Papa, spiel mit mir

antjemelanie

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Papa, spiel mit mir​

Die vierjährige Anna saß, wie jeden Tag, wenn ihr Papa zu später Stunde nach Hause kam, vor dem Fernseher im Wohnzimmer. Das Kindermädchen stand sofort vom Barhocker in der angrenzenden Küche auf, packte ihr Studienmaterial in die zerfranste Tasche, kassierte das Geld und ging.

»Papa, spiel mit mir«, sagte Anna flehend. Ihre großen runden Augen waren weit aufgerissen und ihre rosigen Bäckchen hätten unter normalen Umständen auch den Vater berührt. Doch alles in ihrem Gesicht erinnerte ihn zu sehr an seine vor Kurzem verstorbene Frau und er schaffte es nicht, sich stundenlang mit ihr zu beschäftigen. Stattdessen lächelte er ihr nur kurz zu und ging ins Arbeitszimmer.

Annas Blick schwankte zurück zum Fernseher und aufmerksam verfolgte sie weiter die unzähligen farbenfrohen Bilder.


Am nächsten Tag fühlte sich der Vater besonders schlecht. Er hatte Kopfschmerzen und sein Magen war verstimmt. Vermutlich hatte er zu Mittag etwas Falsches gegessen. Träge schloss er die Tür auf, bezahlte das Kindermädchen und warf einen flüchtigen Blick ins spärlich beleuchtete Wohnzimmer. Wie gewohnt saß Anna auf dem Boden und schaute fern. Durch die flimmernden Bilder blitzte das Zimmer in grellen Farben auf. Als Anna die Anwesenheit ihres Papas mitbekam, drehte sie sich sofort zu ihm und aus ihrem Mund kamen die Worte: »Papa, spiel mit mir«. Er lächelte ihr zu, wollte sich schon abwenden, doch dann stockte er.

Er ging zu ihr und hockte sich nieder, um ihr Gesicht näher zu inspizieren. Dann blickte er auf den Boden und sah die unzähligen Schminkutensilien seiner Frau verstreut liegen.

»Anna, warum hast du dich geschminkt? Herrgott, du bist doch erst vier!«

»Ich wollte hübsch für dich aussehen, Papa. Findest du mich nicht hübsch?« Die Frage kam so unverhohlen, dass es den Vater völlig überrumpelte. Er hob die Schultern an und musterte Annas Augen, die viel zu sehr mit schwarzem Mascara vollgetuscht waren. Dann fiel ihm ihr Mund auf, der mit einem lilafarbenen Lippenstift bemalt war – der Lieblingslippenstift von Annas Mutter.

Schnell nahm der Vater Anna an die Hand und ging mit ihr ins Badezimmer, um ihr die aufdringlichen Farben aus dem Gesicht zu waschen.



Als der Vater am nächsten Tag ins Haus trat, kam ihm ein unglaublich himmlischer Duft entgegen. Es roch nach Zucker und Zimt, nach Teig und gebackenen Pflaumen. Er kannte diesen Duft all zu gut – während des ersten Ehejahres hatte es fast jedes Wochenende Pflaumenklöße gegeben, bis Anna auf die Welt kam und andere Gerichte auf der Tagesordnung standen. Das Rezept hatte seine Frau irgendwann einmal aus einer Kochshow übernommen.

Irritiert ging der Vater in die Küche und sah, wie das Kindermädchen zusammen mit Anna die Klöße auf zwei Teller verteilte. Als das Kindermädchen den Vater erblickte, atmete sie erleichtert auf und legte alle Küchenutensilien ab, die sie in der Hand gehalten hatte. »Also dann, schönen Abend«, sagte sie und wollte schon aus dem Haus verschwinden. Doch der Vater packte sie am Arm, zog sie rabiat in den Flur und flüsterte in düsteren Tönen auf sie ein: »Hören Sie, ich habe Sie nicht eingestellt, damit Sie das Lieblingsrezept meiner verstorbenen Frau nachkochen. Was bilden Sie sich ein?!«

Das Kindermädchen wankte einen Schritt zurück. Ihr standen die Tränen in den Augen. »Tut mir Leid, Herr Weinhold, ich wollte Sie nicht verletzen. Aber ich kannte dieses Rezept doch gar nicht. Anna hat gesagt, sie wolle für Sie kochen und ich habe ihr bloß geholfen.« Daraufhin rannte das Kindermädchen aus dem Haus raus und der Vater schaute ihr mit verdutztem Blick nach.

In einem schleichenden Gang ging er zurück in die Küche. Anna saß wartend am Tisch, grinste ihn freudestrahlend an und machte große Augen. Unmöglich konnte er sie jetzt zur Rede stellen und sie ausquetschen, woher sie dieses Rezept kannte. Sie war doch erst vier. Still setzte er sich hin und aß von den Pflaumenklößen, die genauso schmeckten, wie er es von seiner Frau gewöhnt war.

»Papa, spiel mit mir«, sagte Anna schließlich, als sie aufgegessen hatten. Doch er wies sie wie immer ab, setzte sie vor den Fernseher im Wohnzimmer und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück.



»Papa, spiel mit mir«, rief Anna laut aus dem Wohnzimmer heraus, als der Vater am darauffolgenden Tag noch nicht einmal vollständig das Haus betreten hatte. Er hörte Schritte und kurz darauf huschte das Kindermädchen an ihm vorbei. Sie schenkte ihm noch nicht einmal einen Blick, als sie zur Tür raus verschwand. Dann hörte er erneut Schritte und dann das unbändige Auf- und zuziehen von Schubfächern. Noch während er seinen Mantel auszog, verebbten die Schritte, da Anna vermutlich wieder im Wohnzimmer Platz genommen hatte.

Der Vater schielte kurz in das Zimmer hinein, gab ein freundliches »Hallo« zum Besten und wendete sich dann wieder ab. Doch als er im Augenwinkel den Blitz eines dünnen Lichtstrahls wahrnahm, stockte er. Was hielt sie in ihrer Hand?, fragte er sich. Unsicher bewegte er sich auf Anna zu, beugte sich schließlich vor sie und begutachtete das scharfe Messer.

»Anna, was machst du denn mit dem Küchenmesser?« Schnell riss er es ihr weg. Sein Herz pumpte bis zum Halse, doch das kleine Mädchen saß nach wie vor unschuldig da und sperrte nur ihre Augen groß auf. Wollte sie sich etwa verletzen?, fragte er sich, doch der Gedanke nahm keine vollständige Form an. Stattdessen kam ihm plötzlich etwas ganz anderes in den Sinn. Die Schminke, das Essen und jetzt das Messer: waren das etwa Zeichen seiner verstorbenen Ehefrau gewesen?

Er kniete sich nieder und eine Träne lief ihm über die Wange. Tatsächlich, so musste es sein! Die Warnung seiner Frau war nur allzu deutlich.

Der Vater umarmte seine Tochter und sammelte dann alle möglichen Spielsachen ein, die auf dem Boden verstreut waren. Und dann spielte er mit ihr.

Im Hintergrund lief die Wiederholung einer Kochshow. In diesem Augenblick wurde ein besonders scharfes Messer von einer stark geschminkten Blondine hochgehoben. »Und jetzt zeigen wir es aber den Männern, nicht wahr?«, sagte die Blondine. »Mit diesem scharfen Messer, meinem perfekten Make-Up und den leckeren Pflaumenklößen bekommen sie jeden Mann herum.« Es war die Show, die auch die verstorbene Mutter unzählige Male geschaut hatte.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo antjemelanie,

sehr konstruierte Geschichte. Ein zweifelhaftes Kindermächen, ein Vater, der sein Kind vor dem Fernseher vesauern lässt, ein vierjähriges Kind, das eine Kochshow versteht, die die Mutter immer gesehen hat - irgendwie lässt hier Frankenstein grüßen. Für mich nicht überzeugend.


LG DS
 



 
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