Pedanterie

Raniero

Textablader
Pedanterie

Norbert Fenfertlo hatte in der Tat ein recht merkwürdiges Hobby.
Während andere Briefmarken oder Münzen zusammentrugen und daraus ansehnliche Alben oder Kataloge herstellten, sammelte er die verschiedensten Adressen, aus allen Ecken des Planeten.
Allerdings handelte es sich hierbei nicht um Anschriftsangaben im herkömmlichen Sinn, hinter denen man eine oder mehrere Personen vermuten konnte, auch nicht solche, hinter denen sich Schein- oder sogenannte Briefkastenfirmen versteckten, nein, es waren schon recht merkwürdige Adressen, die Norbert sammelte, und eigentlich waren es nicht einmal solche, im strengsten Sinne, sondern eher näher bezeichnete örtliche Angaben, Angaben nämlich über die Lage von Ruhestätten verstorbener Personen.
Fenfertlo war so etwas wie ein eingefleischter Friedhofsfan, doch hatten es ihm nicht irgendwelche No Name Grabstätten angetan, sondern diejenigen von ehemals prominenten Zeitgenossen. So besaß er in der Tat von allen Metropolen – und nicht nur von diesen – der Welt so etwas wie einen Katalog des Who is Who der Friedhöfe, mit allen Angaben über die berühmten Verblichenen. Darüber hinaus führte er eine peinlich genaue Tabelle, die er ständig aktualisierte, kaum, dass ein Very Important Person das Zeitliche gesegnet hatte.
Im Allgemeinen war Norbert Fenfertlo ein recht umgänglicher Zeitgenosse, hin und wieder auch einem Scherz nicht abgeneigt, doch was er buchstäblich auf den Tod nicht ausstehen konnte, war Unkorrektheit.
Wo andere in diesem Fall die fünf gerade sein lassen konnte, erwies er sich als unerbittlich.
Bemerkte er beispielsweise in einem Buch eine verwechselte Seitenzahl, ärgerte er sich, entdeckte er in einer Biographie gar eine nicht korrektes Geburtsdatum, wurde er ausgesprochen sauer und rief umgehend den Verlag an, doch fiel ihm eine fälschlich benannter Todestag ins Auge, so rastete er fast aus und er wütete so lange, bis er den Urheber des Fehlers ermittelt und zur Korrektur genötigt hatte.
Das aber war alles noch nichts im Vergleich dazu, wenn er auf seinen Lieblingsspielplätzen, den Friedhöfen, auf Fehler stieß, angefangen von den Grabstättenverzeichnissen bis hin zu den Grabinschriften. In einem solchen Moment konnte er zum Tier werden, und nicht wenige gutmütige Friedhofsangestellte konnten ein Lied davon singen, daher war bei diesen in aller Welt gleichermaßen bekannt wie auch gefürchtet.
Soweit kann es die Pedanterie zuweilen treiben, doch in diesem Fall sollte es noch schlimmer kommen, viel schlimmer.

Norbert Fenfertlo befand sich auf einer Auslandsreise, im Süden Europas, bei seiner Lieblingsbeschäftigung.
Als er den Zentralfriedhof der großen Stadt durchstreifte, das unerlässliche Verzeichnis unterm Arm, stockte ihm plötzlich der Ate; was er da feststellen musste, war so ungeheuerlich, dass es alles, was ihm bisher an Ungenauigkeiten begegnet war, in den Schatten stellte.
‚Nein’ dachte Norbert erschüttert, ‚das ist ja entsetzlich.’
In einiger Entfernung kam ihm auf dem gleichen Weg ein älterer, vornehm gekleideter Herr entgegen, der nach seinem Wissensstand längst tot sein musste. Er hatte ihn gleich erkannt, ein berühmter Tonkünstler des Landes, und er konnte es nicht fassen, dass dieser hier putzmunter umherspazierte, statt an gleicher Stelle unter einer Marmorplatte zu liegen.
‚Das gibt’s doch gar nicht’, sagte sich Fenfertlo mit Grauen, gleichermaßen mit Wut gepaart und zog seine Liste hervor, ‚genau hier müsste der liegen, in dieser Reihe. Das kann doch nicht wahr sein!’
Der ältere Herr, der eigentlich hier liegen müsste, kam näher, und als er sich mit Norbert auf gleicher Höhe befand, wurde dieser von einem Schauer aus Grauen und Wut erfasst, wobei das letztere der Gefühle dominierte.
Schnurstracks wollte er sich auf den Weg zur Friedhofsverwaltung machen, um sich dort Luft zu verschaffen, über die unfassbare Unkorrektheit, als er sich noch einmal umblickte.
Der Totgeglaubte hatte inzwischen einen Seitenweg eingeschlagen und machte vor einer frisch ausgehobenen Grabstätte Halt.
Eine Idee durchzuckte Norbert Fenfertlo, und spontan änderte er seinen Plan.
Auf dem Absatz kehrtmachend, näherte er sich langsamen Schrittes dem älteren Herrn. Dieser starrte gedankenverloren vor sich hin.
Blitzschnell trat Norbert von hinten an ihn heran und stieß ihn mit aller Gewalt in das offene Grab.
Der berühmte Künstler röchelte nicht einmal mehr, bevor ihn die Seele verließ.
‚So’ murmelte Norbert erleichtert, ‚jetzt hast du endlich deine Ruhe, und ich die meine auch.’
Vergnügt setzte er seinen Weg fort, eine Passage aus Verdis Requiem pfeifend.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
nee.

erst traf er ihn doch auf einem ganz bestimmten weg und sagte bei sich: Hier müßte der liegen! der geht einen seitenweg entlang zu einem offenen grab und wird hineingestoßen. dann liegt er doch in der falschen reihe!
noch was: . . .stockte ihm der Ate - häng ma noch n m ran.
lg
 

Raniero

Textablader
Hallo,
wilde Sucherin, wo liegen Die Probleme? :)

1) Er müsste zwar dort liegen, der Totgeglaubte, in dieser Reihe, doch, erstens kann ein Fehler der Friedhofsverwaltung vorliegen und zweitens, kann die aktualisierte Liste von Noebert selbst falsch sein.

2)Der ältere Herr steht vor einem offenen Grab in einem Seitenweg, warum sollte er das nicht tun? Was spricht dagegen?
Viel spannender ist für mich die Frage - aber die bleibt unbeantwortet - worüber der Alte am offenen Grab nachdenkt.

Gruß Raniero


PS
Wenn du denkst, dass du denkst, dass du denkst...

Marius vir iaculi
altrömischer Fahrschullehrer
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
nee,

es geht doch um seine pedanterie. und wenn er selber den totgeglaubten in die falsche grube stößt, dann müßte er doch schier wahnsinnig werden. wäre vielleicht n weiterer gag für deine story.
lg
 

Raniero

Textablader
Hallo flammarion,

für ihn ist vordergründig die Tatsache unerträglich, dass der Alte noch nicht verstorben ist, wie es seiner Meinung nach sein müsste.
Jetzt geht er in aller Ruhe und unaufgeregt zur Friedhofsverwaltung und sagt, Houston, wir haben da ein Problem...

Gruß Raniero
 



 
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