Paranoia
Wenn ihr wissen wollt, wie es sich anfühlt, auf der Flucht zu sein und ständig Angst zu haben, was als nächstes kommt, dann fragt mich. Ich kann es euch erzählen, denn ich war drei Jahre auf der Flucht. Auf der Flucht vor meinen eigenen Dämonen. Sie lauerten hinter jeder Ecke auf mich. Ununterbrochen versuchten sie mich zu fassen, meinen letzten Rest gesunden Menschenverstand zu eliminieren, damit der Wahnsinn, dessen Keim sich tief in meiner Seele eingenistet hatte, am Ende triumphieren könne.
Ich habe mich selbst immer als einen normalen psychisch stabilen Menschen gehalten. War nie auffällig, habe mich von jeglichen Exzessen fern gehalten, habe zum größten Teil auf Alkohol- Drogen- und Zigarettenkonsum verzichtet und hatte es auch nicht eilig, meine Jungfräulichkeit zu verlieren. Es dürfte also auch niemanden verwundern, dass ich auf eine ganz normale Zukunft hin gearbeitet habe. Einen guten Schulabschluss schaffte ich mit Leichtigkeit und eine Ausbildungsstelle im kaufmännischen Bereich flog mir förmlich zu.
Nach ein paar Jahren war ich dann der Meinung, dass es an der Zeit wurde, eine Familie zu gründen. Mann und Kind ließen auch nicht lange auf sich warten, und mit einem kleinen zotteligen Hund wurde mein kleinbürgerliches Spießerleben komplementiert. Ich war zufrieden mit meiner Rolle als Mutter und Hausfrau und bildete mir tatsächlich ein, meine Ziele erreicht zu haben.
Doch das Schicksal hat seinen Ruf als unberechenbar nicht zu Unrecht. Und so begann die Fassade meines Bilderbuchlebens so nach und nach zu bröckeln.
Wie man eine Ehe richtig zu führen hat lernt man in keinem Schulfach. Zwar zeigen einem die Medien überaus fürsorglich permanent Beispiele, wie man es nicht machen sollte, aber man selbst ist natürlich felsenfest in dem Irrglauben verankert, dass man für solche Fehler viel zu intelligent sei. Und doch ist der schlimmste Fehler, den man begehen kann, der, Nichts zu tun. Und das tat ich: Nichts! Wieso sollte ich auch? Ich tat nie etwas Falsches, war immer treu, führte den Haushalt zum größten Teil vorbildlich, bemühte mich, Abwechslung auf den Tisch zu bringen, und kümmerte mich um die Entwicklung unseres Sohnes. Vielleicht hätte ich die spitzen Bemerkungen meines Mannes ernst nehmen sollen, der mir Vorwarf, nicht mehr wirklich auf mein Äußeres zu achten. Natürlich waren mir die 15 kg nicht entgangen, die sich seit unserer Hochzeit zu mir gesellt hatten, aber ich fühlte mich gut, so wie ich war. Einzig was mich etwas traurig stimmte war, dass mein Mann und ich nicht wirklich viele gemeinsame Interessen hatten. Aber es heißt doch immer: Gegensätze ziehen sich an.
Dann begann mein Mann sich schlagartig zu verändern. Er nahm innerhalb kürzester Zeit enorm ab und begann plötzlich diverse Sportarten zu betreiben. Ich dachte mir, dass dies vielleicht die Chance sei, neue Gemeinsamkeiten zu entdecken und bat ihn, mich doch mit einzubeziehen. Darauf reagierte er sehr abweisend. Das habe keinen Zweck, von mir könne er ja nichts lernen. Er habe bereits eine Inline-Lehrerin und Schwimmpartnerin: Die Tochter eines Kegelkameraden. Ich fragte ihn, was das solle, das Mädchen könnte seine Tochter sein, worauf er nur lachte, und meinte, das spiele doch keine Rolle, sie sei ein toller Kumpel.
Ab da beschwor ich ungewollt meine eigenen Dämonen herauf. Sie hießen Eifersucht, Misstrauen und Paranoia.
Eifersucht war relativ leicht zu bändigen. Ich bezwang sie immer wieder mit meiner Logik. Ich sagte: "Klar braucht er jemand Jüngeres um ihm neue Sportarten zu lehren." und "Das Mädchen sieht so toll aus, die hat zig Verehrer. Was will sie mit nem Mann, der 27 Jahre älter ist?" Dann lachte ich Eifersucht aus, und sie verkroch sich schmollend in einen dunklen Winkel meines Verstandes.
Misstrauen war da schon gewiefter. Ständig flüsterte es mir Dinge zu, wie: "Wem schreibt er gerade eine sms?" oder "Wieso kommt er erst spät nachts nach Hause? Kein Schwimmbad hat so lange auf..." Aber selbst mit Misstrauen kam ich zurecht, indem ich meinen Mann einfach direkt um Antworten bat, die er mir bereitwillig gab. Klar war er mit dem Mädel noch was trinken, sie kommt ja schließlich nicht oft raus, und die paar kleinen Gefälligkeiten sei er ihr schließlich schuldig.
Ich wollte meinem Mann glauben. Wollte meine kleine heile Welt am Leben erhalten. Aber dann kam sie - die Paranoia.
Sie besuchte mich meist abends, wenn ich allein war und verhöhnte mich:
"Er ist bei ihr."
"Was denkst du wie er seine Schuld begleicht?"
"Wann hat dein Mann DIR zuletzt eine sms geschrieben?"
Ich wollte diese Stimme nicht hören, aber sie war in meinem Kopf fest verankert.
Ich lag mit Herzrasen im Bett. Lautlos schrie ich Paranoia an, sie solle ihr Lästermaul halten, aber sie lachte mich nur aus.
Ich versuchte, vor dieser mitleidlosen Kreatur davon zu laufen. Nachts schnappte ich mir unseren Hund und eilte ziellos durch die verlassenen Straßen. Ich begrüßte es, wenn es regnete, denn so konnte niemand die Tränen erkennen, die nie zu versiegen schienen. Panisch erwartete ich jeden unwillkommenen Besuch von Paranoia. Und sie besuchte mich in immer kürzeren Intervallen, bis sie zu meiner permanenten Verfolgerin wurde. Ich konnte ihre Gegenwart ständig spüren. Ich war nur noch zu zwei Gedanken fähig: "Er verlässt mich wegen einem jungen Mädchen." und "Ich kann und will ohne ihn nicht leben."
Nach einem dilettantischen Selbstmordversuch - wer schneidet sich die Pulsadern auch quer auf? - wurde mir klar, dass ich so schnell doch nicht aufgeben wollte. Ich startete den kläglichen Versuch, meine Dämonen zu vertreiben. Ich sprach mit meinem Hausarzt über meine Schlafstörungen und mein ständiges Herzrasen und erzählte ihm, dass ich völlig grundlos ständig depressiv sei. Er verschrieb mir Schlaftabletten und beruhigende Antidepressiva. Schnell fand ich heraus, dass diese Wunderpillen bei vierfacher Dosierung mit etwas Alkohol tatsächlich in der Lage waren, meine Dämonen vorübergehend zum Schweigen zu bringen. So konnte ich mir selbst wieder die schöne heile Welt vorgaukeln, und alles war gut.
Dann kam der Tag, an dem meine Dämonen mich stellten und umzingelten. Jeglicher Fluchtweg war abgeschnitten. Meine ewige Flucht war nutzlos gewesen. Und tief in meinem Inneren hatte ich das die ganze Zeit über gewusst. Es war der Tag an dem mir mein Mann mitteilte, dass er Vater würde.
Eifersucht und Misstrauen triumphierten und schrien: "Haben wir es nicht die ganze Zeit über gesagt? Wir wussten es von Anfang an! Er hat dich betrogen und belogen!" Aber diese beiden niederen Kreaturen interessierten mich in diesem Moment nicht im Geringsten. Sollten sie doch ihren Spaß haben, sich an den Händen halten und wild hüpfend einen kindischen Kreistanz aufführen. Mein ganzes Interesse galt meiner alten Erzfeindin Paranoia, die nur stumm dastand und mich musterte. Ich fragte sie stumm: "Was nun? Du hast gewonnen, warum nimmst du dir dann nicht, was du die ganze Zeit über wolltest?"
"Und was wollte ich die ganze Zeit von dir?"
"Meinen Verstand natürlich! Was sonst? Dein einziges Ziel ist es doch, mich in den Wahnsinn zu treiben!"
Paranoia blickte mich mitleidig an. "Das denkst du also von mir? Das einzige was ich von dir will ist Akzeptanz. Akzeptiere endlich die Realität, vor der du die ganzen Jahre geflohen bist! Ich war es nicht, die dich verfolgt hat. Ich habe lediglich deine Flucht vor der Wahrheit begleitet."
Diese Worte trafen mich mitten ins Herz, und ich wusste, dass sie wahr waren. Also tat ich das, was ich schon längst hätte tun sollen. Ich ging - und ließ Paranoia und meinen Mann stehen. Lediglich Misstrauen und Eifersucht durften mich begleiten, da sie ja immer nur mein Bestes wollten.
Wenn ihr wissen wollt, wie es sich anfühlt, auf der Flucht zu sein und ständig Angst zu haben, was als nächstes kommt, dann fragt mich. Ich kann es euch erzählen, denn ich war drei Jahre auf der Flucht. Auf der Flucht vor meinen eigenen Dämonen. Sie lauerten hinter jeder Ecke auf mich. Ununterbrochen versuchten sie mich zu fassen, meinen letzten Rest gesunden Menschenverstand zu eliminieren, damit der Wahnsinn, dessen Keim sich tief in meiner Seele eingenistet hatte, am Ende triumphieren könne.
Ich habe mich selbst immer als einen normalen psychisch stabilen Menschen gehalten. War nie auffällig, habe mich von jeglichen Exzessen fern gehalten, habe zum größten Teil auf Alkohol- Drogen- und Zigarettenkonsum verzichtet und hatte es auch nicht eilig, meine Jungfräulichkeit zu verlieren. Es dürfte also auch niemanden verwundern, dass ich auf eine ganz normale Zukunft hin gearbeitet habe. Einen guten Schulabschluss schaffte ich mit Leichtigkeit und eine Ausbildungsstelle im kaufmännischen Bereich flog mir förmlich zu.
Nach ein paar Jahren war ich dann der Meinung, dass es an der Zeit wurde, eine Familie zu gründen. Mann und Kind ließen auch nicht lange auf sich warten, und mit einem kleinen zotteligen Hund wurde mein kleinbürgerliches Spießerleben komplementiert. Ich war zufrieden mit meiner Rolle als Mutter und Hausfrau und bildete mir tatsächlich ein, meine Ziele erreicht zu haben.
Doch das Schicksal hat seinen Ruf als unberechenbar nicht zu Unrecht. Und so begann die Fassade meines Bilderbuchlebens so nach und nach zu bröckeln.
Wie man eine Ehe richtig zu führen hat lernt man in keinem Schulfach. Zwar zeigen einem die Medien überaus fürsorglich permanent Beispiele, wie man es nicht machen sollte, aber man selbst ist natürlich felsenfest in dem Irrglauben verankert, dass man für solche Fehler viel zu intelligent sei. Und doch ist der schlimmste Fehler, den man begehen kann, der, Nichts zu tun. Und das tat ich: Nichts! Wieso sollte ich auch? Ich tat nie etwas Falsches, war immer treu, führte den Haushalt zum größten Teil vorbildlich, bemühte mich, Abwechslung auf den Tisch zu bringen, und kümmerte mich um die Entwicklung unseres Sohnes. Vielleicht hätte ich die spitzen Bemerkungen meines Mannes ernst nehmen sollen, der mir Vorwarf, nicht mehr wirklich auf mein Äußeres zu achten. Natürlich waren mir die 15 kg nicht entgangen, die sich seit unserer Hochzeit zu mir gesellt hatten, aber ich fühlte mich gut, so wie ich war. Einzig was mich etwas traurig stimmte war, dass mein Mann und ich nicht wirklich viele gemeinsame Interessen hatten. Aber es heißt doch immer: Gegensätze ziehen sich an.
Dann begann mein Mann sich schlagartig zu verändern. Er nahm innerhalb kürzester Zeit enorm ab und begann plötzlich diverse Sportarten zu betreiben. Ich dachte mir, dass dies vielleicht die Chance sei, neue Gemeinsamkeiten zu entdecken und bat ihn, mich doch mit einzubeziehen. Darauf reagierte er sehr abweisend. Das habe keinen Zweck, von mir könne er ja nichts lernen. Er habe bereits eine Inline-Lehrerin und Schwimmpartnerin: Die Tochter eines Kegelkameraden. Ich fragte ihn, was das solle, das Mädchen könnte seine Tochter sein, worauf er nur lachte, und meinte, das spiele doch keine Rolle, sie sei ein toller Kumpel.
Ab da beschwor ich ungewollt meine eigenen Dämonen herauf. Sie hießen Eifersucht, Misstrauen und Paranoia.
Eifersucht war relativ leicht zu bändigen. Ich bezwang sie immer wieder mit meiner Logik. Ich sagte: "Klar braucht er jemand Jüngeres um ihm neue Sportarten zu lehren." und "Das Mädchen sieht so toll aus, die hat zig Verehrer. Was will sie mit nem Mann, der 27 Jahre älter ist?" Dann lachte ich Eifersucht aus, und sie verkroch sich schmollend in einen dunklen Winkel meines Verstandes.
Misstrauen war da schon gewiefter. Ständig flüsterte es mir Dinge zu, wie: "Wem schreibt er gerade eine sms?" oder "Wieso kommt er erst spät nachts nach Hause? Kein Schwimmbad hat so lange auf..." Aber selbst mit Misstrauen kam ich zurecht, indem ich meinen Mann einfach direkt um Antworten bat, die er mir bereitwillig gab. Klar war er mit dem Mädel noch was trinken, sie kommt ja schließlich nicht oft raus, und die paar kleinen Gefälligkeiten sei er ihr schließlich schuldig.
Ich wollte meinem Mann glauben. Wollte meine kleine heile Welt am Leben erhalten. Aber dann kam sie - die Paranoia.
Sie besuchte mich meist abends, wenn ich allein war und verhöhnte mich:
"Er ist bei ihr."
"Was denkst du wie er seine Schuld begleicht?"
"Wann hat dein Mann DIR zuletzt eine sms geschrieben?"
Ich wollte diese Stimme nicht hören, aber sie war in meinem Kopf fest verankert.
Ich lag mit Herzrasen im Bett. Lautlos schrie ich Paranoia an, sie solle ihr Lästermaul halten, aber sie lachte mich nur aus.
Ich versuchte, vor dieser mitleidlosen Kreatur davon zu laufen. Nachts schnappte ich mir unseren Hund und eilte ziellos durch die verlassenen Straßen. Ich begrüßte es, wenn es regnete, denn so konnte niemand die Tränen erkennen, die nie zu versiegen schienen. Panisch erwartete ich jeden unwillkommenen Besuch von Paranoia. Und sie besuchte mich in immer kürzeren Intervallen, bis sie zu meiner permanenten Verfolgerin wurde. Ich konnte ihre Gegenwart ständig spüren. Ich war nur noch zu zwei Gedanken fähig: "Er verlässt mich wegen einem jungen Mädchen." und "Ich kann und will ohne ihn nicht leben."
Nach einem dilettantischen Selbstmordversuch - wer schneidet sich die Pulsadern auch quer auf? - wurde mir klar, dass ich so schnell doch nicht aufgeben wollte. Ich startete den kläglichen Versuch, meine Dämonen zu vertreiben. Ich sprach mit meinem Hausarzt über meine Schlafstörungen und mein ständiges Herzrasen und erzählte ihm, dass ich völlig grundlos ständig depressiv sei. Er verschrieb mir Schlaftabletten und beruhigende Antidepressiva. Schnell fand ich heraus, dass diese Wunderpillen bei vierfacher Dosierung mit etwas Alkohol tatsächlich in der Lage waren, meine Dämonen vorübergehend zum Schweigen zu bringen. So konnte ich mir selbst wieder die schöne heile Welt vorgaukeln, und alles war gut.
Dann kam der Tag, an dem meine Dämonen mich stellten und umzingelten. Jeglicher Fluchtweg war abgeschnitten. Meine ewige Flucht war nutzlos gewesen. Und tief in meinem Inneren hatte ich das die ganze Zeit über gewusst. Es war der Tag an dem mir mein Mann mitteilte, dass er Vater würde.
Eifersucht und Misstrauen triumphierten und schrien: "Haben wir es nicht die ganze Zeit über gesagt? Wir wussten es von Anfang an! Er hat dich betrogen und belogen!" Aber diese beiden niederen Kreaturen interessierten mich in diesem Moment nicht im Geringsten. Sollten sie doch ihren Spaß haben, sich an den Händen halten und wild hüpfend einen kindischen Kreistanz aufführen. Mein ganzes Interesse galt meiner alten Erzfeindin Paranoia, die nur stumm dastand und mich musterte. Ich fragte sie stumm: "Was nun? Du hast gewonnen, warum nimmst du dir dann nicht, was du die ganze Zeit über wolltest?"
"Und was wollte ich die ganze Zeit von dir?"
"Meinen Verstand natürlich! Was sonst? Dein einziges Ziel ist es doch, mich in den Wahnsinn zu treiben!"
Paranoia blickte mich mitleidig an. "Das denkst du also von mir? Das einzige was ich von dir will ist Akzeptanz. Akzeptiere endlich die Realität, vor der du die ganzen Jahre geflohen bist! Ich war es nicht, die dich verfolgt hat. Ich habe lediglich deine Flucht vor der Wahrheit begleitet."
Diese Worte trafen mich mitten ins Herz, und ich wusste, dass sie wahr waren. Also tat ich das, was ich schon längst hätte tun sollen. Ich ging - und ließ Paranoia und meinen Mann stehen. Lediglich Misstrauen und Eifersucht durften mich begleiten, da sie ja immer nur mein Bestes wollten.