Stefan Seifert
Mitglied
Pas de deux
Ein Neujahrsspiel von Stefan Seifert
Die beteiligten Personen:
Bruno, ein dicklicher Mann im Tutu.
Paul, ein dünner Mann, ähnelt Woody Allen oder Groucho Marx. Oder wem auch immer.
Musik von Saint-Saents.
Bruno, in Ballettröckchen und Spitzenschuhen, tanzt.
Paul kommt langsam, offenbar verkatert, herein. Er setzt sich auf einen Stuhl und sieht ihm zu.
Paul:
Du machst dich lächerlich.
Bruno:
Du bist lächerlich.
Paul:
Wen willst du denn mit deiner Tanzerei beeindrucken?
Bruno:
Jedenfalls nicht Banausen wie dich.
Paul:
Willst du vielleicht beim Karneval auftreten? Oder als Lachnummer im Varieté?
Bruno:
Ich sagte doch, für Banausen wie dich mache ich das nicht. Aber wenn du es unbedingt wissen willst:
Ich tanze morgen in der Ballettakademie. Vor den renommiertesten Kapazitäten. Man muß schon einiges vom Fach verstehen, um würdigen zu können, was ich leiste. Du kannst das jedenfalls nicht. Kretin!
Paul:
Ob mit oder ohne Akademie, sie werden über dich lachen.
Bruno:
Es wäre nicht das erste Mal. Hat man noch nie über dich gelacht?
Paul:
Man hat ...
Bruno:
Es war dir peinlich.
Paul:
Es hat mich wütend gemacht.
Bruno:
Weil du so hilflos warst.
Paul:
Man kann sich nicht dagegen wehren.
Bruno:
Ich bin nicht länger hilflos. Ich bin der sterbende Schwan. Ich bin Anna Pawlowa.
Paul:
Du bist Bruno. Eine dicke Schwuchtel.
Bruno:
Jetzt bin ich Anna Pawlowa. Und du bist Paul. Paul der in die Hosen pißt.
Paul:
Das mußte ja jetzt kommen. Darauf habe ich gewartet.
Bruno:
Du pißt doch immer in die Hosen, wenn du besoffen bist.
Paul:
Was beweist das schon? Daß ich irgendwann die Kontrolle über diesen Muskel verliere? Stellt das meine Existenz in Frage?
Bruno:
Es macht dich lächerlich.
Paul:
Ich finde das gar nicht lächerlich.
Bruno kichert :
Weißt du, daß du gestern wieder auf das Fensterbrett geklettert bist und gedroht hast, hinunterzuspringen?
Paul:
Das nächste Mal springe ich auch.
Bruno:
Und ich werde für dich den sterbenden Schwan tanzen. Auf deiner Beerdigung. Dann werden sie über uns beide lachen. Über dich und mich.
Aber wahrscheinlich würdest du gar nicht tot sein. Nur ein Krüppel und ich müßte dich pflegen. Ich müßte meinen Beruf aufgeben, wegen dir. Meine Kunst ...
Paul:
Mach das doch noch mal, diese Bewegung da eben, mit dem Arm. Nein, du bist wirklich sowas von komisch.
Bruno:
Du warst gestern auch komisch. Wie du auf den Knien gerutscht bist.
Paul:
Das war nicht komisch. Das war tragisch. Ich bin nicht mehr hochgekommen. Ich dachte, ich komme überhaupt nie wieder hoch.
Bruno:
Wenn es tragisch ist, sich zu besaufen bis man nicht mehr laufen kann und sich in die Hosen pißt ...
Paul:
Judas.
Bruno:
Kretin. Außerdem warst du gar nicht so besoffen. So viel hast du nicht getrunken. Du denkst wohl, das habe ich nicht gemerkt.
Paul:
Ich bin Alkoholiker. Da genügen schon kleine Mengen.
Bruno:
Du bist schlau. Du weißt genau wann du dein Level erreicht hast und du mit deiner Show beginnen kannst. Gib‘s zu, du bist dein bester Zuschauer.
Paul:
Und du deiner. Was sagt dir denn der Spiegel, in den du dauernd guckst? Du bist die Schönste im ganzen Land?
Bruno:
Er sagt, du bist nicht Bruno, du bist Anna Pawlowa. Anna Pawlowa ist göttlich und darum bin ich auch göttlich. Und wenn ich göttlich bin, kann mir nichts mehr geschehen. Sie können mich nicht mehr verletzen.
Er verharrt in einer Attitüde. Die Musik verstummt.
Paul:
Siehst du, das ist der Unterschied. Mich können sie verletzen. Wäre ich ein Schwarzer, könnte ich wenigstens sagen, sie diskriminieren mich, weil ich schwarz bin. Ich würde zusammen mit anderen gegen die Diskriminierung der Schwarzen kämpfen.
Aber ich bin nicht schwarz und werde trotzdem diskriminiert.
Weil ich ich bin. Diese Art der Diskriminierung ist am schwersten zu ertragen.
Bruno:
Dann sei doch nicht du.
Sei ein anderer.
Paul:
Ich bin ja auch ein anderer. Aber wer ist dieser andere? Und wo ist er?
Bruno:
Vielleicht hat er sich verirrt?
Paul:
Vielleicht habe ich mich wirklich verirrt. Bin einmal im Dunkeln aus Versehen durch einen Spiegel gegangen und in eine falsche Spiegelwelt geraten. Eine Welt, in der alles verkehrt ist. Unsere Welt. Und nun suche ich nach dem Durchgang, um wieder zurückzukehren.
Aber je länger ich hier lebe, um so mehr verblaßt die Erinnerung an die andere Welt, in der ich einmal zuhause war. Ich Idiot bin in die Spiegelfalle getappt. Jetzt bin ich für immer gefangen. Wie ein Grashüpfer im vergessenen Marmeladenglas eines Kindes.
Bruno:
Du bist ein Mensch der verkehrten Spiegelwelt geworden. Ein Spiegelmensch. Ein verkehrter Mensch.
Paul:
Ich will da raus!
Bruno:
Sei einfach kein Spiegelmensch mehr. Sei ... ein anderer.
Paul:
Ich kann nicht.
Bruno:
Mach einfach alles anders herum.
Geh nach rechts, wenn du nach links gehen willst. Sag nein, wenn du ja sagen willst.
Willst du mit mir ein Pas de deux tanzen?
Paul:
Nein.
Die Musik setzt ein. Sie tanzen.
Ein Neujahrsspiel von Stefan Seifert
Die beteiligten Personen:
Bruno, ein dicklicher Mann im Tutu.
Paul, ein dünner Mann, ähnelt Woody Allen oder Groucho Marx. Oder wem auch immer.
Musik von Saint-Saents.
Bruno, in Ballettröckchen und Spitzenschuhen, tanzt.
Paul kommt langsam, offenbar verkatert, herein. Er setzt sich auf einen Stuhl und sieht ihm zu.
Paul:
Du machst dich lächerlich.
Bruno:
Du bist lächerlich.
Paul:
Wen willst du denn mit deiner Tanzerei beeindrucken?
Bruno:
Jedenfalls nicht Banausen wie dich.
Paul:
Willst du vielleicht beim Karneval auftreten? Oder als Lachnummer im Varieté?
Bruno:
Ich sagte doch, für Banausen wie dich mache ich das nicht. Aber wenn du es unbedingt wissen willst:
Ich tanze morgen in der Ballettakademie. Vor den renommiertesten Kapazitäten. Man muß schon einiges vom Fach verstehen, um würdigen zu können, was ich leiste. Du kannst das jedenfalls nicht. Kretin!
Paul:
Ob mit oder ohne Akademie, sie werden über dich lachen.
Bruno:
Es wäre nicht das erste Mal. Hat man noch nie über dich gelacht?
Paul:
Man hat ...
Bruno:
Es war dir peinlich.
Paul:
Es hat mich wütend gemacht.
Bruno:
Weil du so hilflos warst.
Paul:
Man kann sich nicht dagegen wehren.
Bruno:
Ich bin nicht länger hilflos. Ich bin der sterbende Schwan. Ich bin Anna Pawlowa.
Paul:
Du bist Bruno. Eine dicke Schwuchtel.
Bruno:
Jetzt bin ich Anna Pawlowa. Und du bist Paul. Paul der in die Hosen pißt.
Paul:
Das mußte ja jetzt kommen. Darauf habe ich gewartet.
Bruno:
Du pißt doch immer in die Hosen, wenn du besoffen bist.
Paul:
Was beweist das schon? Daß ich irgendwann die Kontrolle über diesen Muskel verliere? Stellt das meine Existenz in Frage?
Bruno:
Es macht dich lächerlich.
Paul:
Ich finde das gar nicht lächerlich.
Bruno kichert :
Weißt du, daß du gestern wieder auf das Fensterbrett geklettert bist und gedroht hast, hinunterzuspringen?
Paul:
Das nächste Mal springe ich auch.
Bruno:
Und ich werde für dich den sterbenden Schwan tanzen. Auf deiner Beerdigung. Dann werden sie über uns beide lachen. Über dich und mich.
Aber wahrscheinlich würdest du gar nicht tot sein. Nur ein Krüppel und ich müßte dich pflegen. Ich müßte meinen Beruf aufgeben, wegen dir. Meine Kunst ...
Paul:
Mach das doch noch mal, diese Bewegung da eben, mit dem Arm. Nein, du bist wirklich sowas von komisch.
Bruno:
Du warst gestern auch komisch. Wie du auf den Knien gerutscht bist.
Paul:
Das war nicht komisch. Das war tragisch. Ich bin nicht mehr hochgekommen. Ich dachte, ich komme überhaupt nie wieder hoch.
Bruno:
Wenn es tragisch ist, sich zu besaufen bis man nicht mehr laufen kann und sich in die Hosen pißt ...
Paul:
Judas.
Bruno:
Kretin. Außerdem warst du gar nicht so besoffen. So viel hast du nicht getrunken. Du denkst wohl, das habe ich nicht gemerkt.
Paul:
Ich bin Alkoholiker. Da genügen schon kleine Mengen.
Bruno:
Du bist schlau. Du weißt genau wann du dein Level erreicht hast und du mit deiner Show beginnen kannst. Gib‘s zu, du bist dein bester Zuschauer.
Paul:
Und du deiner. Was sagt dir denn der Spiegel, in den du dauernd guckst? Du bist die Schönste im ganzen Land?
Bruno:
Er sagt, du bist nicht Bruno, du bist Anna Pawlowa. Anna Pawlowa ist göttlich und darum bin ich auch göttlich. Und wenn ich göttlich bin, kann mir nichts mehr geschehen. Sie können mich nicht mehr verletzen.
Er verharrt in einer Attitüde. Die Musik verstummt.
Paul:
Siehst du, das ist der Unterschied. Mich können sie verletzen. Wäre ich ein Schwarzer, könnte ich wenigstens sagen, sie diskriminieren mich, weil ich schwarz bin. Ich würde zusammen mit anderen gegen die Diskriminierung der Schwarzen kämpfen.
Aber ich bin nicht schwarz und werde trotzdem diskriminiert.
Weil ich ich bin. Diese Art der Diskriminierung ist am schwersten zu ertragen.
Bruno:
Dann sei doch nicht du.
Sei ein anderer.
Paul:
Ich bin ja auch ein anderer. Aber wer ist dieser andere? Und wo ist er?
Bruno:
Vielleicht hat er sich verirrt?
Paul:
Vielleicht habe ich mich wirklich verirrt. Bin einmal im Dunkeln aus Versehen durch einen Spiegel gegangen und in eine falsche Spiegelwelt geraten. Eine Welt, in der alles verkehrt ist. Unsere Welt. Und nun suche ich nach dem Durchgang, um wieder zurückzukehren.
Aber je länger ich hier lebe, um so mehr verblaßt die Erinnerung an die andere Welt, in der ich einmal zuhause war. Ich Idiot bin in die Spiegelfalle getappt. Jetzt bin ich für immer gefangen. Wie ein Grashüpfer im vergessenen Marmeladenglas eines Kindes.
Bruno:
Du bist ein Mensch der verkehrten Spiegelwelt geworden. Ein Spiegelmensch. Ein verkehrter Mensch.
Paul:
Ich will da raus!
Bruno:
Sei einfach kein Spiegelmensch mehr. Sei ... ein anderer.
Paul:
Ich kann nicht.
Bruno:
Mach einfach alles anders herum.
Geh nach rechts, wenn du nach links gehen willst. Sag nein, wenn du ja sagen willst.
Willst du mit mir ein Pas de deux tanzen?
Paul:
Nein.
Die Musik setzt ein. Sie tanzen.