Paris - are you fucking kidding me?

Tradition? Ist was für Ewiggestrige. Werte? Brauchen wir nicht. Die gesamte Identität eines Vereins? Ab ins Archiv damit. Der Pariser Fußballklub möchte eine Sportmarke mit Weltruhm werden. Dafür hält Marketingdirektor Michael Mimran nichts weiter als die komplette Neusanierung aller existenziellen Symbole und Werte für angemessen - ein Schlag ins Gesicht aller langjährigen Begleiter und Unterstützer.

Geprägt von völliger Ahnungslosigkeit und jeder Menge Geld versucht man, den Pariser Klub auf Teufel komm raus aufzupolieren und glattzuschleifen - und merkt dabei nicht, dass der Rost vergangener Tage das eigentlich Wertvolle ist.

Der Rost vergangener Tage

Jaque steigt ins Auto und macht sich auf den Weg. Das Spitzenspiel steht an. Paris St. Germain gegen Olympique Marseille. Die innere Uhr eines langjährigen Fußballanhängers ist sehr feinfühlig. 1 Stunde noch bis zum Anpfiff. Normalerweise ist das der Zeitpunkt, an dem der Adrenalinspiegel ansteigen sollte. Wenigstens ein bisschen Nervösität, denkt sich Jaque, während er den Rückwärtsgang einlegt und seine Auffahrt verlässt. Aber da ist nichts.

Die 12 km bis zu seiner Stammkneipe könnte er auch mit verschlossenen Augen fahren, doch heute nimmt er einen anderen Weg. Vorbei an seinem Elternhaus, dass er vor zehn Jahren verkauft hat und in dem er seine gesamte Kindheit und Jugend verbracht hat.

Er drosselt das Tempo ein wenig. Seine Augen versuchen, jedes Detail zu erfassen. Jaque verliert sich in Gedanken. Da wo früher grüner Rasen, eine Schaukel und ein kleines Fußballtor standen, ist heute nur noch Pflasterstein. Die Gedanken kreisen weiter. Ist es mit meinem PSG nicht genauso, versucht er einen Vergleich mit seinem Verein herzustellen. Die Millionen aus Katar haben viele Pflastersteine in die Stadt an der Seine gebracht. Für ideelle Werte ist kein Platz mehr. Schaukel, grüner Rasen und das Fußballtor - stellvertretend für alle Symbole und Werte des Vereins - sind eingestampft.

Jaque wirkt melancholisch. Er richtet den Blick wieder auf die Straße. Acht Kilometer noch bis zum Ziel.

Für immer Paris

„Sach‘ mal. Wenn du ganz ehrlich bist, was zieht dich hier her?“ raunzt Jaque seinem Bekannten Pierre zu. Pierre ist erst vor kurzem vom Fußball infiziert worden. Paris ist sein Verein geworden, seit die Kataris das Geld in Strömen fließen lassen. Ein Superstar nach dem anderen wechselt an die Seine. Das hat spektakulären und erfolgreichen Fußball zur Folge. „Ich bin Fan von erfolgreichem Fußball. Guck dir den Zlatan an, wie er ein nach dem anderen aussteigen lässt - einfach traumhaft“ rechtfertigt er sich gegenüber Jaque. „Und wenn Zlatan weg ist, lässt du unseren Verein wie eine heiße Kartoffel fallen, genauso wie die Scheichs es mit…“. Jaque’s frustriert klingende Zurechtweisung wird von einem Jubelschrei unterbrochen. Zlatan Ibrahimovic erzielt das 1:0 für Paris St. Germain in der 31. Minute im Topspiel gegen Tabellennachbarn Olympique Marseille. „War ja klar“ flüstert Jaque leise vor sich hin und nippt an seinem Bier. Sein Blick wandert aus dem Fenster und bleibt an dem leicht beschlagenen Fenster der Kneipe auf der gegenüberliegenden Straßenseite hängen. Er verliert sich in Gedanken:

…Liebe zu seinem Verein vergeht nie. Tut sie das wirklich nicht? Ich bin mir nicht mehr sicher. Wir sind Tabellenerster, haben einen Weltstar in unseren Reihen, aber irgendwie ist es doch nicht mehr so wie früher. Wohl kein gutes Zeichen, wenn man sich nicht mehr für Tore des eigenen Vereins freuen kann. Bin ich einfach nur Kind geblieben und möchte Schaukel und grünen Rasen zurück oder kann ich einfach nur nichts mit Pflastersteinen anfangen? Ich weiß es nicht. Das ist nicht mehr mein PSG. Das ist nicht mehr mein Verein, dem ich meine Liebe vermacht habe…

Wenige Tage zuvor in der Marketingabteilung von Paris St. Germain

„Ihr habt doch gehört, was zu tun ist“ schallt es von Marketingchef Mimran in die Runde. „Die populärste Sportmarke der Welt zu werden ist das Ziel.“ Mimran erklärt ausschweifend, dass man mit der Stadt Paris als Weltmetropole zu höherem berufen ist. „Wir müssen weg von diesen ganzen Altlasten, die uns nur wie ein Klotz am Bein hängen“. „Von welchen Klötzen sprechen sie, Monsieur?“ wirft ein etwas irritiert dreinblickender langjähriger Mitarbeiter in die Runde. „Saint-Germain. Wer braucht denn diesen Zusatz noch? Paris FC - klingt doch viel schlanker, graziler und moderner. So stellen wir die Stadt Paris in den Vordergrund und schaffen auch über die Grenzen hinaus einen Wiedererkennungswert. Das alte Logo ist auch hinfällig. Diese Wiege und die Lilie im Wappen sind Relikte vergangener Tage. Das ist altmodisch. Das braucht kein Mensch. Monsieur, bitte setzen sie ein Briefing für die Agentur auf - wir brauchen bis Ende nächster Woche 3-4 Vorschläge für ein neues und modernes Logo, dass das neue Paris besser repräsentiert“.

Zurück in der Kneipe

Pierre freut sich immer noch über das 1-0 von Zlatan Ibrahimovic, während Jaques wieder aus seinem Tagtraum erwacht ist und erneut an seinem Bier nippt. „Was macht du da genau, Pierre?“. Pierre tippt mit einem sanften Lächeln in die Tasten seines Smartphones. Schon bald ist auf seiner Facebook-Pinnwand in Großbuchstaben zu lesen: „WIR SIND DIE BESTEN - FÜR IMMER PARIS“. Sein freudiger Gemütszustand wird unterbrochen von einem schallenden Raunen, das die ganze Kneipe durchdringt. Marseille hat wie aus dem nichts zum 1:1 getroffen. Jaque ist hin und hergerissen zwischen Genugtuung und Enttäuschung. Hektisch fummelt Pierre erneut an seinem Smartphone herum. „Hattest du nicht grad etwas mit Für-immer-Paris gepostet, Pierre?“ Der Beitrag auf Pierre’s Pinnwand ist verschwunden. Für immer Paris - das war aber ganz schön kurz, denkt sich Jaque, der den Ausgleich beinah apathisch zur Kenntnis genommen hat. Schaukel oder Pflastersteine? Er nippt an seinem Bier und verschwindet erneut in seiner Gedankenwelt:

Was ist nur aus diesem Verein und den Menschen drum herum geworden? Irgendwelche Scheichs meinen die Patentlösung für den großen Erfolg gefunden zu haben, dabei verstehen sie rein gar nichts davon, was eine Sportmarke - einen Fußballverein erfolgreich macht. Alles wird abgerissen und soll erneuert werden? Wenn ich mir Pierre angucke, sehe ich die Zukunft unseres Vereins leibhaftig vor meinen Augen stehen. Gewinnen wir, sind wir die tollsten. Verlieren wir, verliert das Spielzeug und Statussymbol an Anziehungskraft und wir liegen auf dem Rücken. Wie eine Schildkröte, die sich nicht mehr wenden kann und dahinvegetiert. Ohne Seele. All das, was unsere Seele ausmacht, verscherbeln wir. Logo, Fans, den Namen - alle Symbole und Werte, für die wir als PSG standen, werden ausradiert und gegen irgendwelchen austauschbaren und modernen Bullshit getauscht.

Jaque nippt an seinem Bier und schüttelt den Kopf leicht vor sich hin, bis ihm ein passender Vergleich einfällt, der ihn gedanklich nicht mehr loslässt:

Die Eröffnungsfeiern der olympischen Spiele in London 2012, und die der olympischen Spiele in Peking 2008 auf der anderen Seite. Zwei Parallelwelten, die für zwei verschiedene Denkweisen stehen. London, die Schaukel. Peking, die Pflastersteine. In Peking sah man hochperfektionierte, glattgeschliffene Choreografien, die keinen Hauch von Leidenschaft, Feuer oder Spirit hatten. Eine Show ohne Seele - genauso wie unser Pariser Fußballverein von morgen. London 2012 hatte Charme. Seele. Alte Werte, Traditionen - Ecken und Kanten wurden originell und einfallsreich inszeniert. Jeder, der die Show gesehen hat, erkennt den Spirit Großbritanniens - es ließ niemanden kalt. Die ganze Identität ist so viel wert. Ideelle Werte und Kommerzialisierung können vereint werden. Wenn es jemals ein Exempel dafür gab, dass das möglich ist, dann die Eröffnungsfeier der olympischen Spiele in London 2012. Würden die Kataris und unser Marketing-Manager nur so weit denken können…

Unterdessen in der Marketing-Abteilung von Paris St. Germain

„Wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, müssen wir andere Kundengruppen ansprechen. Neue Unterhaltungsinstrumente schaffen. Das wollen unsere Kunden. Das sportliche Ereignis reicht nicht mehr aus. Seien wir ehrlich. Wir sind auf die wahren Fans - wie sie so schön genannt werden - nicht mehr angewiesen“ fährt Marketing-Manager Mimran fort. „Wie verkaufen wir das den Fans, Monsieur?“ fragt der langjährige Mitarbeiter und unterbricht die ausschweifende Rede des Marketing-Manager Mimran. „Die übliche Verfahrensweise. Wir loben die Fans für ihre Unterstützung, stellen sie als unverzichtbaren Teil unseres Vereins dar und beschwichtigen die ganze Sache etwas. Das kaufen die uns schon ab. Ich muss jetzt los. Telefonkonferenz mit Katar.“

In der Kneipe…

…ist mittlerweile die 69. Spielminute angebrochen. Ibrahimovic hat nicht seinen besten Tag erwischt - so wie die ganze Mannschaft auch. Pierre wird unruhig und verabschiedet sich schon bald vorzeitig. „Ich muss noch dringend ein Telefonat führen und morgen auch früh raus“ führt er als Gründe für den frühzeitigen Abscheid an. Für immer Paris, denkt sich Jaque, „aber nur wenns grad mal gut läuft“ flüstert er seinen Gedanken leise vor sich weiter. „Was meinst du?“ entgegnet Pierre. „Nichts weiter, Pierre. Ich trinke noch mein Bier auf und bin dann auch gleich weg“ antwortet Jaque. Sein Bier ist längst leer, bevor das Spiel endet. Einem nach dem anderen sieht er die Kneipe verlassen:

Da gehen Sie. Die getreuen Anhänger des modernen Paris FC von morgen. Sehen so Fans einer der blühendsten Sportmarke von morgen aus? Gute Arbeit, Herr Mimran. Unser Verein hängt am Tropf. Wie ein Drogenabhängiger. Abhängig vom Geld aus Katar und dem sportlichen Erfolg.

Jaque bleibt bis zum Schluss - auch wenn er nicht mehr benötigt wird. Warum er das tut? Bindung zu seinem Verein. Das, was eine erfolgreiche Sportmarke - ein Fußballverein - zu einem besonders erfolgreichen macht. Bis diese Erkenntnis bei Mimran, dem Marketingdirektor von Paris St. Germain angekommen ist, wird noch sehr viel fließen - also Wasser der Seine runter. Und Geld aus Katar sowieso.
 

Val Sidal

Mitglied
Um Stellung nehmen zu können, muss ich wissen, was dein Anspruch ist. Wolltest du einfach etwas los werden, dich mitteilen, oder hast du die Absicht, ein literarisches Werk schaffen?
 



 
Oben Unten