aus fadescheinigen Gründen fernzubleiben. Aber bald ging das nicht mehr. Sie wagte nicht, sich jemandem anzuvertrauen. Meine Güte, sie war doch nicht verrückt. Oder doch? Wer sollte schon Verständnis für sie haben? Ihr Mann? Der am allerwenigsten. Freundinnen? Das sind bloß die Wechseljahre, würden sie sagen. Krieg dich wieder ein. Du bist eine erwachsene Frau und stehst mitten im Leben.

Nein, das tat sie nicht mehr.

Was war mit dem alten Hausarzt? Würde er sie zu einem Spezialisten überweisen? Oder würde er sie nur milde anlächeln und sagen "Das gibt sich wieder?" Sie hatte zu viel Angst, sich dort einen Termin geben zu lassen.

Endlich verließ sie das Haus und setze sich in das Auto. Hier fühlte sie sich einigermaßen sicher.
Im Supermarkt angekommen, umklammerte ihre rechte Hand fest den Einkaufswagen, während die linke den Merkzettel fast zerdrückte. Sie hielt ihren Blick starr auf ihn gerichtet.
Los, vorwärtsgehen. Erst Obst und Gemüse, Kartoffeln, Zwiebeln...brauchte sie die auch? Standen nicht auf dem Zettel. Schon brach ihr der Schweiß aus. Sollte sie trotzdem welche mitnehmen?

Schnell weitergehen. Nicht aufschauen. Zum Kühlregal. Milch, Quark, Joghurt, Käse. Hoffentlich sprach sie niemand an.

Sie fühlte einen Stoß im Rücken. "Entschuldigung, ich habe Sie aus Versehen .... ist Ihnen nicht gut?"

Sie blickte auf und sah in die Augen eines älteren Mannes. Was wollte er? Sie konnte ihn nicht verstehen. Hatte er böse Absichten? Wollte er ihr Geld? Ihr Leben?
Sie musste weg hier. Schnell, ganz schnell. Sie konnte den Rest nicht mehr einkaufen. Sie würde die Kinder schicken....ja , das wäre die beste Idee.

Ohne ein Wort der Erwiderung schob sie den Wagen zur Kasse. Alles auf das Band legen, schnell, nicht aufschauen, dieses entsetzliche Piep-Piep-Piep, rasch alles wieder in den Wagen, nicht die Kassiererin ansehen, nur den Betrag hören: 46, 77 Euro. Bitte!

Sie schaffte es, einen 50-Euro-Schein aus dem Portemonnaie zu ziehen. Blick nach unten, schnell das Wechselgeld verstauen....und RAUS HIER!

Ihr Auto schien ihr die schönste Zuflucht zu sein, die sie jemals gesehen hatte. In Schweiß gebadet, mit pochendem Herzen, verstaute sie die Waren und schob den Einkaufswagen zurück. Aufatmend setzte sie sich an das Steuer. Sie lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen.

So konnte es nicht weitergehen. So nicht. Sie musste doch zum Arzt gehen....oder sollte sie sich im Internet informieren? Jetzt aber erstmal nach Hause. Durchatmen, tief durchatmen, Motor starten, wegfahren, in den Kreisverkehr hinein....wo musste sie ihn verlassen?

Konnte sie nicht einfach in diesem Kreis bleiben und immer weiterfahren? Ihr Leben war doch genauso. Drehte sich im Kreis. Von einer Panikattacke zur nächsten.

Wo war der Ausgang?

Wo?
 

Madeira

Mitglied
Hallo Doc, deine Geschichten sind - finde ich - thematisch immer sehr fesselnd, weil sie uns ganz nah an andere Menschen lassen, an ihre Gefühle und ihr Innenleben. Aber bei allen (Gemobbt - Ekel - Panik) emfinde ich durch die Darstellun g noch zuviel Distanz zu den Protagonisten, eher so, als würde ein Psychologe versuchen, die Erlebnisse seiner Klienten belletristisch wiederzugeben. Ich denke immer, da könnte man noch mehr rausholen, indem man den Leser noch stärker in das Erleben des Protas reinzieht
Und auch hier sind meiner Meinung nach zu viele Abschnitte gesetzt.
Grüße von Madeira
 

Charmaine

Mitglied
Hallo Doc,

die Panik live in einem Supermarkt. Klasse geschrieben! Sehr intensiv der Schluss mit dem Bild des Kreisverkehrs. Ein wenig stimme ich Madeira zu: es hat am Anfang die Sicht des Psychologen. Aber ab „Nein, das ...“ zieht es mich in den Text.

LG
Charmaine
 
T

Talke

Gast
Panik...

Wo ist der Ausgang? Dieser Satz hätte auch am Anfang stehen können und öffnet für mich sogar zum Schluss erneut die Geschichte. Ich denke nun darüber nach und: was kann ein Autor sich mehr wünschen, als den Leser zum Nachdenken zu bringen!
Freundl. Grüße
Talke
 
K

KaGeb

Gast
Ich fand den Text auch gut, gebe aber Madeira vollumfänglich recht. Es liest sich ein bisschen distanziert. Vermutlich erreichst du mehr Nähe, wenn du die Handlung in die Gegenwart verlegst.
Auch würde ich vielleicht mehr auf die bezeichneten Nebenfiguren wie Mann und Freundinnen eingehen. Warum würde es ihr Mann am wenigsten verstehen?
Wechseljahre finde ich als Vorwand auch zu bedeutungslos. Immerhin haben wir hier eine Prot., die mit ihren Nerven am Ende ist. In solchen Situationen denkt man wohl eher irrational, spricht überspitzte Schuldzuweisungen aus, Liebesgefühle können schnell zu Hass werden etc. ...
Insofern fehlen (mir) die entsprechenden Bilder, um ihre Glaubwürdigkeit zu untermauern.

Liebe Grüße, Karsten
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke für diese Einschätzungen! Werde das Ganze auf jeden Fall noch überarbeiten. Noch näher dran wäre für mich allerdings dann schon autobiographisch - was es nicht ist.
Die Auswirkungen der Menopause sind nicht zu unterschätzen. Taubthema!

Gruß an alle von(m) Doc
 



 
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